AG Hamburg-Wandsbek: Widerruf bei mangelnder Widerrufsbelehrung auch nach 2 Jahren noch möglich – Auch kein Wertersatz für Internet-Portal

veröffentlicht am 17. Januar 2012

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtAG Hamburg-Wandsbek, Urteil vom 13.01.2012, Az. 716a C 354/11
§ 355 Abs. 4 BGB, § 312 d Abs. 3 BGB, § 312 e Abs. 2 BGB, § 355 Abs. 2 BGB

Das AG Hamburg-Wandsbek hat entschieden, dass die Mitgliedschaft bei einem Internet-Erotik-Portal auch nach knapp 2 Jahren noch widerrufen werden kann, wenn die Widerrufsbelehrung nicht korrekt über den Fristbeginn belehrte. Vorliegend sei dem Kunden in der Belehrung nicht mitgeteilt worden, dass die 14-tägige Widerrufsfrist frühestens mit Vertragsschluss beginne. Deshalb sei die Frist auch nach fast zwei Jahren noch nicht erloschen. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Wertersatz, da sie nicht habe darlegen können, dass der Beklagte dem Beginn der Ausfu?hrung der Dienstleistung zugestimmt habe. Zum Volltext der Entscheidung:

AG Hamburg-Wandsbek

Urteil

1.
Der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Wedding (Az:11-0706457-0-5N) vom 19.8.2011 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen mit Ausnahme der durch die Säumnis des Beklagten entstandenen Kosten, die dieser trägt.

3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 518,70 € festgesetzt, § 43 I GKG.

Gründe

(abgeku?rzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)

Der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Wedding (Az: 11-0706457-0-5N) vom 19.8.2011 war aufzuheben und die zulässige Klage abzuweisen. Denn der Klägerin stehen gegenu?ber dem Beklagten die geltendgemachten Mitgliedsbeiträge in Höhe von 518,70 € (13 x 39,90 €) nicht zu.

I.

Der Beklagte bestellte am 20.12.2009 die Mitgliedschaft bei der Klägerin, die diese per Kaufbestätigungsmail vom gleichen Tag annahm. Dadurch war zunächst ein Vertrag zwischen den Parteien zustande gekommen.

Über die Behauptung des Beklagten, er habe noch am selben Tag der Anmeldung u?ber das Kontaktformular der Klägerin den Vertrag geku?ndigt, brauchte kein Beweis erhoben zu werden. Denn jedenfalls hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 17.11.2011 den Widerruf wirksam erklärt.

Die Widerrufsfrist betrug bei vorliegendem Vertrag gemäß § 355 II BGB 14 Tage, da der Beklagte bei Vertragsschluss (= Zugang der Kaufbestätigungsmail der Klägerin) die Widerrufsbelehrung in Textform erhielt. Allerdings begann die Widerrufsfrist nicht zu laufen, da die Widerrufsbelehrung der Klägerin nicht den Anforderungen der §§ 360 I Ziffer 4, 312 d II BGB entsprach. In der Widerrufsbelehrung der Klägerin heißt es: „Die Frist beginnt nach Erhalt dieser Belehrung in Textform, jedoch nicht vor Erfu?llung unserer Pflichten gemäß § 312e Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 3 BGB Infoverordnung.“ Tatsächlich beginnt die Widerrufsfrist jedoch gemäß § 312 d II BGB fru?hestens mit Vertragsschluss. Dies gerade ergibt sich nicht aus der Widerrufsbelehrung der Klägerin. Ob vorliegend oder u?blicherweise bei der Klägerin der Erhalt der Belehrung in Textform mit dem Vertragsschluss zusammen fällt, ist unbeachtlich, da der Verbraucher dies nicht weiss und er daru?ber hinaus gerade auf die Gesetzeslage hingewiesen werden soll. Nach dem Wortlaut der klägerischen Widerrufsbelehrung sind jedoch Fälle unabhängig vom Vertragsschluss denkbar, die den Lauf der Widerrufsfrist in Gang setzen – obwohl dies der Rechtslage nicht entspricht.

Wegen der oben dargestellten mangelnden Widerrufsbelehrung war das Widerrufsrecht des Beklagten auch nicht gemäß § 355 IV BGB erloschen.

Ein Erlöschen des Widerrufsrechts des Beklagten ergibt sich auch nicht aus § 312d III BGB. Denn der streitgegenständliche Vertrag ist jedenfalls nicht von dem Beklagten vollständig erfu?llt.

II.

Trotz wirksamen Widerrufs durch den Beklagten kann die Klägerin keinen Wertersatz verlangen. Gemäß § 312e II BGB (vorher: § 312d VI BGB), der seit Einfu?hrung des Telefonwerbungsbekämpfungsgesetzes am 4.8.2009 nicht nur fu?r Finanzdienstleistungen, sondern fu?r alle Dienstleistungen gilt, wäre hierfu?r nicht nur Voraussetzung, dass der Verbraucher vor Abgabe seiner Vertragserklärung auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden ist, sondern auch, dass er ausdru?cklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausfu?hrung der Dienstleistung beginnt. Dass der Beklagte diese ausdru?ckliche Zustimmung erteilt hat, ergibt sich weder aus den eingereichten Unterlagen noch hat die Klägerin dies dargelegt.

III.

Den begehrten Verzugsschadensersatz in Form von Mahngebu?hren und außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann die Klägerin gemäß den §§ 280 I, 286 I BGB nicht ersetzt verlangen. Die Klägerin ist nämlich mit ihrer Behauptung, sie habe entsprechende Mahnungen an den Beklagten versandt, beweisfällig geblieben.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 I, 344 ZPO. Die Entscheidung u?ber die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr.11, 711, 713 ZPO.

Auf das Urteil hingewiesen hat RA Becker über openjur (hier).

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