LG Gießen: Wird ein eBay-Konto gehackt und werden von einem unbekannten Dritten Verträge darüber abgeschlossen, haftet das eBay-Mitglied nicht

veröffentlicht am 14. Mai 2013

LG Gießen, Beschluss vom 14.03.2013, Az. 1 S 337/12
§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB, § 167 BGB

Das LG Gießen hat entschieden, dass der Inhaber eines „gehackten“ Mitgliedskontos nicht für vertragliche Pflichten haftet, die ein Dritter unter missbräuchlicher Nutzung des Mitgliedskontos herbeiführt. Ohne Vollmacht oder nachträgliche Genehmigung des Inhabers eines Ebay-Mitgliedskontos unter fremdem Namen abgegebene rechtsgeschäftliche Erklärungen seien dem Kontoinhaber nur unter den Voraussetzungen der Duldungs- oder der Anscheinsvollmacht zuzurechnen. Nach diesen Grundsätzen sei vorliegend indes nicht von einer wirksamen Vertretung des Beklagten auszugehen, so dass eine Zurechnung des Vertragsschlusses an den Beklagten scheitere. Daran vermöge die Verwendung des passwortgeschützten Ebay-Mitgliedskontos des Beklagten und die Tatsache, dass das Höchstgebot unter diesem Account abgegeben wurde, nichts zu ändern. Die sog. Halzband-Entscheidung des BGH, nach der im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts eine unsorgfältige Verwahrung der Kontaktdaten eines Ebay-Mitgliedskontos als eigenständiger Zurechnungsgrund für unter Verwendung des Kontos begangene Urheberrechts- und/oder Markenrechtsverletzungen sowie sonstige Wettbewerbsverstöße genüge, finde im Vertragsrecht keine Anwendung. Zum Volltext der Entscheidung (der vom Gericht zitierte Hinweisbeschluss findet sich am Ende der Entscheidungsgründe, ebenfalls im Volltext):


Landgericht Gießen

Beschluss

In dem Rechtsstreit

gegen

hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Gießen durch … am 14.03.2013 einstimmig beschlossen:

Die Berufung des Klägers gegen das am 16.10.2012 verkündete Urteil des Amtsgerichts Gießen (Aktenzeichen 43 C 62/12) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Berufung ist durch einstimmigen Kammerbeschluss aus den im Hinweisbeschluss vom 06.03.2013 dargelegten Gründen zurückzuweisen. Die Stellungnahme des Beklagten vom 12.03.2013 gibt keine Veranlassung zu einer abweichenden Entscheidung.

Soweit der Kläger auch in Ansehung des Hinweises der Kammer die Auffassung vertritt, eine Haftung des Beklagten ergebe sich unter Zugrundelegung der Ausführungen der Kammer in Anwendung der Grundsätze der Anscheinsvollmacht, kann dies schon ansatzweise nicht überzeugen. Insbesondere die Benachrichtigung seitens des ebay-Internetportals über den bereits erfolgten Kauf ist erkennbar nicht geeignet, in irgendeiner Weise einen für den Vertragsschluss ursächlichen Beitrag zu der Annahme des Geschäftspartners geleistet zu haben, der vertretene Beklagte kenne und billige das auf Abschluss eines Vertrages gerichtete Verhalten eines Dritten, das dem Vertretenen zuzurechnen ist. Zum Zeitpunkt der Mitteilung seitens des ebay-Internetportals über den bereits erfolgten Kauf möglicherweise gesetzte Rechtsscheinstatbestände sind denknotwendig nicht geeignet, auf den vorgelagerten Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurückzuwirken. Es gibt auch keine Verpflichtung des Inhabers eines ebay-Mitgliedskontons seine eingehenden e-mails ständig darauf hin zu kontrollieren, ob entsprechende Mitteilungen über Vertragsschlüsse seitens des ebay-Internetportals dort eingehen. Auch der Bezahlvorgang über paypal führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Hierin liegt regelmäßig ein rein tatsächlicher Vorgang, dem ein rechtsgeschäftlicher Erklärungsgehalt gerade nicht beizumessen ist und dem schon allein deswegen auch die Eignung fehlt, dem Zahlenden zugerechnet zu werden, wie sich aus § 166 BGB ergibt. Im Übrigen gilt auch für diesen Zahlungsvorgang, dass er denknotwendiq nach dem streitgegenständlichen Vertragsschluss ausgelöst wurde und auch deswegen keine Rechtsscheinwirkung für einen vorangegangenen Vertragsschluss begründen kann.

