KG Berlin: Rechtsanwalt darf dem Gegner seines Mandanten mit Veröffentlichung der Zahlungssäumnis im Internet drohen

veröffentlicht am 19. Juli 2012

KG Berlin, Beschluss vom 29.02.2012, Az. (4) 121 Ss 30/12 (54/12)
§ 240 StGB

Das KG Berlin hat entschieden, dass die „Drohung“ eines Rechtsanwalt an den Gegner seines Mandanten, dessen Zahlungssäumnis und den dazugehörigen Lebenssachverhalt im Internet öffentlich zu machen, grundsätzlich nicht (als versuchte Nötigung / Nötigung) strafbar ist. Dabei komme es jedoch auf den Einzelfall an. Zu berücksichtigen sei, ob das Geschehen im Zusammenhang mit der anwaltlichen Tätigkeit im Interesse der Mandantschaft stehe, ein innerer Zusammenhang zwischen der Veröffentlichung und dem erstrebten rechtmäßigen Zweck gegeben sei und die zu veröffentlichenden Vorgänge nicht  in entstellter Form wiedergegeben oder mit abfälligen Beurteilungen oder persönlichen Angriffen gespickt würden. Die Ankündigung der Veröffentlichung des „Lebenssachverhalts“ im Internet an sich stelle nach ihrem Wortlaut jedenfalls eine lediglich allgemein gehaltene, unspezifische Ankündigung von Schwierigkeiten oder Weiterungen dar, die regelmäßig nicht den Tatbestand der Drohung mit einem empfindlichen Übel erfüllten. Zum Volltext der Entscheidung:

1. Eine Erklärung, der ein empfindliches Übel im Sinne des Nötigungstatbestandes nicht eindeutig zu entnehmen ist, bedarf der Auslegung. Hierfür sind alle Umstände des Einzelfalles heranzuziehen und kann das gesamte Verhalten des Angeklagten von Belang sein.

Kammergericht Berlin

Beschluss

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. November 2011 aufgehoben.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse Berlin.

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 29. Juni 2011 wegen versuchter Nötigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 200 € verurteilt. Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht durch das angefochtene Urteil mit der Maßgabe verworfen, dass es eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 150 € verhängt hat (wobei es in den Urteilsgründen allerdings heißt, die Geldstrafe sei tat- und schuldangemessen auf 35 Tagessätze festgesetzt worden).

1.
a)
Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:

Der Angeklagte vertrat als Rechtsanwalt die Interessen einer Hausverwaltung in einem Rechtsstreit mit Firmen der Z.-Gruppe, der um die Erfüllung abgetretener Makleransprüche in geltend gemachter Höhe von 428.400 € außergerichtlich geführt wurde. Mit Wirkung vom 24. Mai 2010 schlossen die Parteien einen Vergleich. Dieser sah vor, dass die Z. an die Mandantschaft des Angeklagten auf die geltend gemachte Forderung 10.000 € netto zzgl. Mehrwertsteuer sowie weitere 6.920 € netto zur Erstattung der außergerichtlichen Anwaltskosten zu zahlen hatte. Mit Schreiben vom 3. Juni 2010 bestätigte der Angeklagte gegenüber dem Anwalt der Gegenseite, dem Zeugen S., den Eingang der Vergleichsurkunde und erklärte, dem Zahlungseingang bis zum 8. Juni 2010 entgegenzusehen. Bereits mit Schreiben vom 10. Juni 2010, bei dem Zeugen S. am 11. Juni 2010 eingegangen, verfasste der Angeklagte den verfahrensgegenständlichen Schriftsatz folgenden Inhalts:

