BGH: Ist die Vorauskasse-Klausel in AGB wettbewerbswidrig?

veröffentlicht am 7. April 2010

Rechtsanwalt Dr. Ole DammBGH, Urteil vom 04.03.2010, Az. III ZR 79/09
§§ 307; 309 Nr. 2; 310 Abs. 1 BGB

Der BGH hat entschieden, dass eine in den AGB festgelegte Vorleistungspflicht des Kunden hinsichtlich des Kaufpreises gegen geltendes (Vertrags- und damit unseres Erachtens auch Wettbewerbs-) Recht verstoßen kann. Im vorliegenden Fall wurde die Vereinbarung einer Vorleistungspflicht hinsichtlich der Vergütung in den AGB mit der Begründung für wirksam gehalten, die Verwenderin der AGB erbringe den Großteil ihrer Tätigkeit am Beginn der Vertragslaufzeit und auf die noch verbleibenden, in der nachfolgenden Vertragslaufzeit anstehenden Leistungen entfalle kein größerer Aufwand. Zudem betrage die Vorleistungspflicht nur 1/3 des Gesamtpreises und sei erst 30 Tage nach Vertragsabschluss fällig. Das Geschäft betraf einen Website-Erstellungs- und Hosting-Vertrag. Streitgegenständlich war folgende Klausel: „Der Berechnungszeitraum beginnt mit dem Datum der Unterschrift unter diesem Vertrag. Das nach diesem Vertrag zu zahlende Entgelt ist am Tag des Vertragsabschlusses und jeweils am selben Tage des folgenden Jahres jährlich im Voraus fällig. Abweichend von S. 2 ist im ersten Vertragsjahr das Entgelt 30 Tage nach Vertragsabschluss jährlich im Voraus fällig.“ Der Beklagte hatte eingewandt, die Bestimmung einer Vorleistungspflicht sei gemäß § 307 BGB unwirksam, die Klägerin habe die von ihr geschuldeten Leistungen nicht wie geschuldet erbracht und er, der Beklagte, habe den Vertrag wirksam gekündigt. Im Folgenden werden die näheren Entscheidungsgründe aufgeführt und abschließend von uns kommentiert:

Die streitgegenständliche Regelung könne der erkennende Senat selbständig auslegen, weil eine unterschiedliche Auslegung durch verschiedene Berufungsgerichte in Betracht komme (BGHZ 163, 321, 323 f; Senat, Urteil vom 17.09.2009, Az. III ZR 207/08NJW 2010, 57 Rn. 16; BGH, Urteil vom 16.06.2009, Az. XI ZR 145/08NJW 2009, 3422, 3423 Rn. 20). Im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle sei gemäß § 305c Abs. 2 BGB in Zweifelsfällen die „kundenfeindlichste“ Auslegung geboten, wenn diese zur Unwirksamkeit der Klausel führe und damit für den Kunden im Ergebnis am günstigsten sei (Senatsurteil BGHZ 175, 76, 80 f Rn. 9 m.w.N.; BGHZ 176, 244, 250 f Rn. 19 m.w.N.; BGH, Urteil vom 16.06.2009 aaO Rn. 21).

Die Klausel begründet hiernach eine Vorleistungspflicht des Vertragspartners der Klägerin (Kunde bzw. „Partnerunternehmen“). Denn ihm werde aufgegeben, das vertragliche Entgelt jährlich im Voraus zu entrichten, und zwar unabhängig davon, ob und inwieweit die Klägerin die ihr (für den jeweiligen Zeitabschnitt) obliegenden Leistungen – überhaupt oder ordnungsgemäß – erbringe.

