AG Bremen: Ein Onlinehändler kann bei versehentlicher Aktivierung der „Sofort-Kaufen“-Option Vertrag anfechten

veröffentlicht am 30. Oktober 2008

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtAG Bremen, Urteil vom 25.05.2007, Az. 9 C 0142/07
§§
119 Abs. 1 Alt. 2, 121, 143, 433 BGB

Das AG Bremen hat entschieden, dass ein Onlinehändler bei eBay, der an Stelle einer Startpreis-Auktion ein Sofortkauf-Angebot zum Preis von 1,00 EUR generiert, den mit einem Käufer zu Stande gekommenen Kaufvertrag anfechten kann. Das Gericht glaubte dem Beklagten, dass er eine Auktion über wertvolle Fußballkarten nur versehentlich zu einem Sofort-Kaufen-Preis von 1,00 EUR erstellt hatte, da der tatsächliche Wert weitaus höher lag. Direkt nachdem der Kauf über 1,00 EUR abgeschlossen wurde, schickte der Verkäufer eine E-Mail an den Käufer, in der mitteilte: „Hier handelt es sich um einen Fehler, dieses sollte eine [Startpreis-] Auktion sein.“ Dies genügte dem Gericht als Anfechtungserklärung, in der das Wort „Anfechtung“ nicht unbedingt auftauchen müsse. Aus der Erklärung müsse nur hervorgehen, dass eine falsche Erklärung auf Grund eines Irrtums abgegeben wurde und der Vertrag nicht bestehen bleiben soll. Damit sei der geschlossene Vertrag als von Anfang an nichtig anzusehen und der Käufer habe keinen Anspruch auf Übereignung der Kaufsache.


Amtsgericht Bremen

Urteil

In dem Rechtsstreit

gegen

hat das Amtsgericht Bremen auf die mündliche Verhandlung vom 04.05.2007 durch Richter … für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Voll­streckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach diesem Urteil voll­streckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger verlangt von dem Beklagten die Übereignung zweier bei dem Internetauktions­haus eBay eingestellter Werder-Bremen-Stammkarten, die zum Bezug einer Dauerkarte berechtigen, sowie die Abgabe der für eine Übertragung erforderlichen Erklärungen und Übergabe erforderlicher Unterlagen.

Die Parteien hatten bereits im Vorfeld zu der hier streitgegenständlichen Internetverkaufsak­tion Verkaufsverhandlungen über zwei Werder-Bremen-Stammkarten geführt, waren aber aufgrund nicht zu vereinbarender Preisvorstellungen zu keiner Einigung gelangt. Der Kläger bot seinerzeit  1.600,00 EUR für die Karten, was dem Beklagten jedoch nicht genügte.

Am 04.03.07 um 18.27 Uhr stellte der Beklagte auf der Internetplattform eBay zwei Werder-­Bremen-Stammkarten unter der so genannten „Sofort-Kaufen-Option“ zum Preis von insge­samt 1,00 EUR ein. Der Beklagte nahm diese Option wenige Minuten nach Einstellen der Kar­ten um 18.31 Uhr wahr. Daraufhin erhielt er kurze Zeit später um 18.39 Uhr eine E-Mail von dem Beklagten mit folgendem Wortlaut: „Hier handelt es sich um einen Fehler, dieses sollte eine Auktion sein. “ (BL 26 bzw. 53 d. A.)

Der Kläger schickte hierauf um 19.34 Uhr eine E-Mail, mit der er den Beklagten auf die Wirksamkeit des Kaufvertrags hinwies, zur Information auf die Webseite seiner Anwalts­kanzlei verwies und rechtliche Konsequenzen andeutete. Ferner forderte er den Beklagten dazu auf, einen Vorschlag zur Abwicklung des Kaufvertrages zu machen. Sodann antwortete der Kläger mit einer E-Mail um 20.07 Uhr mit dem Hinweis, dass die Ware innerhalb von sie­ben Tagen persönlich abzuholen sei und nur gegen Barzahlung übergeben würde. Es folgte eine weitere E-Mail des Beklagten um 20.08 Uhr, in der er vorschlug, die Angelegenheit un­ter vier Augen zu klären.

Der Beklagte verweigerte die Annahme der Zahlung von 1,00 EUR zzgl. Versandkosten und die Übersendung der Karten.