Die weitere Annahme des Klägers, er sei im Ergebnis als schutzwürdiger zu betrachten als der Beklagte, ist fern liegend. Es wäre dem Kläger ohne jede Schwierigkeit möglich gewesen, sich bei der unstreitig erfolgten Abholung des Computers über die Identität des Abholenden zu vergewissern. In dem vorliegenden Fall haben sich die typischen Risiken eines Fernabsatzgeschäfts unter Verwendung elektronischer Kommunikationsmedien realisiert. Dass diese Risiken derjenige Verkäufer zu tragen hat, der sich dieses Vertriebsweges bedient, entspricht nicht nur den von der Kammer in ihrem Hinweisbeschluss bereits dargelegten gesetzlichen Risikozuweisungen, sondern steht auch im Einklang mit den Grundsätzen von Treu und Glauben.

Eine deliktische Haftung des Beklagten kommt nicht in Betracht. Es ist nicht das Geringste dazu vorgetragen und ersichtlich, dass die Kennwortverwaltung des Beklagten gegen Verkehrssicherungspflichten verstoßen haben könnte, die gerade dem Kläger gegenüber bestehen. im übrigen fehlte es an einer Ursächlichkelt eines solchen Pflichtverstoßes für den eingetretenen Schaden. Denn letztlich ist dieser auf die übergabe des Computers an einen unbekannten Dritten zurückzuführen, die allein der Kläger zu vertreten hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert wird festgesetzt auf Euro 746,00.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.

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Landgericht Gießen

Beschluss

In dem Rechtsstreit

gegen

werden die Parteien darauf hingewlesen, dass die Kammer beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 22.03.2013.

Gründe

Die Zurückweisung der Berufung ist beabsichtigt, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.

Die Entscheidung des Amtsgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung(§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
Das Amtsgericht hat zu Recht den Kaufpreiszahlungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten in Höhe von Euro 746 für ein unter dem Ebay Account des Beklagten ersteigertes, unstreitig aber nicht an diesen übergebenes, MacBook aus § 433 Abs. 2 BGB zurückgewiesen.

Soweit der Kläger einen vertraglichen Erfüllungsanspruch, hier gerichtet auf Kaufpreiszahlung, geltend macht, trägt er, auch wenn der Vertrag auf elektronischem Wege zustande gekommen sein soll, für die anspruchsbegründenden Tatbestandvoraussetzungen die volle Darlegungs- und ihr folgend die Beweislast. Nachdem der Beklagte bestritten hat, die auf den Vertragsschluss gerichteten Erklärungen über sein Ebay-Mitgliedskonto abgegeben zu haben, fehlt es an der Darlegung der den erforderlichen Vertragsschluss zwischen dem Kläger und dem Beklagten tragenden Tatsachen.

