BGH: Erlaubnis für Versand von Arzneimitteln gilt auch für selbst hergestellte Medikamente des Apothekers

veröffentlicht am 26. September 2011

Rechtsanwalt Dr. Ole DammBGH, Urteil vom 14.04.2011, Az. I ZR 129/09
§ 4 Nr. 11 UWG; 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG, § 43 Abs. 1 S. 1 AMG

Der BGH hat entschieden, dass die Erlaubnis für den Versand apothekenpflichtiger Arzneimittel sich auch auf vom Apother selbst hergestellte Mittel, so genannte Defekturen (= im Voraus hergestellte Arzneimittel) erstreckt. Dies sei von der Regelung „im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs“ erfasst. Im Übrigen sehe die gesetzliche Regelung für den Versandhandel mit Defekturarzneimitteln keine Beschränkung auf einen bestimmten räumlichen (Einzugs-)Bereich vor. Zum Volltext der Entscheidung:

Bundesgerichtshof

Urteil

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 14. April 2011 durch … für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 2. Juli 2009 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Klägerin, ein pharmazeutisches Unternehmen, produziert und vertreibt unter anderem die gemäß § 21 Abs. 1 AMG zugelassene „Injektionslösung Fluorescein Alcon® 10%“ mit dem Wirkstoff Fluorescein. Mit ihrer Hilfe kann der Augenarzt Störungen der Hämodynamik, Verletzungen des Kapillarbettes sowie vaskulär bedingte Netzhautschädigungen erkennen.

Der Beklagte betreibt eine Apotheke in Kiel und ist Inhaber einer Erlaubnis zum Versand von apothekenpflichtigen Arzneimitteln gemäß § 11a ApoG. Er stellt ebenfalls eine 10-prozentige Fluorescein-Injektionslösung her, die er in Einmalglasspritzen abfüllt und deutschlandweit versendet.

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte, der für diese Lösung über keine Zulassung gemäß § 21 Abs. 1 AMG verfügt, aufgrund der Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG in Verbindung mit der ihm erteilten Erlaubnis gemäß § 11a ApoG berechtigt ist, die von ihm hergestellten Einmalglasspritzen auch im Versandwege zu vertreiben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen (LG München I, APR 2008, 155), mit der die Klägerin beantragt hatte,
den Beklagten unter Androhung bestimmter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr auf Basis des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG – also ohne arzneimittelrechtliche Zulassung – hergestellte Fluorescein-10%-Einmalglasspritzen außerhalb der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis im Versandhandel zu vertreiben,
hilfsweise: einen solchen Vertrieb im Versandhandel an Ärzte zu unterlassen.

Die Berufung der Klägerin, mit der sie neben den in erster Instanz gestellten Anträgen als weiteren Hilfsantrag Unterlassung begehrt hat
mit der Maßgabe, dass der Vertrieb außerhalb des Versorgungsbereichs der Stadt Kiel, und höchst hilfsweise mit der Maßgabe, dass ein solcher Vertrieb außerhalb der Stadt Kiel zu unterbleiben hat,
weiterverfolgt hat, ist ohne Erfolg geblieben (OLG München, Urteil vom 2. Juli 2009 – 6 U 2328/08, juris).

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihre Unterlassungsanträge weiter.

Entscheidungsgründe

I.
Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin im zweiten Rechtszug weiter hilfsweise gestellten Unterlassungsanträge als nicht hinreichend bestimmt und die Klage daher insoweit als unzulässig, im Übrigen aber als unbegründet angesehen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Klagehauptantrag könne bereits deshalb nicht in vollem Umfang Erfolg haben, weil es für einen Versand der in Rede stehenden Einmalglasspritzen an andere Abnehmer als an Ärzte an einer Begehungsgefahr fehle. Dem mit dem Klagehilfsantrag begehrten Verbot des Vertriebs im Versandhandel an Ärzte könne nicht entsprochen werden, weil der Versand von Fluorescein-10%-Einmalglasspritzen durch den Beklagten nicht gegen § 21 AMG verstoße. Die defekturmäßige Herstellung eines Arzneimittels zum Zwecke des Versands sei von der Ausnahmeregelung in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG auch dann gedeckt, wenn der Apotheker – wie hier der Beklagte – über eine Erlaubnis nach § 11a ApoG verfüge. Die Formulierung „Herstellung im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs“ in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG bringe nicht zum Ausdruck, dass die Ausnahme vom Grundsatz der Zulassungspflicht von Arzneimitteln nur für verlängerte Rezepturen gelte, die im regional begrenzten üblichen Versorgungs- und Einzugsbereich der Apotheke vertrieben würden. Eine solche Auslegung sei weder mit dem Wortlaut des Gesetzes noch mit seiner Systematik noch auch mit dem Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG vereinbar. Die von der Klägerin im zweiten Rechtszug weiter hilfsweise gestellten Anträge seien mangels Bestimmtheit unzulässig, die von ihr dort höchst hilfsweise gestellten Anträge bereits in den im ersten Rechtszug gestellten Anträgen enthalten gewesen.

