BGH: Lebensmittelrechtliche Bezeichnungen gelten nur eingeschränkt bezüglich der Verpackungsverordnung – Zur Pfandpflicht bei Fruchtsäften

veröffentlicht am 27. Januar 2014

BGH, Beschluss vom 17.07.2013, Az. I ZR 211/12
§ 9 Abs. 2 Nr. 3 VerpackV

Der BGH hat entschieden, dass ein Fruchtsaftgetränk, welches wegen des Zusatzes von künstlichem Aroma nicht als „Fruchtsaft“ oder „Fruchtnektar“ bezeichnet werden darf, abfallrechtlich hinsichtlich der Pfandpflicht trotzdem wie letztere zu behandeln ist und daher pfandfrei bleibt. Dies ergebe sich aus der Auslegung der Vorschriften der Verpackungsverordnung. Eine Andersbehandlung von Fruchtsaftgetränken liefe dem Zweck des Gesetzes zuwider. Zum Volltext der Entscheidung:


Bundesgerichtshof

Beschluss

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juli 2013 durch … beschlossen:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 19. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.

Der Streitwert wird auf 100.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien vertreiben alkoholfreie, an Kinder gerichtete Getränke in bunt aufgemachten, an Sekt erinnernde Glasflaschen.

Während das Produkt der Klägerin kohlensäurehaltigen Fruchtnektar enthält und lebensmittelrechtlich auch als „Fruchtnektar“ bezeichnet werden darf, handelt es sich bei dem Produkt der Beklagten um ein perlendes Apfel-Pfirsich-Furchtsaftgetränk aus Fruchtsaftkonzentrat, dem natürliches Aroma zugesetzt wird. Wegen dieses Zusatzes darf es lebensmittelrechtlich nicht als „Fruchtsaft“ bezeichnet werden, obwohl es zu 99% aus Fruchtsaftkonzentrat besteht. Die Beklagte bezeichnet ihr Getränk deshalb als „Fruchtsaftgetränk“.

Die Klägerin beanstandet es als Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 VerpackV, dass die Beklagte auf ihr Getränk kein Pfand erhebt und es auch nicht als pfandpflichtig kennzeichnet. Sie hat die Beklagte auf Unterlassung, Auskunft, Versicherung an Eides Statt und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin. Mit der angestrebten Revision will sie ihre Klageanträge weiter verfolgen.

Das Berufungsgericht hat angenommen, dass das streitgegenständliche Getränk kein pfandpflichtiges Erfrischungsgetränk im Sinne des § 9 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 VerpackV sei, sondern unter die Ausnahme des § 9 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 VerpackV falle. Es sei nicht die lebensmittelrechtliche Begrifflichkeit maßgebend, sondern es müsse eine abfallwirtschaftliche Interpretation vorgenommen werden. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Beschwerde und macht den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung geltend.

II.
Die Beschwerde bleibt erfolglos. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts auch im Übrigen nicht (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

1.
Die Beschwerde macht ohne Erfolg geltend, der Rechtsstreit werfe die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf, ob ein Getränk, das lebensmittelrechtlich nicht als Fruchtsaft oder als Fruchtnektar, sondern aufgrund weiterer Zusätze nur als Fruchtsaftgetränk bezeichnet werden darf, aus diesem Grund auch kein pfandfreier Fruchtsaft im Sinne des § 9 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 VerpackV, sondern ein pfandpflichtiges Erfrischungsgetränk im Sinne des § 9 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 VerpackV ist.

Dem kann nicht gefolgt werden. Es fehlt an der Klärungsbedürftigkeit.

Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage ist nicht Gegenstand eines Meinungsstreits. Eine Klärungsbedürftigkeit liegt entgegen der Ansicht der Beschwerde auch nicht deswegen vor, weil die Beantwortung der Frage sonst zweifelhaft ist. Vielmehr ist das Berufungsgericht unter Anwendung der anerkannten Auslegungsregeln und seiner – von der Beschwerde nicht angegriffenen – tatrichterlichen Feststellungen zu den Gegebenheiten des Streitfalls zum richtigen Ergebnis gekommen.

a)
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 VerpackV sind Vertreiber von Getränken in Einweggetränkeverpackungen mit einem Füllvolumen von 0,1 Liter bis 3 Liter verpflichtet, von ihrem Abnehmer ein Pfand in Höhe von mindestens 0,25 € einschließlich Umsatzsteuer je Verpackung zu erheben. Außerdem haben sie diese Getränke vor dem Inverkehrbringen deutlich lesbar und an gut sichtbarer Stelle als pfandpflichtig zu bezeichnen (§ 9 Abs. 1 Satz 4 VerpackV).

Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 finden diese Verpflichtungen Anwendung auf Einweggetränkeverpackungen, die Erfrischungsgetränke mit oder ohne Kohlensäure (insbesondere Limonaden einschließlich Cola-Getränke, Brausen, Bittergetränke und Eistee) enthalten. Keine Erfrischungsgetränke im Sinne von Satz 1 sind unter anderem Fruchtsäfte und Fruchtnektare.

Gemäß § 3 Abs. 1 Fruchtsaft- und Erfrischungsgetränkeverordnung (FrSaftErfrischGetrV) sind für die in der Anlage 1 zu dieser Verordnung aufgeführten Erzeugnisse die dort in Spalte 1 genannten Bezeichnungen Verkehrsbezeichnungen im Sinne der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 FrSaftErfrischGetrV sind die in Anlage 1 vorgeschriebenen Bezeichnungen den dort in Spalte 1 genannten Erzeugnissen vorbehalten. In der insoweit in Bezug genommenen Anlage 1 sind für „Fruchtsaft“ und „Fruchtnektar“ bestimmte „Herstellungsanforderungen“ bestimmt. Diese Anforderungen erfüllt das Produkt der Klägerin unstreitig nicht, weil ihm zu einem sehr geringen Teil natürliches Aroma zugesetzt ist. Es ist also lebensmittelkennzeichnungsrechtlich weder ein „Fruchtsaft“ noch ein „Fruchtnektar“.

b)
Von diesen rechtlichen Grundlagen ist zutreffend auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat angenommen, dass für die Auslegung der Pfandpflicht gemäß § 9 Abs. 1, Abs. 2 VerpackV nicht die lebensmittelrechtliche Begrifflichkeit aus der FrSaftErfrischGetrV maßgebend ist, sondern diese Norm abfallwirtschaftlich interpretiert werden muss. Es ist dabei von der Begründung des historischen Gesetzgebers und dem sich daraus ergebenden Sinn und Zweck der Bestimmung ausgegangen und hat angenommen, dass einer autonom abfallwirtschaftlicher Interpretation von § 9 VerpackV weder der Gesetzeswortlaut noch die gesetzliche Systematik entgegenstehen. Damit hat es die anerkannten rechtlichen Auslegungsgrundsätze zutreffend angewendet. Zulassungsrelevante Zweifel an der Auslegung liegen – entgegen der Ansicht der Beschwerde – nicht vor.

aa)
Ohne Erfolg macht die Beschwerde geltend, die vom Berufungsgericht herangezogene Ansicht des Verordnungsgebers, wonach für die Auslegung zwar grundsätzlich auf das Lebensmittelrecht zurückgegriffen werden könne, aber die Begriffe nach Sinn und Zweck der abfallwirtschaftlichen Zielsetzung auszulegen seien, um abfallwirtschaftlich unerwünschte Ergebnisse zu vermeiden (vgl. die Gesetzesbegründung zur Dritten Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung vom 13. Januar 2005, BT-Drucks. 15/4642, Seite 11), habe in § 9 Abs. 2 Nr. 3 VerpackV keinen hinreichenden Niederschlag gefunden und könne deshalb nach den Grundsätzen der Senatsentscheidung „Alles kann besser werden“ (Beschluss vom 19. April 2012 – I ZB 80/11, GRUR 2012, 1026 Rn. 30) für die Auslegung nicht maßgeblich sein.

