AG Wiesbaden: Mobilfunkanbieter muss auf hohe Roaming-Kosten für Internetnutzung im Ausland hinweisen

veröffentlicht am 23. Juli 2012

Rechtsanwalt Dr. Ole DammAG Wiesbaden, Urteil vom 03.07.2012, Az. 91 C 1526/12
§ 280 Abs.1 BGB, § 241 Abs. 2 BGB, § 311 Abs. 2 BGB

Das AG Wiesbaden hat entschieden, dass ein Mobilfunkkunde eine Rechnung von über 1.800,00 EUR für die Internetnutzung über Handy im Ausland nicht zahlen muss. Der Kunde habe eine Internetflatrate abgeschlossen und sei nicht darüber aufgeklärt worden, dass diese nicht im Ausland gelte. Ihm sei nur gesagt worden, er könne „nach Belieben im Internet surfen“. Damit habe die Klägerin ihre Aufklärungs- und Hinweispflichten verletzt. Sie hätte bei Abschluss des Zusatzvertrages deutlich auf die Gefahr von hohen Zusatzkosten bei der Nutzung des mobilen Internets im Ausland hinweisen müssen und nicht davon ausgehen dürfen, dass jedem Kunden die Problematik von Roaming-Gebühren bei Auslandsnutzung des Handys bekannt seien. Jedenfalls hätte bei der tatsächlichen Nutzung ein Warnhinweis erfolgen müssen. Die Sperrung, nachdem bereits mehr als 1.800,00 EUR an Kosten aufgelaufen waren, sei jedenfalls zu spät erfolgt. Ähnliche Entscheidungen zu Hinweispflichten seitens der Telefonanbieter finden Sie hier: BGH, LG Saarbrücken, OLG Schleswig, LG Kleve. Zum Volltext der Entscheidung:

Amtsgericht Wiesbaden

Urteil

I.
Das Versäumnisurteil vom 02.05.2012 bleibt aufrechterhalten.

II.
Die Klägerin trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.

III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht in die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Vergütungsansprüche und Schadensersatzansprüche aus einem Telekommunikationsdienstleistungsvertrag.

Die Klägerin ist ein Mobilfunkanbieter. Die Beklagte schloss entsprechend ihrem Antrag vom 19.07.2007 mit der Klägerin einen Vertrag unter Zugrundelegung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin, welche in Ziff. 5.12 die Aufrechnung nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderungen zulassen.

Die Beklagte nutzte die Leistungen der Klägerin zunächst nur zum mobilen Telefonieren. Die dafür anfallenden Umsätze beliefen sich jährlich auf ca. 500 €. Im Jahr 2010 ließ sich die Beklagte über eine Vertragsverlängerung in der Filiale der Klägerin in Wiesbaden beraten. Der Beklagten wurde ein internetfähiges Handy angeboten. Die Beklagte erkundigte sich über die Internetnutzungsmöglichkeiten. Ihr wurde hierzu eine Internet-Flatrate angeboten und ausdrücklich zugesagt, dass mit dieser Flatrate die gesamte Internetnutzung abgegolten sei. Mit Antrag vom 27.05.2010 (Anlage K 2 zum Schriftsatz der Klägerin vom 23.05.2010, Bl. 60 d.A.) buchte die Beklagte zusätzlich zum bestehenden Vertragsverhältnis die Option „Handy Internet Flat“ für eine zusätzliche monatliche Grundgebühr von 10€. Die Grundgebühr für den ursprünglichen Vertrag betrug 20€.

Das Formular des Antrags vom 27.05.2010 enthielt einen Passus, dass der Buchung der Optionen die in allen Verkaufsstellen zur Einsichtnahme bereitliegenden und über das Internet abrufbaren AGB, Leistungsbeschreibung und Preisliste der Klägerin für die jeweilige Option (Zusatzdienstleistungen) zugrunde liegen. Ziff. 6 der „besonderen Bedingungen, Leistungsbeschreibung und Preisliste für die Zusatzdienstleistung „Handy Internet Flat“lautet:

„Die Zusatzdienstleistung „Handy Internet Flat“ gilt nur für inländische und nicht für Datenverbindungen im Rahmen des International Roaming. Es gelten die Preise des jeweiligen Roamingpartners.“

