AG Frankfurt a.M.: Widerrufsrecht wegen Fernabsatzvertrag auch dann, wenn Käufer vor Vertragsschluss das Ladengeschäft des Verkäufers aufsucht, um Ware anzusehen / Zum Beginn der Widerrufsfrist

veröffentlicht am 2. September 2011

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtAG Frankfurt a.M., Urteil vom 06.06.2011, Az. 31 C 2577/10
§ 312b Abs. 1, § 312d Abs. 1, § 346 Abs. 1, § 355, § 357 Abs. 1 BGB

Das AG Frankfurt a.M. hat entschieden, dass ein Verbraucher einen Kaufvertrag auch dann gemäß § 355 BGB widerrufen kann, wenn er vor Vertragsschluss das Ladengeschäft der Beklagten aufsucht, und zwar unabhängig davon, was vor Ort zwischen den Parteien erörtert wird. Zwar setze ein Fernabsatzvertrag voraus, dass der Vertrag ausschließlich unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen werde und hierbei auch zu beachten sei, ob im Rahmen der Vertragsanbahnung persönliche Kontakte bestanden haben. Für die Frage des Vorliegens eines Fernabsatzvertrages sei entscheidend, ob sich der Verbraucher während des Anbahnungskontakts über alle für den Vertragsschluss wesentlichen Umstände informiert habe und der Vertrag im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit diesem persönlichen Kontakt zustande gekommen sei. Wenn also der Verbraucher nach persönlichem Kontakt zwar alle erforderlichen Informationen habe, sich aber noch nicht endgültig binden wolle, sei das notwendige das Zeitmoment noch nicht erfüllt. Zum Volltext der Entscheidung:

Amtsgericht Frankfurt am Main

Urteil

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 866,34 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.04.2010 und 318,68 EUR außergerichtliche Kosten nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.11.2010 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand

Am 23.12.2009 suchten die Kläger den Verkaufsraum der Beklagten auf, um sich wegen eines Kaminofens zu informieren. Mit E-Mail vom 13.01.2010 unterbreitete die Beklagte den Klägern ein Angebot hinsichtlich zweier Öfen der Firma S… . In dem Angebot war die Position 3 wie folgt beschrieben:

„Rauchrohranschluss durch Außenwand

– 90°-Knie

– 2 x 1 m Rauchrohr

– 1 x Außenwanddurchführung

– 1 x Lüftungsgitter“

Am 12.02.2010 nahmen die Kläger das Angebot hinsichtlich des Modells Pronto ebenfalls per E-Mail an. Den Klägern wurde am 13.02.2010 eine Anzahlungsrechnung übersandt, die dieselbe Position 3 aufwies wie das Angebot. Die Kläger zahlten den Anzahlungsbetrag von 2.639,12 EUR . In der Folgezeit bereitete die Beklagte die Vertragsdurchführung vor. In diesem Zusammenhang kam es zu zwei Ortsterminen bei den Klägern, bei denen u.a. erörtert wurde, wo der Ofen später zu installieren wäre.

Am 01.04.2010 holte die Klägerin den Außenwandanschluss bei der Beklagten ab. Die Kläger wollten das Außenwandstück vorab farblich passend zur Außenwand lackieren. Zuhause stellten die Kläger fest, dass der Außenwandanschluss 17 cm von der Außenwand herausragen würde. Die Kläger brachten den Anschluss daraufhin in das Geschäft der Beklagten zurück.