Die Überprüfung der Wirksamkeit einer Allgemeinen Geschäftsbedingung, die eine Vorleistungspflicht des Kunden begründe, richtet sich in aller Regel – so auch hier – nach den Maßgaben des § 307 BGB. Danach sei eine Klausel, die den Kunden abweichend von der gesetzlichen Regelung zur Vorleistung verpflichte, nur dann zulässig, wenn für sie ein sachlich rechtfertigender Grund gegeben sei und den berechtigten Interessen des Kunden hinreichend Rechnung getragen werde, insbesondere keine überwiegenden Belange des Kunden entgegenstünden (BGHZ 100, 157, 161 ff; 141, 108, 114; 145, 203, 211; BGH, Urteile vom 23.05.1984, Az. VIII ZR 27/83NJW 1985, 850, 851, vom 24.09.2002 – KZR 38/99NJW-RR 2003, 834, 836 und vom 20.06.2006, Az. X ZR 59/05NJW 2006, 3134 Rn. 6, 10; Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl., § 309 Rn. 13; MünchKommBGB/Kieninger, 5. Aufl., § 309 Nr. 2 Rn. 14; Staudinger/Coester-Waltjen, BGB [2006], § 309 Nr. 2 Rn. 7; Dammann, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 5. Aufl., Rn. V 505 ff; Hensen, in: Ulmer/ Brandner/Hensen, AGB-Recht, 10. Aufl., § 309 Nr. 2 BGB Rn. 11 f).

Diese Maßstäbe gälten auch dann, wenn die Vorleistungsklausel, wie im vorliegenden Fall, gegenüber einem Unternehmer verwendet werde (§ 14 Abs. 1, § 310 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB), wobei den Besonderheiten des unternehmerischen Verkehrs im Rahmen der nötigen Interessenabwägung Rechnung getragen werden könne und müsse (s. auch Dammann aaO Rn. V 508). Der Grundsatz der Leistung Zug um Zug (§§ 320, 322 BGB) gehöre zu den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB), weil er eine gleichmäßige Sicherheit für beide Vertragsparteien gewährleiste. Durch die ihm auferlegte Vorleistungspflicht werde dem Kunden das Druckmittel der Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§ 320 BGB) für die Durchsetzung seines Anspruchs auf vertragsrechte Erfüllung (ohne Erfordernis einer Prozessführung) genommen und das Risiko der Leistungsunfähigkeit seines Vertragspartners, des Verwenders, aufgebürdet. Vor diesem Hintergrund bedürfe es im Rahmen der bei der Überprüfung nach § 307 BGB anzustellenden umfassenden Interessenabwägung (vgl. etwa Senat, BGHZ 175, 102, 107 f Rn. 19 sowie Urteile vom 12.02.2009, Az. III ZR 179/08NJW 2009, 1334, 1337 Rn. 29 und vom 17.09.2009 aaO S. 58 Rn. 18) eines sachlichen Grundes für die Verwendung einer Vorleistungsklausel regelmäßig auch dann, wenn der Kunde Unternehmer sei (so auch Dammann aaO; offen gelassen in BGH, Urteil vom 24. September 2002 aaO; offen gelassen wohl auch bei Hensen aaO Rn. 17; a.A. OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 1988, 1458, 1459; Kieninger aaO Rn. 21).

Eine solche Interessenabwägung sei auch und gerade dann vorzunehmen, wenn die gesetzliche Regelung (wie beim Werkvertragsrecht) abweichend vom Grundsatz der Leistung Zug um Zug sogar eine Vorleistungspflicht des die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendenden (Werk-)Unternehmers vorsehe. Nach diesen Maßgaben halte jedenfalls die Regelung der streitigen AGB-Klausel der Wirksamkeitskontrolle stand.

Dem Berufungsgericht sei freilich darin beizupflichten, dass die in in den AGB niedergelegte Vorleistungspflicht des Kunden vom Leitbild der gesetzlichen Regelung abweiche. Bei dem zwischen den Parteien abgeschlossenen „Internet-System-Vertrag“ handele es sich nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts insgesamt um einen Werkvertrag im Sinne der §§ 631 ff BGB, und gemäß § 641 Abs. 1, §§ 632a, 646 BGB habe nicht der Besteller, sondern der Werkunternehmer vorzuleisten.

