AG Dieburg: Die Annahmeverweigerung einer Ware durch einen Verbraucher kann nicht als Widerrufserklärung ausgelegt werden

veröffentlicht am 9. Februar 2016

AG Dieburg, Urteil vom 04.11.2015, Az. 20 C 218/15
§ 312 g BGB, § 433 BGB, § 355 BGB, § 356 I,II Ziff 1a BGB

Das AG Dieburg hat entschieden, dass die bloße Verweigerung der Annahme einer Ware durch einen Verbraucher nicht als Widerrufserklärung ausgelegt werden kann. Der Widerruf müsse neben der Rücksendung ausdrücklich erklärt werden. Die Frist beginne dafür mit der Anlieferung der Ware, denn zu diesem Zeitpunkt habe der Verbraucher die Möglichkeit, Sachherrschaft auszuüben. Es komme nicht darauf an, dass er die Ware tatsächlich in Händen halte. Zum Volltext der Entscheidung:

Amtsgericht Dieburg

Urteil

1.
Das Versäumnisurteil des AG Dieburg vom 21.04.2015 wird aufrechterhalten.

2.
Der Kläger hat auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3.
Das Urteil ist vorläufig vollsteckbar.

Tatbestand

Am 07.08.2014 bestellte der Kläger bei der Beklagten über die Internetplattform ebay 480 Dosen des Erfrischungsgetränks „[…]“ zu einem Preis von € 45,50 zzgl. Versandkosten in Höhe von € 35,00 (insgesamt € 80,50). Die Beklagte trat hierbei als „Verkäufer: […]“ auf (Bl. 11 d. A.), während der Kläger die Getränke bestellte, um diese in seiner Wohngemeinschaft, in der er mit 10 Personen lebt, zu verbrauchen (Bl. 45 d. A.). Nach Abschluss der Bestellung übermittelte die Beklagte dem Kläger über das ebay-Nachrichtensystem eine „Widerrufsbelehrung“ mit u. a. folgendem Inhalt: „Die Widerrufsfrist beträgt vierzehn Tage ab dem Tag an dem Sie oder ein von Ihnen benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, die Waren in Besitz genommen haben bzw. hat.“ Hinsichtlich des weiteren Inhalts wird auf Bl. 11 u. 12 d. A. Bezug genommen.

Der Kläger überwies im Folgenden die Gesamtsumme in Höhe von € 80,50 auf das Konto der Beklagten. Diese lieferte die Ware am 21.08.2014 über ein Beförderungsunternehmen in insgesamt fünf Paketen an den Kläger. Nachdem der Lieferant drei der fünf Pakete ausgeladen hatte, verweigerte der Kläger die Annahme der restlichen Pakete.

Mit E-Mail vom 19.10.2014 (Bl. 13 d. A.) forderte der Kläger die Beklagte erfolglos zur Rückzahlung von € 32,20 (2/5 des Gesamtpreises von € 80,50) auf. Als Begründung führte er an: „Ich widerrief den Vertrag zum Teil und verweigerte die Annahme von zwei der fünf Pakete“ (Bl. 13 d. A.).

Mit der Klage begehrt der Kläger die entsprechende Rückzahlung nebst Melderegistergebühren in Höhe von € 8,00 und Portokosten in Höhe von € 0,62.

Der Kläger ist der Ansicht, die Widerrufsfrist nach §§ 355 Abs. 2 S. 1, 356 Abs. 2 Nr. 1 BGB habe bisher nicht zu laufen begonnen, da die nicht angenommenen Pakete nicht in seinen Besitz übergegangen seien. Diese sei vielmehr im Besitz des Beförderers geblieben, da er deren Annahme verweigert habe und der Kläger damit zu keiner Zeit eine von einem natürlichen Besitzwillen getragene tatsächliche Sachherrschaft i. S. d. § 854 Abs. 1 BGB an den Paketen gehabt habe.