Der Kläger ist der Ansicht, dass zwischen ihm und dem Beklagten ein wirksamer Kaufver­trag über die beiden Werder-Bremen-Stammkarten zu einem Preis von 1,00 EUR geschlossen wurde. Die um 18.39 Uhr versendete E-Mail des Beklagten stelle keine wirksame Anfech­tungserklärung dar, da sie nicht erkennen ließe, dass der Beklagte das Rechtsgeschäft nicht gelten lassen wollte. Zudem habe der Beklagte durch den späteren E-Mail-Verkehr das Rechtsgeschäft bestätigt. Auch sei der Beklagte als … nicht anfechtungsberechtigt gewe­sen, da der Kläger aufgrund entsprechender Angaben des Beklagten davon ausgehen musste, dass ein … Vertragspartner sei. Schließlich läge kein Anfechtungsgrund vor, da der Beklagte sich als erfahrener eBay-Händier nicht geirrt haben könne.

Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen,

a)
an den Kläger 2 Stammkarten Werder Bremen (Fußball Bundesliga), Nordtribüne, Block 1, Reihe 11 zu übergeben Zug um Zug gegen Bezahlung von 1,00 EUR. Es wird festgestellt, dass der Beklagte sich mit der Annahme der Bezahlung von 1,00 EUR im Annahmeverzug befindet.

b)
die erforderlichen Erklärungen abzugeben und dem Kläger die erforderlichen Unterlagen zu übergeben, die zur Übertra­gung der Rechte aus den beiden Stammkarten erforderlich sind.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, er habe sich bei der Einstellung der Stammkarten auf die Internet­auktionsseite geirrt. Er habe fälschlicherweise, ohne dies zu bemerken, die „Sofort-Kaufen-Option“ mit der sogenannten „drag and drop“ Funktion des für die Abwicklung von eBay An­geboten entwickelten und von ihm benutzten Softwareprogramms „afterbuy“ aktiviert. Mit seiner E-Mail um 18:39 Uhr habe er sich vom Vertrag lösen wollen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass er den Vertrag mit der um 18.39 Uhr gesendeten E-Mail wirksam angefochten habe.

Das Gericht hat die Parteien persönlich angehört (§ 141 ZPO). Hinsichtlich der weiteren Ein­zelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

I.
Der Kläger hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Übereignung der beiden Werder-Bremen-Stammkarten durch den Beklagten. Insbesondere ergibt sich dieser Anspruch nicht aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB.

1.
Zwar haben die Parteien am 04.03.07 um 18.27 Uhr über die „Sofort-Kaufen“-Option bei dem Internetauktionshaus eBay einen Kaufvertrag i.S.d. § 433 BGB über die beiden Werder-Bremen-Stammkarten geschlossen. Bei einem Kauf über die „Sofort-Kaufen“-Option bei einer Internetverkaufsplattform kommt ein Vertrag nach den allgemeinen Regeln zustan­de, namentlich durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen nach den §§ 145 ff. BGB (vgl. hierzu BGH, MMR 2002, S. 95). Der Beklagte stellte die beiden Werder-Bremen-Stammkarten unter dem Format „Sofort-Kaufen“ bei eBay ein und machte auf diese Weise ein Angebot zum Verkauf der beiden Stammkarten zu einem Preis von 1,00 EUR. Es handelt sich dabei um ein bindendes Angebot, das von demjenigen angenommen werden kann, der zuerst die Schaltfläche „Kaufen“ auf der Intemetseite durch Mausklick aktiviert und im fol­genden bestätigt. Der Kläger nahm dieses Angebot an, indem er durch Anklicken der ent­sprechenden Schaltflache von der „Sofort-Kauf“-Option Gebrauch machte und diese Hand­lung bestätigte. Der Zugang der Willenserklärungen erfolgt durch elektronische Übermittlung der Erklärung an den Plattformbetreiber als Empfangsvertreter (vgl. BGH, aaO.).

