LG Hamburg: Ausnutzung des fliegenden Gerichtsstands in Wettbewerbssachen kann rechtsmissbräuchlich sein

veröffentlicht am 2. Februar 2009

LG Hamburg, Beschluss vom 22.01.2009, Az. 408 0 218/07
§§
8 Abs. 4 UWG

Nach dem KG Berlin hat nun auch das LG Hamburg (8. Kammer für Handelssachen) deutlich gemacht, dass die Ausnutzung des so genannten „fliegenden Gerichtsstandes“ in Wettbewerbssachen rechtsmissbräuchlich sein kann. Wird die Wahl des Gerichtsortes davon abhängig gemacht, dass dieser möglichst weit entfernt vom Beklagten liegt, um diesem die Verteidigung auf Grund hoher Anreisekosten und Zeitverluste zu erschweren, so spricht dies für eine Ausnutzung der Gerichtsstandsregelungen zum Vorteil des Abmahners. Das Gericht befürwortete das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs, da „die Klägerin ihre Prozessfüh­rung in besonders kostenverursachender Weise gestaltet, ohne dass dies durch trifti­ge und vernünftige Gründe gerechtfertigt ist“. Damit schloss sich das LG Hamburg dem Kammergericht in der Begründung an (? Klicken Sie bitte auf diesen Link: KG Berlin). Die Zivilkammer des Landgerichts Hamburg hatte zuvor noch anders geurteilt (? Klicken Sie bitte auf diesen Link: LG Hamburg). Hierbei könnte es sich um eine der letzten Entscheidungen gegen die eTail GmbH handeln, gegen die gegenwärtig ein Insolvenzantragsverfahren anhängig ist (AG Hildesheim, Az. 51 IN 100/08).

Landgericht Hamburg

Beschluss

In der Sache

gegen

hat das Landgericht Hamburg, Kammer 08 für Handelssachen, durch … beschlossen:

Nach übereinstimmender Erledigungserklärung hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits nach einem Streitwert von 15.000,00 EUR zu tragen.

Gründe

I.
Mit der Klage verlangte die Klägerin, die wie die Beklagte Produkte aus dem Com­puterbereich vertreibt, ursprünglich die Unterlassung des Vertriebs von Computer­hardware über die Internethandelsplattform www.ebay.de.wenn die Beklagte die Verbraucher im Rahmen der gesetzlichen Widerrufsbelehrung dahingehend belehrt, dass die Widerrufsfrist zwei Wochen beträgt und wenn sie weiterhin die Verbraucher im Hinblick auf den Beginn der Widerrufsfrist ausschließlich dahingehend belehrt, dass der Lauf Widerrufsfrist mit dem Erhalt der Ware beginnt. Weiterhin verlangte sie die Kosten für die Eigenabmahnung in Höhe von 238,00 EUR, Auskunft im Hinblick auf den Umfang der Geschäftstätigkeit mit der streitgegenständlichen Widerrufsbe­lehrung sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, an die Klägerin we­gen der fehlerhaften Widerrufsbelehrung Schadensersatz zu zahlen. Im Hinblick auf die fehlerhafte Widerrufsbelehrung verweist die Klägerin auf die Anlage K 1.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie gab mit Datum vom 28.09.2007 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, und zwar so, wie sie aus der Anlage B 1 ersichtlich ist. Weiterhin gab sie der Klägerin Auskunft über die Anzahl (der Verkaufsgeschäfte im Zeitraum vom 01.01.2007 bis zum 31.07.2007) und den in diesem Zeitraum erzielten Bruttoumsatz. In ihrer Klageerwiderung verwies die Beklagte allerdings unter anderem darauf, dass sie das Vorgehen der Klägerin für rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG hielt. Die Klägerin habe eine Vielzahl von Personen wegen angeblicher Wettbewerbsverstöße abmahnen lassen. Die Klägerin sei eine 100-%ige Tochtergesellschaft der B AG; der Vorstand der B AG sei personenidentisch mit der Geschäftsführung der Klägerin. Im Namen der B AG und der Klägerin seien mindestens 268 Abmahnungen ausgesprochen worden; und zwar mindestens 119 von der B AG und mindestens 149 von der Klägerin. Weiterhin verwies die Beklagte darauf, dass die Klägerin in einer gan­zen Reihe von Verfahren Antragsgegner und Beklagte vor Gerichten in Anspruch genommen habe, die sich entfemungsmäßig sehr weit vom Sitz des jeweiligen Beklagten befunden hätten. Zudem habe die Muttergesellschaft der Klägerin im Jahre 2005 bis zum 31.05.2005 nur einen Jahresüberschuss von 71.028,41 EUR erwirtschaf­tet die Gebührenrechnungen in Abmahnsachen hätten sich demgegenüber auf min­destens 97.365,10 EUR belaufen.

