EuGH: Einheitlicher Urheberrechtsschutz für verschiedene Teile eines Gesamtwerkes?

veröffentlicht am 21. Dezember 2009

Rechtsanwalt Dr. Ole DammEuGH, Urteil vom 16.07.2009, Az. C-5/08
Art. 234 EG; Art. 2 und 5 EU-Richtlinie 2001/29

Der EuGH hat darauf hingewiesen, dass die Teile eines Werkes keiner anderen urheberrechtlichen Regelung unterliegen als das Gesamtwerk. Folglich seien sie urheberrechtlich geschützt, da sie als solche an der Originalität des Gesamtwerks teilhätten. Unter Berücksichtigung der Erwägungen in Randnr. 37 des vorliegenden Urteils seien die verschiedenen Teile eines Werkes somit unter der Voraussetzung, dass sie bestimmte Elemente enthielten, die die eigene geistige Schöpfung ihres Urhebers zum Ausdruck brächten, nach Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29 geschützt. In Bezug auf den Umfang eines solchen Schutzes des Werkes gehe aus den Erwägungsgründen 9 bis 11 der Richtlinie 2001/29 hervor, dass das Hauptziel der Richtlinie darin bestehe, ein hohes Schutzniveau u. a. zugunsten der Urheber sicherzustellen und diesen eine angemessene Vergütung für die Nutzung einschließlich der Vervielfältigung ihrer Werke zu ermöglichen, damit sie weiterhin schöpferisch und kreativ tätig sein könnten.

Mit derselben Ausrichtung verlange der 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29, dass die unter das Vervielfältigungsrecht fallenden Handlungen weit verstanden würden. Diese Forderung nach einer weiten Definition dieser Handlungen sei außerdem auch im Wortlaut von Art. 2 der Richtlinie zu finden, der Wendungen wie „unmittelbar oder mittelbar“, „vorübergehend oder dauerhaft“, „auf jede Art und Weise“ und „in jeder Form“ verwende. Folglich müsse der Schutz im Sinne des Art. 2 der Richtlinie 2001/29 weitreichend sein.

Der EuGH hatte sich mit folgenden Vorlagefragen des höchsten dänischen Gerichts zu befassen:

1. Sind die Speicherung und das anschließende Ausdrucken eines Textauszugs aus einem Zeitungsartikel, der aus einem Suchwort sowie den fünf vorangehenden und den fünf nachfolgenden Wörtern besteht, als geschützte Vervielfältigungshandlungen im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2001/29/EG anzusehen?

2. Ist es für die Bestimmung, ob die vorübergehenden Vervielfältigungshandlungen als „flüchtig“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 anzusehen sind, von Bedeutung, in welchem Zusammenhang sie vorgenommen werden?

3. Ist eine vorübergehende Vervielfältigungshandlung als „flüchtig“ anzusehen, wenn die Vervielfältigung bearbeitet wird, z. B. durch Erstellung einer Textdatei auf der Grundlage einer Bilddatei oder durch das Suchen von Textstellen auf der Grundlage einer Textdatei?

4. Ist eine vorübergehende Vervielfältigungshandlung als „flüchtig“ anzusehen, wenn ein Teil der aus einem oder mehreren Textauszügen von elf Wörtern bestehenden Vervielfältigung gespeichert wird?

5. Ist eine vorübergehende Vervielfältigungshandlung als „flüchtig“ anzusehen, wenn ein Teil der aus einem oder mehreren Textauszügen von elf Wörtern bestehenden Vervielfältigung ausgedruckt wird?

6. Ist es für die Bestimmung, ob die vorübergehenden Vervielfältigungshandlungen einen „integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 darstellen, von Bedeutung, in welchem Stadium des technischen Verfahrens sie vorgenommen werden?

7. Können vorübergehende Vervielfältigungshandlungen einen „integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens“ darstellen, wenn sie aus dem manuellen Einscannen ganzer Zeitungsartikel bestehen, wodurch diese von einem Printmedium in ein digitales Medium umgewandelt werden?

8. Können vorübergehende Vervielfältigungshandlungen einen „integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens“ darstellen, wenn sie aus dem Ausdrucken eines Teils der aus einem oder mehreren Textauszügen von elf Wörtern bestehenden Vervielfältigung bestehen?

9. Umfasst die „rechtmäßige Nutzung“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 jede Form der Nutzung, die nicht der Zustimmung des Rechtsinhabers bedarf?

10. Umfasst die „rechtmäßige Nutzung“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 das Einscannen ganzer Zeitungsartikel, die anschließende Bearbeitung der Vervielfältigung sowie die Speicherung und das etwaige Ausdrucken eines Teils der aus einem oder mehreren Textauszügen von elf Wörtern bestehenden Vervielfältigung durch ein Unternehmen für Zwecke des Schreibens von Zusammenfassungen, obwohl der Rechtsinhaber diesen Handlungen nicht zugestimmt hat?

11. Nach welchen Kriterien ist zu beurteilen, ob die vorübergehenden Vervielfältigungshandlungen „von eigenständiger wirtschaftlicher Bedeutung“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 sind, sofern die übrigen Voraussetzungen der Bestimmung erfüllt sind?

12. Können durch die vorübergehenden Vervielfältigungshandlungen erzielte Rationalisierungsgewinne des Nutzers in die Beurteilung der Frage einfließen, ob diese Handlungen „von eigenständiger wirtschaftlicher Bedeutung“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 sind?

13. Sind das Einscannen ganzer Zeitungsartikel, die darauf folgende Bearbeitung der Vervielfältigung sowie die Speicherung und das etwaige Ausdrucken eines Teil der aus einem oder mehreren Textauszügen von elf Wörtern bestehenden Vervielfältigung durch ein Unternehmen ohne die Zustimmung des Rechtsinhabers im Sinne von Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29 „bestimmte Sonderfälle, in denen die normale Verwertung“ der Zeitungsartikel „nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden“?

Im Ergebnis erkannte die Vierte Kammer des EuGH wie folgt:

1.
Eine Handlung, die im Laufe eines Datenerfassungsverfahrens vorgenommen wird, das darin besteht, einen aus elf Wörtern bestehenden Auszug eines geschützten Werkes zu speichern und auszudrucken, kann unter den Begriff der teilweisen Vervielfältigung im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft fallen, wenn die so wiedergegebenen Bestandteile – was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist – die eigene geistige Schöpfung durch den Urheber zum Ausdruck bringen.

2.
Das Ausdrucken eines aus elf Wörtern bestehenden Auszugs, der im Laufe eines Datenerfassungsverfahrens wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen erfolgt, erfüllt nicht die Voraussetzung der Flüchtigkeit im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29, und daher darf dieses Verfahren nicht ohne die Zustimmung der Inhaber der betreffenden Urheberrechte durchgeführt werden.

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