EuGH: Irreführende Angabe über Lebensmittelzutaten kann nicht allein durch das Zutatenverzeichnis behoben werden

veröffentlicht am 5. Juni 2015

Rechtsanwalt Dr. Ole DammEuGH, Urteil vom 04.06.2015, Az. C-195/14
Art. 2 Abs. 1 lit. a Ziff. i EU-RL 2000/13/EG, Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 EU-RL 2000/13/EG

Der EuGH hat entschieden, dass es unzulässig ist, wenn die Etikettierung eines Lebensmittels durch das Aussehen, die Bezeichnung oder die bildliche Darstellung einer bestimmten Zutat den Eindruck des Vorhandenseins dieser Zutat in dem Lebensmittel erwecken kann, obwohl sie darin tatsächlich nicht vorhanden ist und sich dies allein aus dem Verzeichnis der Zutaten auf der Verpackung des Lebensmittels ergibt. Vorliegend ging es um Früchtetee der Marke Teekanne, bei der die Abbildung von Himbeerfrüchten und Vanilleblüten blickfangmäßig herausgestellt war. Die Aufmachung des Tees war zudem geeignet, den Verbraucher davon abzuhalten, von dem auf der Verpackung – wesentlich kleiner – wiedergegebenen Verzeichnis der Zutaten Kenntnis zu nehmen, aus dem sich ein abweichender Sachverhalt ergab. Zum Volltext der Entscheidung:

Urteil des Gerichtshofs (Neunte Kammer)

In der Rechtssache C?195/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 26. Februar 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 18. April 2014, in dem Verfahren

Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V.

gegen

Teekanne GmbH & Co. KG

erlässt

der Gerichtshof (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung ..

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

….

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i und Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. L 109, S. 29) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 596/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 (ABl. L 188, S. 14) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2000/13).

2 Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen dem Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (im Folgenden: BVV) und der Teekanne GmbH & Co. KG (im Folgenden: Teekanne) über den angeblich irreführenden Charakter der Etikettierung eines Lebensmittels.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2000/13

3 Die Richtlinie 2000/13 wurde gemäß Art. 53 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission (ABl. L 304, S. 18) mit Wirkung vom 13. Dezember 2014 aufgehoben. Aufgrund des streitgegenständlichen Zeitraums ist sie im Ausgangsverfahren jedoch weiterhin anwendbar.

4 In den Erwägungsgründen 6, 8 und 14 der Richtlinie 2000/13 heißt es:

„(6) Jede Regelung der Etikettierung von Lebensmitteln soll vor allem der Unterrichtung und dem Schutz der Verbraucher dienen.

(8) Eine detaillierte Etikettierung, die Auskunft gibt über die genaue Art und die Merkmale des Erzeugnisses, ermöglicht es dem Verbraucher, sachkundig seine Wahl zu treffen, und ist insofern am zweckmäßigsten, als sie die geringsten Handelshemmnisse nach sich zieht.

(14) Die Regeln für die Etikettierung müssen auch das Verbot enthalten, den Käufer zu täuschen … Um wirksam zu sein, muss dieses Verbot auf die Aufmachung der Lebensmittel und auf die Lebensmittelwerbung ausgedehnt werden.“

5 Art. 1 Abs. 1 und 3 Buchst. a der Richtlinie 2000/13 bestimmt:

„(1) Diese Richtlinie gilt für die Etikettierung von Lebensmitteln, die ohne weitere Verarbeitung an den Endverbraucher abgegeben werden sollen, sowie für bestimmte Aspekte ihrer Aufmachung und der für sie durchgeführten Werbung.

(3) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:

a) ‚Etikettierung‘ alle Angaben, Kennzeichnungen, Hersteller- oder Handelsmarken, Abbildungen oder Zeichen, die sich auf ein Lebensmittel beziehen und auf jeglicher Art von Verpackung, Schriftstück, Tafel, Etikett, Ring oder Verschluss angebracht sind und dieses Lebensmittel begleiten oder sich auf dieses Lebensmittel beziehen …“

6 Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i dieser Richtlinie lautet:

„Die Etikettierung und die Art und Weise, in der sie erfolgt, dürfen nicht

a) geeignet sein, den Käufer irrezuführen, und zwar insbesondere nicht

i) über die Eigenschaften des Lebensmittels, namentlich über Art, Identität, Beschaffenheit, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprung oder Herkunft und Herstellungs- oder Gewinnungsart …“

7 Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2000/13 bestimmt:

„Die Etikettierung der Lebensmittel enthält nach Maßgabe der Artikel 4 bis 17 und vorbehaltlich der dort vorgesehenen Ausnahmen nur folgende zwingende Angaben:

1. die Verkehrsbezeichnung,

2. das Verzeichnis der Zutaten,

…“

8 Art. 6 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1) Das Verzeichnis der Zutaten wird nach Maßgabe dieses Artikels und der Anhänge I, II, III und IIIa angegeben.

