AG Hannover: Wer einen Videostream im Internet betrachtet, verstößt nicht gegen das Urheberrecht / Streaming

veröffentlicht am 9. Januar 2015

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtAG Hannover, Urteil vom 27.05.2014, Az. 550 C 13749/13
§ 44a Nr. 2 UrhG, § 53 UrhG, § 97 UrhG

Das AG Hannover hat – ebenso wie das AG Potsdam (hier) – entschieden, dass das Betrachten eines Videostreams im Internet nicht gegen das Urheberrecht verstößt. Zitat aus der Entscheidung:

„Die Abmahnung ist ferner unberechtigt, da der Klägerin vorgeworfen wurde, eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte bzw. öffentlich zugänglich gemachte Vorlage gestreamt zu haben, ohne zu begründen, inwiefern die Klägerin diese offensichtliche Rechtswidrigkeit hätte erkennen sollen. An einer solchen offensichtlichen Rechtsverletzung fehlt es. Offensichtlich ist eine Rechtsverletzung dann, wenn eine ungerechtfertigte Belastung des Dritten ausgeschlossen erscheint, wobei Zweifel in tatsächlicher, aber auch in rechtlicher Hinsicht die Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung ausschließen würden (vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 16/5048, S. 39). Solche Zweifel bestehen vorliegend.

Bei den streitgegenständlichen Verletzungshandlungen handelt es sich um sog. Streaming, also um das Abspielen einer Video-Datei im Webbrowser des Nutzers. Bislang noch nicht höchstrichterlich geklärt ist die Frage, ob dieses Streaming eine unerlaubte Vervielfältigung im Sinne des § 16 UhrG darstellt. Anders als das Filesharing, das die Zielrichtung hat, fremde Daten zu speichern und anderen zur Verfügung zu stellen, ist das Streaming auf den reinen Werkgenuss gerichtet. Der Betrachter eines Videostreams nutzt die Daten, um die Inhalte auf dem eigenen Endgerät wiederzugeben. Dafür ist jedoch zumindest die kurzfristige Speicherung auf der Festplatte des Endgerätes erforderlich (vgl. Hilgert/Hilgert, Nutzung von Streaming-Portalen, MMR 2014, 85). Ob das Streaming eine unerlaubte Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG darstellt, kann jedoch dahinstehen.

Denn hierbei handelt es sich jedenfalls dann nicht um einen relevanten Verstoß gegen das Urheberrecht, wenn es sich im Sinne des § 44a Nr. 2 UrhG um vorübergehende Vervielfältigungshandlungen handelt, die flüchtig bzw. begleitend sind, um eine rechtmäßige Nutzung eines Werkes oder sonstigen Schutzgegenstands zu ermöglichen. Diese Schrankenbestimmung knüpft an die Legalität der Nutzung des Werkes an. Der reine Konsum eines illegal veröffentlichen Films ist danach erlaubt (vgl. Hilgert/Hilgert, Nutzung von Streaming-Portalen, MMR 2014, 88). Die Kontrolle, ob eine rechtmäßige Nutzung vorliegt, darf jedoch nicht gänzlich der Klägerin auferlegt werden. Der Nutzer eines Videostreams hat in der Regel keine Möglichkeit der Kontrolle, ob der Film rechtmäßig öffentlich zugänglich gemacht wurde. Es hinge somit vom Zufall ab, ob der Nutzer eine Urheberrechtsverletzung begeht oder nicht.

Aber auch soweit die Voraussetzungen des § 44a UrhG hier nicht gegeben sein sollten, ist eine Vervielfältigung jedenfalls unter den Voraussetzungen des § 53 I UrhG zulässig. Danach sind einzelne Vervielfältigungen durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch dann erlaubt, sofern sie weder unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienen. Allerdings darf zur Vervielfältigung keine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet werden. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit muss für den jeweiligen Nutzer erkennbar sein. Dies gewährleistet, dass der Nutzer nicht mit unerfüllbaren Prüfungspflichten belastet wird. Es obliegt dem Rechteinhaber zu beweisen, dass die vervielfältigte Vorlage offensichtlich rechtswidrig hergestellt oder unerlaubt öffentlich zugänglich gemacht wurde (vgl. BT-Drs. 16/1828, S. 26). Ein entsprechender Beweisantritt seitens der Beklagten ist hier ausgeblieben. Dem steht auch nicht der Hinweis der Beklagten entgegen, dass es auf der Internetseite www.redtube.com kein Impressum gibt, so dass sich schlussfolgern ließe, dass sich die Betreiber an die für jede Internetseite geltenden Gesetze und Vorschriften nicht halten wolle und sich insofern eine Rechtswidrigkeit der Quelle aufdränge. Insofern handelt es sich bei dem Vorbringen der Beklagten um eine unsubstantiierte Behauptung ins Blaue hinein. Insbesondere fehlt es an einem Beweisantritt, aus dem sich die Behauptung der Beklagten schlussfolgern ließe. Eine offensichtlich rechtswidrige Vorlage ist daher nur dann anzunehmen, wenn eine rechtmäßige Veröffentlichung vernünftigerweise ausgeschlossen werden kann bzw. an der Rechtswidrigkeit keine ernsthaften Zweifel bestehen können (Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, § 53 Rn. 23). Beim Streaming kann dies allenfalls dann gelten, wenn aktuelle Kinofilme oder Fernsehserien bereits vor oder kurz nach dem offiziellen Kinostart bzw. vor der Erstausstrahlung im deutschen Fernsehen kostenlos angeboten werden (vgl. Urteil des AG Leipzig vom 21.12.2011, 200 Ls 390 Js 184/11 im Fall des Portals kino.to). Bei dem Film, der Gegenstand der streitgegenständlichen Abmahnung war, ist dies nicht der Fall. Der durchschnittliche Internetznutzer kann davon ausgehen, dass die Betreiber eines Streaming-Portals die erforderlichen Rechte an den Filmen erworben haben.“

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