II.
Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin im ersten Rechtszug gestellten Anträge und die im zweiten Rechtszug höchst hilfsweise gestellten Anträge mit Recht als unbegründet und die dort weiter hilfsweise gestellten Anträge zutreffend als nicht hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und daher unzulässig angesehen.

1.
Der von der Klägerin gestellte Klagehauptantrag ist unbegründet, weil er von einer der Rechtslage nicht entsprechenden räumlichen Beschränkung der Möglichkeit ausgeht, Defekturarzneimittel im Wege des Versandhandels zu vertreiben.

a)
Das Berufungsgericht ist bei seiner Beurteilung mit Recht davon ausgegangen, dass die in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG gebrauchte Wendung „üblicher Apothekenbetrieb“ ungeachtet dessen, dass Arzneimittel und daher auch Defekturarzneimittel jahrzehntelang regelmäßig in der Apotheke selbst abgegeben wurden, keine „empirisch-traditionelle Komponente“ enthält.

aa)
Das Oberlandesgericht Hamburg, das insoweit anderer Ansicht ist, stützt sich dabei insbesondere auf den Wortlaut der genannten Vorschrift. Eine Sichtweise, wonach zwar von der „Herstellung“ im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs auszugehen sei, die Frage des räumlichen Versorgungsbereichs aber nicht die Herstellung, sondern den Vertrieb betreffe, lasse den funktionalen Zusammenhang zwischen der Herstellung und dem mit ihr allein bezweckten und deshalb von ihr nicht zu trennenden Vertrieb außer Acht. Die Neufassung der Vorschrift durch das Vierzehnte Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, wonach das Arzneimittel nicht mehr zur Abgabe „in dieser Apotheke“, sondern „im Rahmen der Apothekenbetriebserlaubnis“ bestimmt sein müsse, habe allein der geänderten Gesetzeslage Rechnung tragen sollen; da nunmehr mit einer einzigen Apothekenbetriebserlaubnis bis zu vier Apotheken betrieben werden dürften, solle die Abgabe der in der Hauptapotheke hergestellten Defekturarzneimittel auch in den Filialapotheken aber eben nur dort erlaubt werden (OLG Hamburg, PharmR 2008, 448, 453; APR 2009, 132, 135).

bb)
Dem kann nicht zugestimmt werden (ebenso Guttmann in Prütting, Fachanwaltskommentar Medizinrecht, § 21 AMG Rn. 15 f.; Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 170 f.; Beyerlein, APR 2008, 141, 143 f.; Kieser, PharmR 2008, 413, 415).

(1)
Die frühere regionale Beschränkung der Betätigung von Apothekern hatte ihren Grund allein darin, dass der übliche Apothekenbetrieb vor der in den Jahren 2002 bis 2005 erfolgten Änderung der § 2 Abs. 4, §§ 11a, 12a, 14 ApoG, § 43 AMG allein in diesem Bereich zulässig war (vgl. Kieser, PharmR 2008, 413, 414 f.). Die Verwendung des unscharfen Begriffs des üblichen Apothekenbetriebs macht deutlich, dass es dem Gesetzgeber gerade nicht um eine statische Regelung ging; denn in diesem Fall hättees nahegelegen, die bereits feststehenden Voraussetzungen für das Inverkehrbringen zu benennen (vgl. Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 170). Es kann auch nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber mit der Zulassung der Defektur in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG eine Regelung schaffen wollte, die sich mit jeder Änderung des „üblichen“ Arzneimittelrechts oder Apothekenrechts zunehmend zu einem Fremdkörper zu entwickeln drohte (Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 170).

