AG Rendsburg: Zur Anwendbarkeit des Fernabsatzrechts beim Kauf eines Gebrauchtwagens übers Internet bei Vereinbarung persönlicher Abholung

veröffentlicht am 30. Januar 2012

AG Rendsburg, Urteil vom 21.11.2008, Az. 18 C 659/08
§ 355 BGB, § 312b BGB, § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB

Das AG Rendsburg hat entschieden, dass bei einem Kaufvertrag, der nach Angebot einer Ware (hier: Gebrauchtwagen) über das Internet unter ausschließlicher Verwendung von Telefon und Telefax geschlossen wird, ein Fernabsatzvertrag vorliegt, der auch widerrufen werden kann. Es komme entscheidend darauf an, ob die zum Vertragsabschluss führende Kette durch einen direkten persönlichen Kontakt unterbrochen werde oder nicht. Ob der Verkäufer üblicherweise Verträge über den Fernabsatz schließe oder ob eine Abholung der Ware an der Betriebsstätte des Verkäufers stattfinden solle, spiele keine Rolle, jedenfalls nicht soweit ein Vertrieb über Fernabsatz (mit)organisiert worden sei. Demnach könne ein solcher Kaufvertrag auch wirksam vor Abholung widerrufen werden, ohne dass der Käufer schadensersatzpflichtig werde. Zum Volltext der Entscheidung:

Amtsgericht Rendsburg

Urteil

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin, eine Kraftfahrzeughändlerin, begehrt pauschalierten Schadensersatz aus einem gescheiterten Kraftfahrzeugverkauf. Dem liegt Folgendes zugrunde:

Die Klägerin warb im Internetportal „mobile.de“ für einen gebrauchten Pkw Porsche Boxster 2,7, Fahrgestellnummer … . Der Beklagte wurde auf das Fahrzeug aufmerksam und nahm telefonisch Kontakt zu der Klägerin auf. Diese übersandte ihm am 02. Januar 2008 per Telefax ein von ihrem Mitarbeiter M… ausgearbeitetes und unterzeichnetes Angebot über einen Ankauf des Fahrzeugs für einen Preis von 27.000,00 €. Auf das Angebotsschreiben wird Bezug genommen (Bl. 8 ff). Der Beklagte sandte dieses Angebot kurz darauf unterschreiben per Telefax zurück. Als Abholtag des Fahrzeugs war der 16. Januar 2008 vorgesehen.

Zwischen den Parteien ist streitig, ob dem Angebot der Klägerin ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen für den Verkauf gebrauchter Kraftfahrzeuge und Anhänger (Bl. 11 d.A.) beigefügt waren. Diese sehen in Ziffer IV. (Abnahme) folgende Regelung vor:

„1. Der Käufer ist verpflichtet, den Kaufgegenstand innerhalb von 8 Tagen ab Zugang der Bereitstellungsanzeige abzunehmen. Im Falle der Nichtabnahme kann der Verkäufer von seinen gesetzlichen Rechten Gebrauch machen.

2. Verlangt der Verkäufer Schadensersatz, so beträgt dieser 10 % des Kaufpreises. Der Schadensersatz ist höher oder niedriger anzusetzen, wenn der Verkäufer einen höheren oder der Käufer einen geringeren Schaden nachweist.“

Am 10. Januar 2008 erklärte der Beklagte schriftlich den „Rücktritt vom Vertrag“. Die Klägerin akzeptierte dies nicht und bestätigte ihm den Auftrag mit Schreiben vom selben Tage per eingeschriebenem Brief. Der Beklagte beauftragte daraufhin seine jetzigen Prozessbevollmächtigten, die mit Schreiben vom 22. Januar 2008, auf das Bezug genommen wird, den geschlossenen Kaufvertrag in seinem Namen und in seiner Vollmacht widerriefen.

Die Klägerin forderte den Beklagten im Anschluss mit Anwaltsschreiben vom 29. Januar 2008 auf, den Pkw bis zum 11. Februar 2008 Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises von 27.000,00 € abzunehmen und verlangte schließlich mit Schreiben vom 05. Juni 2008, ihr gemäß der Ziffer IV. ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen Schadensersatz in Höhe von 2.700,00 € zu leisten.

