BPatG: Kein rechtlicher Hinweis durch das Gericht, wenn eine Partei Glaubhaftmachung versäumt

veröffentlicht am 21. Juni 2011

BPatG, Beschluss vom 10.11.2010, Az. 26 W (pat) 179/09
§ 43 Abs. 2 S. 2 MarkenG

Das BPatG hat entschieden, dass kein gerichtlicher Hinweis an eine Partei in einem Markenrechtsstreit erfolgt, welche es versäumt, die Benutzung ihrer Marke glaubhaft zu machen. Nach Erhebung einer Nichtbenutzungseinrede durch die Gegenpartei sei der Widersprechenden ausreichend Zeit geblieben, zur rechtserhaltenden Benutzung vorzutragen. Der Umfang der glaubhaft zu machenden Tatsachen im Falle einer wirksam erhobenen Nichtbenutzungseinrede sei in Literatur und Rechtsprechung umfassend dargestellt. Das Gericht dürfe grundsätzlich nicht auf Angriffs- und Verteidigungsmittel hinweisen, so weder auf die Möglichkeit zur Erhebung der Einrede noch auf das Erfordernis der Glaubhaftmachung von gegen die Nichtbenutzung sprechenden Tatsachen. Zum Volltext der Entscheidung:


Bundespatentgericht

Beschluss

In der Beschwerdesache

betreffend die IR-Marke 808 343

hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 10. November 2010 unter Mitwirkung des … beschlossen:

1.
Auf die Beschwerde der Markeninhaberin werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 32 IR des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 05.03.2008 und 30.07.2009 aufgehoben.

2.
Der Widerspruch wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Mit zwei Beschlüssen, von denen einer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, hat die Markenstelle für Klasse 32 IR des Deutschen Patent und Markenamtes der international registrierten, für die Waren

„29 Beurre d’arachides, mélanges contenant de la graisse pour tartines, suifs comestibles, suifs comestibles et animaux, huile de mais, margarine, huiles végétales comestibles, huile des tounesol comestible, beurre. Boissons non alcooliques, boissons de fruits non alcooliques, eaux gazeuses, eaux minérales, eaux de table, produits pour la fabrication d’eaux minérales, produits pour la fabrication d’eaux gazeuses, sodas eau de Seltz, poures pour boissons gazeuses, pastilles pour boissons gazeuses, limonades, sirops pour limonades sirops pour boissons, substances pour la préparation des boissons, essences pour la préparation de boissons“

