LG Krefeld: Darf ein Uhrenhersteller das auftragsgemäß individuell gefertigte Uhrenwerk auch als Vorlage für andere, selbst vertriebene Uhrwerke nehmen? / Vorlagebeschluss

veröffentlicht am 20. Oktober 2014

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtLG Krefeld, Beschluss vom 27.09.2012, Az. 12 O 28/12 = Az. 11 O 159/09
§ 3 UWG, § 4 Nr. 11 UWG, § 18 UWG, § 823 Abs. 2 BGB, Art. 267 Abs. 1 lit. b, Abs. 3 AEUV, Art. 5 Nr. 1 EuGVVO

Das LG Krefeld hat dem EuGH eine Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt, um klären zu können, ob ein im Ausland ansässiger Uhrenhersteller das auftragsgemäß für ein deutsches Unternehmen individuell gefertigte Uhrenwerk auch als Vorlage für andere, selbst vertriebene Uhrwerke nehmen darf. Zum Volltext der Entscheidung:


Landgericht Krefeld

Beschluss

I.
Das Verfahren wird ausgesetzt.

II.
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) im Rahmen des ausgesetzten Klageverfahrens folgende Rechtsfrage vorgelegt:

Ist § 8 Abs. 1 i.V. mit §§ 3, 4 Nr. 11 i. V. mit § 18 UWG und aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 18 UWG so auszulegen, dass ein Anspruchsteller, der behauptet, durch eine nach deutschem Recht als unerlaubte Handlung zu bewertende wettbewerbswidrige Handlung seines in einem anderen Vertragsstaat ansässigen Vertragspartners geschädigt worden zu sein, auch dann Ansprüche gegen diesen geltend macht, die an einen Vertrag anknüpfen, soweit er sich in seiner Klage auf deliktische Anspruchsgrundlagen stützt?

Gründe

I.
Zum Sachverhalt

Der Kläger handelt neben seiner Tätigkeit als S mit hochwertigen Uhren. Der Beklagte zu 2. ist V. Er hat Deutschland im Jahr 2005 verlassen und in Frankreich die Beklagte zu 1. gegründet, die sich mit der Entwicklung von Uhrwerken befasst. Im Jahr 2010, nach Eintritt der Rechtshängigkeit, hat der Beklagte zu 2. seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegt.

Der Kläger ließ in den Jahren 2005 bis 2008 Uhrwerke für hochwertige Armbanduhren von den Beklagten entwickeln, die später unter seinem Namen auf den Markt gebracht werden sollten. Der Beklagte zu 2. war ihm aus zuvor erteilten Uhrenreparaturaufträgen bekannt. Auftragsgegenstand war die Konstruktion und Entwicklung von zwei Uhrwerken Kaliber 793 Tourbillon und 793 konstante Kraft in runder Form sowie Kaliber 794 Tourbillon und 794 konstante Kraft in eckiger Form, die später in Serie produziert werden sollten, wobei die Parteien darüber streiten, zu welchen Bedingungen dies geschehen sollte. Die Bezahlung sämtlicher Kosten ist durch den Kläger erfolgt und zwar sowohl der Kosten der zu verbauenden Teile, die überwiegend spezialangefertigt und bei Drittfirmen bestellt werden mussten, die Kosten der zum Zusammenbau erforderlichen Arbeitsgeräte als auch die Vergütung des zeitlichen Aufwandes der Beklagten. Die Beklagten haben bislang drei Prototypen an den Kläger ausgeliefert.

Die Beklagten haben parallel zu den vom Kläger finanzierten Entwicklungsarbeiten weitere Uhrwerke in runder Form mit den Kalibern 770 und 781, Gehäuse und Zifferblätter entwickelt, die sie für ihre eigene Firma auf der Messe in Basel im März/April 2009 vorgestellt haben. Zu ihrem Sortiment gehören noch die Kaliber 773 und 776. Zur Bewerbung ihrer Produkte unterhielten sie einen in deutscher und französischer Sprache verfassten Internetauftritt.

Der Kläger sieht hierin eine Verletzung ihrer Vereinbarung, aber auch eine unerlaubte Handlung und zwar unter dem Gesichtspunkt der Vorlagenfreibeuterei, des Eingriffs in den Gewerbebetrieb, des Betruges und der Untreue. Er behauptet, es sei vereinbart gewesen, dass die Beklagten ausschließlich für ihn tätig seien. Gleichwohl hätte sie im fraglichen Zeitraum nicht nur Uhrwerke mit den Kalibern 770 und 781 entwickelt und präsentiert, sie hätten dabei auch die Konstruktionen der für ihn entwickelten Uhrwerke übernommen und ihnen so ihre Exklusivität genommen.

