AG Hamburg: Auch Rechtsanwälte im Leopardenmantel haben Anspruch auf Aufnahme in eine öffentliche Rechtsanwaltsliste

veröffentlicht am 21. Oktober 2012

AG Hamburg-Mitte, Urteil vom 11.09.2012, Az. 18b C 389/11
§ 280 Abs. 2 BGB, § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB

Das AG Hamburg-Mitte hat einem Rechtsanwalt, der auch schon einmal öffentlich im Leopardenmantel posierte, den Zugang zu einer E-Mail-Liste für Rechtsanwälte gewährt. Auf der streitgegenständlichen Liste halfen sich Rechtsanwälte per E-Mail gegenseitig auf kostenfreier Basis bei rechtsproblematischen Fragen, teilweise auch mit allgemeiner Lebenshilfe. Ein Neuzugang dieser Liste hatte nun den drolligen Einfall, die kollegialiter erteilten Rechtsauskünfte auch kostenlos direkt dem großen Meer der Verbraucher zugänglich zu machen. Das fand der Administrator der Liste wie – fast – jedes Mitglied der Liste wenig lustig und versagte dem Mitglied dauerhaft den Zugang zu derselben. Letzteres klagte und hatte Erfolg. Das LG Hamburg sieht dies möglicherweise anders (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 28.08.2008, Az. 315 O 326/08, hier). Gewiss auch der Kollege Nebgen in seinem perfekten Urteilskommentar. Lesenswert! (hier). Zum Volltext der Entscheidung:

Amtsgericht Hamburg-Mitte

Urteil

1. Das Versäumnisurteil vom 13.03.2012 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 30,40 EUR zu zahlen.

3. Die Widerklage wird abgewiesen.

4. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 530,40 EUR festgesetzt.

Der Wert der Klage (30,40 EUR) und der Wert der Widerklage (vom Gericht auf 500,00 EUR geschätzt) sind zu addieren, § 45 Abs. 1 S. 1 GKG.

Tatbestand

(Das Urteil ist nach § 313a Abs. 1 ZPO abgekürzt)

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet (I.), die Widerklage zulässig, aber unbegründet (II.).

I.
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 30,40 EUR aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB.

Gemäß §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB kann der Gläubiger Ersatz für die Verzögerung einer dem Schuldner obliegenden Leistung verlangen, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert.

Die von dem Beklagten geschuldete Leistung ist es, dem Kläger den Zugang zu und die Teilnahme an der auf der Website www.a…-liste.de beworbenen „A…-Mailingliste“ zu gewähren. Die Teilnahme an der Liste steht allen Rechtsanwälten offen, die bei der Anmeldung ihren Namen, ihre beruflichen Kontaktdaten und eine Darstellung ihres Tätigkeitsspektrums angeben. Mit der so erfolgten Registrierung eines Nutzers wird zwischen diesem und dem Betreiber ein Vertrag über das Recht geschlossen, über die Mailingliste mit anderen Teilnehmern juristische Erfahrungen und Informationen auszutauschen, dem Nutzer wird ein „Postingrecht“ gewährt (vgl. Klageerwiderung S. 2). Die Qualifizierung des Benutzungsverhältnisses bei einem Internetforum als Vertrag (vgl. LG München, CR 2007, 264 f.) ist nach Auffassung des Gerichts auch auf die vorliegende Mailingliste übertragbar.

Internetforen und Mailinglisten funktionieren ähnlich: Den Nutzern geht es in der Regel nicht darum, nur einen Beitrag abzulegen, nur einmal Stellung zu nehmen. Sie wollen die Möglichkeit haben, Reaktionen auf Beiträge zu erfahren und gegebenenfalls auf diese zu erwidern. Dies ist von Seiten der Betreiber regelmäßig gewollt, und so auch hier: Der Austausch ist der ausdrückliche Zweck der „A…-Mailingliste“ (siehe Infotext auf www.a…-liste.de). Der Beklagte ist Betreiber der Mailingliste, er hat sie mit dem Bestand an Nutzungsverträgen mit bereits angemeldeten Teilnehmern, zu denen auch der Kläger gehört, von der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer übernommen.

