BGH: Eine Unterlassungserklärung begründet nicht ohne Weiteres eine positive Handlungspflicht

veröffentlicht am 30. November 2010

BGH, Urteil vom 21.10.2010, Az. III ZR 17/10
§§ 157, 242 BGB

Der BGH hat entschieden, dass in eine vertragsstrafenbewehrte Unterlassungserklärung (hier: die persönlichen Daten des Klägers nicht auf einer Webseite zu veröffentlichen) nicht ohne Weiteres eine positive Handlungspflicht zum Entfernen dieser Daten von besagter Webseite sowie aus Suchmaschinenspeichern interpretiert werden kann. Die Beklagte hatte sich zwar zuvor – ohne Vertragsstrafeversprechen – auch zur Entfernung der Daten verpflichtet und war dieser Verpflichtung nach bestem Wissen nachgekommen. Die Daten wurde von der firmeneigenen Webseite gelöscht und ein großer Suchmaschinenbetreiber wurde angeschrieben und erfolgreich um Entfernung der Seite aus dem Suchmaschinen-Cache gebeten. Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung wurde daraufhin lediglich hinsichtlich der zukünftigen Veröffentlichung der klägerischen Daten abgegeben. Der Kläger forderte jedoch eine Vertragsstrafe, als ihm bekannt wurde, dass unter Eingabe seines Namens eine andere Suchmaschine die Webseite der Beklagten – allerdings ohne Namensangabe des Klägers – aufrief. Die Beklagte ließ diesen Eintrag umgehend entfernen, weigerte sich jedoch, die geforderte Vertragsstrafe in Höhe von 25.000,00 EUR zu zahlen. Zu Recht, wie der BGH ausführte:Die strafbewehrte Unterlassungserklärung erfasse nicht die Verpflichtung zur Entfernung der persönlichen Daten des Klägers aus dem Internet. Dies dürfe auch nicht im Wege der Auslegung aus der zuvor abgegebenen, nicht strafbewehrten Erklärung gefolgert werden. Da die Beklagte davon ausgegangen sei, diese Verpflichtung bereits erfüllt zu haben, sei die positive Handlungspflicht zur Entfernung von Daten gerade nicht Bestandteil der strafbewehrten Erklärung gewesen. Zum Volltext der Entscheidung:


Bundesgerichtshof

Urteil

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 2010 durch … für Recht erkannt:

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 15. Dezember 2009 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als 1.085,04 € nebst Zinsen verurteilt worden ist, und das Urteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 13. Mai 2009 weiter abgeändert.

Die Klage wird auch insoweit abgewiesen, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als dem vorgenannten Betrag nebst Zinsen verurteilt worden ist.

Die Kosten des ersten Rechtszugs und des Revisionsrechtszugs hat der Kläger zu tragen. Die Kosten des Berufungsrechtszugs haben der Kläger zu 96 v.H. und die Beklagte zu 4 v.H. zu tragen.

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung einer Vertragsstrafe.

Die Beklagte betreibt eine Personalvermittlung. Der Kläger, der nach seinen Behauptungen als Diplom-Kaufmann in führender Stellung in einem Unternehmen beschäftigt war, fasste 2007 den Entschluss, sich beruflich anderweitig zu orientieren. Er wandte sich deshalb an verschiedene Personalvermittlungsunternehmen, so auch an die Beklagte. Er übersandte ihr auf Anforderung Bewerbungsunterlagen in elektronischer Form, aus denen unter anderem sein Jahreseinkommen und seine früheren Arbeitgeber hervorgingen. Die Beklagte übernahm die Angaben des Klägers in ihre Datenbank und veröffentlichte sie – ohne dessen Zustimmung – auf ihrer Webseite. Sie beabsichtigte, den Kläger zu anonymisieren, indem Name, Geburtsdatum und der aktuelle Arbeitgeber aus den in das Internet einzustellenden Unterlagen entfernt werden sollten. Die Beklagte übersah jedoch, dass sich der Name des Klägers auch in der Kopfzeile der übermittelten Daten befand und er somit im Internet mit seinen persönlichen Angaben ohne weiteres identifizierbar war. Ein Bekannter des Klägers teilte ihm dies im Januar 2008 mit. Man müsse nur über die Suchmaschine „Google“ den Namen des Klägers eingeben und werde sodann auf die von der Beklagten betriebene Internetseite weitergeleitet. Mit anwaltlichem Schreiben vom 15. Januar 2008 ließ der Kläger die Beklagte auffordern, sämtliche Daten bis zum Folgetag um 13:00 Uhr von ihrer Webseite und gegebenenfalls von allen anderen der Öffentlichkeit zugänglichen Stellen zu entfernen und es künftig zu unterlassen, diese Daten zu verwenden. Ferner verlangte er von der Beklagten die Abgabe einer entsprechenden Verpflichtungs- und Unterlassungserklärung, die auszugsweise folgenden Wortlaut hatte:

