LG Köln: Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts durch die Veröffentlichung unbegründeter Vermutungen

veröffentlicht am 9. April 2015

LG Köln, Urteil vom 25.02.2015, Az. 28 O 419/14
§ 1004 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 1 BGB; Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 3 GG

Das LG Köln hat entschieden, dass das Anstellen unhaltbarer Spekulationen (hier: in einem Zeitungsartikel über Energieversorger) nicht vom Recht zur freien Meinungsäußerung gedeckt ist, wenn das Recht eines Unternehmens, nicht diskreditiert zu werden, stärker wiegt. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn die Spekulationen auf falschen oder falsch dargestellten Tatsachen beruhen. Zum Volltext der Entscheidung:


Landgericht Köln

Urteil

Die einstweilige Verfügung vom 22.9.2014 wird bestätigt.

Der Verfügungsbeklagte trägt auch die weiteren Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Verfügungsklägerin ist ein Unternehmen, das in den Bereichen der Energieversorgung mit Nutzenergie aus ökologischem Strom und Energiedienstleistung sowie der Elektromobilität tätig ist. Die Belieferung der Verfügungsklägerin mit ökologischem Strom erfolgt nach Wahl des Verbrauchers aufgrund eines Energiedienstleistungsvertrags durch einen beliebigen Versorger.

Der Verfügungsbeklagte ist ein eingetragener Verein, der die Interessen von Verbrauchern vertritt.

Am 31.8.2014 veröffentlichte die taz online unter der Überschrift „Stromanbieter drückt sich um EEG-Umlage Energieversorgung für Fortgeschrittene“ einen Artikel, an dessen Ende die streitgegenständliche Äußerung wiedergegeben wird. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Anlage Ast 3 Bezug genommen.

Die Verfügungsklägerin forderte den Verfügungsbeklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 2.9.2014 erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf.

Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, durch die streitgegenständliche Äußerung betroffen zu sein. Dies ergebe sich daraus, dass in den Artikel durchweg von dem „Jer Energieanbieter D“ sowie von den „Kunden von D“ die Rede sei. Der Durchschnittsleser verbinde mit diesen Bezeichnungen allein sie, da sie als einziges Unternehmen in vertraglichen Beziehungen zu ihren rund 400.000 Kunden stehe.

Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, dass es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung um eine bewusst unwahre Tatsachenbehauptung handele. Denn nach § 37 Abs. 2 EEG a.F. schuldeten ausschließlich Elektrizitätsunternehmen die EEG-Umlage, welche Strom an Letztverbraucher lieferten. Eine „Durchgriffshaftung“ der Netzbetreiber auf den Kunden im Insolvenzfall ihres Versorgers sehe das Gesetz nicht vor. Durch diese Äußerungen würden wegen nicht bestehender Zahlungspflichten potentielle Kunden ganz offensichtlich abgeschreckt.

Selbst wenn man davon ausgehe, dass es sich um eine Rechtsmeinung handele, bedürfe es einer gesetzlichen Norm als Anknüpfungspunkt, welche eine derartige Zahlungspflicht der Verbraucher gegenüber den Netzbetreibern im Insolvenzfall des Versorgers normieren würde. Eine solche Norm gebe es jedoch nicht.

Mit Beschluss vom 22.9.2014 hat die Kammer eine einstweilige Verfügung erlassen und dem Verfügungsbeklagten verboten, unter Bezugnahme auf die Verfügungsklägerin zu behaupten und/oder zu verbreiten:

„(E, Geschäftsführer der Jer Verbraucherzentrale warnt, das Vertragskonstrukt von D sei für ihn und seine Mitarbeiter nicht durchschaubar.) Zwar müssten Kunden von D keine Vorkasse leisten, sollte der Versorger jedoch zahlungsunfähig werden, könnte es sein, dass sich die Netzbetreiber die ausstehende EEG-Umlage bei den Stromkunden holten.“

Die Verfügungsklägerin beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 22.9.2014 zu bestätigen.

