BGH: Zur Frage, ob sich ein Rechtsanwalt, der mehrere Fachanwaltstitel führt, zugleich als „Spezialist“ bezeichnen darf

veröffentlicht am 16. Dezember 2015

BGH, Beschluss vom 28.10.2015, Az. AnwZ (Brfg) 31/14
§ 7 Abs. 1 BORA

Der BGH hat entschieden, dass sich ein Rechtsanwalt, der mehrere Fachanwaltstitel führt, auch als Spezialist in den betreffenden Rechtsgebieten bzw. einer Schnittmenge derselben bezeichnen darf. Zum Volltext der Entscheidung:

Bundesgerichtshof

Beschluss

in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache

wegen eines belehrenden Hinweises

Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch … am 28.10.2015 beschlossen:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des 2. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 07.03.2014 wird zugelassen.

Gründe

I.
Der Kläger ist im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Er darf die Bezeichnung „Fachanwalt für Erbrecht“ führen. Auf seinem Briefkopf bezeichnet er sich als „Notar Rechtsanwalt Spezialist für Erbrecht und Erbschaftsteuer Fachanwalt für Erbrecht Fachanwalt für Steuerrecht zert. Testamentsvollstrecker (DEV) Fachanwalt für Arbeitsrecht“. Mit Belehrungsbescheid vom 15. August 2012 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass die Bezeichnung „Spezialist für Erbrecht“ unzulässig sei. Aufgrund der Weite der Tätigkeitsfelder, für die Fachanwaltschaften eingerichtet seien, sei ein Spezialistentum auf dem gesamten Gebiet einer Fachanwaltschaft in der Regel nicht möglich und daher irreführend (§ 7 Abs. 2 BORA). Die Bezeichnung „Spezialist für Erbschaftsteuer“ sei dagegen zulässig, weil der Kläger dargelegt habe, dass er insoweit über zusätzliche theoretische Kenntnisse verfüge und auf diesem Gebiet in erheblichem Umfang tätig gewesen sei. Die Klage gegen diesen Bescheid ist erfolglos geblieben. Nach Ansicht des Anwaltsgerichtshofs deutet die Bezeichnung „Spezialist für Erbrecht“ auf überragende theoretische und praktische Kenntnisse hin, welche dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen seien. Nunmehr beantragt der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.

II.
Nach § 7 Abs. 1 BORA in der seit dem 1. März 2006 geltenden Fassung darf ein Rechtsanwalt unabhängig von Fachanwaltsbezeichnungen Teilbereiche der Berufstätigkeit nur benennen, wenn er seinen Angaben entsprechende Kenntnisse nachweisen kann, die er in der Ausbildung, durch Berufstätigkeit, Veröffentlichungen oder in sonstiger Weise erworben hat. Verwendet er qualifizierende Zusätze, muss er zusätzlich über entsprechende theoretische Kenntnisse verfügen und auf dem benannten Gebiet in erheblichem Umfang tätig geworden sein. In diesem Rahmen darf ein Rechtsanwalt sich als „Spezialist“ bezeichnen (vgl. die Begründung für die Neufassung der Bestimmung des § 7 BORA zum 1. März 2006, BRAK-Mitt. 2006, 212). Nach § 7 Abs. 2 BORA sind die Angaben gemäß Absatz 1 dieser Bestimmung jedoch unzulässig, wenn sie die Gefahr einer Verwechslung mit Fachanwaltschaften begründen oder sonst irreführend sind. Sinn dieser Regelung ist es, irreführende Angaben und insbesondere irreführende Annäherungen an den Begriff des Fachanwalts zu verhindern. Der Verbraucher soll zwischen den auf eigener Einschätzung des Anwalts beruhenden Angaben des § 7 Abs. 1 BORA und den von den Kammern nach § 43c BRAO in Verbindung mit den Bestimmungen der Fachanwaltsordnung verliehenen Fachanwaltsbezeichnungen verlässlich unterscheiden können (BRAK-Mitt. 2006, 212, 213).

Der Kläger bezeichnet sich als Spezialist auf einem Rechtsgebiet, für das eine Fachanwaltsbezeichnung erworben werden kann. Damit besteht grundsätzlich die Gefahr einer Verwechselung im Sinne von § 7 Abs. 2 BORA. Die von einem Rechtsanwalt nach Art eines Titels verwendeten Begriffe „Spezialist“ und „Fachanwalt“ für ein und dasselbe Rechtsgebiet könnten als Synonyme verstanden werden. Der angesprochene Rechtsverkehr könnte verkennen, dass ein „Fachanwalt“ seine besonderen Kenntnisse und Erfahrungen in einem förmlichen Prüfungsverfahren bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer nachgewiesen hat, während die Bezeichnung „Spezialist“ allein auf der Selbsteinschätzung des werbenden Anwalts beruht (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juli 2014 – I ZR 53/13, NJW 2015, 704 Rn. 17).

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat allerdings in seinem bereits zitierten, nach Erlass des Urteils des Anwaltsgerichtshofs ergangenen Urteil die Werbung als „Spezialist“ auf einem Gebiet, für welches eine Fachanwaltsbezeichnung verliehen werden kann, trotz der Verwechslungsgefahr dann für zulässig gehalten, wenn die Expertise des werbenden Anwalts mindestens den an einen Fachanwalt zu stellenden Anforderungen entspricht (aaO Rn. 25; zustimmend etwa Kleine-Cosack, AnwBl. 2015, 358, 360; ablehnend etwa Remmertz, NJW 2015, 707 f.; Huff, WRP 2015, 343; Omsels, jurisPR-WettbR 2/2015 Anm. 3; vgl. auch Offermann-Burckart, BRAK-Mitt. 2015, 62). Unter dieser Voraussetzung wären die Interessen der Rechtsuchenden, welche die Begriffe „Fachanwalt“ und „Spezialist“ verwechseln könnten, nicht beeinträchtigt. Ein gleichwohl ausgesprochenes Verbot der Verwendung der Bezeichnung „Spezialist“ sei zum Schutz des rechtsuchenden Publikums und im Interesse der Rechtsanwaltschaft nicht erforderlich und verstoße deshalb gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Das Urteil des Anwaltsgerichtshofs (BRAK-Mitt. 2014, 318) stellt indes höhere Anforderungen an einen „Spezialisten“. Es lässt nicht ausreichen, dass der Kläger zugleich Fachanwalt für Erbrecht ist. Klärungsbedarf besteht weiter deshalb, weil der Kläger die Bezeichnung „Spezialist“ neben der Bezeichnung „Fachanwalt“ führen will und zudem eine weitere Fachanwaltsbezeichnung, diejenige für Steuerrecht, führt. Nach einer vor der Neufassung des § 7 Abs. 2 BORA ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bringt ein sich so bezeichnender „Spezialist“ aber zum Ausdruck, dass er bevorzugt, wenn nicht gar ausschließlich, lediglich einen Teilbereich des Vollberufs bearbeitet. Zugleich wehrt er so die Inanspruchnahme in sonstigen Materien weitgehend ab; es handele sich dann aber um eine „dauerhafte Einengung der Berufstätigkeit“, welche mit dem Begriff der Fachanwaltsbezeichnung nicht ausgedrückt werden könne (BVerfG, NJW 2004, 2656, 2658).

III.
Das Verfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO).

Rechtsmittelbelehrung:

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag vom Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsbegründung). Wegen der Verpflichtung, sich im Berufungsverfahren vertreten zu lassen, wird auf die Rechtsmittelbelehrung in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

Vorinstanz:
AGH Hamm, Urteil vom 07.03.2014, Az. 2 AGH 20/12

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