„… (Beklagte) verpflichtet sich hiermit als Betreiber der Website … gegenüber Herrn … (Kläger)

1.
unverzüglich, spätestens jedoch bis zum 16.01.08, 13.00 Uhr, alle persönlichen Daten, insbesondere Lebenslauf, beruflichen Werdegang, Angaben zu derzeitiger Position und Einkommen etc. des Herrn … (Kläger) von ihrer oben genannten Website und ggf. von allen anderen Websites, die von ihr betrieben werden, sowie von allen etwaigen sonstigen Stellen, an denen sie die Daten von Herrn … veröffentlicht hat, rückstandslos zu entfernen.

2.
zukünftig keinerlei Gebrauch, in welcher Form auch immer, mehr von den Daten des Herrn … Gebrauch zu machen, insbesondere es zu unterlassen, diese Daten ohne Autorisierung durch Herrn … an Stellen zu veröffentlichen, die für Dritte zugänglich sind, gleichgültig in welchem Medium und gleichgültig in welcher Darstellungsform.“

Weiterhin war in der vom Bevollmächtigten des Klägers vorgefertigten Erklärung die Verpflichtung zur Übernahme der Anwaltskosten (Nummer 3) und zur Zahlung einer Vertragsstrafe von 25.000 € für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die sich aus Nummern 1 und 2 ergebenden Verbindlichkeiten vorgesehen (Nummer 4).

Die Beklagte entfernte daraufhin sofort die Daten von ihrer Webseite. Gegenüber „Google“ bewirkte sie mittels eines so genannten Webmastertools die Löschung der betreffenden Seite. Sie behauptet, sie habe das Profil des Klägers überdies durch „noindex metatags“ und „robots.txt“ blockiert.

Ferner gab die Beklagte am 16. Januar 2008 die ihr abverlangte Erklärung zu Nummern 1 und 2, nicht jedoch zu Nummern 3 und 4, ab. Nach weiterer Korrespondenz unterzeichnete die Beklagte unter dem 13. Februar 2008 eine Verpflichtungserklärung mit dem Inhalt der Nummer 2 der Erklärung vom 16. Januar 2008. Ferner verpflichtete sie sich, für jeden Fall der Zuwiderhandlung ohne Einrede des Fortsetzungszusammenhangs eine Vertragsstrafe von 25.000 € an den Kläger zu zahlen.

Nachdem der Kläger die Beklagte gerichtlich auf Ersatz immateriellen Schadens und seiner Anwaltskosten wegen der Veröffentlichung der ihn betreffenden Angaben in Anspruch genommen hatte, stellte sich heraus, dass die Webseite der Beklagten mit den – allerdings ohne Namensangabe versehenen – Daten des Klägers bei Eingabe von dessen Namen über die Suchmaschine „Yahoo!“ weiterhin erreichbar war. Daraufhin forderte der Kläger die Beklagte unter dem 18. August 2008 auf, binnen 24 Stunden ab Erhalt des Schreibens den Eintrag seines Namens auf „Yahoo!“ zu entfernen. Am Folgetag wurde die entsprechende Verweisung in dieser Suchmaschine gelöscht. Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe nunmehr auch die Vertragsstrafe verwirkt, und hat seine Klage um 25.000 € erweitert.

Das Landgericht hat den Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens abgewiesen, dem Kläger jedoch die Erstattung von Anwaltskosten sowie die Vertragsstrafe zuerkannt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht den Betrag der zu ersetzenden Rechtsanwaltskosten gekürzt und das Rechtsmittel im Übrigen zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag hinsichtlich der Vertragsstrafe weiter.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.