Der Verfügungsbeklagte beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 22.9.2014 aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.

Der Verfügungsbeklagte behauptet, dass er sich nicht wörtlich so geäußert habe, wie in der taz wiedergegeben. Er habe sich vielmehr wie folgt geäußert: „Zahlt ein Stromversorger eine Umlage nicht oder wird er insolvent, könnte der Netzbetreiber die Zahlungsausfälle über die Netzentgelte wieder hereinholen, so dass am Ende die Stromkunden zahlen.“

Der Verfügungsbeklagte ist ferner der Auffassung, dass die Verfügungsklägerin durch die angegriffene Äußerung nicht betroffen sei, da sie selbst von sich behauptet, kein Stromversorger zu sein.

Ferner handele es sich um eine zulässige Meinungsäußerung, was schon aus der Formulierung „(…) könnte es sein, dass (…)“ folge. Dies bedeute, dass hier eine mögliche Folge geäußert werde. Ferner sei es eine zulässige Meinung, die These zu vertreten, dass sich die Netzbetreiber die EEG-Umlage bei den Stromkunden holen würden. Dies folge schon daraus, dass, wenn ein Stromversorger Insolvenz anmelde, die dadurch entstandenen Ausfälle vom Netzbetreiber dadurch kompensiert werden könnten, dass die Kosten der Netzbetreiber auf alle Versorger umgelegt würden, letztlich also vom Stromkunden zu bezahlen seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird ergänzend auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die einstweilige Verfügung war zu bestätigen, da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nach wie vor begründet ist.

Die Verfügungsklägerin hat gegen den Verfügungsbeklagten einen Unterlassungsanspruch gemäß den §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1, 19 Abs. 3 GG.

1.
Die Verfügungsklägerin ist durch die streitgegenständliche Äußerung betroffen.

Sofern der Verfügungsbeklagte eine Betroffenheit der Verfügungsklägerin verneinen möchte, weil diese sich selbst nicht als Versorger ansieht, ist dies nicht überzeugend. Denn es geht nicht darum, dass die Verfügungsklägerin sich nicht als Versorger ansieht, sondern darum, dass der Verfügungsbeklagte sie für den Durchschnittsrezipienten erkennbar als solche bezeichnet.

Dies ergibt sich zwanglos aus dem Gesamtkontext der streitgegenständlichen Äußerung. Denn zum einen befasst sich die gesamte Äußerung des Verfügungsbeklagten allein mit der Verfügungsklägerin und ihrem „nicht durchschaubaren Vertragskonstrukt“. Zum anderen ergibt sich aus der Syntax des streitgegenständlichen Satzes, dass mit dem „Versorger“ die Verfügungsklägerin gemeint ist, da ansonsten die gedankliche Verbindung der Halbsätze durch die Formulierung „Zwar (…), (…) jedoch (…).“ sinnfrei wäre. Auch inhaltlich wäre die Aussage des Satzes nicht nachvollziehbar, handelte es sich bei dem „Versorger“ nicht um die Verfügungsklägerin. Denn es ging dem Verfügungsbeklagten durch die Aussage gerade darum, einerseits einen scheinbaren Vorteil einer Vertragsbeziehung zur Verfügungsklägerin zu nennen („keine Vorkasse“) und sodann eine mögliche Gefahr aufzuzeigen, die in einer Vertragsbeziehung zur Verfügungsklägerin liegen könnte („Zahlung der EEG-Umlage bei Insolvenz“).