Die in den AGB bestimmte, vom Leitbild der gesetzlichen Regelung abweichende Vorleistungspflicht des Kunden könne sich indes auf sachliche Gründe stützen und trage den berechtigten Interessen des Kunden hinreichend Rechnung. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Klausel (wie hier) gegenüber einem Unternehmer (§§ 14, 310 Abs. 1 BGB) verwendet werde.

Sachlich rechtfertigende Gründe finde die Vorleistungspflicht des Kunden zunächst darin, dass der Anbieter bei dem vorliegenden „Internet-System-Vertrag“ bereits zu Beginn der Vertragslaufzeit die Website zu erstellen und einzurichten sowie die Abrufbarkeit dieser Website im Internet herbeizuführen habe. Auf der Grundlage der vertraglichen Leistungsbeschreibung seien beide Vorinstanzen – im Einklang mit dem Vorbringen der Klägerin, dem der Beklagte nicht mit Substanz entgegengetreten sei- davon ausgegangen, dass damit die Klägerin typischerweise den überwiegenden Teil des von ihr zur Erfüllung ihrer Vertragspflichten zu erbringenden Gesamtaufwands bei Vertragsbeginn tragen müsse. Der Anbieter (hier: die Klägerin) habe daher ein berechtigtes Interesse daran, mit der Bezahlung jeglichen Entgelts nicht lange Zeit, etwa gar bis zum Ende der Vertragslaufzeit – also: bis zur vollständigen Erbringung der von ihm geschuldeten Werkleistung -, warten zu müssen. Ferner könne dem Anbieter die Zahlung monatlicher Ratenbeträge in dem hier in Rede stehenden Umfang von – lediglich – 120,00 EUR zuzüglich Umsatzsteuer einen nicht unerheblichen buchhalterischen Aufwand bereiten und sich eine monatliche Ratenzahlung aus seiner nachvollziehbaren Sicht deshalb als unpraktikabel erweisen.

Dem berechtigten Interesse des Anbieters an einer dem jeweils erbrachten bzw. noch zu erbringenden Aufwand entsprechenden, praktikablen und zeitnahen Entgeltzahlung stehe das ebenso berechtigte Interesse des Kunden gegenüber, das Druckmittel der Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§ 320 BGB) für die Durchsetzung seines Anspruchs auf vertragsgerechte Erfüllung (ohne Erfordernis einer Prozessführung) zu behalten und nicht mit dem Risiko der Leistungsunfähigkeit seines Vertragspartners belastet zu werden. Durch die Vorleistungspflicht laufe der Kunde Gefahr, das von ihm geschuldete Entgelt auch dann entrichten zu müssen, wenn der Anbieter die ihm obliegende (Werk-)Leistung überhaupt nicht oder nicht ordnungsgemäß erbringe.

Dem vorerwähnten Interesse des Kunden müsse die Vorleistungsklausel auch dann Rechnung tragen, wenn der Kunde ein Unternehmer sei. Denn auch einem Unternehmer gegenüber wäre es nicht angemessen, wenn diesem das wesentliche Sicherungs- und Druckmittel der Einrede des nicht erfüllten Vertrages vollumfänglich und kompensationslos genommen würde. Dem Verwender einer formularmäßigen Vertragsbestimmung sei es gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB – auch bei Verwendung der Klausel gegenüber einem Unternehmer (s. § 310 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB) – verwehrt, durch eine einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zu gewähren, da hierin eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners entgegen den Geboten von Treu und Glauben läge (s. dazu etwa Senat, BGHZ 175, 102, 107 f Rn. 19 sowie Urteile vom 12.02.2009 aaO und 17.09.2009 aaO).

