BGH: Vor Erhebung der negativen Feststellungsklage muss regelmäßig keine (Gegen-) Abmahnung ausgesprochen werden

veröffentlicht am 1. Oktober 2010

BGH, Beschluss vom 06.10.2005, Az. I ZB 37/05
§§
91 Abs. 1; 97 Abs. 1 ZPO

Der BGH hat entschieden, dass ein abgemahnter Mitbewerber negative Feststellungsklage erheben darf, ohne den Abmahnenden zuvor auf dessen fehlende Abmahnungsberechtigung (etwa wegen fehlenden Wettbewerbsverstoßes) hingewiesen zu haben. Es bestehe, so der Senat, keine Obliegenheit des zu Unrecht Abgemahnten, eine Gegenabmahnung auszusprechen. Zum Volltext der Entscheidung:


Bundesgerichtshof

Urteil

In dem Rechtsstreit

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 06.10.2005 durch … beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 01.03.2005 aufgehoben.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Potsdam vom 16.08.2004 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und des Rechtsbeschwerdeverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf bis zu 300,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien sind Wettbewerber und streiten um die Kostenlast aus einer vor der Zustellung zurückgenommenen negativen Feststellungsklage.

Die Beklagte hatte im Rahmen einer wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung wegen eines unzureichenden Vorrats der beworbenen Ware von der Klägerin auch Auskunft über den aufgrund der Verwendung des beanstandeten Flugblatts erzielten Umsatz verlangt und für den Fall, dass die Klägerin dem nicht nachkommen sollte, Klageerhebung angedroht. Die Klägerin hat hierauf Klage eingereicht mit dem Antrag festzustellen, dass der Beklagten ein solcher Auskunftsanspruch nicht zusteht. Vor Zustellung der Klage hat die Beklagte auf die Auskunft verzichtet. Die Klägerin hat deshalb die Klage zurückgenommen und Kostenantrag gestellt.

Das Landgericht hat ausgesprochen, dass die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Die sofortige Beschwerde der Beklagten hat zur Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses geführt. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihren Kostenantrag weiter. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache hat sie ebenfalls Erfolg. Die Beklagte hat der Klägerin die durch die Klageerhebung entstandenen Kosten zu erstatten.

1.
Das Beschwerdegericht hat die Auffassung vertreten, die Klägerin könne die ihr in dem von ihr anhängig gemachten Rechtsstreit bis zur Klagerücknahme entstandenen Kosten nicht gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO erstattet verlangen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Bestimmung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO sei wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 GG unwirksam, weil sie dem Beklagten die Möglichkeit einer Einflussnahme versage, wie sie im entsprechend gelagerten Fall des § 91a ZPO bestehe. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG sei jedoch nicht veranlasst, weil § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auch dann, wenn er als verfassungsmäßig anzusehen wäre, die vom Landgericht getroffene Entscheidung nicht rechtfertigen könnte, weil es im Streitfall sowohl an einer Klagerücknahme als auch an einem Sach- und Streitstand fehle, an dem sich die Kostenentscheidung orientieren könne. Da es im Falle der „Klagerücknahme“ vor Klagezustellung nicht zu einem Rechtsstreit kommen könne, gehe auch die angeordnete Rechtsfolge ins Leere. Die Beklagte habe im Übrigen dadurch, dass sie zunächst einen zu weitgehenden Anspruch geltend gemacht habe, keinen Anlass für das von der Klägerin eingereichte Rechtsschutzgesuch gegeben.

2.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes entspricht es billigem Ermessen i.S. des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO, dass die Beklagte die der Klägerin bis zur Klagerücknahme entstandenen Kosten trägt.

a)
Wie der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs bereits zu der Fassung, die § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (vom 27. Juli 2001, BGBl. I, S. 1887, geänd. S. 3138) erhalten hatte, entschieden hat (Beschluss vom 18.11.2003, Az. VIII ZB 72/03, NJW 2004, 1530 f.) und mit der Anfügung eines entsprechenden Halbsatzes 2 durch das Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz (vom 24. August 2004, BGBl. I, S. 2198) klargestellt wurde, bestimmt sich die Kostentragungspflicht nach billigem Ermessen, wenn die Klage vor ihrer Zustellung zurückgenommen worden ist. Unter denKosten des „Rechtsstreits“ sind in diesem Fall diejenigen Kosten zu verstehen, die im Falle der Rücknahme der Klage nach deren Zustellung erstattungsfähig gewesen wären.

