KG Berlin: Bezeichnung eines Doping-Gutachten als „bezahltes Gutachten“ ist äußerungsrechtlich zulässig – auch wenn mangelnde Neutralität unterstellt wird

veröffentlicht am 13. März 2012

KG Berlin, Urteil vom 20.06.2011, Az. 10 U 170/10
§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 823 Abs. 1 BGB; Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 1 Abs. 1 GG

Das KG Berlin hat entschieden, dass die Bezeichnung eines privat beauftragten Gutachtens zum (Nicht)Vorliegen von Blutdoping als „bezahltes Gutachten“ zulässig ist. Im Kontext werde durch diese A?ußerung zum Ausdruck gebracht, dass die Kla?gerin den Gutachter beauftragt habe und das Gutachten zu dem gewu?nschten Ergebnis gekommen sei. Auch werde zum Ausdruck gebracht, dass andere Gutachter zu anderen Ergebnissen kommen ko?nnten, dem Gutachten also nur ein beschra?nkter Aussagewert zukomme. Diese Auffassung sei von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt. Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin, weil dem Leser des streitgegenständlichen Artikels nahegelegt werde, dass die Kla?gerin durch die Bezahlung versucht habe, das Ergebnis zu beeinflussen, sah das Gericht nicht. Zum Volltext der Entscheidung:

Kammergericht Berlin

Urteil

Die Berufung der Kla?gerin gegen das am 26. Oktober 2010 verku?ndete Urteil des Landgerichts Berlin – 27 O 577/10 – wird auf ihre Kosten zuru?ckgewiesen.

Das Urteil ist vorla?ufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Kla?gerin, eine bekannte Eisschnella?uferin, wurde im Februar 2009 von der Internationalen Eislaufunion (ISU) fu?r zwei Jahre gesperrt, weil der Retikulozytenanteil in ihrem Blut u?ber dem von der ISU festgelegten Ho?chstwert lag. Die ISU nahm an, dass der indirekte Nachweis des Blutdopings gefu?hrt sei. Der Internationale Sportgerichtshof besta?tigte die Sperre. Dagegen legte die Kla?gerin Revision zum Schweizerischen Bundesgericht ein. Sie machte geltend, dass die Messwerte auf eine Blutanomalie zuru?ckzufu?hren seien. Im Dezember 2009 ließen sich die Kla?gerin und ihr Vater zur Durchfu?hrung weiterer Untersuchungen durch den Arzt Dr. W… in der Universita?tsklinik C… Blut abnehmen. Herr Dr. W… kam zu dem Ergebnis, dass eine Blutabnormalita?t vorliege und die erho?hten Werte „als vom Vater ererbt angesehen werden“ ko?nnten (Anl. A 2). Am 15. Ma?rz 2010 wurden die Ergebnisse auf einer Pressekonferenz der O?ffentlichkeit vorgestellt.

Die Beklagte befasst sich als Journalistin mit dem Fall der Kla?gerin. Sie bezweifelt die These von einer genetisch bedingten Blutanomalie. Am 19. Mai 2010 vero?ffentlichte sie in dem Internet-Blog „www.j…w…de“ einen Beitrag, in dem es u.a. heißt: „Wer das bestreitet… nimmt wohl eine HS-Diagnose aufgrund eines von P… bezahlten Gutachtens (W…) als gegeben, fu?r die Wissenschaftler bezweifeln, dass sie valide ist.“

Die Kla?gerin macht geltend, die Behauptung sei unwahr. Zahlungen an Dr. W… habe sie nicht geleistet. Sie hat beantragt, der Beklagten unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen, in Bezug auf die Kla?gerin zu behaupten und/oder behaupten zu lassen undloder zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen, die Kla?gerin habe Herrn Dr. W… fu?r die Erstellung seines Gutachtens bezahlt. Weiter hat sie beantragt, die Beklagte zur Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten von 285,24 € zu verurteilen. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Durch das am 26. Oktober 2010 verku?ndete Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die A?ußerung sei rechtma?ßig. U?berwiegend stellten die Formulierungen der Beklagten Meinungsa?ußerungen dar. Der Tatsachenkern sei zutreffend, da die Kla?gerin die Erstellung des Gutachtens veranlasst habe. Die Objektivita?t des Gutachters du?rfe die Beklagte anzweifeln. Auf die tatsa?chlichen Feststellungen in dem Urteil wird verwiesen, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.

Gegen das am 28. Oktober 2010 zugestellte Urteil hat die Kla?gerin am seiben Tag Berufung eingelegt und diese am 28. Dezember 2010 begru?ndet. Das Landgericht habe den Aussagegehalt nicht zutreffend erfasst. Der Begriff „bezahlt“ lege nahe, dass der Gutachter aufgrund der Bezahlung zu einem bestimmten, von der Kla?gerin vorgegebenen Ergebnis gekommen sei. Das Gutachten werde als Gefa?lligkeitsgutachten abgewertet. Dem Leser werde nahegelegt, dass die Kla?gerin durch die Bezahlung versucht habe, das Ergebnis zu beeinflussen. Dies verletze ihr Perso?nlichkeitsrecht.