(4) a) ‚Zutat‘ ist jeder Stoff, einschließlich Zusatzstoffe und Enzyme, der bei der Herstellung oder Zubereitung eines Lebensmittels verwendet wird und – wenn auch möglicherweise in veränderter Form – im Enderzeugnis vorhanden bleibt.

(5) Das Verzeichnis der Zutaten besteht in einer Aufzählung sämtlicher Zutaten des Lebensmittels in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtsanteils zum Zeitpunkt der Verarbeitung. Ihm wird eine geeignete Bezeichnung vorangestellt, in der das Wort ‚Zutaten‘ erscheint.

(6) Die Zutaten werden mit ihrem spezifischen Namen, gegebenenfalls nach Maßgabe von Artikel 5, bezeichnet.

Abweichend hiervon

– werden Aromen gemäß Anhang III bezeichnet;

(7) Die Gemeinschaftsvorschriften oder – falls solche fehlen – die einzelstaatlichen Vorschriften können für bestimmte Lebensmittel vorsehen, dass bei ihrer Verkehrsbezeichnung eine oder mehrere bestimmte Zutaten angegeben werden müssen.

…“

Verordnung (EG) Nr. 178/2002

9 Die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31, S. 1) sieht in Art. 8 („Schutz der Verbraucherinteressen“) vor:

„(1) Das Lebensmittelrecht hat den Schutz der Verbraucherinteressen zum Ziel und muss den Verbrauchern die Möglichkeit bieten, in Bezug auf die Lebensmittel, die sie verzehren, eine sachkundige Wahl zu treffen. Dabei müssen verhindert werden:

a) Praktiken des Betrugs oder der Täuschung,

b) die Verfälschung von Lebensmitteln und

c) alle sonstigen Praktiken, die den Verbraucher irreführen können.“

10 Art. 16 dieser Verordnung lautet:

„Unbeschadet spezifischer Bestimmungen des Lebensmittelrechts dürfen die Kennzeichnung, Werbung und Aufmachung von Lebensmitteln oder Futtermitteln auch in Bezug auf ihre Form, ihr Aussehen oder ihre Verpackung, die verwendeten Verpackungsmaterialien, die Art ihrer Anordnung und den Rahmen ihrer Darbietung sowie die über sie verbreiteten Informationen, gleichgültig über welches Medium, die Verbraucher nicht irreführen.“

Deutsches Recht

11 § 4 Nr. 11 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (BGBl. 2010 I, S. 254, im Folgenden: UWG) lautet:

„Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen

Unlauter handelt insbesondere, wer

11. einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.“

12 § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG bestimmt:

„Irreführende geschäftliche Handlungen

(1) Unlauter handelt, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt. Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über folgende Umstände enthält:

1. die wesentlichen Merkmale der Ware oder Dienstleistung wie Verfügbarkeit, Art, Ausführung, Vorteile, Risiken, Zusammensetzung, Zubehör, Verfahren oder Zeitpunkt der Herstellung, Lieferung oder Erbringung, Zwecktauglichkeit, Verwendungsmöglichkeit, Menge, Beschaffenheit, Kundendienst und Beschwerdeverfahren, geographische oder betriebliche Herkunft, von der Verwendung zu erwartende Ergebnisse oder die Ergebnisse oder wesentlichen Bestandteile von Tests der Waren oder Dienstleistungen …“

13 § 11 („Vorschriften zum Schutz vor Täuschung“) des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung sieht in Abs. 1 vor:

„Es ist verboten, Lebensmittel unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung in den Verkehr zu bringen oder für Lebensmittel allgemein oder im Einzelfall mit irreführenden Darstellungen oder sonstigen Aussagen zu werben. Eine Irreführung liegt insbesondere dann vor, wenn

1. bei einem Lebensmittel zur Täuschung geeignete Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen, Darstellungen oder sonstige Aussagen über Eigenschaften, insbesondere über Art, Beschaffenheit, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprung, Herkunft oder Art der Herstellung oder Gewinnung verwendet werden,

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

14 Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Teekanne einen Früchtetee unter der Bezeichnung „Felix Himbeer-Vanille Abenteuer“ (im Folgenden: Früchtetee) vertreibt. Die Verpackung des Früchtetees besteht aus einer quaderförmigen Faltschachtel aus Karton, die 20 Beutel enthält.