„Anlass meines Schreibens ist, wie Sie sich denken können, der fehlende Eingang des vergleichsweise vereinbarten Geldbetrages. Das war so nicht angedacht, dass jetzt dem Geld hinterhergelaufen werden muss. Scheinbar ist die Z. etwas klamm oder unwillig. Aus anderer Quelle habe ich gestern erfahren, dass sie sich auch bei anderen herausreden mit der Ausrede, das Geld sei schon überwiesen, aber zurückgekommen, weil die Kontonummer falsch war. Dann in der gleichen Sache, man wolle doch noch einmal überlegen, da der vereinbarte Betrag incl. Mwst. gemeint ist. Telefonisch ist man nicht erreichbar (immer gerade das Haus verlassen …). Dass es auch in unserem Fall zu kleinen aufeinanderfolgenden Verzögerungen kommt und ein avisierter Rückruf durch Sie unterblieben ist, nehme ich Ihnen persönlich nicht übel, da wir nichts für die Mandanten können. Es rundet das Bild aber ab. Solche Spiele wird jedenfalls M. (Anm. des Senats: die Mandantschaft des Angeklagten) nicht mitmachen. Sollte das Geld nicht am Montag bereits auf meinem Geschäftskonto sein, wird neben einer Urkundsklage eine Betrugsanzeige gegen die verantwortlichen Herren Ihrer Mandantschaft gestellt. Sollte nichts dazwischen kommen, schaffe ich dies problemlos in den Morgenstunden. Darüber hinaus werden wir den Lebenssachverhalt unter den Keywörtern „Z“ ins Internet stellen. Es tut mir leid, solche Maßnahmen anzukündigen und dann auch umzusetzen. Weiteres Schieben lassen wir jedoch nicht zu“.

Bereits am 15. Juni 2010 stellte der Angeklagte beim Amtsgericht F. einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen die Z., den er nach Eingang der seinem Konto am 17. Juni 2010 gutgeschriebenen Schuldbeträge mit Schriftsatz vom 18. Juni 2010 zurücknahm.

b)
Das Landgericht hat angenommen, mit dem Schreiben vom 10. Juni 2010 habe der Angeklagte der Z. bewusst angedroht, im Internet insbesondere zu verbreiten, dass die Z. zahlungsunwillig oder gar zahlungsunfähig sei, obgleich seine Erkenntnisse über die vermeintliche Zahlungsunwilligkeit oder -unfähigkeit der Z. einzig auf Äußerungen zweier anderer Mandanten bezüglich einer Forderung, die jene beiden gegenüber der Z. hatten, beruhten (UA S. 5). Keinesfalls hätten die Z. bzw. ihre Vertreter das Schreiben so verstehen sollen, dass der Angeklagte vorhatte, bei fehlendem Zahlungseingang lediglich die Tatsache, dass die Z. eine fällige Summe noch nicht beglichen habe, wertfrei zu veröffentlichen. Bei Abfassung der Schreiben habe der Angeklagte gesicherte Erkenntnisse über eine etwaige Zahlungsunfähigkeit der Z. nicht gehabt. Ihm sei auch die allgemeinkundige Tatsache bewusst gewesen, dass bereits die Verbreitung des Gerüchts im Internet, das Unternehmen sei zahlungsunfähig, enorme negative wirtschaftliche Konsequenzen haben könne. Gerade deshalb habe er gehofft, mit eben dieser Drohung das Unternehmen zu einer möglichst schnellen Zahlung veranlassen zu können (UA S. 6f).

Aus den in der Berufungshauptverhandlung unternommenen „Erklärungsversuchen“ des Angeklagten ergebe sich, dass der Angeklagte das Schreiben bewusst irreführend verfasst habe, sodass der Empfänger davon habe ausgehen müssen, der Angeklagte beabsichtigte, im Internet die Behauptung zu veröffentlichen, die Z. sei zahlungsunwillig, aber vor allem auch zahlungsunfähig. Die irreführende Formulierung, er werde gegebenenfalls den „Lebenssachverhalt“ veröffentlichen, habe einzig dazu gedient, sich im Ernstfall – wie tatsächlich geschehen – mit jener Formulierung herausreden zu können. Dem Angeklagten sei auch bewusst gewesen, dass eine derartige Drohung zur Durchsetzung der umgehenden Zahlung nicht mehr sozial adäquat, sondern insbesondere unter Berücksichtigung des erst kurzen Zeitablaufes seit dem Vergleichsschluss und der auf der Hand liegenden Tatsache, dass in einem großen Unternehmen die Anweisung einer fälligen Zahlung vom reinen Büro- und Verwaltungsablauf her ein paar Tage in Anspruch nehme, „jedenfalls vollkommen unverhältnismäßig“ sei.

