BPatG: Ermessensfehler bei fehlender Anhörung der Parteien?

veröffentlicht am 2. August 2011

Rechtsanwalt Dr. Ole DammBPatG, Beschluss vom 31.05.2011, Az. 25 W (pat) 31/10
§§ 43 Abs. 3 MarkenG, 32 Abs. 1 MarkenV

Das BPatG hat entschieden, dass bei fehlender Anhörung der Parteien vor Erlass eines Aussetzungsbeschlusses durch das DPMA ein Ermessenfehler vorliegen kann. Grundsätzlich erscheine zwar die Aussetzung des Verfahrens über eine Erinnerung, die ein weiterer Widersprechender gegen denselben Beschluss, mit welchem auch der von ihm erhobene Widerspruch zurückgewiesen worden ist, sachgerecht, wenn gegen den Beschluss der Markenstelle, mit dem die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet worden sei, seitens der Markeninhaberin Beschwerde eingelegt worden sei, jedoch sei erforderlich, dass den Beteiligten vorab eine Gelegenheit zur Stellungnahme und damit rechtliches Gehör gewährt werde. Zum Volltext der Entscheidung:


Bundespatentgericht

Beschluss

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 300 06 543

(hier: Beschwerde gegen die Aussetzung des Erinnerungsverfahrens)

hat der 25. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 31. Mai 2011 unter Mitwirkung … beschlossen:

1.
Der Aussetzungsbeschluss der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 22. März 2010 wird aufgehoben.

2.
Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

I.

Die Marke

AVENA

ist nach Teilung der unter der Nummer 399 18 844.4 geführten Stammanmeldung am 26. März 2002 unter der Nummer 300 06 543 für eine Vielzahl von Waren und Dienstleistungen der Klassen 3, 5, 16, 29, 30, und 42 (nach Umklassifizierung nunmehr Klassen 43 und 44) in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Markenregister eingetragen worden.

Dagegen hat der Widersprechende als Inhaber der Marke

ARVENA,

welche am 13. Oktober 1997 unter der Nummer 397 15 217 für eine Reihe von Waren und Dienstleistungen registriert wurde und derzeit noch Schutz für Dienstleistungen der Klassen 41 und 43 genießt, Widerspruch erhoben. Ferner hatten die Inhaber von mehreren Drittmarken ebenfalls Widerspruch gegen die angegriffene Marke erhoben.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluss vom 15. Dezember 2009 aufgrund zweier der vorgenannten Drittwidersprüche die teilweise Löschung der angegriffenen Marke angeordnet und u. a. den Widerspruch aus der Marke 397 15 217 „ARVENA“ zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat die Markeninhaberin Beschwerde hinsichtlich der Teillöschung der angegriffenen Marke und der Widersprechende Erinnerung hinsichtlich der Zurückweisung seines Widerspruchs erhoben.

Nachdem der Widersprechende um Gewährung einer Frist zur Einreichung einer Erinnerungsbegründung gebeten hatte, hat die Markenstelle für Klasse 5 das Erinnerungsverfahren mit Beschluss vom 22. März 2010 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Beschwerdeverfahrens betreffend die Teillöschung der angegriffenen Marke ausgesetzt, ohne dass sie den Beteiligten vorab Gelegenheit gegeben hatte, sich hierzu zu äußern.

Zwar ist aus Sicht der Markenstelle § 64 Abs. 6 Satz 2 und 3 MarkenG nicht anwendbar.

Vorliegend sei aber gemäß § 31 Abs. 2 MarkenV aus verfahrensökonomischen Gründen in einem Beschluss über mehrere Widersprüche entschieden worden, so dass es sachgerecht sei, das Erinnerungsverfahren bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens auszusetzen.

Dagegen richtet sich die vom Widersprechenden erhobene Beschwerde.

Er ist der Auffassung, der angefochtene Beschluss sei ermessensfehlerhaft. Der Widerspruch aus dieser Marke sei bereits am 28. Juni 2002 eingelegt worden.