(2)
Mit Recht weist das Berufungsgericht darauf hin, dass Apothekenfilialen nicht notwendig im räumlichen Umfeld ihrer Hauptapotheke gelegen sein müssen und die am 6. September 2005 in Kraft getretene Änderung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG daher auch zur Folge hatte, dass Defekturarzneimittel an solche Filialen gegebenenfalls im Wege des Versands übermittelt werden müssen. Ebenfalls zutreffend ist die Erwägung, für den Gesetzgeber hätte es, wenn ein überregionaler Versand von Defekturarzneimitteln tatsächlich seinen Intentionen widersprochen hätte, zudem nähergelegen, bei der Änderung dieser Vorschrift nicht auf die bestehende Apothekenerlaubnis, sondern auf die Erlaubnis nach § 2 ApoG Bezug zu nehmen.

(3)
Bei der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht bleibt nicht unberücksichtigt, dass das Merkmal „im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs“ in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG sprachlich mit dem Merkmal der Herstellung verknüpft ist. Maßgeblich ist daher, welche Herstellungstätigkeit das Gesetz als üblich ansieht, wobei sich dies ebenfalls nach den in der Apothekenbetriebsordnung genannten Tätigkeiten bestimmt (Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 170). In der bis zum 5. September 2005 gültigen Fassung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG war die Abgabe von Defekturarzneimitteln zudem auf „in dieser Apotheke“ hergestellte Arzneimittel beschränkt. Hierdurch sollte verhindert werden, dass Defekturarzneimittel statt an Patienten an Apotheken abgegeben wurden. Diese Einschränkung wäre nicht erforderlich gewesen, wenn sie sich bereits aus dem dort auch genannten Merkmal „üblicher Apothekenbetrieb“ ergeben hätte (Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 170).

(4)
Im Übrigen ergeben sich weder aus dem Arzneimittelgesetz noch aus dem Apothekengesetz oder der Apothekenbetriebsordnung Anhaltspunkte dafür, nach welchen Gesichtspunkten der regional begrenzte übliche Versorgungs- und Einzugsbereich einer Apotheke zu bestimmen sein könnte. Der Gesetzgeber hat jedoch in denjenigen Fällen, in denen er eine räumliche Beschränkung des Wirkungskreises von Apothekern etwa in § 12a ApoG für die Heimversorgung und in § 14a ApoG a.F. für krankenhausversorgende Apotheken – für notwendig erachtet hat, in dieser Hinsicht ausdrückliche und hinreichend klar formulierte Regelungen getroffen (Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 170 f.). Gebietskörperschaftliche Grenzziehungen, wie sie im Apothekengesetz in den beiden genannten Fällen enthalten sind oder waren, sind zudem für die Bestimmung der Grenzen des üblichen Apothekenbetriebs ungeeignet. Unter Berücksichtigung dessen, dass die den Apotheken gemäß § 1 ApoG obliegende Versorgung der Bevölkerung nicht an den Grenzen von Gebietskörperschaften endet, lässt sich der räumliche Versorgungsbereich einer Apotheke allein mittelbar anhand der Kunden bestimmen, die sie aufsuchen oder von ihr beliefert werden. Insoweit können aber im Hinblick auf eine Vielzahl von Gründen – wie etwa die Größe und die Verkehrsanbindung der Apotheke, das Ansehen ihres Inhabers, die Konkurrenzlage, das Bestehen oder Fehlen von Heimversorgungsverträgen, Krankenhausversorgungsverträgen oder Kooperationen mit Krankenkassen und anderen Gesundheitsdienstleistern, die (Nicht-)Vornahme von Werbemaßnahmen sowie das Vorhandensein oder Fehlen von Arztpraxen im Umfeld und deren jeweiliges Renommee – sehr große Unterschiede bestehen (Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 171; Kieser, PharmR 2008, 413, 416). Dementsprechend hätte die Zulassung eines regional beschränkten Versands von Defekturarzneimitteln eine ganz erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge (vgl. Kieser, PharmR 2008, 413, 416; Beyerlein, APR 2008, 141, 143).