Der Kläger beantragt,

I. die Beklagten zu 1) und den Beklagten zu 2) zu verpflichten, es zu unterlassen

1. die Uhrwerke Kaliber 770 und 781 zu Gunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens im geschäftlichen Verkehr zu verwenden.

2. die Konstruktion der Uhrwerke Kaliber 793 konstante Kraft, 793 Tourbillon, 794 konstante Kraft, 794 Tourbillon zu Gunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens im geschäftlichen Verkehr ganz oder teilweise zu verwenden, insbesondere die Konstruktion ganz oder teilweise Dritten zum Kauf anzubieten bzw. an Dritte zu verkaufen und Teile der Konstruktion gemäß der nachfolgenden Bestandsliste „Werk Komplett“ zu Gunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens im geschäftlichen Verkehr zu verwenden mit Ausnahme der Teilereferenzen 0000-000, 0000-000, 0000-000, 0000-000, 0000-000, 0000-000, 0000-000, 0000-000, 0000-000-000, 000.00, 000.00, 0000-0000-00, 0000-0000, 00000000-0-S0, 0000-000, 0000-000, 0000-000, 0000-000.

(vgl. die auf Bl. 299 bis 304 d. GA wiedergegebene Auflistung, auf die Bezug genommen wird)

3. die Beklagte zu 1) und den Beklagten zu 2) zu verpflichten, die Herstellerrechnungen der Firma G H, s e m h 00, DI-0000 M C, betreffend die Lieferung von Produktionsteilen bezüglich der Werke 793 Konstante Kraft und Tourbillon sowie 794 Konstante Kraft und Tourbillon aus den Jahren 2007 und 2008 vorzulegen.

II. der Beklagten zu 1) und dem Beklagten zu 2) anzudrohen, dass für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die in I. Ziffer 1 und 2 ausgesprochenen Verpflichtungen ein Ordnungsgeld bis zu € 250.000,- und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten festgesetzt werden kann.

III. die Beklagte zu 1) und der Beklagte zu 2) zu verpflichten, die Rechnungen der Beklagten zu 1) an den Kläger mit den laufenden Nummern 0000 v. Oktober 0000; 00 v. 00.0.00; 00 v. 00.0.00; 00 v. 00.0.00; 00 v. 00.0.00; 00 v. 00.0.00; 00 v. 00.0.00; 00 v. 00.0.00; 00 v. 00.0.00; 00 v. 0.0.00; 00 v. 0.00.00; 00 v. 0.00.00; 00 v. 0.00.00; 00 v. 0.00.00; 00 v. 00.00.00; 00 v. 00.00.00; 00 v. 0.00.00; 00 v. 0.00.00; 00 v. 00.00.00; 00 v. 00.00.00; 00 v. 00.00.00, gemäß der Anlage B 1 zu konkretisieren, indem die jeweiligen Stückzahlen der Teile beziffert werden und deren Einkauf durch die jeweiligen Herstellerrechnungen belegt werden.

IV. festzustellen, dass die Beklagte zu 1) und der Beklagte zu 2) gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, Schadensersatz zu leisten, dadurch dass

1. die Beklagten zu 1) und 2) die Kaliber 770 und 781 auf Kosten des Berufungsklägers während der vom Berufungskläger bezahlten Arbeitszeit hergestellt haben unter Verwendung der im Eigentum des Berufungsklägers stehenden Produktionsteile und durch Übernahme der Konstruktion der Werke Kaliber 793/794 FC und T des Berufungsklägers;

2. die Beklagten zu 1) und 2) die Uhrwerke Kaliber 770 und 781 zu Gunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens im geschäftlichen Verkehr verwendet haben;

3. die Beklagten zu 1) und 2) die Konstruktion der Uhrwerke Kaliber 793 konstante Kraft, 793 Tourbillon, 794 konstante Kraft, 794 Tourbillon zu Gunsten des eigenen oder eines &emden Unternehmens im geschäftlichen Verkehr ganz oder teilweise verwendet haben, indem sie die Konstruktion ganz oder teilweise Dritten zum Kauf angeboten bzw. an Dritte verkauft haben und Teile der Konstruktion gemäß der zuvor stehenden Bestandsliste „Werk Komplett“ zu Gunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens im geschäftlichen Verkehr verwendet haben;