15 Diese Verpackung weist eine Reihe von Elementen verschiedener Größe, Farbe und Schriftart, u. a. Abbildungen von Himbeeren und Vanilleblüten, die Angaben „Früchtetee mit natürlichen Aromen“ und „Früchteteemischung mit natürlichen Aromen – Himbeer-Vanille-Geschmack“ sowie ein grafisch gestaltetes Siegel auf, das in einem goldenen Kreis die Angabe „nur natürliche Zutaten“ enthält.

16 Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts enthält der Früchtetee keine Bestandteile oder Aromen von Vanille oder Himbeere. Das Verzeichnis der Zutaten auf einer Seite der Verpackung lautet: „Hibiskus, Apfel, süße Brombeerblätter, Orangenschalen, Hagebutten, natürliches Aroma mit Vanillegeschmack, Zitronenschalen, natürliches Aroma mit Himbeergeschmack, Brombeeren, Erdbeeren, Heidelbeeren, Holunderbeeren“.

17 Der BVV erhob beim Landgericht Düsseldorf Klage gegen Teekanne, da aus seiner Sicht die Elemente auf der Verpackung des Früchtetees den Verbraucher über die Zusammensetzung des Tees irreführen. Aufgrund dieser Elemente erwarte der Verbraucher nämlich, dass der Früchtetee Bestandteile von Vanille und Himbeere oder zumindest natürliche Vanille- und Himbeeraromen enthalte.

18 Der BVV beantragte daher, Teekanne unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen für den Früchtetee zu werben oder werben zu lassen. Darüber hinaus verlangte er die Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von 200 Euro.

19 Mit Urteil vom 16. März 2012 gab das Landgericht Düsseldorf der Klage statt.

20 Auf die Berufung von Teekanne hob das Oberlandesgericht Düsseldorf dieses Urteil mit Urteil vom 19. Februar 2013 auf und wies die Klage des BVV ab. Es verneinte eine Irreführung des Verbrauchers sowohl im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LFGB als auch nach § 5 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 UWG.

21 Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf sind diese Bestimmungen des UWG und des LFGB richtlinienkonform dahin auszulegen, dass es auf die Verkehrserwartungen des Durchschnittsverbrauchers ankomme. Im vorliegenden Fall gehe aus der auf der Verpackung des Früchtetees abgedruckten Zutatenliste hervor, dass die verwendeten natürlichen Aromen Himbeer- bzw. Vanillegeschmack hätten. Dadurch werde zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht, dass die verwendeten Aromen nicht aus Vanille und Himbeeren gewonnen würden, sondern diesen Geschmack hätten. Die richtige und vollständige Information durch die Zutatenliste auf der Verpackung genüge nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs jedoch für die Ausschließung der Gefahr einer Irreführung.

22 Der BVV legte gegen dieses Urteil beim Bundesgerichtshof Revision ein.

23 Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, die wiederholte blickfangmäßig herausgestellte Abbildung von Himbeerfrüchten und Vanilleblüten, die ebenfalls wiederholte Angabe „Mit natürlichen Aromen“ und die gleichfalls wiederholte Abbildung des grafisch gestalteten Siegels „nur natürliche Zutaten“ suggerierten, dass der Geschmack des Tees durch aus Himbeerfrüchten und Vanillepflanzen gewonnenen Aromen mitbestimmt werde. Die Aufmachung des Früchtetees sei damit so gestaltet, dass sie geeignet sei, auch bei einem angemessen gut informierten und angemessen aufmerksamen und kritischen Verbraucher einen unrichtigen Eindruck hinsichtlich seiner Zusammensetzung zu erwecken. Die Aufmachung des Tees sei zudem geeignet, den Verbraucher davon abzuhalten, von dem auf der Verpackung – wesentlich kleiner – wiedergegebenen Verzeichnis der Zutaten Kenntnis zu nehmen, aus dem sich der wahre Sachverhalt ergebe.

24 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts sind die Etikettierung des Früchtetees und die Art und Weise, in der sie erfolge, unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe 6 und 8 der Richtlinie 2000/13 zur Irreführung des Käufers geeignet im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie.

25 Daher hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Dürfen die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür durch das Aussehen, die Bezeichnung oder bildliche Darstellung den Eindruck des Vorhandenseins einer bestimmten Zutat erwecken, obwohl diese Zutat tatsächlich nicht vorhanden ist und sich dies allein aus dem Verzeichnis der Zutaten gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2000/13 ergibt?