Im Juli 2010 hielt sich die Beklagte in der Türkei auf. Sie setzte das Handy dort zur Internetnutzung ein. Mit Rechnung vom 31.07.2010 stellte die Klägerin der Beklagten 1871,68 € in Rechnung. Hiervon entfielen 1845,86 € auf Internetverbindungen. Die Klägerin erteilte auf diese Rechnung eine Gutschrift in Höhe von 7,48 €. Es verblieb ein Betrag von 1.864,20 €. Die Beklagte zahlte nur die Grundgebühr von 10€. Die Klägerin sperrte die SIM-Karte der Beklagten. Die Beklagte konnte keine Leistungen der Klägerin mehr in Anspruch nehmen.

Die Klägerin erstellte unter dem 31.08.2010 und unter dem 30.09.2010 zwei weitere Rechnungen über je 18 €. Die Beklagte zahlte nicht.

Die Klägerin mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 23.08.2010und 13.09.2010 zur Zahlung.

Mit Schreiben vom 04.10.2010 sprach die Klägerin die fristlose außerordentliche Kündigung des Vertragsverhältnisses aus und verlangte von der Beklagten Schadenersatz wegen Nichterfüllung. Die Höhe der Grundgebühren bis zum Ende der vereinbarten Laufzeit zum 19.07.2012 betrüge 630 € (21 Monate x 30 €/Monat). Als Schaden macht die Klägerin 202,84 € geltend.

Darüber hinaus verlangt die Klägerin von der Beklagten die Erstattung vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 229,30 € und Auskunftskosten in Höhe von 1 €. In Höhe von weiteren 30 €, welche die Klägerin zunächst zur Rücklastschriften geltend gemacht hat, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 23.05.2012 die Klage zurückgenommen.

Die Klägerin meint, die Filialmitarbeiterin der Klägerin habe die Beklagte nicht falsch informiert. Es sei zutreffend, dass mit der Flatrate die gesamte Internetnutzung für die ganze Bundesrepublik Deutschland abgegolten sei. Die Annahme, dass dies auch für Internetverbindungen im Ausland gelte, sei lebensfremd. Es sei allgemein bekannt und in der Öffentlichkeit ein umfassend diskutiertes Thema, dass im Ausland andere Gebühren anfallen als in Deutschland. Die Klägerin könne nicht alle für den Kunden eventuell wichtigen Informationen schon auf dem Auftragsformular festhalten, da je nach Telefonverhalten unterschiedliche Konditionen für den Kunden wichtig seien. Sie sei nicht verpflichtet, das Nutzungsverhalten ihrer Kunden zu überwachen und auf erhöhte Verbindungsentgelte, die im vorliegenden Fall auch nicht exorbitant hoch seien, umgehend zu reagieren. Der Kunde habe dafür zu sorgen,dass er sich über die vertraglich vereinbarten Leistungen vor Inanspruchnahme hinreichend informiere, um nicht grob fahrlässig zu handeln.

Mit Versäumnisurteil am 02.05.2012 hat das Gericht die Klage, wie von der Beklagtenseite beantragt, abgewiesen. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 04.05.2012, am selben Tag bei Gericht eingegangen, Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

das Versäumnisurteil vom 02.05.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.103,04 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 1.900,20€ seit dem 01.11.2010 und auf 202,84 € seit Rechtshängigkeit sowie 20 € vorgerichtliche Mahnkosten, 229,30€ Verzugsschaden und 1 € Auskunftskosten zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

das Versäumnisurteil aufrecht zu erhalten.

Die Beklagte erklärt die Aufrechnung mit einer Schadensersatzpflicht der Klägerin wegen Falschberatung durch die Filialmitarbeiterin der Klägerin und meint zudem, die Beklagte brauche aufgrund der dolo-petit-Situation die Forderung der Klägerin nicht zu begleichen. Sie ist der Auffassung, die Klägerin habe die Internetverbindung abschalten oder die Beklagte per SMS-benachrichtigen müssen, nachdem innerhalb weniger Stunden ein Umsatz angefallen sei, der fast dem dreifachen bisherigen Jahresumsatz der Beklagten entsprach.