Mit E-Mail vom 02.04.2010 erklärten die Kläger „die Anfechtung des Kaufvertrages wegen Nichtvorliegens einer verkehrswesentlichen Eigenschaft gem. § 119 Abs. 2 BGB“ und ferner „den Widerruf des Kaufvertrages gem. §§ 312b ff. BGB“. Zugleich forderten die Kläger zur Rückzahlung der Anzahlung auf unter Fristsetzung bis 14.04.2010. Mit anwaltlichem Schreiben vom 23.04.2010 wies die Beklagte das Begehren zurück. Die Kläger machten ihrerseits mit anwaltlichem Schreiben vom 06.05.2010 erneut Ihre Ansprüche geltend mit Fristsetzung bis zum 14.05.2010. Daraufhin zahlte die Beklagte 1.772,78 EUR zurück und ließ anwaltlich mitteilen, der Restbetrag werde hinsichtlich 15 % Hersteller-Stornogebühr, zwei Anfahrtspauschalen, Baustellenbesprechungen, Bearbeitungskosten und Rechtsanwaltsgebühren einbehalten. Die Kläger machten mit anwaltlichem Schreiben vom 04.06.2010 auch den Differenzbetrag geltend, die Beklagte leistete innerhalb der gesetzten Frist bis zum 11.06.2010 jedoch nicht.

Die Kläger behaupten, sie hätten sich vor Ort allgemein informiert ohne ein bestimmtes Modell in die engere Auswahl zu ziehen. Sie hätten dabei deutlich gemacht, dass sie besonderen Wert legen auf einen Ofen, dessen Abzugsauslass sich an der Hauswand möglichst unauffällig verhält und maximal 4-5 cm an der Fassade auftragt. Erst in der E-Mail vom 13.01.2010 hätten die Kläger Details über die Öfen, insbesondere die Preise und Liefer- und Montagekosten, erhalten.

Die Kläger beantragen,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 866,34 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten Ober dem Basiszinssatz seit 15.04.2010 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger außergerichtliche Kosten von 316,18 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.11.2010 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, ein Fernabsatzvertrag liege nicht vor. Sie behauptet, die Kläger hätten sich vor Ort für die Modelle Pronto und Trio der Firma S…, interessiert und wären über Preise informiert worden. Anhand einer Prinzipskizze seien die Kläger informiert worden, dass das Kaminrohr 10-20 cm aus der Außenwand stehen würde.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Kläger haben Anspruch auf Rückgewähr des restlichen Kaufpreises nach § 312d Abs. 1, § 357 Abs. 1, § 346 Abs. 1 BGB.

Insoweit liegt zunächst überhaupt ein Kaufvertrag vor. Die Kläger haben nicht wirksam angefochten. Für eine Anfechtung war hier kein Raum, weil das speziellere Gewährleistungsrecht des Kaufrechts vorgeht (vgl. Singer, in: Staudinger, BGB, Neub. 2004, § 119 Rn. 106). Gewährleistungsrecht ist einschlägig, weil den Klägern bereits der Außenwandanschluss übergeben wurde und jedenfalls hinsichtlich dieses Teils der Kaufsache ein Gefahrübergang und damit die Eröffnung der Gewährleistung vorliegt.

Die Kläger konnten ihre auf Annahme des Kaufvertrags gerichtete Willenserklärung allerdings widerrufen. Ihnen stand ein Widerrufsrecht zu, weil es sich um einen Fernabsatzvertrag nach §§ 312b ff. BGB handelt. Ein Fernabsatzvertrag setzt voraus, dass der Vertrag ausschließlich unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen wird (§ 312b Abs. 1 BGB). Angebot und Annahme des Kaufvertrages wurden per E-Mail und damit einem Fernkommunikationsmittel erklärt.

Zwar ist ausweislich § 312b Abs. 2 BGB auch zu beachten, ob im Rahmen der Vertragsanbahnung persönliche Kontakte bestanden. Käme es nur auf die zum Vertragsschluss führenden Willenserklärungen an, ließe man die Vorgaben der Fernabsatzrichtlinie außer Acht und entferne sich vom Schutzzweck des Gesetzes (Wendehorst, in: MK-BGB, Bd. 2, 5. Aufl. 2007, § 312b Rn. 53). Grundgedanke der Fernabsatzrichtline ist, dass der Verbraucherbei einem mit Fernkommunikationsmitteln geschlossenen Vertrag in der Praxis keine Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung im Einzelnen zur Kenntnis zu nehmen (Präambel Abs. 14 RL 9717/EG).