2.
Der Verfügungsbeklagte ist auch passivlegitimiert.

Sofern der Verfügungsbeklagte behauptet, falsch zitiert worden zu sein, hat er dies nicht glaubhaft gemacht. Zwar ist es grundsätzlich zutreffend, dass die Verfügungsklägerin glaubhaft machen muss, dass der jeweils in Anspruch Genommene eine bestimmte Äußerung getätigt hat. Dieser Glaubhaftmachungslast ist sie jedoch zunächst durch die Vorlage des streitgegenständlichen Artikels nachgekommen. Es wäre nunmehr am Verfügungsbeklagten gewesen, im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast glaubhaft zu machen, dass er falsch zitiert wurde, da es sich insofern um Umstände handelt, die sich der Wahrnehmung und Kenntnis der Verfügungsklägerin entziehen und sich in der Sphäre des Verfügungsbeklagten zugetragen haben.

3.
Der Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Verfügungsklägerin ist rechtwidrig.

Das Persönlichkeitsrecht einer juristischen Person stellt genauso wie das Allgemeine Persönlichkeitsrecht einen offenen Tatbestand dar, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung mit der im Einzelfall konkret kollidierenden Interessensphäre anderer ergeben (vgl. BGH, NJW 2008, 2110 m.w.N.). Stehen sich als widerstreitende Interessen – wie vorliegend – die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und das (Unternehmer-) Persönlichkeitsrecht gegenüber, kommt es für die Zulässigkeit einer Äußerung maßgeblich darauf an, ob es sich um Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen handelt. Tatsachen sind innere und äußere Vorgänge, die zumindest theoretisch dem Beweis zugänglich sind und sich damit als wahr oder unwahr feststellen lassen (BGH, NJW 1952, 660), während Meinungsäußerungen durch das Element der Stellungnahme geprägt sind. Gleiches gilt für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb (Sprau in: Palandt, Kommentar zum BGB, 74. Auflage 2015, § 823 BGB, Rn. 131). Unabdingbare Voraussetzung für eine zutreffende Einordnung einer Äußerung ist die Ermittlung des Aussagegehalts. Dabei darf nicht isoliert auf den durch den Antrag herausgehobenen Text abgestellt werden. Vielmehr ist dieser im Zusammenhang mit dem gesamten Aussagetext zu deuten. Dabei ist auf den objektiven Sinn der Äußerung aus der Sicht eines unvoreingenommenen Durchschnittslesers abzustellen (vgl. BGH, NJW 1998, 3047). Maßgeblich für das Verständnis der Behauptung ist dabei weder die subjektive Sicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat (BVerfG, NJW 2006, 207). Ist der Sinn unter Zugrundelegung dieses Maßstabs eindeutig, ist er der weiteren Prüfung zugrunde zu legen. Zeigt sich aber, dass ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum die (Meinungs-)Äußerung (BVerfG, NJW 2006, 3769) als mehrdeutig wahrnimmt oder verstehen erhebliche Teile des Publikums den Inhalt jeweils unterschiedlich, ist bei der weiteren Prüfung von einem mehrdeutigen Inhalt auszugehen (BVerfG, NJW 2006, 207). Bei Unterlassungsansprüchen ist im Rahmen der rechtlichen Zuordnung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz zu berücksichtigen, dass der Äußernde die Möglichkeit hat, sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich klarzustellen, welcher Äußerungsinhalt der rechtlichen Prüfung einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts zugrunde zu legen ist (vgl. BVerfG a. a. O.). Im Rahmen des Unterlassungsbegehrens sind daher alle möglichen und durchaus naheliegenden Auslegungen der Äußerung zugrunde zu legen (vgl. BVerfG NJW 2006, 3769).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze handelt es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin um eine Meinungsäußerung des Verfügungsbeklagten. Denn der Verfügungsbeklagte spekuliert ersichtlich über eine – seiner Meinung nach – mögliche Reaktion der Netzbetreiber im Falle einer spekulativ in den Raum gestellten Zahlungsunfähigkeit der Verfügungsklägerin. Hier überwiegen erkennbar die Elemente der Stellungnahme den möglicherweise enthaltenen Tatsachenkern so weit, dass die Äußerung insgesamt als Meinungsäußerung betrachtet werden muss.