Im Ergebnis der sonach gebotenen Interessenabwägung werde die AGB-Klausel den berücksichtigungsfähigen Interessen des Kunden – jedenfalls im unternehmerischen Verkehr – ausreichend gerecht. Vor dem Hintergrund, dass die Klägerin in aller Regel den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit und ganz überwiegenden Teil der von ihr geschuldeten Leistung am Beginn der Vertragslaufzeit erbringe und demgegenüber auf die noch verbleibenden, in der nachfolgenden Vertragslaufzeit anstehenden Leistungen kein größerer Aufwand entfalle, sei es nicht unangemessen, wenn der Kunde (etwa) ein Drittel der von ihm zu zahlenden Gesamtvergütung (Werklohn) im Voraus zu entrichten habe. Diese Vorleistung, die zudem erst 30 Tage nach Vertragsabschluss fällig werde, belastet den Kunden vor allem deshalb nicht unverhältnismäßig, weil der Anteil des für das erste Jahr der Vertragslaufzeit im Voraus zu zahlenden Entgelts an der vereinbarten Gesamtvergütung deutlich hinter dem Anteil am Gesamtaufwand zurückbleibt, den die Klägerin zur Erfüllung ihrer Leistungspflichten in diesem Zeitraum aufzubringen hat. Unter dem Blickwinkel dieser vergleichenden Betrachtung stelle die Zahlungsregelung in den AGB keine einseitige, unangemessene Benachteiligung des Kunden dar.

Hinzu trete, dass die Vorauszahlung etwa eines Drittels der vereinbarten Gesamtvergütung die Druckmittel des Kunden für die Durchsetzung seines Anspruchs auf vertragsgerechte Erfüllung (ohne Erfordernis einer Prozessführung) nur in einem verhältnismäßig geringen Umfang beeinträchtige. Leiste die Klägerin im ersten Vertragsjahr nicht oder nicht wie vereinbart, so könne der Kunde die für die beiden Folgejahre geschuldeten Entgeltbeträge zurückbehalten und Erfüllungs- oder Gewährleistungsansprüche geltend machen und den (Werk-)Vertrag gegebenenfalls auch kündigen. Um den Anspruch auf den auf das zweite und dritte Vertragsjahr entfallenden Entgeltanteil – insgesamt also (etwa) zwei Drittel der vereinbarten Gesamtvergütung – nicht zu verlieren, werde die Klägerin bestrebt sein, das Schwergewicht der von ihr geschuldeten Leistung – nämlich die Erstellung und Einrichtung der Website sowie die Gewährleistung der Abrufbarkeit dieser Website im Internet – rechtzeitig und ordnungsgemäß zu erbringen und ihren Kunden auf diese Weise zufrieden zu stellen. Gäben die Leistungen der Klägerin – erst – im Verlauf des zweiten Vertragsjahres berechtigten Anlass für Beanstandungen des Kunden, so könne dieser mit der Einbehaltung des für das dritte Vertragsjahr zu zahlenden letzten Entgeltdrittels immer noch einen wirkungsvollen Druck auf die Klägerin ausüben und sie hierdurch zur ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Pflichten anhalten. Erst mit der Zahlung des zu Beginn des dritten Vertragsjahres zu entrichtenden Entgeltbetrages verliere der Kunde das Druckmittel der Einrede des nicht erfüllten Vertrages. Zu diesem Zeitpunkt aber habe die Klägerin den für die von ihr geschuldete Vertragserfüllung erforderlichen Gesamtaufwand regelmäßig schon nahezu vollständig erbracht.

Was wir davon halten?
Bei der Frage, ob formularmäßig Vorkasse gefordert werden kann, handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, da stets das Vorliegen eines „rechtfertigenden Grundes“ und das „berechtigte Interesse des Kunden“ zu prüfen sind. Hierbei handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die einer pauschalen Wertung unzugänglich sind. Zu beachten ist, dass im Werkvertragsrecht eine gesetzliche Regelung hinsichtlich der Vorleistungspflicht des Auftragnehmers existiert (§§ 641 Abs. 1, 632a, 646 BGB), während dies im Onlinehandel gerade nicht der Fall ist. Diverse Gerichte, darunter auch das OLG Hamburg (vgl. Urteilsgründe lit. d), haben dementsprechend eine Vorleistungspflicht im Onlinehandel bislang ausdrücklich nicht beanstandet.

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