AG Jülich: Von dem Mandanten, der Rechtsrat brauchte, dafür nicht aufkommen wollte und später einen Stundensatz von 250,00 EUR netto zu bezahlen hatte

veröffentlicht am 25. Januar 2010

AG Jülich, Urteil vom 28.10.2009, Az. 9 C 271/09
§ 34 Abs. 1 S. 2 RVG; § 612 Abs. 2 BGB

Im Radrennsport gibt es eine besondere Bezeichnung für Fahrer, die sich in den Windschatten anderer hängen, also andere die Arbeit für sich machen lassen. Man nennt sie (Hinterrad-) „Lutscher“ (JavaScript-Link: FahrradWiki). In eine ähnliche Kategorie könnte im Kanzleibereich ein Rechtssuchender fallen, der von vornherein beabsichtigt, bei einem Rechtsanwalt in Form einer „ersten Anfrage“ verwertbare materiell-rechtliche Auskünfte zu seiner Angelegenheit zu erhalten, ohne dafür zu bezahlen. Diesen Fall hatte das AG Jülich zu entscheiden mit vernichtendem Ergebnis für den Mandanten, der keiner sein wollte, aber den Rechtsrat sehr wohl gebrauchen konnte.  Das Gericht wertete das einstündige Telefonat als konkludenten „telefonischen Beratungsvertrag“ und hielt eine Vergütung von 250,00 EUR zzgl. MwSt. für angemessen. Die Beklagte habe nicht davon ausgehen können, dass der Kläger die Entgegennahme der Information über die Vertragsprobleme der Beklagten durch den Kläger und seine anschließende rechtliche Würdigung bzw. Ratschläge ohne den Abschluss eines Vertrages habe erbringen wollen. Denn diese Tätigkeiten gehörten zur typischen anwaltlichen Tätigkeit in einem ersten Beratungsgespräch.

Amtsgericht Jülich

Urteil

In dem Rechtsstreit

gegen

hat das Amtsgericht Jülich im schriftlichen Verfahren … durch … für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 313,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkt über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 17.02.2007 zu zahlen

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von einem Tatbestand wird gem. § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat einen Zahlungsanspruch gegen den Beklagten aus einem Dienstvertrag gemäß § 611 Abs. 1 BGB in Höhe von 250,00 EUR.

Im Rahmen des Telefonats am 20.12.2006 haben die Parteien einen anwaltlichen Beratungsvertrag, welcher hier als Dienstvertrag zu qualifizieren ist, geschlossen. Verträge können kommen durch zwei aufeinander bezogene, übereinstimmende Willenserklärungen zustande. Selbst wenn es sich, wie die Beklagte behauptet, am Anfang des Telefonats ihrerseits um eine reine Erkundigung über die fachlichen Kompetenzen und Referenzen des Klägers gehandelt hat, so sind im weiteren Verlauf des Telefonats die notwendigen Willenserklärungen hier konkludent, durch schlüssiges Verhalten der beiden Vertragsparteien abgegeben worden. Der Vorstandsvorsitzende der Beklagten konnte nicht davon ausgehen, dass der Kläger die Entgegennahme der Information über die Vertragsprobleme der Beklagten durch den Kläger und seine anschließende rechtliche Würdigung bzw. Ratschläge ohne den Abschluss eines Vertrages erbringen wollte. Denn diese Tätigkeiten gehören zur typischen anwaltlichen Tätigkeit in einem ersten Beratungsgespräch. Das dabei enthaltene, konkludente Angebot auf Abschluss eines entsprechenden Vertrag hat der Vorsitzende der Beklagten konkludent durch sein Verhalten angenommen. Er hat den Kläger nicht nur 45 Minuten lang hat gewähren lassen, sondern darüber hinaus von sich aus nach dem Zustehen und Voraussetzungen von Schadensersatzforderungen gefragt, was auch dafür spricht, dass er sich dieser Tatsache auch bewusst war.

Dem Kläger steht für seine Tätigkeit eine Vergütung in Höhe von 250,00 EUR zu.