b)
Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass sich eine statische Betrachtungsweise auch nicht mit dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung rechtfertigen lässt (vgl. Guttmann in Prütting aaO § 21 AMG Rn. 16; Cyran/Rotta, Apothekenbetriebsordnung, Stand April 2010, § 17 Rn. 364; Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 171 bis 174; Beyerlein, APR 2008, 141, 143; Kieser, PharmR 2008, 413, 416 f.; aA OLG Hamburg, PharmR 2008, 448, 453; APR 2009, 132, 135).

aa)
In der Rechtsprechung wird allerdings teilweise die Ansicht vertreten, dass der Vertrieb von Arzneimitteln, deren Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nicht in dem strengen Zulassungsverfahren gemäß §§ 21 ff. AMG nachgewiesen worden ist, potentiell risikobehaftet und die Ausnahmeregelung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG deshalb restriktiv auszulegen sei, um das Risiko einer breiten Streuung potentiell risikobelasteter Defekturarzneimittel über-schaubar und einschätzbar zu halten. Dementsprechend habe der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung „Atemtest“ (Urteil vom 23. Juni 2005 – I ZR 194/02, BGHZ 163, 265, 272) angenommen, dass der Gesetzgeber die Ausnahme des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG ersichtlich auf die traditionell verlängerte Rezeptur habe beschränken und die industrielle Fertigung habe ausschließen wollen (OLG Hamburg, PharmR 2008, 448, 453; APR 2009, 132, 135).

bb)
Dabei wird nicht genügend berücksichtigt, dass der Gesetzgeber die Sicherheit von Arzneimitteln, die gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG hergestellt worden sind, dadurch als gewährleistet ansieht, dass diese Mittel vor ihrem Inverkehrbringen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Vertretbarkeit vom Arzt und hinsichtlich ihrer Qualität vom für die Herstellung verantwortlichen Apotheker und damit in zweifacher Hinsicht von einer kompetenten und unabhängigen Stelle geprüft werden müssen (vgl. Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 171 f.; Kieser, PharmR 2008, 413 f.). Die Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel gilt gemäß ihrem Artikel 3 Nr. 1 und 2 weder für in einer Apotheke nach ärztlicher Verschreibung für einen bestimmten Patienten zubereitete Arzneimittel (sogenannte formula magistralis) noch für Arzneimittel, die in der Apotheke nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitet worden und für die unmittelbare Abgabe an Patienten bestimmt sind, die Kunden dieser Apotheke sind (sogenannte formula officinalis). Damit sieht auch der Unionsgesetzgeber die Herstellung von Arzneimitteln in Apotheken als gleichwertig mit der industriellen Fertigung von Arzneimitteln an, für die ein Zulassungsverfahren notwendig ist (Kieser, PharmR 2008, 413, 414; Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 176).

cc)
Eine räumliche Begrenzung des Versands von Defekturarzneimitteln ist zudem ebenso wenig wie bei Rezepturarzneimitteln (vgl. dazu Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 172) zur Qualitätssicherung erforderlich. Das Gesetz sieht es als selbstverständlich an, dass die Qualität eines Arzneimittels durch seine Versendung keine Einbuße erleiden darf, und ordnet, um dies sicherzustellen, an, dass allein diejenigen Apotheken Arzneimittel versenden dürfen, die das in § 11a Satz 1 Nr. 2 ApoG und § 17 Abs. 2 ApBetrO vorgesehene Qualitätssicherungssystem vorhalten (Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 172 f.; vgl. auch Guttmann in Prütting aaO § 21 AMG Rn. 16).

dd)
Die gegenteilige Auffassung führte überdies zu dem nicht zu rechtfertigenden Ergebnis, dass auswärtige Patienten vor den vermeintlichen spezifischen Gefahren von Defekturarzneimitteln besser geschützt wären als ortsansässige (vgl. Kieser, PharmR 2008, 413, 416; Cyran/Rotta aaO § 17 Rn. 364). Der Versand von Defekturarzneimitteln wäre danach strenger reglementiert als der Versand von Rezepturarzneimitteln, obwohl die Wirkstoffe bei der Verarbeitung größerer Mengen besser durchmischt werden können und die defekturmäßige Herstellung die Risiken der Rezepturherstellung daher vielfach vermindert (vgl. Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 176 f. mit Hinweis auf Nr. 21 der Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf des Arzneimittelgesetzes 1976, BT-Drucks. 7/3060, S. 73; Kieser, PharmR 2008, 413, 417).