b)
Die nunmehr in § 269 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 ZPO ausdrücklich enthaltene Regelung benachteiligt die beklagte Partei entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht in einer gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 GG verstoßenden Weise. Zwar trifft es zu, dass die beklagte Partei im Fall des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO anders als dann, wenn der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, nicht wählen kann, ob sie sich dem anschließt oder nicht. Sie kann hier daher auch nicht bestimmen, dass entweder gemäß § 91a Abs. 1 ZPO – entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO – unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes über die Kosten nach billigem Ermessen entschieden wird oder aber der Rechtsstreit in der Hauptsache – wenn auch mit geändertem Klageantrag – seinen Fortgang nimmt und daher gegebenenfalls über die ursprüngliche Berechtigung der Klage – anders als im Fall des § 91a ZPO – voller Beweis erhoben wird. Hierin liegt jedoch keine willkürliche oder der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG zuwiderlaufende Benachteiligung des Beklagten. Trotz des an sich entgegenstehendenWortlauts hat die beklagte Partei auch im Fall des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO Anspruch auf rechtliches Gehör, wobei ihr Tatsachenvortrag und die zu seiner Untermauerung angeführten Beweismittel nach der Natur der Sache – anders als grundsätzlich im Fall des § 91a Abs. 1 ZPO (vgl. dazu Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 91a Rdn. 26) – nicht deshalb unberücksichtigt bleiben können, weil sie bislang noch nicht vorgetragen worden sind. Es kommt hinzu, dass der Kläger im Fall des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO eine vom Regelfall des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO abweichende Kostenentscheidung erstrebt und daher – ebenfalls abweichend vom Fall des § 91a Abs. 1 ZPO – darzulegen und zu beweisen hat, dass seine Belastung mit Kosten billigem Ermessen widerspricht (vgl. Zöller/Greger aaO § 269 Rdn. 18e).

c)
Nicht zugestimmt werden kann des Weiteren der Auffassung des Beschwerdegerichts, die Klägerin könne die ihr entstandenen Kosten zudem deshalb nicht erstattet verlangen, weil sie es versäumt habe, die Beklagte vor der Klageerhebung auf die (teilweise) Unbegründetheit des geltend gemachten Auskunftsanspruchs hinzuweisen. Eine Obliegenheit des zu Unrecht Abgemahnten, seinerseits vor der Erhebung einer negativen Feststellungsklage eine Gegenabmahnung auszusprechen, besteht grundsätzlich nicht. Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin liegen nicht vor. Der Umstand, dass die Beklagte ihren zu weit gehenden Anspruch aus eigenem Antrieb bereits vor Zustellung der Klage zurückgezogen hat, lässt hierauf nicht schließen.

d)
Die Beklagte hat nach billigem Ermessen die Kosten zu tragen. Die Klage wäre begründet gewesen. Der Beklagten stand ein Anspruch auf Auskunft über die mit dem Werbeprospekt erzielten Umsätze nicht zu. Der Anspruch auf Auskunft zur Ermittlung des dem Mitbewerber aus einem wettbewerbswidrigen Verhalten entstandenen Schadens erstreckt sich nur auf solche Tatsachen, die für die Schadensberechnung erforderlich sind (BGH, Urt. v. 6.4.2000 – I ZR 114/98, GRUR 2001,84, 85 = WRP 2000, 1266 – Neu in Bielefeld II). Der aus dem Vorwurf unzureichender Vorratshaltung abgeleitete Schaden der Beklagten kann nicht mit den Umsätzen belegt werden, die mit dem vorhandenen Vorrat gemacht wurden. Für die Klägerin bestand keine Verpflichtung, die Beklagte auf die insoweit eindeutige Rechtslage hinzuweisen.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

Vorinstanzen:
LG Potsdam, Urteil vom 16.08.2004, Az. 52 O 20/04
OLG Brandenburg, Urteil vom 01.03.2005, Az. 6 W 204/04

I