BGH: Zur Zulässigkeit einer Anhörungsrüge im Verfahren zur Nichtzulassungsbeschwerde

veröffentlicht am 25. Oktober 2013

Rechtsanwalt Dr. Ole DammBGH, Beschluss vom 15.08.2013, Az. I ZR 119/12
§ 544 Abs. 4 Satz 2 Hs. 2 ZPO, Art. 103 Abs. 1 GG

Der BGH hat entschieden, dass eine Anhörungsru?ge Ausfu?hrungen dazu enthalten muss, aus welchen Umständen sich die entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das Gericht ergeben soll. Wende sich die Anhörungsru?ge gegen die Zuru?ckweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde, bedürfe es dazu Ausfu?hrungen in Bezug auf die Entscheidung u?ber die Nichtzulassung der Revision. Denn die Anhörungsru?ge sei insoweit nur dann zulässig, wenn durch die Entscheidung der Nichtzulassung der Revision das Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör neu und eigenständig durch den Bundesgerichtshof verletzt worden sei. Zum Volltext der Entscheidung:

Bundesgerichtshof

Urteil

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15.08.2013 durch den …  beschlossen:

Die Anhörungsru?ge gegen den Beschluss des Senats vom 6. Juni 2013 wird auf Kosten der Klägerin zuru?ckgewiesen.

Gru?nde

I.
Die Anhörungsru?ge ist unzulässig. Die Ausfu?hrungen der Klägerin genu?gen nicht den Anforderungen an die Darlegung eines Gehörsverstoßes durch den Senat.

1.
Eine Anhörungsru?ge muss Ausfu?hrungen dazu enthalten, aus welchen Umständen sich die entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das Gericht ergeben soll. Wendet sich die Anhörungsru?ge gegen die Zuru?ckweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde, bedarf es dazu Ausfu?hrungen in Bezug auf die Entscheidung u?ber die Nichtzulassung der Revision (BGH, Beschluss vom 19. März 2009 – V ZR 142/08, NJW 2009, 1609 Rn. 4). Denn die Anhörungsru?ge ist insoweit nur dann zulässig, wenn durch die Entscheidung der Nichtzulassung der Revision das Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör neu und eigenständig durch den Bundesgerichtshof verletzt worden ist (BVerfGE 107, 395, 410; BVerfG, NJW 2008, 2126, 2127; NJW 2008, 2635, 2636; NJW 2011, 1497). Eine Anhörungsru?ge muss sich damit auseinandersetzen und in diesem Zusammenhang die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG darlegen. Hierfu?r ist eine schlichte Behauptung einer Gehörsverletzung nicht ausreichend; vielmehr ist erforderlich, dass die Umstände vorgetragen werden, aus denen sich ergibt, dass der Bundesgerichtshof bei seiner Entscheidung das Vorbringen des Beschwerdefu?hrers u?bergangen haben muss (vgl. BGH, NJW 2009, 1609 Rn. 6 ff. mwN).

2.
Diesen Anforderungen wird die Anhörungsru?ge der Klägerin nicht gerecht.

a)
Soweit die Klägerin mit ihrer Anhörungsru?ge ihren Vortrag aus der Nichtzulassungsbeschwerde wiederholt, kann die Anhörungsru?ge damit nicht begru?ndet werden, weil damit keine neue, eigenständige Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG durch das Rechtsmittelgericht geru?gt wird.

b)
Ohne Erfolg macht die Klägerin ferner geltend, es mu?sse – im Lichte der zu erhebenden Verfassungsbeschwerde – von einer „neuen und eigenständigen“ Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG ausgegangen werden, weil der Beschluss u?ber die Zuru?ckweisung der Nichtzulassungsbeschwerde keine Ausfu?hrungen zu der geltend gemachten Verletzung der Verfahrensgrundrechte der Klägerin aus Art. 103 Abs. 1 GG und den behaupteten Verstößen gegen den Anspruch auf ein objektiv willku?rfreies Verfahren enthalte und sich auch nicht mit den dargelegten abweichenden Rechtssätzen anderer Entscheidungen auseinandersetze.

Eine neue und eigenständige Gehörsverletzung kann nicht damit begru?ndet werden, dass der Bundesgerichtshof von der vom Gesetzgeber in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise vorgesehenen Begru?ndungserleichterung gemäß § 544 Abs. 4 S.2 Hs. 2 ZPO Gebrauch gemacht hat (BGH, NJW 2009, 1609 Rn. 6).

aa)
Der Bundesgerichtshof ist auch in Ansehung der grundgesetzlichen Anspru?che auf Justizgewährung und effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip sowie des Rechts auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht gehalten, seine Entscheidung u?ber die Nichtzulassungsbeschwerde stets u?ber einen formelhaften Hinweis auf die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO hinaus näher zu begru?nden; § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO räumt diese Möglichkeit ausdru?cklich ein (vgl. BVerfG, NJW 2011, 1497). Dies steht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Einklang, dass eine mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung von Verfassungs wegen regelmäßig keiner Begru?ndung bedarf (BVerfG, NJW 2011, 1497 mwN). Auch die Effektivität der Kontrolle der Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht auf eine Gehörsverletzung wird nicht davon beeinflusst, ob der Beschluss u?ber die Nichtzulassungsbeschwerde näher begru?ndet wird (BVerfG, NJW 2011, 1497, 1498).

bb)
Eine ausfu?hrliche Begru?ndung der Entscheidung u?ber die Zuru?ckweisung der Nichtzulassungsbeschwerde ist auch nicht deswegen geboten, weil gegen sie eine Anhörungsru?ge nach § 321a ZPO erhoben werden kann, mit der nicht nur sekundäre, sondern neue und eigenständige Gehörsverletzungen durch den Bundesgerichtshof geru?gt werden. Zwar wird es einem Beschwerdefu?hrer durch das Fehlen einer näheren Begru?ndung zu den Zulassungsvoraussetzungen erschwert, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs auf eine neue, eigenständige Gehörsverletzung zu u?berpru?fen. Dies lässt jedoch die verfassungsrechtlich allein gewährleistete einmalige fachgerichtliche Kontrolle auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG weder leerlaufen noch macht sie diese unzumutbar. Die Begru?ndungserleichterung in § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO ist mit Blick auf die besonderen Aufgaben eines obersten Gerichts des Bundes sachgerecht und dient der Erhaltung seiner Funktionsfähigkeit und damit der Effektivität der Rechtsverfolgung im Interesse aller Rechtsuchenden. Von Verfassungs wegen geboten ist lediglich eine einmalige Kontrolle gerichtlichen Verfahrenshandelns auf eine Gehörsverletzung, nicht aber eine Begru?ndung der hierauf ergehenden Entscheidung (BVerfG, NJW 2011, 1497, 1498 mwN). Deshalb begegnet es auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn vom Bundesgerichtshof in entsprechender Anwendung des § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO auf eine Begru?ndung der Entscheidung u?ber die Anhörungsru?ge verzichtet wird (BVerfG, NJW 2011, 1497, 1499).

II.
Die Anhörungsru?ge wäre im Übrigen auch unbegru?ndet. Der Senat hat bei seiner Entscheidung u?ber die Nichtzulassungsbeschwerde den Vortrag der Klägerin umfassend beru?cksichtigt.

Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 25.11.2010, Az. 327 O 301/09
OLG Hamburg, Entscheidung vom 07.06.2012, Az. 3 U 186/10

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