4. die Beklagten zu 1) und 2) die Produktion des Berufungsklägers blockieren, indem sie sich weigern, die im Eigentum des Berufungsklägers stehenden Produktionsteile vollständig herauszugeben;

5. die Beklagten zu 1) und 2) im Mai 2009 die Bestellung des Berufungsklägers zur Herstellung von sechs Armbanduhren (5 konstante Kräfte, 1 Tourbillon) angenommen, als Liefertermin den September/Oktober 2009 bestätigt und bis heute nicht geliefert haben;

V. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, handelsübliche Rechnungen für die folgenden Zahlungen des Berufungsklägers zu erteilen: € 23.000,- vom 01.01.2008, € 35.000,- vom 01.01.2008, € 10.000,- vom 21.04.2008, € 8.500,- vom 21.04.2008, € 8.500,- vom 07.05.2008, € 38.500,- vom 02.06.2008, € 8.500,- vom 02.07.2008, € 5.300,- vom 23.07.2008, € 20.900,- vom 04.08.2008, € 20.000,- vom 07.08.2008, € 20.550,- vom 16.09.2008, € 8.500,- vom 01.10.2008, € 20.000,- vom 15.10.2008, € 8.500,- vom 19.11.2008.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Im Rahmen der mit Schriftsatz vom 17. März 2010 (Bl. 123 d.A.) erhoben Widerklage begehren die Beklagten die Feststellung, dass die von ihnen angebotenen Uhrwerke Kaliber 770 und 781 sowie 773 und 776 eine andere Konstruktion aufweisen als die für den Kläger entwickelten Uhrwerke Kaliber 793 Tourbillon und 793 konstante Kraft sowie Kaliber 794 Tourbillon und 794 konstante Kraft.

Die Beklagten sind der Auffassung, eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Klage sei nicht gegeben. Der Erfüllungsort sei in Frankreich, dort sei die vertragscharakteristische Leistung, die Herstellung der Uhrwerke, erfolgt. Auch Handlungs- und Erfolgsort seien in Frankreich belegen. Sie hätten den Kläger nie getäuscht, zur Entwicklung eigener Uhrwerke seien sie berechtigt gewesen.

Für die Beklagte zu 1. wurde in Frankreich eine Insolvenzverwalterin ernannt; das Insolvenzverfahren ist eröffnet. Die Insolvenzverwalterin, Frau C E, hat die Prozessbevollmächtigten der Beklagten vorsorglich zur Fortsetzung des Verfahrens ermächtigt.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat durch Urteil vom 05.10.2011 (I – 20 U 29/11, Bl. 367 d.A.) die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Krefeld insoweit bejahrt, als es um Ansprüche aus Delikt geht, zu denen auch Ansprüche aus § 8 Abs. 1 i.V. mit §§ 3, 4 Nr. 11 i. V. mit 3 18 UWG und aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 18 UWG gehören und die Sache insoweit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Krefeld zurückverwiesen.

Zur Begründung hat es insoweit ausgeführt:

Eine internationale Zuständigkeit für behaupteten die deliktischen Ansprüche, insbesondere für einen wettbewerbsrechtlichen Anspruch aus Vorlagenfreibeuterei, ist vorliegend gegeben. Das Landgericht Krefeld hat seine Zuständigkeit für wettbewerbsrechtliche Ansprüche zu Unrecht verneint.

Die internationale Zuständigkeit richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 44/ 2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO); die Parteien haben ihre Wohn- beziehungsweise Geschäftssitze im Zeitpunkt der Klageerhebung in verschiedenen Staaten der Europäischen Gemeinschaft gehabt. Der Kläger hat seinen Wohnsitz in Deutschland, die Beklagten hatten ihren Geschäfts- beziehungsweise Wohnsitz in Frankreich. Der zwischenzeitliche Umzug des Beklagten zu 2. in die Schweiz ist unerheblich (Zöller-Geimer, ZPO, 27. Aufl., Anh I Art 2 EuGVVO Rn. 17 m. w. Nw.).