ee)
Dem Bedürfnis, einer unkontrollierten Verbreitung behördlich nicht geprüfter Fertigarzneimittel entgegenzuwirken, trägt die in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG getroffene Regelung insbesondere dadurch Rechnung, dass die Befreiung von der Zulassungspflicht allein für Arzneimittel gilt, die zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt sind. Die Betriebserlaubnis für eine Apotheke lässt die Abgabe eines Arzneimittels regelmäßig lediglich an die Endverbraucher zu, die es bei ihr nachfragen; nur wenn eine Gesamtbetriebserlaubnis besteht, ist die Abgabe auch an Kunden der anderen Apotheken zulässig, die von dieser Erlaubnis umfasst sind. Damit wird bereits auf diesem Weg das Ziel erreicht, eine unüberschaubare und deshalb unerwünschte Streuung von zulassungsfrei in Verkehr gebrachten Defekturarzneimitteln zu verhindern (Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 173). Eine zusätzliche räumliche Komponente wäre zwar zur noch besseren Erreichung dieses Ziels denkbar; sie ist aber vom Gesetzgeber spätestens mit der Streichung des Erfordernisses „zur Abgabe in dieser Apotheke bestimmt“ durch das Vierzehnte Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes aufgegeben worden (Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 173).

ff)
Der Gefahr einer Aushöhlung der Zulassungspflicht gemäß § 21 Abs. 1 AMG durch Defekturarzneimittel, die ebenfalls als Argument dafür angeführt wird, dass Defekturarzneimittel auch im Falle einer Versandhandelserlaubnis nur im regional begrenzten Versorgungsbereich der Apotheke versendet werden dürfen, wird – wie das Berufungsgericht zutreffend festgestellt hat – zum einen durch die in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG bestimmte Mengenbeschränkung entgegengewirkt (vgl. Beyerlein, APR 2008, 141, 144; Kieser, PharmR 2008, 413, 416; Guttmann in Prütting aaO § 21 AMG Rn. 16; Cyran/Rotta aaO § 17 Rn. 364). Zum anderen ist in diesem Zusammenhang insbesondere das mit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes im Jahr 1990 gerade zu diesem Zweck in § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG zusätzlich aufgenommene Erfordernis zu berücksichtigen, dass bei einer Defektur die wesentlichen Herstellungsschritte in der Apotheke vorgenommen werden müssen (vgl. dazu BGHZ 163, 265, 272 – Atemtest; BGH, Urteil vom 9. September 2010 – I ZR 107/09, GRUR 2011, 453 Rn. 17 ff. = WRP 2011, 446 – Handlanger, jeweils mwN). Da die Frage, ob eine dem Gesetz widersprechende Umgehung der Zulassungspflicht vorliegt, zudem nur im jeweiligen Einzelfall beurteilt werden kann, lässt sich eine generelle räumliche Begrenzung des üblichen Apothekenbetriebs bei der Abgabe von Defekturarzneimitteln im Sinne des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG auch nicht mit dem Sinn und Zweck der dort getroffenen Regelung begründen (Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 174).

c)
Der vom Berufungsgericht vorgenommenen Gesetzesauslegung stehen auch keine gesetzessystematischen oder teleologischen Gründe entgegen (vgl. Guttmann in Prütting aaO § 21 AMG Rn. 15; Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 174 bis 176; Kieser, PharmR 2008, 413, 415 bis 417; aA OLG Hamburg, PharmR 2008, 448, 453; APR 2009, 132, 135 f.).