2.
Der Vertrag wurde von dem Beklagten jedoch wirksam angefochten. Dies geschah mit der direkt im Anschluss an den Vertragsschluss versendeten E-Mail des Beklagten, mit der er dem Kläger mitteilte, dass es sich bei dem Verkauf über die „Sofort-Kaufen“-Option um einen Fehler handelte.

a.
Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass der Beklagte bei Einstellung des Angebots einem Erklärungsirrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB unterlag und damit ein Anfechtungsgrund gegeben ist. Der Erklärungsirrtum ist dadurch gekennzeichnet, dass der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Die Beweislast für den Irrtum trägt der Beklagte. Hier hat der Beklagte deutlich gemacht, dass er versehent­lich bei der Einstellung des Angebots in das Auktionshaus eBay die Option „Sofort-Kauf“ statt „Auktion“ angeklickt hatte. Der Beklagte hat glaubhaft geschildert, dass die beiden Op­tionen in der von ihm verwendeten Software „Afterbuy“ mit der sogenannten „drag und drop“ Funktion aktivierbar und nebeneinander angeordnet sind, so dass eine Verwechslung durchaus möglich ist. Auch ist bei verständiger Würdigung des Sachverhalts anzunehmen, dass der Beklagte den Verkauf der Werder-Bremen-Stammkarten nicht über die Option „So­fort-Kauf“ für 1,00 EUR angeboten haben würde. In diesem Fall übersteigen die entstehenden Gebühren für die Einstellung des Angebotes bereits den Kaufpreis, so dass es keinen Sinn ergibt, einen Artikel zu einem Preis von 1,00  EUR zu verkaufen. Zudem übersteigt der normale Wert einer Werder Stammkarte den Preis von 1,00 EUR um ein Vielfaches, was zwischen den Parteien unstreitig ist. Diese Indizien und äußeren Umstände lassen den Schluss auf einen tatsächlich vorliegenden Irrtum des Beklagten bei Einstellung des Angebots unter der Option „Sofort-Kaufen“ zu.

b.
Die E-Mail des Beklagten an den Kläger vom 04.03.07 um 18.39 Uhr (BI. 26 bzw. 53 d. A.) stellt eine Anfechtungserklärung i.S.d. § 143 BGB dar. Für eine Anfechtungserklärung ist nicht erforderlich, dass der Anfechtende das Wort „anfechten“ benutzt. Es ist notwendig und ausreichend, dass der Beklagte deutlich macht, dass er den Vertrag aufgrund eines Irrtums nicht gelten lassen will (vgl. Palandt-Heinrichs, § 143, Rdn. 3, Soergel-Hefermehl, § 143, Rdn. 1). Für die Auslegung ist dabei auch und vor allem die bestehende Interessenlage der Parteien zu berücksichtigen (Palandt-Heinrichs, § 133, Rdn. 18). Die Mitteilung des Beklag­ten, es handele sich um einen Fehler, war vom objektiven Empfängerhorizont nach §§ 133, 157 BGB nur so zu verstehen, dass der Beklagte an dem Geschäft nicht festhalten wollte. Durch Erklärung des Fehlers machte der Beklagte deutlich, dass er die Karten nicht im Rahmen der „Sofort-Kaufen“-Option verkaufen wollte und legte damit den lrrturn dar, der eine Anfechtung des Geschäfts durch ihn begründete. Dass er aufgrund dieses lrrturns das Rechtsgeschäft nicht gelten lassen wollte, wurde damit impliziert, denn ein anderer denkba­rer und sinnvoller Inhalt ist der Erklärung schlechterdings nicht zu entnehmen.

Auch ist zu berücksichtigen, dass bereits im Februar 2007 Verhandlungen zwischen den Parteien über den Kauf zweier Werder-Bremen-Stammkarten geführt worden waren. Damals kam es nicht zum Vertragsschluss, weil der Beklagte die Karten nicht unter 4.000,00 EUR ver­kaufen wollte (vgl. BI. 62 ff. d. A.). Vor diesem Hintergrund hätte der Beklagte bereits bei Ausmachen der Stammkarten zum Preis von 1,00 EUR bei eBay davon ausgehen müssen, dass das Angebot nur versehentlich unter der Option „Sofort-Kaufen“ für 1,00 EUR eingestellt worden war. Dass die Karten für einen derart geringen Preis nicht verkauft werden sollten, ­insbesondere auch im Hinblick auf die entstehenden Verkaufsgebühren, aufgrund derer es sich faktisch um ein Schenkungsangebot ad incertas personas gehandelt hätte, war für je­den objektiven Empfänger erkennbar. Jedenfalls musste der Kläger aber in Anbetracht der vorherigen Verhandlungen die E-Mail des Beklagten, mit der dieser seinen Fehler erklärt, so verstehen, dass die Karten nicht ernstlich für 1,00 EUR verkauft werden sollten.