Mit Schriftsatz vom 04.11.2007 nahm die Klägerin den Klageantrag zu 2. zu­rück; mit Schriftsatz vom 12.11.2007 hat die Klägerin den Rechtsstreit im Übrigen wegen der von der Beklagten abgegebenen Unterlassungserklärung für er­ledigt erklärt. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen.

II.
Nachdem die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt ha­ben, ist gemäß § 91 a ZPO nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu entschei­den. Es entspricht nach bisherigem Sach- und Streitstand billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens der Klägerin aufzuerlegen. Maßgebliches Entscheidungskri­terium ist es, wer die Kosten hätte tragen müssen, wenn sich die Hauptsache nicht erledigt hätte (vgl. Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 91 a, Rdnr. 33). Dies wäre bei Fortführung des Rechtsstreits die Klägerin gewesen, da ihr Vorgehen gegen die Be­klagte nach Überzeugung der Kammer als rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG zu beurteilen ist und die Klage deshalb abzuweisen gewesen wäre.

Von einem Missbrauch im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG ist auszugehen, wenn das be­herrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsans­pruches sachfremde Ziele sind, wie etwa das Interesse. Gebühren zu erzielen oder den Schuldner mit Kosten zu belasten (vgl. Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG. 26. Aufl., § 8, Rdnrn 4.12 ff. mit weiteren Nachweisen). Die Annahme eines Rechtsmiss­brauchs setzt nicht voraus, dass die Rechtsverfolgung ohne jegliches wettbewerbs­rechtliches Interesse betrieben wird. Ausreichend ist es schon, wenn die sachfrem­den Ziele das wettbewerbsrechtliche Interesse erkennbar überwiegen (vgl. BGH GRUR 2006, 244, MEGA SALE: KG, Beschluss vom 25. Januar 2008, Az.: 5 W 371/07, Anlage B 52).

Im Streitfall überwiegen die sachfremden Ziele der Klägerin, insbesondere das Inter­esse, Gebühren zu erzielen, das Interesse an der Aufrechterhaltung eines lauteren Wettbewerbs deutlich. Die Kammer verweist insoweit auf die Begründung des Kam­mergerichts im Beschluss vom 25. Januar 2008. Gegen die Klägerin spricht hier zu­nächst, dass die Klägerin und ihre Muttergesellschaft, die B AG, die beide durch den Vorstand bzw. Geschäftsführer C B geführt werden, in den Jahren 2006 und 2007 in 268 bekannt gewordenen Fällen Ab­mahnungen ausgesprochen haben wegen diverser wettbewerbsrechtlicher Problem­lagen. insbesondere aber wegen fehlerhafter Widerrufsbelehrungen, wegen des Ver­sprechens einer „lebenslangen Garantie“ sowie wegen der Verwendung der Abkür­zung „UVP“. Die Abmahnungen bestehen in der Tat häufig, worauf die Beklagte zu Recht verweist, aus immer wieder kehrenden Textbausteinen (vgl. Anlagenkonvolut 16). Der Klägerin ist allerdings Recht zu geben, dass die große Anzahl von Abmah­nungen für sich genommen noch nicht genügt. um einen Rechtsmissbrauch anzu­nehmen. Maßgeblich im Streitfall ist aber, worauf auch schon das Kammergericht in der angeführten Entscheidung hingewiesen hat, dass die Klägerin ihre Prozessfüh­rung in besonders kostenverursachender Weise gestaltet, ohne dass dies durch trifti­ge und vernünftige Gründe gerechtfertigt ist. Denn es ist ein Indiz für einen Miss­brauch, wenn dem Gläubiger schonendere Möglichkeiten der Anspruchsdurchset­zung zur Verfügung stehen, die er ohne triftigen Grund nicht nutzt (Hefer­mehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 26. Aufl., § 8, Rdnr. 4.10).