Anders als in der Senatsentscheidung „Alles kann besser werden“ geht es im Streitfall nicht um die Berücksichtigung von bloßen Motiven und Vorstellungen von am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Orangen oder einzelner ihrer Mitglieder. Das Berufungsgericht hat sich vielmehr auf den vom Verordnungsgeber in der Begründung der Verordnung ausdrücklich formulierten Sinn und Zweck der Dritten Verordnung zur Verpackungsverordnung gestützt. Es entspricht den anerkannten juristischen Auslegungsgrundsätzen, den Sinn und Zweck eines Gesetzes im materiellen Sinne im Wege der historischen und der vom Willen des Gesetzgebers ebenfalls beeinflussten teleologischen Auslegung zu berücksichtigen. Dies gilt umso mehr, wenn der ausdrücklich formulierte Wille des Verordnungsgebers – wie im Streitfall – auch mit der systematischen Auslegung im Einklang steht. Das Berufungsgericht hat insoweit zutreffend berücksichtigt, dass es bei der Verpackungsverordnung um Abfall- und Entsorgungsrecht geht, während die Begrifflichkeit „Fruchtsaft, Fruchtnektar“ aus dem Lebensmittelkennzeichnungsrecht stammt und vom Gesetzgeber auch nur insoweit als maßgebende Legaldefinition festgelegt wurde (vgl. § 3 Abs. 1 FrSaft-ErfrischGetrV: „… Verkehrsbezeichnungen im Sinne der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung“).

bb)
Die Beschwerde geht zudem unzutreffend davon aus, dass der Auslegung des Berufungsgerichts der Wortlaut von § 9 Abs. 2 Nr. 3 VerpackV entgegenstehe, wonach die Aufzählung der nicht pfandpflichtigen Erfrischungsgetränke abschließend sei. Der Pfandpflicht unterfallen gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 VerpackV „Erfrischungsgetränke“. Diese Getränkegattung ist nicht positiv abschließend definiert und lässt hinreichend Raum für die vom Berufungsgericht vorgenommene historische, teleologische und systematische Auslegung.

2.
Die Beschwerde meint, der Streitfall werfe die weitere grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage auf, ob die Ausnahme von der Pfanderhebungs- und Kennzeichnungspflicht für die in § 9 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 VerpackV angeführten Getränkearten mit der Richtlinie 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle vereinbar ist.

Auch damit kann sie die Zulassung der Revision nicht erreichen.

a)
Die Beschwerde legt keinen Meinungsstreit dar, sondern meint erneut, die Beantwortung der aufgeworfenen Frage sei „zweifelhaft“. Sie meint, es stelle sich die Frage, ob die vom deutschen Verordnungsgeber in § 9 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 VerpackV geregelte „Bereichsausnahme“, die mit einem unangemessenen Verhältnis zwischen ökologischem Nutzen und dem Aufwand der Einrichtung eines Rücknahme- und Pfandsystems für diese Getränkesegmente begründet sei, mit der Richtlinie 94/62/EG vom 20. Dezember 1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle vereinbar sei. Denn gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie müssten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zur Einrichtung von Systemen für die Rücknahme bzw. die Wiederverwendung oder Verwertung von Verpackungen und/oder Verpackungsabfällen ergreifen, um die Zielvorgaben der Richtlinie zu erfüllen. Nach den Erwägungsgründen solle die Richtlinie alle Verpackungsarten erfassen; es solle die größtmögliche Rückgabe von Verpackungen und Verpackungsabfall sichergestellt und ein hohes Wiederverwertungsniveau erreicht werden.

