LG Flensburg: Keine kostenlosen Entscheidungen für openjur.de / Fragwürdige Begründung

veröffentlicht am 25. Juni 2012

Rechtsanwalt Dr. Ole DammLG Flensburg, Beschluss vom 18.06.2012, Az. 5 T 25/12
§ 4 Abs. 6 JVKostO, § 4 Abs. 7 JVKostO

Das LG Flensburg hat entschieden, dass das Portal für juristische Entscheidungen openjur.de keinen Anspruch auf kostenlose Überlassung von Gerichtsentscheidungen hat. Das Portal bietet frei zugängliche Entscheidungen im Volltext an, auf die auch wir immer wieder hinweisen. Beachtlich ist die Argumentation der Kammer: Die Ausnahmebestimmung des § 4 Abs. 7 JVKostO, wonach keine Kosten erhoben würden, wenn Daten im Internet zur nicht gewerblichen Nutzung bereitgestellt würden, sei nicht anwendbar. Die von dem Beschwerdeführer vorgenommene Differenzierung nach gewerblicher „Nutzung“ und gewerblicher „Weiterverwendung“ werde vom Gesetz nicht getroffen. Es komme nicht darauf an, ob und inwiefern der Beschwerdeführer selbst kommerziell tätig sei oder ob Dritte die vorgehaltenen Daten kommerzialisieren könnten. Was wir davon halten? Bei einer derart formalen Betrachtungsweise dürfte openjur.de demnächst sein Glück erneut klageweise versuchen, nachdem man auf der Seite deutlich sichtbar den Hinweis erteilt hat „Die Entscheidungen werden zur nicht gewerblichen Nutzung kostenfrei bereit gestellt.“ und gleichwohl für die Übersendung der Entscheidung zahlen musste. Eine ähnliche Formulierung hat der BGH gewählt (hier). Die weitere Argumentation, dass die Erhebung von Gebühren für die Übersendung von Entscheidungen gesetzlich in § 1 Abs. 1 S. 1 LJVKostG ausdrücklich vorgesehen sei, ist ebenfalls interessant. Es stellt sich nämlich die Frage, wie diverse Länder dann Entscheidungsportale für den kostenlosen (!) Abruf von Entscheidungen betreiben können.


Landgericht Flensburg

Beschluss

….

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.

Die weitere Beschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer – Betreiber der für private und gewerbliche Nutzer kostenfreien juristischen Datenbank openJur – forderte am 27.09.2011 bei dem Beschwerdegegner die Übersendung der Entscheidung 16 U 140/10 vom 15.09.2011 an. Diese wurde ihm von dem Beschwerdegegner antragsgemäß zugesandt. Mit Kostenrechnung vom 12. Oktober 2011 stellte er dem Beschwerdeführer einen Betrag von 12,50 EUR in Rechnung.

Gegen diese Kostenrechnung wendet sich der Beschwerdeführer mit Erinnerung vom 25.10.2011 und führt zur Begründung im wesentlichen aus, in der Veröffentlichungstätigkeit von openJur sei ein überwiegendes öffentliches Interesse anzunehmen, das unter den Befreiungstatbestand des § 7 a Abs. 3 JVKostO bzw. Gebührenverzeichnis Nr. 5 Anmerkung 2 zu § 1 Abs. 2 LJVKostG falle. Der Beschwerdegegener ist dagegen der Auffassung, eine Befreiung von der Zahlung zur Gebühr gemäß Gebührenverzeichnis Nr. 5 Anmerkung 2 LJVKostG komme nicht in Betracht, weil jedermann der kostenfreie Zugriff auf die bei dem Beschwerdeführer vorgehaltenen Entscheidungen möglich sei und die Daten somit auch für gewerbliche Zwecke genutzt werden könnten. Ein überwiegendes öffentliches Interesse liege insoweit nicht vor.