Das Gericht hat die Klage durch Versäumnisurteil vom 21.04.2015 abgewiesen, das dem Kläger am 28.04.2015 und der Beklagten am 30.04.2015 zugestellt wurde. Mit bei Gericht am 12.5.15 eigegangenem Schriftsatz, hat der Kläger Einspruch eingelegt.

Der Kläger beantragt nunmehr,

1. das Versäumnisurteil des AG Dieburg vom 21.04.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger die Hauptforderung in Höhe von 32,20 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.09.2014 zu zahlen,

2.
ferner die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger die Nebenforderung in Höhe von 8,62 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.02.2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

das Versäumnisurteil des AG Dieburg zu bestätigen.

Entscheidungsgründe

Der Einspruch des Klägers gegen das Versäumnisurteil des AG Dieburg vom 21.04.2015 ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Er war statthaft gem. § 338 ZPO und wurde innerhalb der 2-wöchigen Einspruchsfrist nach § 339 Abs. 1 ZPO in der entsprechenden gesetzlichen Form des § 340 ZPO eingelegt.

Die Klage ist jedoch unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von € 32,20 gegenüber der Beklagten aus § 355 Abs. 3 S. 1 i. V. m. §§ 433, 312g Abs. 1, 355 Abs. 1 BGB, weil der (teilweise) Widerruf des Vertrages nicht rechtzeitig erklärt wurde.

Die Ablehnung der beiden Pakete durch den Kläger am 21.08.2014 stellt keinen Widerruf im Sinne des § 355 Abs. 1 BGB dar. Gemäß der gesetzlichen Neuregelung der §§ 355 ff. BGB mit Wirkung vom 13.06.2014 (G. v. 20.09.2013, BGBl. I S. 3642), die aufgrund des Vertragsschlusses am 07.08.2014 vorliegend Anwendung findet, hat der Widerruf nach § 355 Abs. 1 S. 2, S. 3 BGB mittels eindeutiger Erklärung gegenüber dem Unternehmer zu erfolgen. Entgegen § 355 Abs. 1 S. 2 BGB a. F. ist eine bloße Rücksendung der Ware nicht mehr ausreichend. Entsprechendes gilt daher auch für die Verweigerung der Annahme der Ware, durch die alleine die Anforderungen des § 355 Abs. 1 S. 2, S. 3 BGB an einen Widerruf nicht erfüllt werden.

Dagegen ist die Zahlungsaufforderung des Klägers vom 19.10.2014 als Widerruf nach § 355 Abs. 1 ZPO zu bewerten. Der Widerruf ist jedoch unwirksam, weil er außerhalb der Widerrufsfrist von 14 Tagen nach §§ 355 Abs. 2, 356 Abs. 2 BGB abgesendet wurde, § 355 Abs. 1 S. 5 BGB.

Nach § 355 Abs. 2 BGB beginnt die 14-tägige Widerrufsfrist mit Vertragsschluss, wenn nichts anderes bestimmt ist. Eine solche Regelung findet sich in § 356 Abs. 2 Nr. 1 lit. a BGB, wonach bei einem Verbrauchsgüterkauf, der nicht unter § 356 Abs. 2 Nr. 1 lit. b bis d BGB fällt, die Widerrufsfrist mit dem Erhalt der Ware beginnt.

Ein Verbrauchsgüterkauf ist vorliegend gegeben, da der Kläger mit der Beklagten einen Kaufvertrag schloss. An der Unternehmereigenschaft der Beklagten nach § 14 BGB bestehen keine Zweifel. Ferner war der Kläger Verbraucher, da er die Getränkedosen nicht im Rahmen einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit, sondern für die Wohngemeinschaft, in der er wohnte, zum privaten Verbrauch kaufte, vgl. § 13 BGB.

