BGH: Zu den Hinweispflichten von Mobilfunkanbietern für die Abrechnung von Leistungen, die ursprünglich nicht Vertragsbestandteil waren

veröffentlicht am 29. Mai 2012

BGH, Urteil vom 15.03.2012, Az. III ZR 190/11
§ 241 Abs. 2 BGB, § 276 Ci BGB

Der BGH hat entschieden, dass ein Anbieter von Telekommunikationsdiensten, der nach Vertragsbeginn zusätzliche Leistungen anbietet, die bei Vertragsschluss nicht Vertragsgegenstand waren (hier: mobile Internetnutzung), darauf hinweisen muss, wenn er für solche Leistungen zur Abrechnung andere Parameter zu Grunde legt als für die bis dahin angebotenen Dienste. Vorliegend hatte die Klägerin für den Download eines Videos (Übertragungsdauer 21 min.) ca. 750,00 EUR nach einem „surf-by-call“-Tarif in Rechnung gestellt. Das Berufungsgericht war noch der Auffassung, dass es in der Eigenverantwortung eines Handybesitzers liege, wenn er im Bewusstsein, dass er keine Datenflatrate besitze, über sein Gerät ins Internet gehe. Dem stimmt der Senat nicht vollumfänglich zu. Seitens des Anbieters hätten gewisse Hinweispflichten bestanden, um den Kunden vor einer solchen Rechnung zu schützen. Zitat:


„2.
Demgegenüber ist nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ein Schadensersatzanspruch des Beklagten gegen die Klägerin nach § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Hinweispflicht (§ 241 BGB) nicht auszuschließen, der zur Folge hat, dass der Forderung der Klägerin zumindest teilweise gemäß § 242 BGB der Einwand des „dolo agit, qui petit quod statim redditurus est“ entgegen steht. Die Klägerin war bei Erweiterung ihres Angebots um den mobilen Internetzugang zu einem Hinweis auf die mit der volumenabhängigen Entgeltberechnung verbundenen Gefahren verpflichtet. Es kommt darüber hinaus je nach den im Januar 2008 bestehenden technischen Möglichkeiten und Usancen in Betracht, dass die Klägerin verpflichtet war, den Beklagten durch eine auf sein Mobilfunkgerät zu sendende Mitteilung zu warnen, sobald eine von dem normalen Nutzungsverhalten außergewöhnlich abweichende Gebührenhöhe erreicht war, um ihm die Möglichkeit zu geben, die Datenübertragung abzubrechen und so das Entstehen einer unerwünscht hohen weiteren Entgeltforderung zu verhindern.

a)
Allerdings bestand und besteht noch keine gesetzlich normierte Pflicht der Diensteanbieter zu derartigen Hinweisen.

§ 45n Abs. 6 Satz 1 Nr. 5 TKG in der noch nicht im Bundesgesetzblatt verkündeten Fassung des Gesetzes zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Regelungen (Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestags vom 27. Ok-tober 2011, Plenarprotokoll 17/136, S. 1609) sieht zwar eine Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung vor, durch die Anbieter öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste verpflichtet werden können, geeignete Einrichtungen anzubieten, um die Kosten der Inanspruchnahme der Telekommunikationsdienste zu kontrollieren. Diese Befugnis schließt die Verpflichtung zu unentgeltlichen Warnhinweisen bei anormalen oder übermäßigem Verbraucherverhalten ein. Das Gesetz ist jedoch noch nicht in Kraft getreten; eine Rechtsverordnung ist noch nicht erlassen worden.

b)
Dies schließt indessen nicht aus, dass sich eine solche Verpflichtung bereits als Nebenpflicht aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Mobilfunkvertrag ergab.

aa)
Grundsätzlich hat zwar jede Partei im Rahmen vertraglicher Beziehungen aufgrund der im Zivilrecht herrschenden Privatautonomie ihre Belange selbst wahrzunehmen. Insbesondere obliegt es einem Vertragspartner, selbst darauf bedacht zu sein, die Leistungen seiner Gegenseite nicht in einem Umfang in Anspruch zu nehmen, der zu unerwünscht hohen Entgeltforderungen führt. In Fallgestaltungen jedoch, in denen der Vertragsgegner über eine überlegene Sachkunde verfügt, können ihn gemäß § 241 Abs. 2 BGB Hinweis- und Aufklärungspflichten zur Wahrung des Leistungs- oder Integritätsinteresses seines Partners treffen, wenn dieser mangels eigener Kenntnisse der Gefährdung seiner Belange nicht selbst in ausreichendem Maß entgegenwirken kann (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 19. Februar 1975 – VIII ZR 144/73, BGHZ 64, 46, 49; Bamberger/Roth/Grüneberg/Sutschet, BGB, 2. Aufl., § 241 Rn. 77; Palandt/ Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 280 Rn. 30). Insbesondere in Bereichen, in denen nicht spezifisch vorgebildeten Verbrauchern die Nutzung anspruchsvoller Technik angeboten wird, kommen solche Hinweis- und Aufklärungspflichten des Vertragspartners in Betracht, der im Gegensatz zur anderen Seite über den notwendigen Sachverstand verfügt. Dies trifft auch und gerade auf den Telekommunikationssektor zu. In diesem kommt nicht nur komplizierte Technik mit einer mittlerweile schon schwer zu überblickenden Fülle von Anwendungsmöglichkeiten und Tarifen zum Einsatz. Vielmehr zeichnet sich dieser Bereich überdies im Verbund mit der Computertechnologie durch eine besonders dynamische Fortentwicklung aus (vgl. hierzu Senatsurteil vom 9. Juni 2011 – III ZR 157/10, WM 2011, 1678 Rn. 28), die der Durchschnittsverbraucher nicht ständig nachverfolgt.