Dennoch steht hier nicht entgegen, dass die Kläger vor Vertragsschluss das Ladengeschäft der Beklagten aufsuchten; unabhängig davon, was vor Ort zwischen den Parteien erörtert wurde. Um die §§ 312b ff. BGB auszuschließen ist entscheidend, ob sich der Verbraucher während des Anbahnungskontakts über alle für den Vertragsschluss wesentlichen Umstände informiert hat und der Vertrag im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit diesem persönlichen Kontakt zustande gekommen ist; wenn also der Verbraucher nach persönlichem Kontakt zwar alle erforderlichen Informationen hat, sich aber noch nicht endgültig binden wollte (Grüneberg, in: Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 312b Rn. 8). Jedenfalls das Zeitmoment ist hier nicht erfüllt. Die Kläger suchten das Ladengeschäft der Beklagten am 23.12.2009 auf. Das Angebot der Beklagten erging am 13.01.2010. Die Kläger erklärten die Annahme am 12.02.2010. Zwischen Vertragsabschluss und persönlichem Kontakt liegen folglich mehr als eineinhalb Monate. Ein solch deutlicher zeitlicher Abstand ist nicht mehr unmittelbar anschließend an den persönlichen Kontakt.

Die Widerrufsfrist nach § 355 Abs. 2 BGB von 14 Tagen war auch noch nicht abgelaufen, da sie noch gar nicht begonnen hatte. Mit dem Fall des § 312d Abs. 2 BGB kam die Beklagte ihren Informationspflichten gemäß Art. 246 § 2, § 1 Abs. 1 und 2 EGBGB bzw. damals § 312c Abs. 2 BGB nicht nach.

Dass das Widerrufsrecht hier nach § 312d Abs. 4 Nr. 1 BGB ausgeschlossen ist, kann nach dem Vortrag der Parteien nicht angenommen werden.

Weil das Widerrufsrecht an besondere inhaltliche Vorgaben nicht geknüpft ist, kam es für die Entscheidung auf die Frage, welche Gestaltung der Außenwandanschluss haben sollte, insbesondere ob nach dem Angebot der Beklagten ein flach an der Fassade anliegender Außenwandanschluss erwartet werden konnte, nicht an.

Die Rechtsfolgen des Widerrufs bestimmen sich gemäß § 357 Abs. 1 BGB nach den Rücktrittsvorschriften. Danach sind die empfangenen Leistungen zurück zu gewähren (§ 346 Abs. 1 BGB). Das ist auf Beklagtenseite die restliche Anzahlungssumme. Dieser dem Klageantrag zu 1. entsprechende Betrag ist nicht Zug um Zug (§ 348 BGB) fällig, weil die Kläger ihrerseits den Außenwandanschluss bereits der Beklagten übergeben haben.

Auf die begehrte Summe müssen sich die Kläger keine Abzüge gefallen lassen. Die von der Beklagten aufgewendeten Kosten sind für bloße Dienstleistungen als Nebenpflicht bei einheitlichem Kaufpreis keine der Rückgewähr- bzw. Wertersatzpflicht unterliegenden Gegenstände (Geier, in: MK-BGB, Bd. 2, 5. Aufl. 2007, § 346 Rn. 20; vgl. BGH NJW 1998, 1079). Zudem hat die Beklagte versäumt, die Informationspflichten zu erledigen und so das Risiko der einseitigen Umwandlung des Vertragsverhältnisses fortbestehen lassen. Die von Seiten des Herstellers berechnete Stornogebühr kann als das Verhältnis von Beklagter und Hersteller betreffend nicht den Klägern entgegengehalten werden. Auch die Rechtsanwaltskosten müssen die Kläger, welche ohnehin keine Pflichtverletzung begangen haben, nicht vertreten.

Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Kläger sind als Verzugsschaden zu ersetzen (§ 280, § 286 BGB); der Zinsanspruch beruht auf § 286, § 288 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Auf die Entscheidung hingewiesen hat openjur.

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