I.
Das Berufungsgericht hat die Verpflichtungserklärung vom 13. Februar 2008 dahingehend ausgelegt, dass das strafbewehrte Versprechen, das Profil des Klägers nicht mehr zu gebrauchen, auch die Verpflichtung zu positivem Handeln beinhaltete, das auf die schnelle und zuverlässige Entfernung der Daten des Klägers aus dem Internet gerichtet war. Dass die unter Nummer 1 der Erklärung vom 16. Januar 2008 eingegangene Verpflichtung zur rückstandslosen Entfernung aller persönlichen Daten des Klägers nicht ausdrücklich in die strafbewehrte Erklärung vom 13. Februar 2008 aufgenommen worden sei, berechtige nicht zu der Interpretation, eine Pflicht zu positivem Handeln sei hiervon nicht erfasst. Die Erklärung vom 13. Februar 2008 sei im Kontext mit der früheren, nicht strafbewehrten Erklärung vom 16. Januar 2008 zu sehen, die ausdrücklich die Verpflichtung zur Entfernung der Daten enthalten habe. Die Beklagte habe dem Kläger den Eindruck vermittelt, sie habe ihrer vertraglich übernommenen Pflicht genügt, indem sie dessen Daten von ihrer Webseite entfernt und gegenüber der Suchmaschine „Google“ die Löschung der Seite aus dem Cache beantragt habe. Dem Kläger sei es ersichtlich darauf angekommen, dass seine Daten, in deren Veröffentlichung im Internet er nicht eingewilligt habe, dort restlos ohne Fortbestehen der Aufrufbarkeit entfernt würden. Diese für die Beklagte klar erkennbare Erwartung des Klägers sei Grundlage auch der Vereinbarung vom 13. Februar 2008 gewesen. Eine dementsprechend weit gehende Unterlassungsverpflichtung der Beklagten ergebe sich auch im Übrigen ohne ausdrückliche Aufnahme der Nummer 1 der Erklärung vom 16. Januar 2008. Von der weiten Formulierung der Erklärung vom 13. Februar 2008 sei die Verhinderung einer fortbestehenden Aufrufbarkeit und Einsehbarkeit des Profils mittels einer Suchmaschine erfasst. Das Versprechen, eine Internetdomain nicht mehr zu verwenden, verpflichte nach der Rechtsprechung nicht nur zu bloßem Unterlassen, sondern auch dazu, durch positives Handeln alles Erforderliche zur schnellen und zuverlässigen Entfernung der Domain sowie der auf zwischengelagerten Proxy-Servern und Cache-Speichern abrufbaren Inhalte zu tun. Diese Grundsätze seien auf die vorliegende Fallgestaltung übertragbar.

Die Beklagte habe gegen ihre in diesem Sinne zu verstehende Unterlassungsverpflichtung schuldhaft verstoßen. Die Beklagte habe gegenüber der Suchmaschine „Yahoo!“ ebenfalls tätig werden müssen. Entgegen einer in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung sei es nicht unzumutbar, die Betreiber von Suchmaschinen auch ohne konkrete Anhaltspunkte wegen der Löschung von inkriminierten Suchbegriffen anzuschreiben.

II.
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Klage ist auch hinsichtlich der vom Kläger verlangten Vertragsstrafe unbegründet.

1.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts erfasst die strafbewehrte Unterlassungserklärung vom 13. Februar 2008 nicht die Verpflichtung zur Entfernung der persönlichen Daten des Klägers aus dem Internet.

Die Auslegung individualvertraglicher Erklärungen ist zwar im Grundsatz dem Tatrichter vorbehalten. Sie ist aber für das Revisionsgericht dann nicht bindend, wenn sie gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt (st. Rspr. vgl. z.B. Senatsurteile vom 5. Oktober 2006 – III ZR 166/05, NJW 2006, 3777 Rn. 13 und vom 2. Februar 2006 – III ZR 61/05, WM 2006, 871 Rn. 9). Ein solcher Fehler liegt der Auslegung des Berufungsgerichts zugrunde.