Der Senat hat dementsprechend in seinem vorzitierten Urteil vom 9. Juni 2011 (aaO Rn. 14) im Hinblick auf die schwer zu durchschauende Vielzahl von Mobilfunktarifen eine Pflicht des Diensteanbieters angenommen, Kunden, die sein Angebot nur im Rahmen einer Kreditlinie nutzen dürfen, rechtzeitig vor Erreichen des Limits zu warnen, bevor er seine Leistungen einstellt. Auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung werden Hinweis- und Aufklärungspflichten des Anbieters von Telekommunikationsdienstleistungen gegenüber seinen Kunden zur Vermeidung unerwartet hoher Rechnungen für unterschiedliche Konstellationen angenommen (OLG Schleswig MMR 2011, 836, 837 mit zustimmender Anmerkung von Schmidt aaO S. 838; LG Münster K&R 2011, 359, 360 jeweils zur Aktualisierung von Navigationskarten mit großem Datenvolumen auf einem neu erworbenen beziehungsweise vermieteten Mobilfunkgerät; LG Kleve, Urteil vom 15. Juni 2011 – 2 O 9/11, juris Rn. 22 zum Entstehen hoher nutzungsabhängiger Durchleitungsgebühren im Ausland [Roaming] bei Vereinbarung einer Flatrate im Inlandsverkehr; LG Bonn K&R 2010, 679 mit zustimmender Anmerkung von Schmidt aaO S. 680, 681 zur ständigen Verbindung eines Routers mit dem Internet bei zeitabhängigem Tarif; LG Kiel MMR 2003, 422, 423 zur Einwahl in das Internet zu beinahe 200-fachen Kosten einer Standardverbindung; AG Frankfurt am Main MMR 2008, 496, 497 zum permanenten Einwählen eines Mobiltelefons in einen analogen Internetzugang; vgl. auch Landesgericht Feldkirch [Österreich], Urteil vom 7. September 2010 – 2 R 284/10w, im Internet abrufbar unter www.vol.at/2012/02/Entscheidung-LG-Feldkirch-2r284_10w.pdf zum unbeabsichtigten Roaming im Grenzgebiet).

bb)
Auch in der vorliegenden Fallgestaltung bestand eine Hinweispflicht der Klägerin. Sie war gehalten, ihre Kunden bei Einführung des neuen Dienstes hinreichend deutlich – etwa durch ein Anschreiben, einen Hinweis auf den Rechnungen oder eine SMS – darüber zu unterrichten, dass der Zugang zum Internet per Mobilfunkgerät im Gegensatz zu den Telefonverbindungen nicht nach der Verbindungsdauer, sondern nach dem heruntergeladenen Datenvolumen berechnet wird. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts musste ein Durchschnittskunde bei der Erweiterung des Leistungsspektrums der Klägerin nicht davon ausgehen, dass sie das Entgelt für den neuen Dienst nach anderen Parametern berechnen werde als für den Telefonverkehr, zumal bei der Internetnutzung über das Festnetz außerhalb von Pauschaltarifen eine zeitabhängige Entgeltberechnung zumindest weit verbreitet war. Darüber hinaus war die Klägerin verpflichtet, ihre Kunden darauf hinzuweisen, dass auch bei Nutzung nicht außergewöhnlich erscheinender Internetangebote sehr große Datenmen-gen anfallen können, die bei volumenabhängigen Verbindungsentgelten für den mobilen Netzzugang zu ungewöhnlich hohen Kosten führen. Der Durchschnittskunde musste auch hiermit mangels entsprechender Kenntnisse nicht rechnen, während der Klägerin als Telekommunikationsanbieter dies bekannt war. Hiernach bestand das Informationsgefälle, das für die Begründung von Hinweispflichten einer Vertragsseite zur Wahrung der Interessen des Gegners ausschlaggebend ist.

Ob die Klägerin diese Pflicht verletzt hat und ob solche notwendig abstrakt gehaltenen Hinweise den Beklagten davon abgehalten hätten, sein Mobilfunkgerät am 1. Januar 2008 wie geschehen zu nutzen, mithin ob der etwaige Verstoß dieser Pflichten kausal für den eingetretenen Schaden war, wird im neuen Berufungsverfahren festzustellen sein.

cc)
Unter dem Vorbehalt im neuen Berufungsverfahren noch nachzuholender weiterer tatsächlicher Feststellungen bestand – neben der Pflicht zu den abstrakten Warnhinweisen bei Einführung der neuen Leistung – die Verpflichtung der Klägerin als Diensteanbieterin, ihre Kunden, etwa mittels einer SMS, zu warnen, wenn die Kosten für die jeweilige Inanspruchnahme des Internetdienstes den üblicherweise von einem durchschnittlichen Nutzer ausgeschöpften Rahmen signifikant überstiegen, so dass die Gefahr einer unbewussten Selbstschädigung nahe lag. Hierdurch hatte die Klägerin dem Nutzer die Möglichkeit zu geben, die Verbindung zur Vermeidung weiterer unerwünscht hoher Kosten zu beenden.“

Vorinstanzen:
AG Duisburg, Entscheidung vom 04.01.2011, Az. 2 C 2984/10
LG Duisburg, Entscheidung vom 13.07.2011, Az. 11 S 25/11

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