Nachdem offenbar – worüber der Beschwerdeführer allerdings nicht im einzelnen informiert worden sei – mehrfach Schriftsatzfristen verlängert und er mehrfach Sachstandsanfragen gestellt habe, sei über den Widerspruch erst am 15. Dezember 2009 entschieden worden. Die Aussetzung des Verfahrens über seinen daraufhin erhobenen Widerspruch verstoße gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitenden Prinzip der Verfahrensbeschleunigung.

Es sei nunmehr eine überlange Verfahrensdauer gegeben, die seine Rechte in unzumutbarer Weise beeinträchtige und rechtsstaatswidrig sei. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Markeninhaberin ein Interesse an der Aussetzung des Verfahrens haben könne, da in jedem Fall noch über den von ihm erhobenen Widerspruch entschieden werden müsse. Zudem sei ein Verstoß gegen § 43 Abs. 3 MarkenG gegeben. Die Markenstelle hätte sich vorrangig mit dem Widerspruch befassen müssen, welcher am umfangreichsten gegen die angegriffene Marke gerichtet worden sei. Die mit dem Beschluss vom 15. Dezember 2009 angeordnete Teillöschung der angegriffenen Marke betreffe nur Waren und Dienstleistungen der Klassen 3, 5, 16, 29, 33 und 44, nicht aber die vom Widerspruch des Beschwerdeführers angegriffenen Dienstleistungen „Verpflegung, Catering“ der Klasse 43. Es sei daher auch nicht verfahrensökonomisch, gerade das Verfahren über den Widerspruch aus der Marke 397 15 217 – ARVENA auszusetzen.

Der Widersprechende beantragt (sinngemäß),
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 22. März 2010 aufzuheben.

Ferner regt er die Rückzahlung der Beschwerdegebühr an.

Die Markeninhaberin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Aussetzung des Erinnerungsverfahrens durch die Markenstelle sei kein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip; vielmehr habe die Markenstelle ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Es sei verfahrensökonomisch, ein Verfahren auszusetzen, wenn die Entscheidung über weitere Widersprüche einen erheblichen zeitlichen Aufwand bedeuten würde, was insbesondere bei einer unklaren Benutzungslage hinsichtlich der Widerspruchsmarke in Betracht komme. Vorliegend seien diese Voraussetzungen erfüllt, da die Zurückweisung des Widerspruchs aus der Marke 397 15 217 – ARVENA wesentlich darauf beruhe, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich dieser Widerspruchsmarke für den Zeitraum Dezember 2004 – Dezember 2005 eine Benutzung nicht glaubhaft gemacht habe, was umfangreiche ergänzende Ermittlungen erforderlich machen würde. Zudem stelle § 43 Abs. 3 MarkenG nicht nur auf den Fall ab, dass alle Waren einer angegriffenen Marke zu löschen seien. Vielmehr sei eine Aussetzung i. d. R. sachdienlich, wenn – wie hier – ein paralleler Kollisionsfall bereits im Beschwerdeverfahren anhängig sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss der Markenstelle, die Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Markenstelle hat das ihr bei der Entscheidung über die Aussetzung eines Widerspruchsverfahrens nach §§ 43 Abs. 3 MarkenG, 32 Abs. 1 MarkenV zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt, so dass der angefochtene Beschluss aufzuheben ist.

1.
Die Beschwerde ist statthaft, und zwar sowohl unmittelbar gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 MarkenG als auch gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 MarkenG i. V. m. § 252 ZPO (vgl. zum Meinungsstand auch Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Aufl., § 43, Rdn. 80 m. w. N.; vgl. auch Fuchs-Wissemann in HK-MarkenR, § 66, Rdn. 3). Insoweit ist auch die Beschwerdefrist eingehalten. Denn vorliegend ist nicht von der Frist nach §§ 252, 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO, welche zwei Wochen beträgt, auszugehen, sondern von der für die Beschwerdeeinlegung in Markensachen grundsätzlich maßgeblichen Monatsfrist des § 66 Abs. 2 MarkenG.