Der Kläger hat hier unstreitig eine Arbeitsstunde aufgewendet, welche zu vergüten ist. Der zugrunde zu legende Stundensatz beträgt hier 250,00 EUR. Nach § 34 Abs. 1 RVG, § 612 Abs. 2 BGB bestimmt der Stundensatz sich hier nach der üblichen Vergütung, welche im vorliegenden Fall unstreitig bei 250 Euro liegt. Grundsätzlich soll der Rechtsanwalt gemäß § 34 Abs. 1 S.1 RVG auf eine Gebührenvereinbarung hinwirken, dies ist ihm im vorliegenden Fall nach seinem Vortrag in schriftlicher Form jedoch nicht geglückt. Für die vom Kläger behauptete mündliche Gebührenvereinbarung ist dieser beweisfällig geblieben. In diesen Fällen bestimmt § 34 Abs. 1 S. 2 RVG, dass der Rechtsanwalt die Gebühren nach dem bürgerlichen Recht erhält, also gemäß § 612 Abs. 2 BGB. Danach gilt, dass die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen ist, wenn weder eine Vergütung bestimmt ist, noch eine taxmäßige Vergütung gegeben ist. Eine Vergütung wurde nicht bestimmt, noch existiert eine taxmäßige Vergütung. Insbesondere greift hier nicht die Höchstgrenze von 190,00 EUR des § 34 RVG, weil der Auftraggeber hier nicht Verbraucher im Sinne von § 13 BGB ist. Die Beklagte war Unternehmerin gemäß § 14 BGB, denn sie handelte bei Abschluss des Beratungsvertrages im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit.

Ferner steht dem Kläger eine Aufwendungspauschale in Höhe von 20,00 EUR gemäß Nr. 7002 RVG zu.

Der Kläger hat ferner einen Anspruch auf Erstattung seiner Umsatzsteuer in Höhe von 43,20 EUR  gemäß Nr. 7008 RVG.

Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung gemäß § 387 BGB greift nicht durch. Der Beklagten steht keine aufrechenbare Gegenforderung zu. Mit der Gutschrift „…“ wurde keine Forderung zugunsten der Beklagten geschaffen. So wie durch Rechnungsstellung keine Forderungen geschaffen werden, sondern lediglich schon bestehende Forderungen auflistet werden, schafft auch die Gutschrift, bei der es sich nur um die Korrektur einer Rechnung handelt, keine neue Forderung. Wie der Beklagte auch selber einräumt, wurde die Gutschrift lediglich erstellt um eine bestehende Rechnung „buchhalterisch aufzulösen“.

Darüber hinaus steht dem Kläger ein Anspruch auf Verzugszinsen ab dem 17.02.2007 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem gesetzlichen Basiszinssatz zu aus §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB. Gemäß § 288 BGB ist eine Geldschuld während des Verzugs zu verzinsen. Die Beklagte befand sich hier seit dem 18.01.2007 im Verzug. Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung gemäß § 286 Abs. 1 S.1 BGB in Verzug. Die Leistung der Honorarforderung war gemäß § 271 BGB fällig. Einer Mahnung bedurfte es im vorliegenden Fall nicht. Gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB entfällt das Mahnungserfordernis, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert. Der Vorstandsvorsitzende der Beklagten hat nach dem Vortrag der Beklagten spätestens am 18.01.2007 gegenüber der Mitarbeiterin des Klägers die Zahlung der geltend gemachten Forderung definitiv abgelehnt. Für die Zeit vom 18.01.2007 bis zum 16.02.2007 konnte das Gericht dem Kläger keine Zinsen zuerkennen, da der Kläger in seiner Klageschrift Verzugszinsen erst ab dem 17.02.2007 verlangt. Hieran ist das Gericht nach dem Grundsatz »ne ultra petita«, § 308 Abs. 1 ZPO gebunden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 1 S. 1 2. Alt, 713 ZPO.

Streitwert: 313,20 EUR.

Auf das Urteil hingewiesen hat der am Verfahren beteiligte RA Tobias Strömer.

I