Die Beklagte hat im Streitfall hinreichend substantiiert dargelegt und durch Vorlage von Abschriften der Antragsschriften bzw. der jeweiligen Rubren der Gerichtsbe­schlüsse belegt, dass die Klägerin in einer großen Anzahl von wettbewerbsrechtli­chen Verfahren ihre Ansprüche in Prozessen unter Berufung auf den fliegenden Ge­richtsstand (§ 14 Abs. 2 Satz 1 UWG) bei Gerichten anhängig macht, die in erhebli­cher Entfernung zum Geschäfts-/Wohnsitz des Schuldners liegen, ohne dass hierfür schutzwürdige Interessen der Klägerin erkennbar sind. Dies gilt zunächst für die Wahl des Gerichtstandes Hamburg im vorliegenden Fall. Die Beklagte hat ihren Sitz in 88456 Ingoldingen, so dass für den Gerichtsstand Hamburg im vorliegenden Fall keinerlei Gründe sprechen. Denn auch die Klägerin ist nicht in Hamburg ansässig, sondern in 31061 Alfeld. In ähnlicher Weise verfuhr die Klägerin in dem aus der An­lage B 17 ersichtlichen Fall, indem sie bzw. ihre Muttergesellschaft B AG den aus 02625 Bautzen stammenden Antragsgegner vor dem Landgericht Köln in Anspruch nahm. Im als Anlage B 18 vorliegenden Sachverhalt nahm die Muttergesellschaft der Klägerin den in 53179 Bonn ansässigen Antragsge­gner allerdings nicht in Köln, sondern vor dem Landgericht Hamburg in Anspruch. Im Fall Anlage B 19 nahm die Muttergesellschaft der Klägerin den in 66954 Pirmasens ansässigen Antragsgegner ebenfalls vor dem Landgericht Hamburg in Anspruch. Im als Anlage B 20 vorliegenden Fall nahm die Muttergesellschaft der Klägerin den in 47495 Rheinberg ansässigen Antragsgegner ebenfalls vor dem Landgericht Harn­burg in Anspruch. Obwohl im Fall B 21 die Anrufung des Landgerichts Hamburg na­hegelegen hätte, da der dortige Beklagte aus 2741 9 Sittensen stammte, nahm die Klägerin den Beklagten vor dem Landgericht Berlin in Anspruch. Ebenso lag im Fall B 22 die Anrufung des Landgerichts Stuttgart nahe, da der Antragsgegner seinen Geschäftssitz in 73035 Göppingen hatte. Die Muttergesellschaft der Klägerin nahm den Antragsgegner allerdings vor dem Landgericht Würzburg in Anspruch.

Diese Fälle zeigen ein Muster, dass die Rechtsmissbräuchlichkeit indiziert. Denn die Klägerin bzw. ihre Muttergesellschaft – bei beiden Gesellschaften ist CB verantwortlich – haben die jeweiligen Verletzer immer vor besonders weit entfern­ten Gerichten in Anspruch genommen, was ihnen die Rechtsverteidigung offensich­tlich erschwert hat. Dabei berücksichtigt die Kammer, dass es grundsätzlich nicht rechtsmissbräuchlich ist, wenn der Kläger das ihm bequemste oder genehmste Ge­richt auswählt, also etwa sein Heimatgericht oder das Gericht mit der ihm am güns­tigsten erscheinenden Rechtsprechung. Eine derartige Wahl ließe sich mit guten Gründen rechtfertigen. Wenn aber ausgerechnet ein Verletzer aus Sittensen, bei dem der Gerichtsstand Hamburg nahegelegen hätte, den die Muttergesellschaft der Klägerin auch in einer Reihe weiterer Verfahren gewählt hat, vor dem Landgericht Berlin verklagt wird, verdeutlicht das die Intention der Klägerin, dem Beklagten die Rechtsverteidigung zu erschweren. Aus den gleichen Motiven hat die Klägerin offen­sichtlich auch die in Ingoldingen ansässige Beklagte vor dem Landgericht Hamburg verklagt. Nahegelegen hätten demgegenüber das Landgericht in München, das die Muttergesellschaft der Klägerin etwa im Fall Anlage B 6 angerufen hat. Der Rechts­missbrauch ist im Streitfall deshalb indiziert, weil die Wahl der Gerichtsstände nicht von ökonomischen und als sachgerecht anzusehenden Gesichtspunkten geprägt ist, sondern offensichtlich von dem Bestreben, die Rechtsverteidigung durch erhöhten Aufwand und erhöhte Kosten für den Beklagten zu erschweren. Die Kammer ver­weist insoweit erneut auf die Entscheidung des Kammergerichts (Anlage B 52), der sie sich in der Begründung vollen Umfangs anschließt.

I