Im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen ist hier dem Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Verfügungsklägerin der Vorrang zu gewähren.

Zwar ist zu berücksichtigen, dass die Verfügungsklägerin lediglich in ihrem wirtschaftlichen Wirken tangiert wird und sie in diesem Zusammenhang Kritik grundsätzlich hinnehmen muss. Denn die bei Unternehmen nur betroffene Sozialsphäre ist nicht absolut geschützt, weil insoweit ein Spannungsverhältnis mit der Äußerungs- und Pressefreiheit besteht. Berührt ein Vorwurf den Bereich der gewerblichen Betätigung – also die Sozialsphäre – kommt einem Informationsinteresse der Öffentlichkeit ein erheblicher Rang zu; wer sich im Wirtschaftsleben aktiv betätigt, muss sich in weitem Umfang der Kritik aussetzen (BGH, AfP 1995, 404, 407).

Demgegenüber ist jedoch zu beachten, dass es keinerlei – tatsächliche und rechtliche – Grundlage für die Meinungsäußerung des Verfügungsbeklagten gibt, da es – unstreitig – keine rechtliche Handhabe der Netzbetreiber gibt, die durch die Insolvenz ausgebliebene EEG-Umlage von den Endkunden zu erhalten. Wenn sich jedoch – wie hier – wertende und tatsächliche Elemente in einer Äußerung so vermengen, dass diese – wie hier – insgesamt als Werturteil anzusehen ist, kann die Richtigkeit der tatsächlichen Bestandteile im Rahmen einer Abwägung der Rechte eine Rolle spielen. Enthält die Meinungsäußerung erwiesen falsche oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen, so wird regelmäßig das Grundrecht der Meinungsfreiheit hinter dem durch das grundrechtsbeschränkende Gesetz geschützten Rechtsgut zurücktreten (vgl. BGH, WRP 2008, 820). Jedenfalls fällt die Richtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, regelmäßig bei der Abwägung ins Gewicht (BGH, a. a. O.), was im konkreten Fall zum Überwiegen des Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Verfügungsklägerin führt.

Der Verfügungsbeklagte kann auch nicht mit der Argumentation durchdringen, dass es eine zulässige Meinung sei, die These zu vertreten, dass sich die Netzbetreiber die EEG-Umlage bei den Stromkunden holen würden. Dies folge schon daraus, dass, wenn ein Stromversorger Insolvenz anmelde, die dadurch entstandenen Ausfälle vom Netzbetreiber dadurch kompensiert werden könnten, dass die Kosten der Netzbetreiber auf alle Versorger umgelegt würden, letztlich also vom Stromkunden zu bezahlen seien.

Denn die streitgegenständliche Äußerung kann von dem Durchschnittsrezipienten zwar auch in Richtung einer mittelbaren Umlegung des Ausfalls der EEG-Umlage durch Weitergabe der Kosten an die Versorger und erst dann an die Stromkunden verstanden werden. Nicht fernliegend ist es jedoch aufgrund der gewählten Formulierung, dass der Durchschnittsrezipient die Äußerung auch dahingehend verstehen kann, dass der Verfügungsbeklagte eine Haftung der Kunden direkt gegenüber dem Netzbetreiber für möglich hält. Diese Verständnismöglichkeit des Durchschnittsrezipienten ist jedoch erkennbar und unstreitig unzutreffend und folglich aufgrund ihrer Mehrdeutigkeit zu unterlassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO analog.

Streitwert für das Widerspruchsverfahren: 10.000,- EUR

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,

a) wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder

b) wenn die Berufung in dem Urteil durch das Landgericht zugelassen worden ist.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Oberlandesgericht Köln, Reichenspergerplatz 1, 50670 Köln, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils (Datum des Urteils, Geschäftsnummer und Parteien) gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.

Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Oberlandesgericht Köln zu begründen.

Die Parteien müssen sich vor dem Oberlandesgericht Köln durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.

Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

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