Mit Schriftsatz vom 29.06.2012 hat die Beklagte vorgetragen, sie habe die Filialmitarbeiterin bezüglich der Auslandsproblematik ausdrücklich gefragt und die Auskunft erhalten, sie könne mit dem gebuchten Tarif „nach Belieben im Internet surfen“. Das Handy sei nach 2 Tagen Internetnutzung in der Türkei gesperrt worden.

Hinsichtlich der weiteren Details des Sach- und Streitsstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

Nachdem der Rechtsstreit durch den zulässigen Einspruch der Klägerin gegen das Versäumnisurteil in den Stand vor Säumnis zurückversetzt wurde, war über die Berechtigung der Klageforderungen zu urteilen. Dies führt zur Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils, da die Klage unbegründet ist.

Die Klage ist hinsichtlich der Hauptforderung unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung der streitgegenständlichen Rechnungen.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf weitere Zahlung auf die Rechnung für Juli 2010, ohne dass es auf die Beschränkung von Aufrechungsmöglichkeiten durch die AGB der Klägerin oder den neuen Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 29.06.2012 ankäme. Denn die Beklagte kann Klägerin den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB entgegenhalten. Ihr steht gegen die Klägerin ein Schadensersatzanspruch in gleicher Höhe wie die Rechnungsforderung aus § 280 Abs.1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB sowie § 311 Abs. 2 BGB zu. Nach diesen Normen besteht eine Schadensersatzpflicht, wenn der Schuldner die aus dem Schuldverhältnis resultierenden Rücksichtnahmepflichten gegenüber den Rechten, Rechtsgütern und Interessen seines Vertragspartners verletzt, was auch schon in der Phase der Vertragsanbahnung möglich ist. Die Klägerin hat das für sie erkennbare Interesse der Beklagten, die Kosten für die mobile Internetnutzung unabhängig von Nutzungsdauer und Datenvolumen überschaubar und gering zu halten, verletzt. Dass die Beklagte dieses Interesse hatte, folgt erkennbar daraus, dass sie sich für einen Flatrate-Tarif entschieden hat. Für die Klägerin als Mobilfunkanbieterin bestand aus dem Mobilfunkvertrag die Nebenpflicht, für eine möglichst reibungslose und transparente Abwicklung des Vertragsverhältnisses zu sorgen und ihre Kunden vor unbewusster Selbstschädigung zu schützen (vgl. zu diesen Pflichten LG Saarbrücken, Urt. v. 09.03.2012, Az.: 10 S12/12 m.w.N.). Dazu gehörte auch der Hinweis auf Zusatzkosten durch die Nutzung des Internets per Handy im Ausland.

Um ihre Pflichten zu erfüllen, hätte die Klägerin bei Abschluss des Zusatzvertrages deutlich auf die Gefahr von hohen Zusatzkosten bei der Nutzung des mobilen Internets im Ausland hinweisen müssen. Die Klägerin richtet sich mit ihren Angeboten nicht nur an technisch versierte und in der mobilen Telekommunikation erfahrene Kundenkreise. Sie konnte nicht davon ausgehen, dass jedem Kunden die Problematik der hohen zusätzlichen Kosten bei der Internet-Nutzung per Handy im Ausland bekannt war. Es gibt durchaus Teile der Bevölkerung, die bislang keine oder nur wenig Erfahrung mit der Nutzung von Handys und erst recht mit der Nutzung von Internet per Handy haben und sich dementsprechend mit der Frage der Kosten solcher Leistungen, insbesondere bei Nutzung im Ausland,nicht zu befassen brauchten. Auch wenn es eine Vielzahl anderer Kunden geben mag, für die es sich hierbei um „Basiswissen“ handelt, macht dies einen Hinweis gegenüber den übrigen Kunden nicht entbehrlich.