2.
Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg, denn die vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht.

a)
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel wie folgt Stellung genommen:

„Der Revision kann der Erfolg nicht versagt werden. (…) Ausweislich der Feststellungen drohte der Angeklagte in dem Schreiben zum Zweck der Durchsetzung einer berechtigten, von der Schuldnerin jedoch noch nicht erfüllten Forderung damit, „den Lebenssachverhalt“ ins Internet zu stellen. Dies allein ist jedoch nicht geeignet, den Tatbestand der versuchten Nötigung zu erfüllen. Denn die Androhung der Offenlegung des bloßen Umstandes, dass eine Forderung von der Schuldnerin nicht umgehend erfüllt worden ist, ist nicht strafbar, wenn es dem Drohenden um die Beseitigung dieses Umstandes geht (vgl. BayObLG wistra 2005, 235). Etwas anderes lässt sich dem Drohschreiben des Angeklagten vom 10. Juni 2010 nicht entnehmen. Der Angeklagte drohte darin dem Wortlaut nach lediglich mit einer der Sachlage entsprechenden Offenlegung im Internet, um die Erfüllung der mit Recht bestehenden Forderung zu erzwingen. Die Konnexität zwischen Zwang und erzwungenem (rechtmäßigen) Verhalten ist damit gewahrt. Die Drohung ist nicht rechtswidrig.

Die weitergehende Annahme des Landgerichts, dem Angeklagten sei es nicht nur um die Veröffentlichung wahrer Tatsachen gegangen, sondern er habe darüber hinaus mit seiner Drohung den Eindruck erwecken wollen, im Internet die Zahlungsunwilligkeit und vor allem die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zu behaupten, entbehrt einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Sie lässt sich dem Schreiben vom 10. Juni 2010 weder dem Wortlaut nach noch nach seinem sonstigen Sinngehalt entnehmen und folgt auch nicht aus der Einlassung des Angeklagten. Sie stellt daher eine bloße, durch Tatsachen nicht untermauerte Vermutung des Gerichts dar, auf die der Schuldspruch nicht gestützt werden kann.

Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Da ergänzende Feststellungen nicht getroffen werden können, ist der Angeklagte freizusprechen“.

b)
Dies trifft zu. Die Wertung des Landgerichts, durch sein Schreiben habe der Angeklagte seinem Streitgegner mit einem empfindlichen Übel im Sinne des § 240 StGB rechtswidrig gedroht, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

An einer strafbewehrten Nötigungshandlung fehlte es zweifellos, wenn man unter dem „Lebenssachverhalt“ lediglich den objektiven Hergang verstünde. Denn ein Übel ist nur dann empfindlich, wenn der zu befürchtende Nachteil geeignet ist, einen besonnenen Menschen zu dem mit der Drohung erstrebten Verhalten zu bestimmen (vgl. BGHSt 31, 201; NStZ 1992, 278).

So hat es ersichtlich auch das Landgericht gesehen, weshalb es zugrunde gelegt hat, der Angeklagte habe vielmehr einen anderen Veröffentlichungsinhalt in Aussicht gestellt. Zu Recht hat die Strafkammer dabei unausgesprochen angenommen, dass eine Erklärung, der ein empfindliches Übel im Sinne des Nötigungstatbestandes nicht eindeutig zu entnehmen ist, der Auslegung bedarf (vgl. BGH StraFo 2003, 320; Senat, Beschluss vom 20. November 2007 – [4] 1 Ss 302/07 [247/07] -). Hierfür sind alle Umstände des Einzelfalles heranzuziehen und kann auch das sonstige Verhalten des Angeklagten von Belang sein. Entgegen der Ansicht der Revision stellt deshalb die Berücksichtigung auch der Einlassung des Angeklagten im Grundsatz keinen Rechtsfehler dar. Welchen genauen Inhalt die nach Auffassung des Landgerichts vom Angeklagten im Internet zu verbreitende Aussage gehabt hätte, ist dem angefochtenen Urteil allerdings nicht eindeutig zu entnehmen. Einerseits heißt es in den Urteilsgründen, der Angeklagte habe angedroht, im Internet insbesondere die Behauptung zu verbreiten, das gegnerische Unternehmen sei „zahlungsunwillig oder gar zahlungsunfähig“ (Hervorhebung durch den Senat), während es nach den Formulierungen an anderen Stellen ohne jede Einschränkung um die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin hätte gehen sollen.

Diese Unklarheit ist indessen nicht entscheidungserheblich und auch die Frage, ob bei Zugrundelegung des vom Landgericht angenommenen Erklärungsinhalts der Schuldvorwurf gegen den Angeklagten im Ergebnis begründet wäre, kann dahin stehen.