Am 13.10.2011 wurde der Zugang des Klägers zur „A…-Mailingliste“ gesperrt. Der Beklagte war zur Kündigung des Nutzungsvertrags nicht berechtigt, denn es lag kein wichtiger Grund im Sinne des § 314 BGB vor.

Ein wichtiger Grund für den Ausschluss eines registrierten und freigeschalteten Nutzers läge dann vor, wenn er gegen bestimmte Regeln verstoßen hat. Ausdrückliche Regeln werden bei der „A…-Mailingliste“ nur für die erstmalige Registrierung aufgestellt. Ein zu einer Kündigung berechtigender Verstoß wäre es deshalb, sich unter Nennung falscher persönlicher und beruflicher Daten Zugang verschafft zu haben. Eine Verstoß sollte weiter dann vorliegen, wenn durch Art und Inhalt eines Beitrags (auch) der Betreiber gegenüber Dritten einem Haftungsrisiko ausgesetzt wird, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Verwendung fremden Bild- oder Textmaterials. Schließlich könnte argumentiert werden, dass zwischen den Vertragsparteien konkludent die sogenannte „Netiquette“ vereinbart wurde, das „gute Benehmen in der elektronischen Kommunikation“. Das respektlose Auftreten gegenüber anderen Teilnehmern im Austausch auf der Mailingliste könnte den Betreiber oder die Moderatoren dann zu einer Kündigung berechtigen.

Unstreitiger Anlass des Ausschlusses war eine E-Mail des Klägers, in der dieser zunächst seine „Bewunderung“ hinsichtlich des Engagements äußerte, mit dem auf der Mailingliste von den Teilnehmern kostenlose Rechtsberatung erteilt würde, die den Mandanten zumindest mittelbar zugute komme. Sodann stellte der Kläger die „Idee“ vor, Rechtsuchenden diese kostenlose Rechtsberatung auch direkt zu ermöglichen. Dies könne entweder durch eine Öffnung der Mailingliste für Rechtsuchende geschehen oder über die „Open Source“ Plattform des Klägers im Internet, auf die er verwies.

Mit dieser E-Mail an die Mailingliste hat der Kläger weder gegen ausdrückliche noch gegen konkludente Nutzungsregeln verstoßen. Der Kläger ist mit seiner echten Identität aufgetreten und er hat mit dem verbreiteten Inhalt weder den Beklagten noch andere Teilnehmer einem Haftungsrisiko ausgesetzt. Form und Inhalt der E-Mail verstoßen auch nicht gegen ungeschriebene Verhaltensregeln der elektronischen Kommunikation. Die Überlegungen des Klägers mögen bei einigen oder gar vielen Teilnehmern aus unterschiedlichen Gründen auf Ablehnung gestoßen sein. Der Ausdruck „Bewunderung“ mag auch polemisch gemeint und verstanden worden sein. Letztlich hat der Kläger aber nur eine „Idee“ geäußert und wollte damit offensichtlich eine Diskussion anregen und damit auch Andersdenkenden Raum für ihre Sicht der Dinge bieten.

Für eine Kündigung kann auch nicht das Diskussionsverhalten des Klägers nach dem Ausschluss herhalten. In Diskussionsforen mag der Kläger eine gewisse Dünnhäutigkeit im Umgang mit abweichenden Meinungen offenbart haben. Auch kann der Auftritt des Klägers im Termin und – mehr noch – können seine letzten schriftsätzlichen Stellungnahmen in Bezug auf den Umgang mit dem Prozessvertreter des Beklagten durchaus als respektlos bezeichnet werden. Es könnte als Verstoß gegen die „Netiquette“ gewertet werden. Dennoch kann dieses Auftreten außerhalb der „A…-Mailingliste“ nicht nachträglich einen Ausschlussgrund rechtfertigen. Es kann auch keine zwingenden Rückschlüsse auf ein zukünftig ähnliches Diskussionsverhalten auf der Mailingliste nach Wiederaufnahme geben. Deshalb kann dieses Auftreten auch nicht neuerlich ausgesprochenen Kündigungen zugrunde gelegt werden.