aa)
In der Rechtsprechung wird allerdings die Ansicht vertreten, der Gesetzgeber habe dadurch, dass er das Erfordernis der Herstellung „im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs“ bei der Zulassung des Versands von Arzneimitteln weder abgeschafft noch neu gefasst habe, zum Ausdruck gebracht, dass für die Frage der Zulassungsfreiheit der verlängerten Rezeptur am Kriterium des räumlichen Versorgungs- und Einzugsbereichs festgehalten werde. Wenn die Zulässigkeit des (bundesweiten) Versandhandels die Zulassungsfreiheit von zur bundesweiten Abgabe hergestellten verlängerten Rezepturen zur Folge hätte, käme dem Tatbestandsmerkmal des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG „im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs“ keine eigenständige Bedeutung mehr zu. Der Gesetzgeber unterscheide bei den Anforderungen für einen zulässigen Versand von apothekenpflichtigen Arzneimitteln in § 11a Satz 1 Nr. 1 ApoG zudem zwischen dem „Versand“ und dem „üblichen Apothekenbetrieb“. Er rechne den Versand daher offenbar nicht dem üblichen Apothekenbetrieb zu (OLG Hamburg, PharmR 2008, 448, 453; APR 2009, 132, 135 f.).

bb)
Bei diesen Überlegungen bleibt insbesondere unberücksichtigt, dass das Tatbestandsmerkmal „im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs“ bei § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG nicht grundlegend anders ausgelegt werden kann als in den § 13 Abs. 2 Nr. 1, § 52a Abs. 7, § 73 Abs. 3 Nr. 2 AMG, § 11 Abs. 2 ApoG, § 8, 9 ApBetrO; dort aber knüpft das Gesetz jeweils nicht an einen räumlichen Versorgungsbereich an.

(1)
Nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 AMG benötigt der Inhaber einer Apotheke unter anderem für die Herstellung von Arzneimitteln im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs keine Herstellungserlaubnis. Der Begriff des üblichen Apothekenbetriebs ist dabei auf die einer Apotheke nach den arzneimittelrechtlichen und apothekenrechtlichen Bestimmungen zugewiesenen Aufgaben bezogen. Er umfasst deshalb seit dem Jahr 2004 beim Vorliegen einer Versandhandelserlaubnis auch den Arzneimittelversand (OVG Lüneburg, GesR 2006, 461, 463; VG Regensburg, ApoR 2004, 140, 143 f.; Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 174; Kieser, PharmR 2008, 413, 417). Da aber die Regelung in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AMG nicht zuletzt deshalb praktische Bedeutung hat, weil der Apotheker die danach ohne Zulassung zu vertreibenden Defekturarzneimittel, die er nicht von anderen Apotheken beziehen kann (vgl. Anhalt/Lützeler in Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 8 Rn. 46), gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 AMG im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs auch ohne gesonderte Herstellungserlaubnis herstellen darf, kann schwerlich angenommen werden, dass der Begriff des üblichen Apothekenbetriebs in den beiden Vorschriften unterschiedlich auszulegen ist (vgl. Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 174).

(2)
Dasselbe gilt auch im Blick auf § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG einerseits und § 73 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 AMG, wonach bestimmte aus dem Ausland eingeführte Arzneimittel unter engen Voraussetzungen ohne Zulassung im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis abgegeben werden dürfen, andererseits. Da die Einzelheiten eines solchen Vertriebs gemäß § 73 Abs. 3 Satz 3 AMG in der Apothekenbetriebsordnung geregelt sind und deren § 17 Abs. 2a auch den Versand vorsieht, ist davon auszugehen, dass Arzneimittel im Sinne des § 73 Abs. 3 AMG auch im Wege des Versandhandels abgegeben werden können (insoweit zweifelnd Sandrock/Nawroth in Dieners/Reese aaO § 9 Rn. 200) und für § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AMG nichts Abweichendes gilt (Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 174).

