BGH: Akteneinsicht in Markenlöschungsverfahren auch ohne berechtigtes Interesse möglich

veröffentlicht am 26. Januar 2012

BGH, Beschluss vom 30.11.2011, Az. I ZB 56/11
§ 62 Abs. 1 und 2 MarkenG; § 1 Abs. 3 IFG

Der BGH hat entschieden, dass einem Gesuch auf Akteneinsicht unbeteiligter Dritter in einem Markenlöschungsverfahren (oder wie hier, in einem Verfahren der Schutzentziehung einer IR-Marke) stattzugeben ist. Das Informationsfreiheitsgesetz finde hier keine Anwendung, weil Vorschriften des Markengesetzes (§ 62) vorrangig seien, die bestimmten, dass grundsätzlich Einsicht in die Gerichts- und Verfahrensakten zu gewähren sei, die eine eingetragene Marke beträfen. Ein berechtigtes Interesse brauche dafür auch nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein entgegenstehendes berechtigtes Interesse der Verfahrensbeteiligten, eine Akteneinsicht nicht zu gewähren, sei hingegen nicht glaubhaft gemacht worden. Zum Volltext der Entscheidung:


Bundesgerichtshof

Beschluss

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. November 2011 durch … beschlossen:

Der Antragstellerin wird Einsicht in die Akten des Bundesgerichtshofs – I ZB 56/11 -, des Bundespatentgerichts – 25 W (pat) 8/09 – und des Deutschen Patent- und Markenamts – IR 869 586/30 – einschließlich des Löschungsverfahrens gewährt. Die Akteneinsicht kann auf der Geschäftsstelle des I. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs oder beim Deutschen Patent- und Markenamt in München erfolgen.

Gründe

I.
Das Bundespatentgericht hat der IR-Marke Nr. 869586 für Deutschland den Schutz entzogen (BPatG, Beschluss vom 21. Juli 2011 25 W (pat) 8/09, juris). Dagegen hat die Markeninhaberin Rechtsbeschwerde eingelegt. Die an dem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht beteiligte Antragstellerin, eine Partnerschaft von Rechtsanwälten, begehrt Einsicht in die Akten dieses Verfahrens.

II.
Dem Antrag ist stattzugeben.

1.
Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist die Einsicht allerdings nicht nach dem Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes Informationsfreiheitsgesetz vom 5. September 2005 (BGBl. I, S. 2722) zulässig. Auf die Einsicht Dritter in die Akten in Verfahren in Markenangelegenheiten (§§ 32 bis 96 MarkenG) findet das Informationsfreiheitsgesetz nach seinem § 1 Abs. 3 keine Anwendung. Nach dieser Bestimmung gehen Regelungen in anderen Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen mit Ausnahme des § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und des § 25 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches vor. Zu den dem Informationsfreiheitsgesetz vorrangigen Regelungen gehören die Bestimmungen des Markengesetzes über die Akteneinsicht (vgl. Büscher in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtschutz, Urheberrecht, Medienrecht, 2. Aufl., § 62 MarkenG Rn. 3; Fezer, Markenrecht, 4. Aufl., § 62 Rn. 1; Kirschneck in Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Aufl., § 62 Rn. 1). Die Akten- und Registereinsicht beim Deutschen Patent- und Markenamt richtet sich nach § 62 MarkenG. Die Vorschrift ist nach § 82 Abs. 3 MarkenG im Beschwerdeverfahren vor dem Bundespatentgericht entsprechend anwendbar; sie gilt auch im Rechtsbeschwerdeverfahren (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2005 I ZB 11/04, BeckRS 2005, 12319 mwN).

2.
Nach § 62 Abs. 2 i.V.m. § 82 Abs. 3 MarkenG ist grundsätzlich Einsicht in die Gerichts- und Verfahrensakten zu gewähren, die eine eingetragene Marke betreffen. Dies gilt nach §§ 107, 119 MarkenG auch für das Verfahren über den Antrag auf Schutzentziehung einer IR-Marke, das nach § 115 Abs. 1, § 124 MarkenG an die Stelle des Antrags auf Löschung einer eingetragenen Marke tritt.

Für die Akteneinsicht braucht anders als bei der Einsicht in die Akten von Markenanmeldungen nach § 62 Abs. 1 MarkenG (vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. April 2007 I ZB 15/06, GRUR 2007, 628 Rn. 13 f. = WRP 2007, 788 MOON) ein berechtigtes Interesse nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ob ausnahmsweise einer (unbeschränkten) Akteneinsicht schutzwürdige Belange der Verfahrensbeteiligten entgegenstehen können (bejahend Büscher in Büscher/Dittmer/Schiwy aaO § 62 MarkenG Rn. 15; Fezer aaO § 62 Rn. 5; Kirschneck in Ströbele/Hacker aaO § 62 Rn. 20; verneinend Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl., § 62 Rn. 5; Fezer/Grabrucker, Handbuch der Markenpraxis, Bd. 1, Seite 233 f. Rn. 56) braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Die Verfahrensbeteiligten haben der begehrten Akteneinsicht zwar widersprochen. Sie haben ein berechtigtes Interesse, das ausnahmsweise einer (unbeschränkten) Akteneinsicht entgegenstehen könnte, aber nicht dargelegt und glaubhaft gemacht. Ein solches Interesse ist auch nicht ersichtlich.

Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 21.07.2011, Az. 25 W(pat) 8/09

I