Insofern der Kläger auf die Entscheidung des Amtsgerichts Moers vom 21.01.2004 verweist, so ist der dieser Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt nicht mit dem hier in Rede stehenden Sachverhalt vergleichbar. Das Amtsgericht Moers hat einer ähnlich gelagerten Klage stattgegeben, da der Beklagte die Abgabe der Anfechtungserklärung nicht beweisen konnte. Im vorliegenden Fall geht es aber nicht darum, ob der Anfechtende überhaupt eine Anfechtungserklärung mitgeteilt hat, sondern wie die unstreitig abgegebene Erklärung des Beklagten in seiner E-Mail vom 04.03.07, 18.39 Uhr zu verstehen ist.

In der ebenfalls vom Kläger zitierten Entscheidung des Landgerichts Bonn vom 08.03.2005 (Az.: 2 0 455/04) handelt es sich wiederum um einen anderen Sachverhalt. Dort genügte die getätigte Äußerung zunächst nicht den Anforderungen an eine Anfechtungserklärung, da der Anfechtende die Entscheidung über den Fortbestand des Vertrages zunächst auf den Ver­tragspartner übertrug. Deshalb fehlte es dort an der erforderlichen „Unzweideutigkeit“ des erklärten Lösungswillens. Die später abgegebene Anfechtungserklärung war dann schließ­lich verfristet.

Die Anfechtungserklärung ist ferner nicht deshalb unwirksam, weil der Beklagte noch nach der Anfechtungserklärung – in Reaktion auf die E-Mail des Klägers – auf Barzahlung und Selbstabholung verwies (vgl. BI. 25 d. A.) und vorschlug, die Angelegenheit „unter vier Au­gen zu klären“ (vgl. BI. 28 d. A.). Grundsätzlich gilt, dass eine abgegebenen Anfechtungser­klärung unwiderruflich ist (Paland-Heinrichs, § 143 Rdn. 2). Die Bemühungen des Beklagten, die zeitlich nach der Anfechtungserklärung erfolgten, sind vielmehr darauf zurückzuführen, dass der Kläger nach Erhalt der Anfechtungserklärung den Beklagten per E-Mail dazu auf­forderte, Vorschläge zur Abwicklung des Kaufvertrages zu machen und diesen darauf hin­wies, dass er es mit einem Rechtsanwalt zu tun habe. Die Erklärungen des Beklagten sind vor dem Hintergrund dieses vom Kläger angedeuteten Drucks auszulegen. Ihnen kann we­der der Bedeutungsgehalt eines Widerrufs der Anfechtungserklärung noch einer Bestäti­gung des Rechtsgeschäfts beigemessen werden. Der Beklagte hat vielmehr in der irrigen, vom Kläger veranlassten Annahme, dass seine Anfechtung unwirksam war, versucht, sich anderweitig vom Vertrag zu lösen.

c.
Auch war der Beklagte zur Anfechtung berechtigt. Anfechtungsberechtigt ist derjenige, der die angefochtene Erklärung abgegeben hat. Hierzu hat sich der Beklagte bekannt:

Er war derjenige, der die Werder-Bremen-Stammkarten bei eBay angeboten hat. Dass er zum Teil unter fremdem Namen – als … anstatt als … – auftrat, ist für die Wirkung der Er­klärung für und gegen ihn ohne Belang, denn für den Kaufvertrag über die Werder-Bremen­-Stammkarten spielten Name und Identität des Beklagten keine Rolle.

d.
Schließlich erfolgte die Anfechtung des Vertrags durch den Beklagten auch i.S.d. § 121 Abs. 1 BGB fristgerecht. Der Beklagte schickte die E-Mail, mit der er seinen Fehler dem Kläger gegenüber bekannt gab, direkt nachdem er Kenntnis von dem Vertragsschluss genommen hatte ab. Dies geschah gerade einmal acht Minuten nach dem Vertragsschluss und damit unverzüglich.

II.
Der Beklagte befindet sich auch nicht im Annahmeverzug hinsichtlich der Bezahlung von 1,00 EUR durch den Kläger. Vielmehr verweigerte er die Annahme der Zahlung, die zu­nächst per Pay Pal und später durch Überweisung erfolgte, zu Recht, denn mangels Kauf­vertrag besteht auch keine Pflicht des Beklagten zur Annahme.

III.
Aus demselben Grund ist der Beklagte auch nicht zur Abgabe der für die Nutzung der Werder-Bremen-Stammkarten erforderlichen Unterlagen und Erklärungen verpflichtet.

IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11; 711 ZPO.

I