Ob aufgrund der Lieferung in fünf Paketen § 356 Abs. 2 Nr. 1 lit. a, b oder c BGB Anwendung findet, kann hingegen dahinstehen, da der Kläger am 21.08.2015 alle fünf Pakete im Sinne dieser Vorschrift erhalten hat und deshalb die Frage, ob es sich um eine oder mehrere Lieferungen handelte, ohne Belang ist. Unter Erhalt der Ware i. S. d. § 356 Abs. 2 BGB ist der „physische Empfang“ (vgl. Grüneberg, in: Palandt [Hrsg.], BGB, 73. Aufl. 2014, § 356 nF Rn. 4; Christmann, in: Bamberger/Roth [Hrsg.], BeckOK, Stand: 01.11.2014, § 356 Rn. 5) bzw. der „physische Besitz“ (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs, BT-Drucks. 17/12637, S. 61) der Ware zu verstehen. Entscheidend soll demnach sein, ob der Verbraucher in der Lage ist, die Ware zu untersuchen (vgl. Grüneberg, in: Palandt [Hrsg.], BGB, 73. Aufl. 2014, § 356 nF Rn. 4, § 438 Rn. 15). Von diesem Begriffsverständnis geht auch die Widerrufsbelehrung der Beklagten aus (Bl. 11 und 12), die gemäß der Vorgaben der § 312d Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 246a Abs. 2 EGBGB i. V. m. Anlage 1 u. 2 zu Art. 246a Abs. 2 S. 2 EGBGB entsprechend der Muster-Widerrufsbelehrung ausgestaltet wurde. Demnach kann der Unternehmer im Falle eines Kaufvertrages den Zeitpunkt als entscheidend für den Fristbeginn vorsehen, in dem der Verbraucher oder ein von ihm benannter Dritter die Ware „in Besitz genommen“ hat.

Eine Inbesitznahme durch den Kläger lag auch hinsichtlich der beiden abgelehnten Pakete vor, da dieser mit der Anweisung an den Paketboten, die Pakete zurückzuschicken, von seiner Sachherrschaft i. S. d. § 854 Abs. 1 BGB Gebrauch gemacht hat. „In wessen tatsächlicher Herrschaftsgewalt sich die Sache befindet, hängt maßgeblich von der Verkehrsanschauung, d.h. von der zusammenfassenden Wertung aller Umstände des jeweiligen Falles entsprechend den Anschauungen des täglichen Lebens, ab“ (BGH, Urt. v. 02.12.2011 – V ZR 119/11). Erforderlich ist ferner, dass die Sachherrschaft von einem entsprechenden Besitzwillen des Besitzers getragen wird (BGH, Urt. v. 02.12.2011 – V ZR 119/11). Ausgehend von diesem Maßstab spricht das Gesamtbild der Verhältnisse dafür, dass der Kläger hinsichtlich aller fünf Pakete bereits eine tatsächliche Sachherrschaft ausüben konnte. Dies folgt vor allem daraus, dass es alleine in seiner Entscheidung lag, ob er die Pakete behalten oder zurückschicken möchte. Insofern hatte er die Möglichkeit, über alle Pakete zu verfügen und den Inhalt zu überprüfen, obwohl der Paketbote diese einzeln aus dem Lieferwagen zur Haustür des Klägers transportierte. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger die zwei nicht angenommenen Pakete nicht gesehen hat. Denn bei lebensnaher Betrachtung kann es für die auf tatsächlichen Gründen beruhende Sachherrschaft des Klägers über die Ware als solche keinen Unterschied machen, ob der Lieferant alle fünf Pakete vor der Haustür abstellt und der Kläger diese möglicherweise begutachtet und näher kontrolliert oder ob er lediglich drei annimmt und hinsichtlich der anderen erklärt, diese nicht behalten zu wollen. Denn für die Annahme einer tatsächlichen Sachherrschaft ist nicht erforderlich, dass der Kläger die Sache berührt, in den Händen hält oder in einen abgesicherten Bereich wie beispielsweise seine Wohnung verbringt und damit seine Herrschaftsposition sichert. Vielmehr ist ausreichend, wenn er eine solche Position innehält, über die Sache als solche tatsächlich zu verfügen. Dies war ihm möglich. Denn der tatsächliche Rücktransport durch den Lieferanten zeigt, dass er über die Gegenstände als solche verfügen konnte.