Die Klägerin meint, der Beklagte habe weder ein Rücktritts- noch ein Widerrufsrecht, da die Regeln des Fernabsatzvertrages auf sie und das zwischen den Parteien geschlossene Rechtsgeschäft nicht anwendbar seien. Zum einen schließe sie im Jahr lediglich drei bis vier Kaufverträge, ohne dass es zuvor zu einem persönlichen Kontakt mit dem Käufer komme, so dass sie über kein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem verfüge. Zum anderen habe der geschlossene Vertrag nicht die Lieferung einer Ware zum Gegenstand, da der Beklagte das Fahrzeug bei der Klägerin habe abholen sollen. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen seien dem Beklagten per Telefax übersandt worden und er habe sie auch im Internet einsehen können.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen,

1. an sie 2.700,- € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 21.6.2008 zu zahlen.

2. an sie weitere vorgerichtliche anwaltliche Mahnkosten in Höhe von 1.196,43 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. August 2008 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Meinung, es läge ein Fernabsatzgeschäft vor, weshalb ihm ein Widerrufsrecht zustünde. Im Rahmen ihres Geschäftsbetriebes schließe die Klägerin 60 – 70 % der Kaufverträge über Gebrauchtwagen am Telefon ab. Auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen könne die Klägerin ihren Ersatzanspruch nicht stützen. Diese seien nicht wirksam Vertragsbestandteil geworden, da sie dem Beklagten weder übersandt, noch er sonst auf die Möglichkeit hingewiesen worden sei, diese vor Vertragsabschluss einzusehen.

Wegen der weiteten Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Klägerin steht kein Anspruch auf pauschalierten Schadensersatz in Höhe von 2.700,00 € aus § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Ziffer IV 2. ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu.

Zwar ist zwischen den Parteien ursprünglich ein Kaufvertrag wirksam zustande gekommen. Der Beklagte hat das auf Abschluss des Kaufvertrages gerichtete Vertragsangebot der Klägerin vom 02. Januar 2008 durch Telefax vom sei ben Tage bzw. vom Folgetag wirksam angenommen.

Der Beklagte hat seine auf Abschluss des Kaufvertrages gerichtete Willenserklärung aber wirksam widerrufen. Dem Beklagten stand ein Widerrufsrecht aus §§ 312d Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 355 BGB zu.

Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei dem vorliegenden Kaufvertrag um einen Fernabsatzvertrag. Fernabsatzverträge sind gemäß § 312b Abs. 1 BGB Verträge über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen werden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt.

Der Beklagte ist Verbraucher i.S.d. § 13 BGB, die Klägerin ist Unternehmerin i.S.d. § 14 BGB.

Mit der „Lieferung von Waren“ im Wortlaut des § 312b BGB ist entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht nur eine Auslieferung der Ware im Sinne einer Versendung gemeint. Vielmehr umfasst § 312b BGB auch die Auslieferung der Ware vor Ort. Der abweichenden und nicht näher begründeten Auffassung des AG Minden (Urteil v. 22.08.2006; Az. 21 C 50/06) vermag sich das Gericht nicht anzuschließen.

Für eine weite Anwendung des § 312 b BGB spricht zunächst § 269 Abs. 1, Abs. 2 BGB, wonach auch Warenschulden in erster Linie Holschulden sind. Nach dieser Vorschrift hat die Leistung an dem Ort zu erfolgen, an dem der Schuldner seinen Wohnsitz bzw. seine gewerbliche Niederlassung hat, es sei denn, es ist ein Ort für die Leistung bestimmt oder aus den Umständen zu entnehmen. Daher ist Erfüllungsort für Warenkäufe regelmäßig die Niederlassung des gewerblichen Verkäufers und die Vorschrift des § 312 b BGB würde bei Lieferung von Sachen leerlaufen, wollte man sie nur auf Versendungskäufe anwenden.

Zudem ist § 312 b BGB die Umsetzung der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz. Es besteht daher eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung (Heinrichs in Palandt, BGB, 67. Aufl., Einleitung Rn. 43 vor § 1). Nach Erwägungsgrund Nr. 14 der Fernabsatzrichtlinie bedarf der Verbraucher des Schutzes, da er in der Praxis keine Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrages das Erzeugnis zu sehen. Seine Schutzbedürftigkeit folgt aus der „Unsichtbarkeit des Vertragspartners und des Produktes“ (vgl. auch BGH, NJW 2004, 3699). Gerade beim Kauf eines Fahrzeugs prüft ein Käufer vor Eingehung einer vertragsmäßigen Bindung üblicherweise das Kaufobjekt sehr genau. Regelmäßig wird sogar eine Probefahrt vorgenommen. Diese Möglichkeiten hatte der Beklagte nicht. Es widerspräche dem Schutzzweck der Norm, wenn der Unternehmer das Widerrufsrecht des Verbrauchers mit dem Argument leer laufen lassen könnte, der Verbraucher habe schließlich bei Übergabe der Ware vor Ort die Möglichkeit, das Produkt zu sehen, so dass kein Fernabsatzgeschäft vorläge. An der Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers ändert eine solche Konstellation nichts, denn er ist zum Zeitpunkt der Abholung nicht mehr in der Lage, über die Vor- und Nachteile des Produkts in rechtlich relevanter Weise abzuwägen. Der Vertrag ist schließlich schon vor Abholung der Ware wirksam zustande gekommen. Daher ist § 312b BGB bei richtlinienkonformer Auslegung auch auf Holschulden anwendbar.