Die Auffassung des Klägers, der Beklagte sei deswegen als aus dem über Ebay geschlossenen Kaufvertrag verpflichtet anzusehen, weil ihm wegen der Nutzung des Ebay-Mitgliedskontos des Beklagten jedenfalls die dort abgegebene Erklärung gemäß §§ 164 Abs. 1 S. 1, 167 BGB zuzurechnen sei, überzeugt nicht. Denn weder ist eine rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung einer konkreten Person, die das Ebay-Mitgliedskonto des Beklagten zum Abschluss des streitgegenständlichen Vertrages genutzt hat, durch den Beklagten vorgetragen, noch haftet der Beklagte nach Rechtsscheinsgrundsätzen.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 11.05.2011 – VIII ZR 289/09, hier zitiert nach Juris, Leitsatz 1), von der abzuweichen die Kammer keine Veranlassung sieht, liegt regelmäßig ein Handeln unter fremdem Namen vor, wenn unter Nutzung eines fremden Ebay-Mitgliedskontos auf den Abschluss eines Vertrages gerichtete Erklärungen abgegeben werden. Ohne Vollmacht oder nachträgliche Genehmigung des Inhabers eines Ebay-Mitgliedskontos unter fremdem Namen abgegebene rechtsgeschäftliche Erklärungen sind dem Kontoinhaber nur unter den Voraussetzungen der Duldungs- oder der Anscheinsvollmacht zuzurechnen. Nach diesen Grundsätzen ist indes vorliegend nicht von einer wirksamen Vertretung des Beklagten auszugehen, so dass eine Zurechnung des Vertragsschlusses an den Beklagten scheitert. Daran vermag die Verwendung des passwortgeschützten Ebay-Mitgliedskontos des Beklagten und die Tatsache, dass das Höchstgebot – was zwischen den Parteien unstreitig ist – unter diesem Account abgegeben wurde, nichts zu ändern.

Eine Duldungsvollmacht liegt regelmäßig nur dann vor, wenn der Vertretene es willentlich geschehen lässt, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt und der Geschäftspartner dieses Dulden nach Treu und Glauben dahin versteht und auch verstehen darf, dass der als Vertreter Handelnde zu den vorgenommenen Erklärungen bevollmächtigt ist (vgl. BGH a.a.O., Rdziff. 15). Einen derartigen Duldungstatbestand hat der Beklagte indes nicht gesetzt. Weder ist vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, dass der Beklagte einem Dritten, hier einem Unbekannten, die Zugangsdaten für sein Ebay-Mitgliedskonto offen gelegt hat, noch behauptet der Kläger die Nutzung des Ebay-Mietgliedskontos durch eine dritte Person mit Wissen oder Einverständnis des Beklagten.

Auch vom Vorliegen einer Anscheinsvollmacht für denjenigen, der unter Nutzung des Mitgliedskontos des Beklagten das Höchstgebot abgegeben hat, kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Eine Anscheinsvollmacht ist regelmäßig dann gegeben, wenn der Vertreter das Handeln des Scheinvertreters nicht kennt, er es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können und wenn der Geschäftspartner annehmen durfte, der Vertretene kenne und billige das Handeln des Vertreters (vgl. BGH a.a.O., Rdziff. 16). Die Rechtsgrundsätze der Anscheinsvollmacht greifen in der Regel aber nur dann ein, wenn das Verhalten des einen Teils, aus dem der Geschäftsgegner auf die Bevollmächtigung des Dritten glaubt schließen zu können, von einer gewissen Dauer und Häufigkeit ist. Diese kann selbst im Falle der wiederholten Nutzung eines Ebay-Mitgliedskontos nicht vermutet werden. Denn auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Zugangsdaten für die Internet-Plattform Ebay eine Identifikationsfunktion besitzen, weil das Mitgliedskonto nicht übertragbar und das ihm zugeordnete Passwort geheim zu halten ist, lassen die derzeit vorhandenen Sicherheitsstandards im Internet nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass unter einem registrierten Mitgliedsnamen ausschließlich dessen tatsächlicher Inhaber auftritt (vgl. BGH a.a.O., Rdnr. 18).