Dass der Kläger die beiden Pakete nicht annehmen wollte, ist für das Vorliegen eines Besitzwillens nicht schädlich. Denn dieser muss nicht auf den Erwerb bestimmter Sachen bezogen sein, vielmehr ist ein genereller Besitzwille ausreichend (BGH, Urt. v. 24.06.1987 – VI ZR 397/86). Ein solcher war hinsichtlich der Lieferung der Beklagten zumindest bis zur Erklärung, die Ware nicht vollumfänglich annehmen zu wollen, vorhanden. Im Übrigen bezieht sich der Besitzwille nicht auf das Behalten der Gegenstände, sondern auf die tatsächliche Sachherrschaft über die Sache (BGH, Urt. v. 24.06.1987 – VI ZR 397/86). Letztere bestand darin, dass der Kläger den Lieferanten anweisen konnte, die Ware wieder mitzunehmen und in der Entscheidungsmöglichkeit über die Frage, in welcher Art und Weise mit den beiden Paketen zu verfahren ist.

Außerdem liefe eine andere Ansicht den gesetzgeberischen Intentionen der §§ 312g, 355 ff. BGB zuwider, sodass eine Berufung auf einen Nichtbeginn der Frist als treuwidrig im Sinne des § 242 BGB zu beurteilen wäre. Denn durch die Neufassung des § 355 Abs. 1 BGB hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass ein Widerruf alleine durch Rücksendung der Ware ohne entsprechende Widerrufserklärung nicht mehr zulässig ist. Hierbei bezweckt er in Umsetzung der Europäischen Richtlinie 2011/83/EU (ABl. L 304 v. 22.11.2011, S. 64), vor allem solche Online-Händler zu schützen, die über kein standardisiertes Verfahren verfügen, über das in vertraglicher Abweichung von § 355 Abs. 1 BGB zugunsten des Verbrauchers ein Widerruf erfolgen kann (vgl. auch Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 17/12637, S. 60). Würde jedoch bei einer Warenlieferung, die mittels mehrerer Pakete im Rahmen einer einheitlichen Sendung erfolgt, bei einer teilweisen Annahmeverweigerung die Widerrufsfrist mangels Erhalt dieser Ware nie zu laufen beginnen, so könnte der Verbraucher durch entsprechendes Verhalten die Intention der Neuregelung in zahlreichen Fällen faktisch leer laufen lassen. Denn dann bestünde für ihn die Möglichkeit, bis zu einem Zeitpunkt von einem Jahr und 14 Tagen nach Vertragsschluss (§ 356 Abs. 3 S. 2 BGB) den Vertrag zu widerrufen. Dies liefe in den meisten Fällen vom Ergebnis her einem faktischen Widerruf alleine durch Annahmeverweigerung gleich, da damit jede Erklärung innerhalb eines Jahres und 14 Tagen nach Vertragsschluss, aus der der Wille des Verbrauchers deutlich wird, am Vertrag nicht festhalten zu wollen (Mahnungen, Schriftsätze etc.) als Widerrufserklärung auszulegen sein müsste. Die Konsequenz, dass gerade kleinere Unternehmer, die kein standardisiertes Widerrufsverfahren etabliert haben, in diesen Fällen rund ein Jahr mit dem Widerruf des Vertrages rechnen müssten, läuft gegen die Intentionen der gesetzlichen Neuregelung des § 355 Abs. 1 BGB und überspannt den Verbraucherschutz, der nach den §§ 312 ff, 355 ff. BGB gewährleistet wird.

Ein Anspruch auf Zahlung der Nebenforderung in Höhe von € 8,62 besteht mangels Rückzahlungsanspruchs in der Hauptsache nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Das Urteil ist aufgrund von §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung zu erklären.

Gegen das Urteil ist kein Rechtsmittel möglich.

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