Zur Vorlagefrage

26 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i und Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2000/13 dahin auszulegen sind, dass es mit ihnen nicht vereinbar ist, dass die Etikettierung eines Lebensmittels und die Art und Weise, in der sie erfolgt, durch das Aussehen, die Bezeichnung oder die bildliche Darstellung einer bestimmten Zutat den Eindruck des Vorhandenseins dieser Zutat in dem Lebensmittel erwecken können, obwohl sie darin tatsächlich nicht vorhanden ist und sich dies allein aus dem Verzeichnis der Zutaten auf der Verpackung des Lebensmittels ergibt.

27 Im vorliegenden Fall befinden sich zum einen auf der Verpackung des Früchtetees u. a. Abbildungen von Himbeeren und Vanilleblüten, die Angaben „Früchtetee mit natürlichen Aromen“ und „Früchteteemischung mit natürlichen Aromen – Himbeer-Vanille-Geschmack“ sowie ein grafisch gestaltetes Siegel „nur natürliche Zutaten“.

28 Zum anderen enthält der Tee nach dem auf einer Seite der Verpackung angebrachten Verzeichnis der Zutaten gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2000/13, dessen Richtigkeit und Vollständigkeit nicht bezweifelt werden, natürliche Aromen mit „Vanillegeschmack“ und „Himbeergeschmack“. Es ist also unstreitig, dass der Tee keine natürlichen Zutaten aus Vanille oder Himbeere oder aus Vanille oder Himbeere gewonnenen Aromen enthält.

29 Im Ausgangsverfahren stellt sich daher die Frage, ob die Etikettierung des Früchtetees geeignet ist, den Käufer irrezuführen, weil sie den Eindruck des Vorhandenseins von Himbeer- und Vanilleblütenzutaten oder aus diesen Zutaten gewonnenen Aromen erwecken könnte, obwohl solche Zutaten oder Aromen darin nicht vorhanden sind.

30 Die Richtlinie 2000/13 soll ausweislich ihrer Erwägungsgründe 6 und 8 vor allem der Unterrichtung und dem Schutz der Verbraucher dienen, wobei die detaillierte Etikettierung, die Auskunft gibt über die genaue Art und die Merkmale der Erzeugnisse, es so dem Verbraucher ermöglichen soll, sachkundig seine Wahl zu treffen.

31 Insoweit sieht Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/13 im Einklang mit deren 14. Erwägungsgrund vor, dass die Etikettierung und die Art und Weise, in der sie erfolgt, nicht geeignet sein dürfen, den Käufer irrezuführen, und zwar insbesondere nicht über die Eigenschaften des Lebensmittels, namentlich über seine Art, Identität, Beschaffenheit, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprung oder Herkunft und Herstellungs- oder Gewinnungsart.

32 Diese Bestimmung verlangt daher, dass der Käufer über korrekte, neutrale und objektive Informationen verfügt, durch die er nicht irregeführt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Italien, C?47/09, EU:C:2010:714, Rn. 37).

33 Hinzu kommt, dass nach Art. 16 der Verordnung Nr. 178/2002, unbeschadet spezifischer Bestimmungen des Lebensmittelrechts, die Kennzeichnung, Werbung und Aufmachung von Lebensmitteln auch in Bezug auf ihre Form, ihr Aussehen oder ihre Verpackung, die verwendeten Verpackungsmaterialien, die Art ihrer Anordnung und den Rahmen ihrer Darbietung sowie die über sie verbreiteten Informationen, gleichgültig über welches Medium, die Verbraucher nicht irreführen dürfen.

34 Auch wenn die Richtlinie 2000/13 eine spezifische Bestimmung des Lebensmittelrechts im Sinne von Art. 16 der Verordnung Nr. 178/2002 darstellt, bekräftigt diese Vorschrift in Verbindung mit Art. 8 der Verordnung Nr. 178/2002, dass die Etikettierung eines Lebensmittels nicht irreführend sein darf.

35 Zur Beantwortung der Vorlagefrage ist darauf hinzuweisen, dass es grundsätzlich nicht Sache des Gerichtshofs ist, im Rahmen der Zuständigkeitsverteilung zwischen den nationalen Gerichten und den Gerichten der Union darüber zu entscheiden, ob die Etikettierung bestimmter Erzeugnisse den Käufer oder den Verbraucher irreführen kann, oder darauf einzugehen, ob eine Verkehrsbezeichnung möglicherweise irreführend ist. Dies ist Aufgabe der nationalen Gerichte. Der Gerichtshof kann dem nationalen Gericht jedoch auf dessen Vorabentscheidungsersuchen hin gegebenenfalls sachdienliche Hinweise für seine Entscheidung geben (vgl. insbesondere Urteile Geffroy, C?366/98, EU:C:2000:430, Rn. 18 bis 20, und Severi, C?446/07, EU:C:2009:530, Rn. 60).