b)
Auch damit legt die Beschwerde keinen Zulassungsgrund dar. Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist die Vereinbarkeit der Regelung in § 9 Abs. 2 Nr. 3 VerpackV mit der Richtlinie vereinbar. Zweifel, die eine Vorlage an den Gerichtshof notwendig machen oder auch nur nahelegen würden, sind nicht ersichtlich. Vielmehr ergeben sich aus § 7 Abs. 2 der Richtlinie 94/62/EG ausdrücklich die vom deutschen Gesetzgeber der von der Beschwerde beanstandeten Ausnahmeregelung zugrunde gelegten Abwägungsüberlegungen im Hinblick auf den ökologischen Nutzen und den ökonomischen Aufwand. Danach sind die erforderlichen Maßnahmen nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 94/62/EG Teil einer für alle Verpackungen und Verpackungsabfällen geltenden Politik; sie berücksichtigen im Besonderen Anforderungen des Umwelt- und Verbraucherschutzes ebenso wie den Schutz kommerzieller Eigentumsrechte. Im Übrigen hat das auf der Abwägung von verschiedenen betroffenen grundrechtlich geschützten Belangen beruhende Verhältnismäßigkeitsprinzip Verfassungsrang.

3.
Ohne Erfolg macht die Beschwerde schließlich geltend, es stelle sich die grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage, ob die Bereichsausnahme in § 9 Abs. 2 Nr. 3 VerpackV gegen das grundrechtliche Gleichbehandlungsgebot im Sinne von Art. 3 GG verstoße.

Sie meint, die Befreiung bestimmter Getränkearten von der Pfandpflicht sei vor dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bedenklich, weil die Umweltbelastung, die von einer Einwegflasche ausgehe, nicht von dem abgefüllten Getränk abhänge. Der Gleichheitsgrundsatz gebiete deshalb, gleiche Verpackungsarten auch gleich zu behandeln. Dies gelte insbesondere dann, wenn zwei Produkte unmittelbar miteinander konkurrierten (Säfte und andere Erfrischungsgetränke). Damit hat die Beschwerde ebenfalls keinen Zulassungsgrund dargelegt.

a)
Die Berücksichtigung der Getränkeart durch den Verordnungsgeber beruht auf dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, mithin auf einem Prinzip von Verfassungsrang. Es liegt auf der Hand, dass sich aus der an die Getränkeart anknüpfenden Verhältnismäßigkeitsprüfung ein rechtfertigender Grund für die Ungleichbehandlung gleicher Verpackungsarten (hier: Einwegflasche) ergibt. Der Gesetzgeber hat die Pfandpflicht ausdrücklich auf die Getränke beschränken wollen, in denen eine Abwägung des ökologischen Nutzens des Pflichtpfands einerseits mit dem ökonomischen Aufwand eines Rücknahme- und Pfandsystems andererseits die Einrichtung eines solchen der Produktverantwortung dienenden Systems rechtfertigt. Als Grundlage dieser Abwägung hat er maßgeblich auf ein ausreichend großes Marktvolumen der Getränkeart abgestellt (vgl. BT-Drucks. 15/4642, Seite 13).

Die von der Beschwerde angeführte abweichende, vereinzelt gebliebene und nicht näher begründete Meinung von Fischer/Arndt (Verpackungsverordnung, 2. Aufl., § 8 Rn. 97) rechtfertigt keine Zulassung wegen Grundsatzbedeutung (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010 – II ZR 54/09, NJW-RR 2010, 1047 Rn. 3).

b)
Auch das Berufungsgericht ist bei der Entscheidung des Streitfalls gerade von dem Bestreben ausgegangen, Gleiches gleich zu behandeln, indem es festgestellt hat, dass es sowohl im Hinblick auf die Praktikabilität der Abgrenzung als auch mit Rücksicht auf das Verhältnis von ökologischem Nutzen und Aufwand eines eigenen Rücknahmesystems zweckdienlich und angezeigt sei, das Fruchtsaftgetränk der Beklagten in Bezug auf die Pfandpflicht seiner sektflaschenähnlichen Verpackung nicht anders zu behandeln sei als der Fruchtnektar der Klägerin oder vergleichbare unter die Ausnahmekategorie der Fruchtsäfte und -nektare fallenden Getränke. Ein eigenes Pfandsystem stehe angesichts des eher geringen Marktanteils der hier in Rede stehenden Produkte außer Verhältnis zum Umweltnutzen. Diese Feststellungen hat die Beschwerde nicht angegriffen.

4.
Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

III.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 22.02.2012, Az. 84 O 175/11
OLG Köln, Entscheidung vom 19.10.2012, Az. 6 U 103/12

I