Nachdem der Kläger sich gegenüber dem Beklagten über den Ausschluss beschwert hatte, wurde ihm mitgeteilt, dass der Ausschluss endgültig und eine weitere Diskussion nicht gewünscht sei. Dies stellt eine ernsthafte und endgültige Leistungsverweigerung nach § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB dar, sodass der Kläger ohne Weiteres einen Anspruch auf Ersatz seines Verzögerungsschadens hat.

Als Verzögerungsschäden sind für den Kläger grundsätzlich vorgerichtliche Anwaltskosten gemäß §§ 2, 13 Abs. 1 RVG i.V.m. Nr. 2300 W RVG erstattungsfähig. Hiervon beansprucht er nur einen Teil, nämlich 30,00 €. Der Kläger kann daneben auch Kosten für ein Mahnschreiben geltend machen. Von den Hamburger Amtsgerichten werden regelmäßig Kosten in pauschalierter Höhe von bis zu 2,50 € pro Mahnung anerkannt, so dass der Kläger die verlangten 0,40 € jedenfalls erhält. Ein diesbezüglicher Anspruch könnte sich auch aus der Auslagenpauschale nach Nr. 7001, 7002 VV RVG ergeben.

II.
Die Widerklage ist zwar insgesamt zulässig, insbesondere bestehen keine Zweifel an der Zuständigkeit des Gerichts. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Hamburg ergibt sich angesichts des offensichtlichen Zusammenhangs der Widerklage mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch aus § 33 Abs. 1 ZPO. Hiergegen sprechen auch nicht die §§ 33 Abs. 2, 40 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Danach ist der besondere Gerichtsstand des § 33 Abs. 1 ZPO nämlich nur für Widerklagen ausgeschlossen, mit denen Ansprüche geltend gemacht werden, die nichtvermögensrechtlicher Art und den Amtsgerichten ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zugewiesen sind. Es ist damit unerheblich, ob mit der hiesigen Widerklage Ansprüche vermögensrechtlicher oder nichtvermögensrechtlicher Natur geltend gemacht werden. Alle behaupteten Ansprüche sind jedenfalls nur bis zum Streitwert von 5.000,00 € dem Amtsgericht zugewiesen.

Die Widerklage ist aber aus den in Ziffer I. dargestellten Gründen unbegründet, und zwar insgesamt. Dem Kläger ist der Zugang zur Mailingliste zu gewähren und er kann die Erstattung seines Verzögerungsschadens beantragen. Dagegen spricht auch nicht, dass der Kläger seinen Abweisungsantrag ausdrücklich auf vermögensrechtliche Ansprüche aus der Widerklage beschränkt hat. Denn auch seine Zuständigkeitsrüge hinsichtlich nichtvermögensrechtlicher Ansprüche aus der Widerklage ist als Sachantrag zu werten: Sie bringt zum Ausdruck, dass die Klage insoweit wegen Unzulässigkeit abgewiesen werden soll (vgl. LG Mönchengladbach, RPfleger 2006, 169 m.w.N.). Aber auch ohne diese Auslegung könnte die Widerklage nicht als teilweise zugestanden gewertet werden. Hierfür hätte es zum einen eines schlüssigen Vortrags des Beklagten und zum anderen eines Antrags auf Erlass eines Teil-Versäumnisurteils bedurft, § 331 Abs. 1 ZPO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Auf die Entscheidung hingewiesen hat openjur (hier).

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