eingetragenen Wort-/Bildmarke Marke IR Nummer 808343

wegen Widerspruchs aus der für die Waren

„32 Margarine, Speiseöle und Speisefette, Diätspeisefette, konserviertes, gekochtes und getrocknetes Gemüse, Trockenfrüchte, Pilze, Frucht-, Obst- und Gemüsekonserven, Frucht-, Obst- und Gemüsesäfte, Obst- und Gemüsesalate, Trockenfrüchte, Fleisch-, Fisch- und Wurstkonserven, Fertiggerichte, Suppen, Eintopfgerichte und Menüs, Konfitüren, Marmeladen und Gelees; Brühen in gekörnter Form, als Pasten oder Würfel, auch mit Zusatz von Fleischextrakten und/oder Hefeextrakten; Kartoffelerzeugnisse; Brotaufstriche, Frucht-, Gemüse- und Nusspasten, Sojaprodukte, Tofuprodukte; Quarkspeisen, Fertiggerichte, nämlich Suppen und Desserts, Früchte in Dickzucker, eingesäuerte Gemüse, Feinkostsalate, nämlich Fruchtsalate und Gemüsesalate sowie deren Mischungen, Feinkostsalate aus Fleisch, Geflügel, Wild und Fisch sowie Mischungen mit Früchten und Gemüsen; Kefir, Dickmilch, Buttermilch, entrahmte Milch, Molke und Molkereierzeugnisse, saure Sahne, geschlagene und ungeschlagene Sahne, alkoholfreie Milchmischgetränke, eingedickte Milch, Milchpulver, Kondensmilch, Quark auch mit Zusätzen, insbesondere mit Früchten, Milch und Milcherzeugnisse, Joghurt auch mit Zusätzen, insbesondere mit Früchten; Saaten zu Nahrungszwecken, frisches Obst und Gemüse, Schalenobst, Getreide- und Getreide-Erzeugnisse zu Nahrungszwecken; alkoholfreie Getränke, Fruchtkonzentrate, Obstsirup, Lecithinpräparate; nichtmedizinische Nahrungsmittel, vorwiegend in Form von Kapseln, Granulaten und Pasten, im Wesentlichen bestehend aus Vitaminen, Ballaststoffen, Mineralien, Spurenelementen und pflanzlichen Wirkstoffen, z. B. auf der Basis von Knoblauch, Rutin, Weißdorn, Mistel, Artischocke, Brennnessel, Wacholder, Distelöl, Weizenkeimöl, Hefe; Meersalz-Präparate für medizinische und nichtmedizinische Zwecke; alle vorgenannten Waren auch aus ökologischem Landbau, auch als Tiefkühlprodukte und auch als diätetische Lebensmittel für nichtmedizinische Zwecke; Tomatenmark; Mayonnaise, Remouladen, Salatcremes, Hefeerzeugnisse, Hefeextrakte, Hefeaufstrich, Pasteten, Hefespeiswürzen, Teigwaren, Kaffee, Tee; Mehl und Getreidepräparate; Backmischungen, Backfette, Backzutaten, Backmittel; Snacks, vegetarische Feinkost, Soßen, auch in Instantform, Dressings und Dips, Würzmittel, Süßungsmittel, Ballaststoffe, Vollmeersalz, Jodsalz, Pfeffer, Senf, Essig; Zuckerwaren, Konfekt, Gebäck, Schokolade in Tafel- oder Riegelform, auch unter Verwendung von Trockenfrüchten, Fruchtzubereitungen, Nüssen, Mandeln, Honig, Samen, Carobenmehl, Eiweiß, Tofu und Sojaerzeugnissen; Knabberartikel, Snacks, auch in Riegelform; Honig, Sirup; Desserts und andere Süßspeisen, auch unter Verwendung von Sojaerzeugnissen“

unter der Registernummer 347 696 eingetragenen, prioritätsälteren Wortmarke

Biona

den Schutz in der Bundesrepublik Deutschland versagt. Wegen ihrer Ähnlichkeit mit der Widerspruchsmarke mit älterem Rang und der Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren und Dienstleistungen bestehe für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen, §§ 119, 124, 114 Abs. 3, 43 Abs. 2, 42 Abs. 2 Nummer 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG in Verbindung mit Art. 5 PA, Art. 6 quinquies B PÜV.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. In der Beschwerdebegründung hat sie die Einrede der mangelnden rechtserhaltenden Benutzung gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 MarkenG erhoben.

Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

1. die Beschlüsse der Markenstelle aufzuheben,
2. hilfsweise einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen.

Die Widersprechende hat im Beschwerdeverfahren ihre Vertretung angezeigt, aber bislang weder einen Antrag gestellt, noch auf die Nichtbenutzungseinrede hin weiter vorgetragen.

Ergänzend wird auf die Akten des Amtes 347 696.5 und IR 800 8343/32 EXT Bezug genommen. Ein gegen die Widerspruchsmarke geführtes Widerspruchsverfahren ist am 14.7.2004 abgeschlossen worden.

II.
Die nach § 66 Abs. 1, 2 MarkenG zulässige Beschwerde ist begründet, da die Widersprechende die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke nicht glaubhaft gemacht hat.