2.
Zwar mag bei isolierter Betrachtung der Wortsinn des ersten Teils der Erklärung vom 13. Februar 2008 noch mit der Interpretation der Vorinstanz in Einklang zu bringen sein. Nach Ermittlung des Wortsinns sind aber in einem zweiten Auslegungsschritt die außerhalb des Erklärungsakts liegenden Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen (z.B.: BGH, Urteil vom 19. Januar 2000 – VIII ZR 275/98, NJW-RR 2000, 1002, 1003). Diesem Auslegungsgrundsatz wird die Interpretation der getroffenen Vereinbarung durch das Berufungsgericht nicht gerecht.

Die Erklärung ist auf dem Hintergrund der zuvor von der Beklagten abgegebenen, nicht strafbewehrten Verpflichtungserklärung vom 16. Januar 2008 zu sehen. Darin hatte sich die Beklagte mit dem vom Bevollmächtigten des Klägers vorbereiteten Text in Nummer 1 zur aktiven Beseitigung von dessen persönlichen Daten im Internet verpflichtet, die dort aufgrund des der Beklagten in der Vergangenheit unterlaufenen Fehlers bereits abrufbar waren. Nummer 2 enthielt in klarer Abgrenzung hierzu eine allein in die Zukunft gerichtete Unterlassungserklärung, von den Daten des Klägers Gebrauch zu machen. In die mit der Verpflichtung zur Zahlung der verlangten Vertragsstrafe verbundene Erklärung vom 13. Februar 2008 ist lediglich der Text der Nummer 2 der Erklärung vom 16. Januar 2008 aufgenommen worden, die, wie sich aus dem Gegensatz zu deren Nummer 1 ergibt, gerade keine Beseitigungspflicht enthielt. Dafür dass die Parteien die mit der Erklärung vom 13. Februar 2008 eingegangene Verpflichtung der Beklagten – ihren ursprünglichen Sinn erweiternd – dahin verstehen wollten, dass diese nunmehr auch eine Entfernungspflicht entsprechend der Nummer 1 der Erklärung vom 16. Januar 2008 umfassen sollte, obgleich diese gerade nicht in den Text aufgenommen wurde, gibt es nicht nur keinen Anhaltspunkt. Vielmehr ergibt sich aus den weiteren Umständen das Gegenteil. Die Parteien gingen übereinstimmend davon aus, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Abgabe der zweiten Erklärung am 13. Februar 2008 ihre mit der Erklärung vom 16. Januar 2008 eingegangene Verpflichtung zur Beseitigung der Daten des Klägers aus dem Internet vollständig erfüllt hatte. Mit Recht macht die Revision geltend, bei dieser Ausgangslage sei es auszuschließen, dass die Parteien den Willen hatten, die ihrer Vorstellung nach bereits erfüllte Pflicht erneut zu begründen.

Hieran ändert entgegen der vom Revisionsbeklagten in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung auch nichts, dass die Parteien von einem falschen Sachverhalt ausgingen und die Beklagte diese Fehlvorstellung hervorgerufen hat. Dabei handelt es sich um einen Motivirrtum der Parteien. Dieser hätte allenfalls zu einem – vom Kläger nicht geltend gemachten – Anspruch auf Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1, 2 BGB, einem Rücktrittsrecht nach § 313 Abs. 2, 3 BGB, oder – wofür hier allerdings kein Anhaltspunkt besteht – im Falle einer arglistigen Täuschung zu einer Anfechtung gemäß § 123 Abs. 1 BGB berechtigen können, nicht aber zur Begründung der zusätzlichen Beseitigungspflicht. Auch die Statuierung einer solchen Verpflichtung mit Vertragsstrafenbewehrung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (siehe hierzu Senatsurteil vom 24. Januar 2008 – III ZR 79/07, WM 2008, 1886, Rn. 14 f) scheidet aus. Dass sich eine redliche und verständige Partei in der Lage der Beklagten bei Kenntnis der Umstände nach dem Vertragszweck und bei sachgemäßer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben auf eine solche Regelung eingelassen hätte, nachdem sie bereits weitgehend erfolgreich tätig geworden war, kann nicht angenommen werden.

3.
Die vorstehenden Würdigungen kann der Senat selbst vornehmen, da das Berufungsgericht die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen bereits getroffen hat und eine weitere Sachaufklärung nicht mehr zu erwarten ist (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 12. Dezember 1997 – V ZR 250/96, NJW 1998, 1219).

Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 13.05.2009, Az. 28 O 348/08
OLG Köln, Entscheidung vom 15.12.2009, Az. 15 U 90/09

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