2.
Die einschlägige Vorschrift für die Aussetzung eines Widerspruchsverfahrens ist zum einen § 43 Abs. 3 MarkenG, und zwar in Fällen, in denen die angegriffene Marke wegen einer oder mehrerer Marken mit älterem Zeitrang zu löschen ist. Zum anderen eröffnet darüber hinaus § 32 Abs. 1 MarkenV die Möglichkeit der Aussetzung, wenn dies (aus anderen Gründen) sachdienlich erscheint. Da vorliegend gemäß dem angefochtenen Beschluss der Markenstelle vom 15. Dezember 2009 die teilweise Löschung der angegriffenen Marke aufgrund weiterer Widersprüche angeordnet worden ist, stellt § 43 Abs. 3 MarkenG die gegenüber § 32 MarkenV vorrangige gesetzliche Grundlage für eine Aussetzung des Verfahrens über die vom Widersprechenden eingelegte Erinnerung dar. § 43 Abs. 3 MarkenG eröffnet im Fall der Löschungsanordnung (als quasi gesetzlich normierten Grund der Vorgreiflichkeit i.S.d. § 148 ZPO) der Markenstelle die Entscheidungsmöglichkeit der Aussetzung, wobei sie dann das ihr im Rahmen dieser Entscheidung eingeräumte Ermessen sachgerecht auszuüben hat. Der Umstand, dass die Markenstelle ihre Entscheidung auf § 32 Abs. 1 MarkenV gestützt hat, führt nicht per se zu einer ermessensfehlerhaften Entscheidung, da § 32 MarkenV in ähnlicher Weise ein Ermessen hinsichtlich der Aussetzung des jeweiligen Markenverfahrens eröffnet. Es gelten insoweit für die Frage der Ausübung des Ermessens die gleichen Maßstäbe wie bei einer Entscheidung nach § 43 Abs. 3 MarkenG.

Die Entscheidung der Markenstelle ist insbesondere dahingehend zu überprüfen, ob ein Aussetzungsgrund i.S.d. § 43 Abs. 3 MarkenG gegeben ist.

Dieser kann bei Verfahren mit mehreren Widersprüchen nach § 43 Abs. 3 MarkenG grundsätzlich dann bejaht werden, wenn die Löschungsentscheidung Waren und Dienstleistungen betrifft, die auch mit dem Widerspruch angegriffen werden, in Bezug auf den das Verfahren ausgesetzt wird. Sofern dies der Fall ist, kann die Aussetzungsentscheidung und das zugrundeliegende Verfahren nur auf Ermessens- und Verfahrensfehler überprüft werden (vgl. Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 252, Rdn. 3; Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2005, § 252, Rdn. 8). Dem Beschwerdegericht ist es dabei verwehrt, sein Ermessen an die Stelle des der Markenstelle eingeräumten Ermessens zu setzen (vgl. KG MDR 2007, 736, 737).

Ist – wie vorliegend – gegen den Beschluss der Markenstelle, mit dem die Löschung der angegriffenen Marke in erheblichem Umfang angeordnet worden ist, seitens der Markeninhaberin Beschwerde eingelegt worden, so erscheint die Aussetzung des Verfahrens über die Erinnerung, die ein weiterer Widersprechender gegen denselben Beschluss, mit welchem auch der von ihm erhobene Widerspruch zurückgewiesen worden ist, zwar grundsätzlich sachgerecht, zumal die Waren und Dienstleistungen, die von der der Löschungsanordnung betroffen sind, sich mit den mit dem Widerspruch des Beschwerdeführers angegriffenen Waren und Dienstleistungen weitgehend decken.

Die Markenstelle hat ihre Entscheidung aber nicht in einer ausreichenden Weise begründet. Es ist nicht ersichtlich, dass sie das ihr eingeräumte Ermessen bei der Entscheidung in sachgerechter Weise ausgeübt hat. Sie verweist in der Entscheidung nur kurz auf eine zumindest von der Interessenlage her zutreffende Kommentarstelle (bei Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Aufl., § 165, Rdn. 10). Dies ersetzt aber nicht eine Begründung, in welcher die konkreten Fallumstände im Einzelfall zumindest kurz in einer nachvollziehbaren Weise abgewogen werden.