(3)
Nach § 52a Abs. 7 AMG benötigt die Apotheke keine Großhandelserlaubnis für Tätigkeiten, die sich im Rahmen des „üblichen Apothekenbetriebs“ halten. Diese Regelung knüpft ebenfalls an die einem Apotheker erlaubten Tätigkeiten und nicht an einen räumlichen Versorgungsbereich an. Denn nach der Begründung des Regierungsentwurfs des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (BT-Drucks. 15/2109, S. 34) zählen zu den danach zulässigen Großhandelstätigkeiten alle Tätigkeiten, die nach dem Arzneimittel-gesetz, dem Apothekengesetz, dem Sozialgesetzbuch V und der Apothekenbetriebsordnung erlaubt sind (vgl. Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 174; Kieser, PharmR 2008, 413, 417).

cc)
Die in § 11a Satz 1 Nr. 1 ApoG enthaltene Formulierung, der Versand von apothekenpflichtigen Arzneimitteln aus einer öffentlichen Apotheke erfolge zusätzlich zu dem üblichen Apothekenbetrieb, lässt gleichfalls nicht darauf schließen, dass der Versand von Arzneimitteln nicht zum üblichen Apothekenbetrieb gehört (aA OLG Hamburg, PharmR 2008, 448, 453 f.; APR 2009, 132, 136). Die genannte Bestimmung regelt allein die Voraussetzungen für eine Versandhandelserlaubnis sowie die Organisation des Versandhandels (Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 175). Sie bestimmt dabei zum einen, dass der Versand von Arzneimitteln allein von solchen (inländischen) Apothekern durchgeführt werden darf, die auch eine Präsenzapotheke betreiben, so dass reine Versandapotheken, die sich beispielsweise nicht am Nacht- und Notdienst gemäß § 23 ApBetrO beteiligen, in Deutschland nicht zulässig sind. Zum anderen stellt die Vorschrift klar, dass nicht von jeder öffentlichen Apotheke aus Arzneimittel versendet werden dürfen, sondern hierfür eine besondere Er-laubnis erforderlich ist. Wenn aber eine solche Erlaubnis erteilt worden ist, ist der Versand – nicht anders als bei einer Heimversorgung nach § 12a ApoG oder bei einer Krankenhausversorgung nach § 14 ApoG beim Vorliegen entsprechender genehmigter Verträge (vgl. Kloesel/Cyran aaO § 21 AMG Anm. 36) Teil des üblichen Apothekenbetriebs dieser Apotheke (Kieser, PharmR 2008, 413, 415). Dafür spricht auch der Umstand, dass gemäß § 11a Satz 1 Nr. 3 Buchst. b ApoG sicherzustellen ist, dass alle bestellten Arzneimittel geliefert werden, soweit sie im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes in Verkehr gebracht werden dürfen und verfügbar sind; denn diese Voraussetzung trifft auch auf die in der betreffenden Versandapotheke angefertigten Defekturarzneimittel im Sinne von § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG zu (Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 168, 175 f.).

2.
Aus den dargelegten Gründen folgt zugleich, dass der von der Klägerin in erster Instanz hilfsweise gestellte Klageantrag unbegründet ist. Dasselbe gilt für die von der Klägerin in zweiter Instanz höchst hilfsweise gestellten Klageanträge.

3.
Der „Versorgungsbereich der Stadt Kiel“, auf den die Klägerin in ihren im zweiten Rechtszug weiter hilfsweise gestellten Klageanträgen abgestellt hat, ist – anders als das in den von der Klägerin im zweiten Rechtszug höchst hilfsweise gestellten Klageanträgen angesprochene „Gebiet der Stadt Kiel“ – weder bestimmt noch bestimmbar. Eine Bestimmbarkeit ergibt sich für ihn – anders als etwa für den „Nahbereich“ im Sinne des § 34 Abs. 2 Satz 2 StBerG (vgl. dazu BGH, Urteil vom 9. November 2000 – I ZR 185/98, GRUR 2001, 348, 349 = WRP 2001, 397 – Beratungsstelle im Nahbereich; Urteil vom 14. Oktober 2010 – I ZR 95/09, GRUR 2011, 537 Rn. 13 f. = WRP 2011, 569 – Anwerbung selbständiger Buchhalter) – insbesondere auch nicht aus der einschlägigen gesetzlichen Regelung. Diese sieht für den Versandhandel mit Defekturarzneimitteln gemäß den oben zu Randnummer 16 gemachten Ausführungen gerade keine Beschränkung auf einen bestimmten räumlichen Bereich innerhalb Deutschlands vor.

III.
Nach allem ist die Revision der Klägerin unbegründet und daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 31.01.2008, Az. 7 O 11242/07
OLG München, Entscheidung vom 02.07.2009, Az. 6 U 2328/08

I