Das Amtsgericht hat die Erinnerung mit Beschluss vom 20.12.2011 zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, der Kostenbefreiungstatbestand sei nicht erfüllt. Es handele sich bei der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen grundsätzlich um eine öffentliche Aufgabe, die hier erfüllt worden sein. Von einer Kostenfreiheit sei erst dann auszugehen, wenn sich aus besonderen Gründen das öffentliche Interesse ergeben würde. Im Übrigen läge ein Befreiungstatbestand gemäß § 4 Abs. 7 JVKostO nicht vor, denn die Daten könnten auch von gewerblichen Nutzern abgefragt werden und stünden damit auch zur gewerblichen Nutzung bereit.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde vom 10.01.2012. Dieser hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 30.01.2012 lediglich dahin abgeholfen, dass es die Beschwerde zugelassen hat und im Übrigen nicht abgeholfen.

Im Rahmen des Beschwerdevorbringens wiederholt und vertieft der Beschwerdeführer sein erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend führt er aus, es sei nicht relevant, ob auch gewerbliche Nutzer von einer Veröffentlichung profitieren; es ginge dem Beschwerdegegner vielmehr um eine kommerzielle Verwertung der eigenen Gerichtsentscheidungen. Ausreichend für eine Kostenbefreiung sei allein die freie Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen; dieser Zweck allein begründe das überwiegende öffentliche Interesse. Die freie Veröffentlichung sei der Verkündung von Rechtsnormen ähnlich und damit von überragendem Interesse, auch im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz und das Sozialstaatsprinzip. openJur erlaube zwar die gewerbliche Nutzung. Hier sei allerdings zwischen gewerblicher „Nutzung“ und gewerblicher „Weiterverwendung“ zu unterscheiden. Letztere sei unter der von openJur verwendeten Creative Commens Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 Dritten ohnehin nicht erlaubt.

II.

Die – vom Amtsgericht gemäß §§ 13 Abs. 1 S. 2 JVKostO, 14 Abs. 3 S. 2 KostO zugelassene – Beschwerde ist zulässig.

Sie ist unbegründet.

Die Kostenfestsetzung des Beschwerdegegners ist nicht zu beanstanden. Dieser hat für die Überlassung einer gerichtlichen Entscheidung auf Antrag eines nicht am Verfahren beteiligten Dritten gemäß § 1 LJVKostG i. V. m. Nr. 5 des Gebührenverzeichnisses (Anlage zu § 1 Abs. 2 LJVKostG) die dort vorgesehene Gebühr von 12,50 EUR erhoben.

Ein Befreiungstatbestand ist nicht gegeben.

§ 4 Abs. 7 JVKostO – der bestimmt, dass keine Kosten erhoben werden, wenn Daten im Internet zur nicht gewerblichen Nutzung bereitgestellt werden – ist nicht anwendbar. Denn die hier relevanten Daten werden schon nach den eigenen Angaben des Beschwerdeführers auch zur gewerblichen Nutzung bereitgestellt. Die von dem Beschwerdeführer vorgenommene Differenzierung nach gewerblicher „Nutzung“ und gewerblicher „Weiterverwendung“ geht ins Leere. Denn das Gesetz trifft eine solche Differenzierung nicht. Es kommt dabei im Übrigen nicht darauf an, ob und inwiefern der Beschwerdeführer selbst kommerziell tätig wäre oder ob Dritte die vorgehaltenen Daten kommerzialisieren könnten. Die Bereitstellung zur gewerblichen Nutzung allein – die der Beschwerdeführer einräumt – reicht aus, um eine Kostenfreiheit nach § 4 Abs. 7 JVKostO auszuschließen.