Die Kla?gerin beantragt,

die Beklagte nach dem erstinstanzlichen Antrag zur Unterlassung sowie zur Zahlung

von 313,86 € nebst Rechtsha?ngigkeitszinsen zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zuru?ckzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil.

Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsa?tze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zula?ssige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kla?gerin stehen die geltend gemachten Anspru?che aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB entsprechend i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG gegen die Beklagte nicht zu. Die Abwa?gung der betroffenen Grundrechtspositionen aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 GG nach den vom Landgericht zutreffend dargestellten Maßsta?ben (Seite 5 f. des Urteils) ergibt, dass die beanstandete A?ußerung rechtma?ßig ist und von der Kla?gerin hingenommen werden muss.

1.
Das Landgericht hat zutreffend ausgefu?hrt, dass sich die A?ußerung der Beklagten in dem Blog als Zusammenspiel von Tatsachenbehauptungen und Meinungsa?ußerungen darstellt und hierbei in entscheidender Weise durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafu?rhaltens oder Meinens gepra?gt wird. In einem solchen Fall fa?llt die A?ußerung insgesamt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG, wobei nicht ausschlaggebend ist, ob der mit dem Unterlassungsantrag abgetrennte Teil der A?ußerung ausschließlich Behauptungen tatsa?chlicher Art entha?lt (vgl. BGH, NJW 2009, 915).

In ihrer Erwiderung auf den Beitrag Nr. 11 fu?hrt die Beklagte aus, dass es „unerkla?rte Ausschla?ge bei Retikulozyten“ gebe. Wer das bestreite, nehme, so die Beklagte eine HS-Diagnose aufgrund eines von P… bezahlten Gutachtens (W…) als gegeben, fu?r die Wissenschaftler bezweifelten, dass sie valide sei. Die Beklagte nimmt damit Stellung zum Ergebnis des Gutachtens W… . Schlussfolgerungen eines Sachversta?ndigen sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als Meinungsa?ußerungen einzuordnen (BGH, NJW 1978, 751; BGH, NJW 2003, 1308). Der durchschnittliche Empfa?nger geht von einer durch besondere Sachkunde gepra?gten Wertung aus, die zwar richtig oder falsch, nicht aber wahr oder unwahr sein kann. Rechtlich ist in der Regel der Schluss, den der Sachversta?ndige aus seinem Gutachten zieht, ein Werturteil. Entsprechendes gilt fu?r eine a?rztliche Diagnose. Diese ist das Ergebnis sachversta?ndiger Feststellungen eines Arztes (Seitz/Schmidt, Der Gegendarstellungsanspruch, 4. Aufl., 6. Kap. RNr. 105 f.). Daraus folgt, dass auch die Stellungnahme der Beklagten zu der im Gutachten W… gestellten Diagnose als (abweichende) Meinungsa?ußerung einzustufen ist. Im Kern bezweifelt sie die Validita?t des Gutachtens.

Zwar ist der Kla?gerin darin zu folgen, dass die A?ußerung betreffend die Bezahlung des Gutachtens bei isolierter Betrachtung als Tatsachenbehauptung einzuordnen wa?re. Denn u?ber diese Frage kann Beweis erhoben werden. Auch kann unterstellt werden, dass die Behauptung, wa?re sie als Tatsachenbehauptungeinzustufen, unwahr ist, weil die diagnostischen Leistungen u?ber den Forschungsetat der C… abgerechnet werden. Die beanstandete Aussage ist jedoch, was bei ihrer Auslegung zu beru?cksichtigen ist, in die Meinungsa?ußerung eingebettet. Im Kontext wird durch die A?ußerung „bezahltes“ Gutachten nur zum Ausdruck gebracht, dass die Kla?gerin den Gutachter beauftragt habe und das Gutachten zu dem gewu?nschten Ergebnis gekommen sei. Auch wird zum Ausdruck gebracht, dass andere Gutachter zu anderen Ergebnissen kommen ko?nnten, dem Gutachten W… also nur ein beschra?nkter Aussagewert zukomme. Dieser Aussagegehalt ist vom Grundrecht auf Meinungsa?ußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) gedeckt. Der Beklagten ko?nnte entgegen der Ansicht der Kla?gerin auch nicht die A?ußerung verboten werden, die Begutachtung sei nicht „neutral“ erfolgt (vgl. Seite 9 der Berufungsbegru?ndung).

Dass der Gutachter nur deshalb zu dem gefundenen Ergebnis gekommen sei, weil Zahlungen an ihn geflossen seien, ist der A?ußerung nicht zu entnehmen. Der Auftraggeber eines Privatgutachtens muss dieses regelma?ßig bezahlen. Wer, wie die Kla?gerin in der Auseinandersetzung mit ISU, ein bestimmtes Anliegen verfolgt, wird kein fu?r ihn nachteiliges Privatgutachten vorlegen. Privatgutachten stützen daher regelmäßig die Auffassung des vorlegenden Auftraggebers. Daraus ergibt sich, dass nach dem Verständnis des Lesers eine Gleichsetzung von „Bezahlung“ des Gutachtens mit „Einflussnahme auf das Ergebnis des Gutachtens“ nicht gerechtfertigt ist.

Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Vorinstanz:
LG Berlin, Az. 27 O 577/10

Auf das Urteil hingewiesen hat openjur.de (hier).

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