Der Vertrag wurde auch unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen. Auf Grund der Anpreisung auf der Internetplattform „mobile.de“ kam es zunächst zu einem Telefonat zwischen den Parteien und im Anschluss zum Vertragsabschluss durch Angebot und Annahme, die jeweils durch Telefax übermittelt wurden. Die zum Vertragsabschluss führende Kette wurde zu keinem Zeitpunkt durch einen direkten persönlichen Kontakt unterbrochen.

Der Vertragsschluss erfolgte auch im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems. Die Existenz eines solches System setzt voraus, dass der Unternehmer in personeller und sachlicher Ausstattung innerhalb seines Betriebes die Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, um regelmäßig im Fernabsatz zu tätigende Geschäfte zu bewältigen (BT-Drucksache 14/2658, S. 30). Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Unternehmer sein gesamtes Vertriebsgeschäft im Fernabsatz bewältigt, so dass auch die Unternehmen betroffen sind, die ihre Produkte neben traditionellen Vertriebsformen zusätzlich im Fernabsatz vertreiben (BT-Drucksache a.a.O.). Ausreichend ist bereits die Präsentation im Internet sowie eine Werbemaßnahme, die auf die Möglichkeit telefonischer Bestellung hinweist· (Grüneberg in Palandt, BGB, 67. Aufl., § 312b Rn. 11; vgl. auch LG Stendal, Urteil vom 23.1.2007, Az. 22 S 138/06).

Auf der Website der Klägerin sind ständig mehrere zu verkaufende Fahrzeuge intensiv beschrieben und bei Interesse einzeln auswählbar. Dabei besteht sogar die Möglichkeit einer „Blitzanfrage“ per Mausklick. Des Weiteren ist für jedes Fahrzeug der jeweilige Kontaktpartner im Betrieb der Klägerin angegeben worden, wobei mehrere Kontaktmöglichkeiten gelistet sind: Fax, Telefon oder E-Mail. Auf der gleichen Bildschirmseite werden außerdem weitere Ansprechpartner vorgestellt, so dass der spontanen Kontaktaufnahme auch dann nichts im Wege steht, wenn der eigentlich für das Fahrzeug verantwortliche Kontaktpartner nicht erreichbar ist. Die auf der Internetplattform „mobile.de“ angepriesenen Fahrzeuge sind sogar im Wege von gesponserten Inseraten gesondert kenntlich gemacht worden. Auch hier werden mehrere Kontaktmöglichkeiten angeboten.

Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass von § 312b BGB der ein Ladengeschäft unterhaltende Anbieter nicht erfasst wird, der nur gelegentlich telefonische Bestellungen annimmt, ohne irgendweIche organisatorischen Maßnahmen für einen Absatz im Wege von Fernabsatzverträgen zu treffen (Grüneberg in: Palandt a.a.O.). Diese Voraussetzungen treffen auf die Klägerin aber nicht zu. Sie hat vielmehr durch eine Präsentation im Internet und durch weitere organisatorische Maßnahmen die Voraussetzungen für einen Fernabsatz geschaffen. Dass die Klägerin nach ihrer Behauptung tatsächlich nur in wenigen Fällen Verträge unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln schließt, ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich.

Den Widerruf hat der Beklagte auch wirksam erklärt. Da der Beklagte von der Klägerin nicht über sein bestehendes Widerrufsrecht belehrt wurde, war die Ausübung des Widerrufs gemäß § 355 Abs. 3 Satz 3 BGB nicht an eine Frist gebunden. Jedenfalls aufgrund des mit anwaltlichem Schriftsatzes vom 22. Januar 2008 erklärten Widerrufs ist der geschlossene Kaufvertrag wirksam und fristgerecht widerrufen worden.

Fehlt es nach alledem an einem wirksamen Kaufvertrag zwischen den Parteien, war der Beklagte zur Abnahme des Pkw Porsche Boxster nicht verpflichtet. Die Klägerin kann daher aus der fehlenden Abnahme des Fahrzeugs keine Schadensersatzansprüche herleiten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Auf das Urteil hingewiesen hat openjur.de (hier).

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