Die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes aus § 1 Abs. 1, Abs. 2 LJVKostG i. V. m. Nr. 5 Anm. 2 des Gebührenverzeichnisses (Anlage zu § 1 Abs. 2 LJVKostG) bzw. des Befreiungstatbestandes aus § 7a Abs. 3 JVKostO i. V. m. Nr. 5 Anm. 3 des Gebührenverzeichnisses (Anlage zu § 1 Abs. 2 LJVKostG) bzw. des Befreiungstatbestandes aus § 4 Abs. 6 JVKostO sind nicht erfüllt. Denn die Veröffentlichung liegt nicht – wie jeweils erforderlich – überwiegend im öffentlichen Interesse. Hierfür reicht die bloße Veröffentlichung als solche – wie sie der Beschwerdeführer verfolgt – nicht aus (vgl. AG Münster, Beschluss vom 6. Oktober 2008 – 56/28.27). Es ist beispielsweise erforderlich, dass die Entscheidungen im Rahmen eines Forschungsvorhabens öffentlichen Zwecken dienen oder diese für Zwecke der Aus- und Fortbildung dienen (vgl. BT-Drucksache 13/9438, S. 10). Über den Veröffentlichungszweck hinaus bringt der Beschwerdeführer nichts vor, was ein überwiegendes öffentliches Interesse hätte rechtfertigen können, etwa eine wissenschaftliche Verwertung, z. B. zur Forschung oder – wie im vom LG Lüneburg NJW 2010, 881 entschiedenen Fall – weiteren wissenschaftlichen Auswertung. Es sind auch sonst keine Umstände ersichtlich, die eine Kostenfreiheit rechtfertigen würden.

Der Beschwerdegegner kommt im Übrigen seiner Publikationspflicht in vollem Umfang nach. Sämtliche der vom Beschwerdeführer umfangreich dargestellten rechtsstaatlichen Anforderungen, die Gegenstand etwa der Entscheidungen BVerwG NJW 1997, 2694; OLG Köln NJW-RR 2003, 429; LG Berlin NJW 2002, 838 sind, werden vom Beschwerdegegner verwirklicht. Es sind keine Einschränkungen in der Übersendung von Entscheidungen erkennbar, auch der Beschwerdeführer hat die angeforderte Entscheidung ohne weiteres erhalten.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers erwächst aus der Publikationspflicht keine Pflicht der Gerichte, Entscheidungen vollständig kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Im Gegenteil ist die Erhebung von Gebühren gesetzlich in § 1 Abs. 1 S. 1 LJVKostG ausdrücklich vorgesehen, hier durch die Anlage zu § 1 Abs. 2 LJVKostG konkretisiert und der Regelfall. Es handelt sich bei der Kostenerhebung für die Überlassung gerichtlicher Entscheidungen auf Antrag nicht am Verfahren beteiligter Dritter gerade nicht – wie der Beschwerdeführer meint – um eine „kommerzielle Verwertung der eigenen Gerichtsentscheidungen“ , sondern um eine auf Kostendeckung ausgerichtete Gebühr: Gebühren sind öffentlich rechtliche Geldleistungen, die aus Anlass individuell zurechenbarer, öffentlicher Leistungen dem Gebührenschuldner durch eine öffentlichrechtliche Norm oder sonstige hoheitliche Maßnahme auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu decken (BVerfG NJW 1979, 1345).

Bei den Befreiungstatbeständen § 1 Abs. 1, Abs. 2 LJVKostG i. V. m. Nr. 5 Anm. 2 des Gebührenverzeichnisses (Anlage zu § 1 Abs. 2 LJVKostG), § 7a Abs. 3 JVKostO i. V. m. Nr. 5 Anm. 3 des Gebührenverzeichnisses (Anlage zu § 1 Abs. 2 LJVKostG) und § 4 Abs. 6 JVKostO handelt es sich – ebenso wie bei der Gegenleistungsvereinbarung gemäß § 7 a Abs. 1, 2 JVKostO – um Ausnahmevorschriften, die nicht lediglich an ein öffentliches Interesse anknüpfen, sondern ein Überwiegen des öffentlichen Interesses voraussetzen. Dies erfordert allerdings – wie das Amtsgericht zu Recht festgestellt hat – besondere Gründe, die hier nicht vorliegen.

Auf das Urteil hingewiesen hat openjur.de (hier).

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