Hinzu kommt, dass den Beteiligten zur Entscheidung über die Aussetzung des Erinnerungsverfahrens vorab keine Gelegenheit zur Stellungnahme und damit kein rechtliches Gehör gewährt worden ist. Dies wäre aber umso mehr angezeigt gewesen, als der Beschwerdeführer seinerseits die Vorlage von Benutzungsunterlagen angekündigt, insoweit um Fristverlängerung gebeten und letztlich auch Benutzungsunterlagen vorgelegt hat (vgl. Bl. 1056 und 1067 ff. der Amtsakte). Ein Aussetzungsbeschluss ohne zuvor gewährtes rechtliches Gehör ist regelmäßig verfahrens- und damit auch ermessensfehlerhaft.

Denn die ordnungsgemäße Ermessensausübung setzt voraus, dass rechtliches Gehör gewährt wird, um die ermessensrelevanten Umstände überhaupt zutreffend zu ermitteln und berücksichtigen zu können. Auch können die avisierten Benutzungsunterlagen bei der Ermessensausübung von Belang sein. Falls diese Benutzungsunterlagen zur Glaubhaftmachung der Benutzung der Widerspruchsmarke nicht genügt hätten, wäre das Erinnerungsverfahren entscheidungsreif und eine Aussetzung schon aus verfahrensökonomischen Gründen nicht angezeigt gewesen. Sollte die Benutzung der Widerspruchsmarke nur in Bezug auf einen Teil der für die Widerspruchsmarke registrierten Waren und Dienstleistungen glaubhaft gemacht werden, so könnte die Frage der Abwägung mit Blick auf die Verfahrensökonomie anders als oben dargelegt zu beantworten sein. Je geringer die „Schnittmenge“ zwischen den Waren/Dienstleistungen, bei denen aufgrund der glaubhaft gemachten Benutzung der Widerspruchsmarke eine Löschung der angegriffenen Marke in Betracht kommt, und den Waren/Dienstleistungen ist, für die bereits aufgrund der anderweitigen Widersprüche die Löschung verfügt worden ist, desto weniger spricht eine Abwägung für eine Aussetzung des Erinnerungsverfahrens, zumal auch die lange Gesamtdauer des bisherigen Widerspruchsverfahrens (auch wenn die lange Dauer nicht nur von der Markenstelle, sondern aufgrund zahlreicher Fristgesuche auch von den vorliegend Verfahrensbeteiligten verursacht worden sind) als Abwägungsfaktor einzubeziehen ist.

Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben, so dass das Erinnerungsverfahren vor der Markenstelle fortzusetzen ist.

3.
Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr war gemäß § 71 Abs. 3 MarkenG anzuordnen. Zwar handelt es sich insoweit um einen Ausnahmetatbestand, der nicht schon bei jeder fehlerhaften Rechtsanwendung erfüllt ist. Vorliegend beruht die fehlerhafte Ermessensausübung der Markenstelle bei der Entscheidung über die Aussetzung des Widerspruchsverfahrens – wie ausgeführt – wesentlich auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs der Verfahrensbeteiligten.

Dann entspricht es aber auch der Billigkeit, wenn dem Widersprechenden die Beschwerdegebühr zurückerstattet wird (vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Aufl., § 71, Rdn. 32).

Ein Anlass zu einer Kostenauferlegung nach § 71 Abs. 1 MarkenG bestand jedoch nicht. Zwar kann es in Nebenverfahren grundsätzlich der Billigkeit entsprechen, die Kosten entsprechend dem Ausgang des Verfahrens zu verteilen (vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Aufl., § 71, Rdn. 17). Dadurch soll verhindert werden, dass der Obsiegende eine wirtschaftliche Belastung erleidet, die ihn von der Einlegung begründeter Rechtsmittel abhalten könnte, wobei diese Erwägungen vor allem in Verfahren über isolierte Kostenbeschwerden und Akteneinsichtsverfahren Anwendung finden (vgl. Ströbele/-Hacker, a. a. O.). Ist jedoch eine wegen Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör beider Beteiligter ermessensfehlerhaft getroffene Zwischenentscheidung der Markenstelle Verfahrensgegenstand, so erscheint es unbillig, dem weiteren Beteiligten, dessen Anspruch auf rechtliches Gehör ebenfalls nicht gewahrt wurde und der deswegen ebenfalls Beschwerde hätte einlegen können, mit Kosten zu belasten.

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