Die Ankündigung der Veröffentlichung des „Lebenssachverhalts“ im Internet stellt nach ihrem Wortlaut lediglich eine allgemein gehaltene, unspezifische Ankündigung von Schwierigkeiten oder Weiterungen dar, die regelmäßig nicht den Tatbestand der Drohung mit einem empfindlichen Übel erfüllt (vgl. BGH NJW 1976, 760). Die Formulierung konnte sich auch auf eine Mitteilung des Angeklagten beziehen, deren Androhung nach den in der Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätzen (vgl. BVerfG NJW 1993, 1519; 2007, 1443; BGH aaO; NJW 1993, 1484; NStZ 1992, 278; BayObLG aaO; RGSt 6, 405; OLG Hamm NJW 1957, 1081; Hans. OLG Bremen NJW 1957, 151; OLG München NJW 1950, 714; KG, Beschlüsse vom 5. Februar 2001 – [5] 1 Ss 343/00 [2/01] – und 9. November 1998 – [3] 1 Ss 193/98 [106/98] -; zur zivilrechtlichen Beurteilung vgl. auch BGH NJW 2005, 2766) nicht als rechtswidrig anzusehen wäre. Dies gilt insbesondere deshalb, weil eine Äußerung des Angeklagten zu beurteilen ist, die im Zusammenhang mit dem Prozessverhalten im Interesse seiner Mandantschaft stand (vgl. dazu BVerfG NJW 2007, 1443 zu Tz. 18), ein innerer Zusammenhang zwischen der mutmaßlichen Veröffentlichung und dem erstrebten (rechtmäßigen) Zweck außer Frage stünde und keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass der Angeklagte die Vorgänge in entstellter Form wiedergegeben oder mit abfälligen Beurteilungen oder persönlichen Angriffen versehen hätte.

Bei der Auslegung der Erklärung hat sich das Landgericht mit dieser Möglichkeit nicht in der gebotenen Weise befasst, sondern ausschließlich die dem Angeklagten ungünstigste Variante in den Blick genommen. Soweit die Strafkammer den Angeklagten als der Lüge überführt angesehen und auf dieser Grundlage den Inhalt der mutmaßlich beabsichtigten Veröffentlichung bestimmt hat, fehlt es hierfür an einer stichhaltigen Beweiswürdigung. Das Ergebnis der vom Landgericht wiedergegebenen Befragung des Angeklagten (UA S. 8 ) mag gewisse Zweifel an der Richtigkeit der Einlassung begründen; solche Zweifel vermögen aber nicht die Überzeugung von dem Gegenteil jener Einlassung und der Richtigkeit des vom Landgericht angenommenen Sachverhalts zu stützen. Soweit der Inhalt des Schreibens Anhaltspunkte für den vom Landgericht angenommenen Inhalt der beabsichtigten Erklärung bietet, ist zu beachten, dass der Angeklagte in Bezug auf die Zahlungsmoral und die Zahlungsfähigkeit seine offensichtlichen Wertungen mit Einschränkungen versehen hat („scheinbar“ … etwas klamm oder unwillig). Die weiteren Formulierungen lassen ohne weiteres die Beurteilung zu, dass nicht die Behauptung tatsächlicher Zahlungsunfähigkeit im Raum stand, sondern der Umgang der Z. mit Gläubigern, die begründete Forderungen geltend machen („herausreden“; solche „Spiele“; weiteres „Schieben“). Der weitere Verlauf, nämlich die vom Landgericht näher dargestellte Korrespondenz mit der Schuldnerin selbst, die die Ankündigung eines (sodann tatsächlich gestellten) Insolvenzantrages beinhaltete, spricht ebenfalls nicht für die vom Landgericht angenommene Würdigung. Darauf, dass sich der Erklärungsempfänger nach den landgerichtlichen Feststellungen von dem Schreiben des Angeklagten unbeeindruckt gezeigt hat, kommt es nach allem nicht mehr an.

c)
Das angefochtene Urteil war hiernach aufzuheben (§ 349 Abs. 4 StPO). Da auch der Senat ausschließt, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen getroffen werden können, die einen Schuldspruch rechtfertigen, spricht er den Angeklagten frei.

3.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

Auf die Entscheidung hingewiesen hat openjur.de (hier).

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