36 Das nationale Gericht muss bei der Beurteilung der Frage, ob eine Etikettierung den Käufer irreführen kann, hauptsächlich auf die mutmaßliche Erwartung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abstellen, die dieser in Bezug auf den Ursprung, die Herkunft und die Qualität des Lebensmittels hegt, wobei es hauptsächlich darauf ankommt, dass der Verbraucher nicht irregeführt und nicht zu der irrtümlichen Annahme verleitet wird, dass das Erzeugnis einen anderen Ursprung, eine andere Herkunft oder eine andere Eigenschaft als in Wirklichkeit hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Severi, C?446/07, EU:C:2009:530, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37 Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass Verbraucher, die sich in ihrer Kaufentscheidung nach der Zusammensetzung des Erzeugnisses richten, zunächst das Verzeichnis der Zutaten lesen, dessen Angabe Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2000/13 vorschreibt (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Deutschland, C?51/94, EU:C:1995:352, Rn. 34, und Darbo, C?465/98, EU:C:2000:184, Rn. 22).

38 Der Umstand, dass das Verzeichnis der Zutaten auf der Verpackung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugnisses angebracht ist, kann jedoch für sich allein nicht ausschließen, dass die Etikettierung dieses Erzeugnisses und die Art und Weise, in der sie erfolgt, geeignet sein könnten, den Käufer gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2000/13 irrezuführen.

39 Die Etikettierung im Sinne von Art. 1 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2000/13 umfasst nämlich alle Angaben, Kennzeichnungen, Hersteller- oder Handelsmarken, Abbildungen oder Zeichen, die sich auf ein Lebensmittel beziehen und die auf dessen Verpackung angebracht sind. In der Praxis kommt es vor, dass einige dieser verschiedenen Elemente unwahr, falsch, mehrdeutig, widersprüchlich oder unverständlich sind.

40 Ist dies der Fall, kann das Verzeichnis der Zutaten, auch wenn es richtig und vollständig ist, in bestimmten Fällen gleichwohl nicht geeignet sein, einen falschen oder missverständlichen Eindruck des Verbrauchers bezüglich der Eigenschaften eines Lebensmittels zu berichtigen, der sich aus den anderen Elementen der Etikettierung dieses Lebensmittels ergibt.

41 Lassen die Etikettierung eines Lebensmittels und die Art und Weise, in der sie erfolgt, insgesamt den Eindruck entstehen, dass dieses Lebensmittel eine Zutat enthält, die tatsächlich nicht darin vorhanden ist, ist eine solche Etikettierung daher geeignet, den Käufer über die Eigenschaften des Lebensmittels irrezuführen.

42 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die verschiedenen Bestandteile der Etikettierung des Früchtetees insgesamt zu prüfen, um festzustellen, ob ein normal informierter und vernünftig aufmerksamer und kritischer Verbraucher über das Vorhandensein von Himbeer- und Vanilleblütenzutaten oder aus diesen Zutaten gewonnenen Aromen irregeführt werden kann.

43 Bei dieser Prüfung hat das vorlegende Gericht u. a. die verwendeten Begriffe und Abbildungen sowie Platzierung, Größe, Farbe, Schriftart, Sprache, Syntax und Zeichensetzung der verschiedenen Elemente auf der Verpackung des Früchtetees zu berücksichtigen.

44 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i und Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2000/13 dahin auszulegen sind, dass es mit ihnen nicht vereinbar ist, dass die Etikettierung eines Lebensmittels und die Art und Weise, in der sie erfolgt, durch das Aussehen, die Bezeichnung oder die bildliche Darstellung einer bestimmten Zutat den Eindruck des Vorhandenseins dieser Zutat in dem Lebensmittel erwecken können, obwohl sie darin tatsächlich nicht vorhanden ist und sich dies allein aus dem Verzeichnis der Zutaten auf der Verpackung des Lebensmittels ergibt.

Kosten

45 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i und Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür in der durch die Verordnung (EG) Nr. 596/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass es mit ihnen nicht vereinbar ist, dass die Etikettierung eines Lebensmittels und die Art und Weise, in der sie erfolgt, durch das Aussehen, die Bezeichnung oder die bildliche Darstellung einer bestimmten Zutat den Eindruck des Vorhandenseins dieser Zutat in dem Lebensmittel erwecken können, obwohl sie darin tatsächlich nicht vorhanden ist und sich dies allein aus dem Verzeichnis der Zutaten auf der Verpackung des Lebensmittels ergibt.

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