Richtet sich der Widerspruch, wie hier, gegen eine international registrierte Marke, durchläuft die gem. Art. 3 ter MMA zulässige nachträgliche Schutzersteckung in den betroffenen Staaten, hier der Bundesrepublik Deutschland, ein der Erstregistrierung entsprechendes Prüfungsverfahren, welches auch ein Widerspruchsverfahren i. S. d. § 42 Abs. 1 MarkenG einschließen kann, § 111 MarkenG, Art. 3 ter II MMA, Regel 24 GAusfO (vgl. auch Ströbele/Hacker, a. a. O., Rn. 2 zu § 111 MarkenG).

Die Anmelderin hat wirksam die Einrede der Nichtbenutzung gem. § 43 Abs. 2 S. 2 MarkenG erhoben. Dies ist auch erstmals im Beschwerdeverfahren möglich (BPatG GRUR 1994, 629 f. – Duotherm; BPatGE 23, 158, 161 – FLUDEX; 17, 151, 153 – Angifant). Das Angriffsmittel der Anmelderin ist nicht deshalb gem. § 528 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 282 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückzuweisen, weil diese es schon im Verfahren vor der Prüfstelle hätte geltend machen können, dies aus grober Nachlässigkeit unterlassen hätte und die Zulassung der Nichtbenutzungseinrede den Rechtsstreit absolut verzögern würde (vgl. BGH GRUR 1998, 938 f. – DRAGON; BPatG GRUR 1996, 414 f. – RACOON/DRAGON; BPatGE 23, 159; 161; 19, 202 f.). Denn auf die Erhebung der Einrede in der Beschwerdebegründung vom 20.11.2009 hin blieb der Widersprechenden, der die
Beschwerdebegründung mit Postzustellungsurkunde vom 02.12.2009 zugestellt wurde, ausreichend Gelegenheit, Tatsachen zur Glaubhaftmachung der Benutzung vorzutragen. Auch nach Ablauf eines knappen Jahres hat sie hiervon indes keinen Gebrauch gemacht. Die anwaltliche Vertretungsanzeige der Widersprechenden datiert vom 05.03.2010.

Die fünfjährige Benutzungsschonfrist für die Widerspruchsmarke gem. § 26 Abs. 1, 5 MarkenG begann nach Abschluss eines gegen diese geführten Widerspruchsverfahrens am 14.7.2004 und ist am 22.07.2009, mithin vor Erhebung der Nichtbenutzungseinrede und vor einer abschließenden Entscheidung über den Widerspruch abgelaufen.

Mit Erhebung der Einrede entstand für die Widersprechende die Obliegenheit zur rechtzeitigen Glaubhaftmachung der rechtserhaltenden Benutzung ihrer Marke für einen – sich verändernden – Fünfjahreszeitraum bis (mindestens) November 2010, dem Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung über den Widerspruch im Beschwerdeverfahren, § 43 Abs. 1 S. 2 MarkenG (vgl. zum Benutzungszeitraum BGH GRUR 2000, 510; Ströbele/Hacker, MarkenR, 8. Aufl. Rn. 9 zu § 43 MarkenR). Dies ist vorliegend nicht geschehen.

Eines rechtlichen Hinweises des Senats gem. §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO, 82 Abs. 1 MarkenG zur Glaubhaftmachung bedurfte es nicht. Der Umfang der glaubhaft zu machenden Tatsachen im Falle einer wirksam erhobenen Nichtbenutzungseinrede ist in Literatur und Rechtsprechung umfassend dargestellt (vgl. EuGH GRUR 2006, 582, Rn. 70 – VITAFRUIT; BGH GRUR 2006, 152, 154, Tz. 21 – GALLUP; Fezer, Markenrecht, 3. Aufl. 2001, § 26 Rn. 4 ff.; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 2. Aufl. 2003, § 26 Rn. 155 ff.; Ströbele/Hacker, MarkenG, 8. Aufl. 2006, § 26 Rn. 7 ff.).