Mit dem Verweis auf die „besonderen Bedingungen,Leistungsbeschreibung und Preisliste für die Zusatzdienstleistung „Handy Internet Flat“ konnte die Klägerin ihre Informationspflicht nicht erfüllen. Denn der Regelungsgehalt der Ziff.6 ist unklar. Diese Ziffer verweist lediglich darauf, dass die Zusatzdienstleistung „Handy Internet Flat“ nur für inländische Datenverbindungen „gilt“. Dass sich dieses „nicht gelten“ auf Preise bezieht, lässt sich nur vage aus dem Folgesatz „Es gelten die Preise des jeweiligen Roamingpartner“ schließen. Dass diese Preise zusätzlich zu der gebuchten Flatrate zu zahlen sind und zu wesentlich höheren Kosten führen können, ergibt sich hieraus nicht. Ferner wird auch durch die Verwendung der Begriffe „Datenverbindungen im Rahmen des International Roaming“ nicht deutlich, dass hiermit die Nutzung des Internets per Handy bei Aufenthalten im Ausland gemeint ist. Auf ihren Standpunkt, der Kunde müsse sich eben über die vertraglich vereinbarten Leistungen vor Inanspruchnahme hinreichend informieren, kann sich die Klägerin schon deshalb nicht zurückziehen, weil sie selbst keine klaren Informationen zur Verfügung stellt. Der weitere Einwand der Klägerin, sie könne nicht alle für den Kunden eventuell wichtigen Informationen schon auf dem Auftragsformular festhalten, da je nach Telefonverhalten unterschiedliche Konditionen für den Kunden wichtig seien, ist auch nicht stichhaltig. Zusätzliche Kosten sind für sämtliche Kunden, die eine Flatrate buchen, eine wesentliche Information. Dass diese bei der Nutzung der Internetoption im Ausland anfallen, könnte mit einem einfachen Satz für alle klargestellt werden.

Die Klägerin hat ihre Hinweis- und Schutzpflichten des weiteren dadurch verletzt, dass sie die Beklagte bei der erstmaligen Inanspruchnahme des mobilen Internetzugangs im Rahmen des Türkeiaufenthalts nicht vor den hierdurch zusätzlich entstehenden Kosten gewarnt oder zumindest frühzeitig auf die hohen anfallenden Kosten hingewiesen hat. Davon, dass eine Warnung per SMS oder pop-up-Fenster technisch ohne weiteres machbar war, geht das Gericht aus. Eine solche Verpflichtung ergibt sich nicht auch nur für Aufenthalte von Kunden im EU-Ausland (dazu LG Saarbrücken a.a.O.) sondern auch für Aufenthalte außerhalb der EU. Denn es sind keine Gründe ersichtlich, die für eine unterschiedliche Behandlung der Pflichten im Verhältnis zwischen Kunde und Mobilfunkanbieter je nach Reiseort sprechen. Die Gefahr hoher Schäden ist für die Kunden angesichts der noch höheren Roaming-Kosten im EU-Ausland sogar noch naheliegender und die Notwendigkeit eines warnenden Hinweises des Mobilfunkanbieters zur Wahrung der Kundeninteressen umso dringlicher.

Die Situation stellt sich für die Klägerin auch nicht günstiger dar, wenn man den neuen Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 29.06.2012 noch berücksichtigte, das Handy sei nach 2 Tagen Internetnutzung in der Türkei gesperrt worden, da eine solche Reaktion der Klägerin viel zu spät erfolgte. Denn bis dahin waren Kosten aufgelaufen, die mehr als das 180-fache der gebuchten monatlichen Internet-Flatrate betrugen, damit, entgegen der Auffassung der Klägerin, durchaus als exorbitant hoch zu bezeichnen sind und ein wesentlich früheres Einschreiten der Klägerin erfordert hätte.

Auch die Bezahlung der Rechnungen vom 31.08.2010 und 30.09.2010 über insgesamt 36 € kann die Klägerin von der Beklagten nicht verlangen, da die selbst in Folge der Anschlusssperrung ihren Leistungspflichten gegenüber der Beklagten nicht nachgekommen ist. Die Klägerin ist zu Unrecht von einer Pflicht der Beklagten zur Zahlung der Rechnung für Juli 2010 und damit von Zahlungsverzug der Beklagten ausgegangen. Sie hatte kein Recht, den Anschluss der Beklagten zu sperren. Die Beklagte war nicht vorleistungspflichtig.

Ein Anspruch auf Schadensersatz besteht nicht, da die Klägerin nicht berechtigt war, den Vertrag durch fristlose Kündigung zu beenden. Die Beklagte befand sich nicht in Zahlungsverzug, so dass kein Kündigungsgrund vorlag.

Da die Hauptforderung unbegründet ist, unterliegen auch die Nebenforderungen der Klageabweisung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Auf das Urteil hingewiesen hat openjur.de (hier).

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