Soweit der Berufungskläger unter Hinweis auf die sog. Halsband-Entscheidung des BGH (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2009 – I ZR 114/06) die Auffassung vertritt, dass sich der Beklagte die unter Nutzung seines Ebay-Mitgliedskontos abgegebenen Erklärungen schon deswegen zurechnen lassen müsse, weil er keine ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen gegen einen Zugriff Dritter auf seine maßgeblichen Kontodaten getroffen habe, das Risiko einer unbefugten Nutzung aus seinem Gefahrenkreis herrühre und somit er als Beklagter die Darlegungs- und Beweislast dafür trage, dass eine unbefugte Nutzung seines Ebay-Mitgiedskontos erfolgt sei, kann er hiermit nicht durchdringen. Denn der BGH hat in der hier zugrunde gelegten Entscheidung (vgl. BGH a.a.O., Rdnr. 19) zu Recht darauf hingewiesen, dass die in der Halsband-Entscheidung formulierte Rechtsprechung, nach der im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts eine unsorgfältige Verwahrung der Kontaktdaten eines Ebay-Mitgliedskontos als eigenständiger Zurechnungsgrund für unter Verwendung des Kontos begangene Urheberrechts- und oder Markenrechtsverletzungen sowie sonstige Wettbewerbsverstöße genügt, eben im Vertragsrecht keine Anwendung finden kann. Zutreffend verweist der BGH darauf, dass diese, für den Bereich der deliktischen Haftung entwickelten Grundsätze, sich nicht auf die Zurechnung einer unter unbefugter Nutzung eines Mitgliedskontos von einem Dritten abgegebene rechtsgeschäftliehe Erklärung übertragen lassen. Denn während im Deliktsrecht der Schutz absoluter Rechte Vorrang vor den Interessen des Schädigers genießt, ist bei der Abgabe von auf den Abschluss eines. Vertrages gerichteten Erklärungen eine Einstandspflicht desjenigen, der eine unberechtigte Nutzung seines passwortgeschützten Mitgliedskontos ermöglicht hat, nur dann gerechtfertigt, wenn die berechtigten Interessen des Geschäftspartners schutzwürdiger sind als seine eigenen Belange. Dies aber ist nicht schon allein deswegen der Fall, weil der Kontoinhaber bei Ebay ein passwortgeschütztes Mitgliedskonto eingerichtet und sich der Betreiber dieser Plattform zur Geheimhaltung der Zugangsdaten verpflichtet hat. Das folgt letztlich aus der Risikozuweisung der Vertretungsregelungen in §§ 164, ‚167, 179 BGB, nach denen das Risiko einer fehlenden Vertretungsmacht des Handelnden von Gesetzes wegen dem Geschäftsgegner und eben nicht demjenigen zugewiesen wird, in oder unter dessen Namen jemand als Vertreter oder scheinbarer Namensträger auftritt. Eine Durchbrechung dieser Risikozuweisung ist nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn der Vertretene das Handeln des Dritten bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern kennen. Vielmehr ist in diesen Fällen für eine Zurechnung der von dem Dritten abgegebenen Erklärung weiter zu fordern, dass der Geschäftsgegner annehmen durfte, der Vertretene kenne und billige das Verhalten des Dritten. Nur unter dieser zusätzlichen Voraussetzung verdient ein vom Vertretenen oder Namensträger möglicherweise schuldhaft mit verursachter Rechtsschein im Rechtsverkehr in der Weise Schutz, dass das Handeln des Dritten dem Vertretenen zugerechnet wird.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend indes nicht erfüllt. Anders wäre der Fall zu beurteilen gewesen, wenn sich der Kläger bei der Abholung des pe Klarheit über die Identität der abholenden Person verschafft hätte. Dies hätte etwa durch Einsichtnahme in den für diese Person ausgestellten Personalausweis erfolgen können. Soweit hier der Personalausweis des Beklagten vorgezeigt worden wäre, hätte dies eine Rechtsscheinhaftung des Beklagten als Ausweisinhaber auslösen können (vgl. Borges, Rechtsfragen der Haftung im Zusammenhang mit dem elektronischen Identitätsnachweis, Seite 136).

Vor diesem Hintergrund empfiehlt die Kammer dem Kläger zur Vermeidung einer Zurückweisung der Berufung durch einen Beschluss, dessen Begründung sich in einer Bezugnahme auf diesen Hinweisbeschluss erschöpfen könnte, eine Rücknahme der Berufung in Erwägung zu ziehen. Eventuellem neuem Sachvortrag setzt die Zivilprozessordnung enge Grenzen. Eine Zurücknahme der Berufung hätte – abgesehen von den ohnehin anfallenden Anwaltskosten – eine deutliche Reduzierung der Gerichtskosten zur Folge, da die Verfahrensgebühren für das Berufungsverfahren im Allgemeinen von vier auf zwei Gerichtsgebühren halbiert würden.

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