Da die Frage der rechtserhaltenden Benutzung einer Widerspruchsmarke dem Beibringungs- und Verhandlungsgrundsatz unterliegt (vgl. BGH GRUR 1998, 938, 939 – DRAGON) und das Gericht nicht auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel hinweisen darf, ist es ihm grundsätzlich verwehrt, auf die Möglichkeit der Erhebung dieser Einrede hinzuweisen (Fezer a. a. O. § 43 Rn. 7; Ingerl/Rohnke a. a. O. § 43 Rn. 11; Ströbele/Hacker, a. a. O. § 43 Rn. 2). Schon nach der früheren Rechtsprechung des Bundespatentgerichts dürfte die entscheidende Stelle den Widersprechenden nach Erhebung einer Nichtbenutzungseinrede daher weder zur Glaubhaftmachung ausdrücklich aufzufordern, noch ihn auf den notwendigen Umfang der Glaubhaftmachung hinzuweisen (BPatG GRUR 1996, 981 f.; ESTAVITAL; GRUR 1994, 629 f.; Doutherm; BPatGE 22, 211 ff.; vgl. auch BPatG GRUR 2004, 950, 953 – ACELAT/Acesal; GRUR 2000, 900, 902 – Neuro-Vibolex; 28 W (pat) 35/99 – MINKAS/Minka; 30 W (pat) 71/02 – SOLO; 33 W (pat) 101/01 – LIONS/LIONS; 26 W (pat) 183/01 – Maxum/MAXUS; 29 W (pat) 116/07 – „DAS BLAUE“- STARNBERGER SEE TELEFON & ADRESSBUCH, jeweils veröffentlicht unter . Auch nach der neueren Rechtsprechung des 29. Senats des Bundespatentgerichts besteht im vorliegenden Fall keine Hinweispflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 82 Abs. 1 MarkenG. Dieser bejaht eine solche in fünf hier jeweils nicht einschlägigen Fällen, in denen

– die Markenstelle die Glaubhaftmachung der Benutzung mangels Verwechslungsgefahr dahingestellt gelassen hat, das Gericht die Frage der rechtserhaltenden Benutzung aber als entscheidungserheblich ansieht,
– die Markenstelle die zur Glaubhaftmachung eingereichten Unterlagen als ausreichend angesehen hat und das Gericht von dieser Beurteilung der Vorinstanz abweichen will,
– sich der maßgebliche Benutzungszeitraum aufgrund der langen Verfahrensdauer verschoben hat, so dass die im Verfahren vor der Markenstelle eingereichten und als ausreichend angesehenen Unterlagen den Benutzungszeitraum nach § 43 Abs. 1 S. 2 MarkenG nicht mehr abdecken,
– eine im Verfahren vor der Markenstelle unzulässig erhobene Einrede im Beschwerdeverfahren erneut erhoben wird und auf Grund des Ablaufs der Benutzungsschonfrist nunmehr wirksam ist (vgl. BPatG PAVIS PROMA 24 W (pat) 279/04 – wellSUN/SUNWELL),
– die eidesstattliche Versicherung formelle Mängel aufweist (vgl. näher Fezer/Grabrucker, Handbuch d. Markenpraxis, Bd. 1, Markenverfahrensrecht, Nationales Markenverfahren, BPatG, Rn. 253, 254; BPatG Mitt. 2006, 567 – Vision Arena/@rena vision). Keine der genannten Fallkonstellationen trifft aber auf das vorliegende Verfahren zu.

Nachdem die Widersprechende die rechtserhaltende Benutzung ihrer Marke entgegen § 43 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 26 MarkenG bislang für keine der von ihr angemeldeten Waren glaubhaft gemacht hat, sind ihre Waren gem. § 43 Abs. 1 S. 3 MarkenG insgesamt bei Beurteilung einer Verwechslungsgefahr i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG außer Betracht zu lassen. Dies führt zur Zurückweisung des Widerspruchs und zur Aufhebung der Entscheidungen vom 05.03.2008 und 30.07.2009, mit welchen der IR-Marke der Anmelderin wegen Verwechslungsgefahr mit der Widerspruchsmarke der Schutz in der Bundesrepublik Deutschland versagt wurde.

Die Beschwerde der Markeninhaberin hatte aus diesen Gründen Erfolg.

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