Nach Art. 2 Abs. 1 EuGVVO sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedsstaats zu verklagen. Ausnahmen von diesem Grundsatz regelt Art. 5 EuGVVO. Nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in einem anderen Vertragsstaat vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichsteht, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden. Unter die Zuständigkeit des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO fallen Klagen auf Grund unerlaubter Wettbewerbshandlungen (BGH, GRUR 1988, 453, 454 – Ein Champagner unter den Mineralwässern). Der Ort des schädigenden Ereignisses i.S. des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO ist neben dem Handlungsort auch der Erfolgsort, d.h. der Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist (EuGH, GRUR Int 1998, 298 Tz. 20 – Shevill). Bei Wettbewerbsverletzungen im Internet ist der Erfolgsort im Inland belegen, wenn sich der Internet-Auftritt bestimmungsgemäß dort auswirken soll (BGH, GRUR 2005, 431, 432 – HOTEL MARITIME; GRUR 2006, 513 Tz. 21 – Arzneimittelwerbung im Internet). Die Zuständigkeit hängt allerdings nicht davon ab, dass tatsächlich eine Verletzung des nationalen Rechts erfolgt ist. Es reicht vielmehr aus, dass eine Verletzung behauptet wird und diese nicht von vornherein ausgeschlossen ist (BGH, GRUR 2005, 431, 432 – HOTEL MARITIME; GRUR 2006, 513 Tz. 21 – Arzneimittelwerbung im Internet).

Der Ort des schädigenden Ereignisses liegt demnach im Streitfall (auch) in Deutschland. Der Kläger ist in Deutschland im Uhrenhandel tätig. Die Beklagten präsentieren ihre Uhrwerke im Internet, ihr Internetauftritt ist jedenfalls auch auf Deutschland ausgerichtet. Die Beklagten werben in ihrem Internetauftritt nicht nur in französischer, sondern auch in deutscher Sprache für ihre Produkte und wenden sich mit der Werbung daher auch an das deutsche Publikum. Eine Beschränkung des Verbreitungsgebietes ist nicht erkennbar, eine Erklärung, Besteller in Deutschland nicht beliefern zu wollen, ein sogenannter Disclaimer, fehlt (vgl. BGH, GRUR 2006, 513, 515 – Arzneimittelwerbung im Internet). Eine überwiegende Ausrichtung auf den deutschen Markt ist nicht erforderlich.

Demgegenüber hat das Oberlandesgericht Düsseldorf in der gleichen Entscheidung eine internationale Zuständigkeit des Landgerichts Krefeld für die vom Kläger gleichfalls geltend gemachten vertraglichen Ansprüche verneint, weil die Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 1 EuGVVO nicht einschlägig sei (vgl. dazu Seiten 12 und 13 der Urteilsausfertigung, Bl. 372 rück und 373 d.A.).

II.
Zur Rechtslage

1.
Allgemein

Die Frage der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte für den vorliegenden Rechtsstreit ist aufgrund der Beteiligung eines in Deutschland wohnhaften Klägers und der in Frankreich ansässigen Erstbeklagten und des im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit gleichfalls in Frankreich ansässigen Zweitbeklagten nach den Vorschriften der EG-Verordnung Nr. 44/2001 vom 22. Dezember 2000 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – EuGVVO – zu beurteilen.

Gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVVO sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates haben, vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen. Wird eine juristische Person in Anspruch genommen, ist gemäß Art. 60 Abs. 1 EuGVVO statt des Wohnsitzes der satzungsmäßige Sitz zu berücksichtigen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist in den Wahlgerichtsständen nach Art. 5 ff. EuGVVO zu sehen. Nimmt ein in Deutschland wohnhafter Kläger eine in Frankreich ansässige Firma und deren seinerzeit gleichfalls in Frankreich wohnenden Geschäftsführer, der nach den Behauptungen des Klägers gleichfalls Vertragspartner ist, wegen einer vertragswidrigen und damit wettbewerbswidrigen Handlung in Anspruch und macht er mit dieser Klage neben vertraglichen auch deliktische Ansprüche geltend, stellt sich die Frage, ob die Beklagten aufgrund einer internationalen Zuständigkeit deutscher Gericht in Anspruch genommen werden können.

2.
Keine Bindung durch das Urteil des OLG Düsseldorf vom 05.10.2011:

Die Kammer ist durch das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 05.10.2011 (I – 20 U 29/11) nicht an einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gehindert. Denn die Vorlagebefugnis folgt unmittelbar aus europäischem Recht und kann mithin durch nationales Recht, hier die Bindung des erstinstanzlichen Gerichts an die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts in entsprechender Anwendung des § 563 Abs. 2 ZPO, nicht eingeschränkt werden.

3.
Zur Vorlagefrage

Art. 5 Nr. 1 EuGVVO trifft eine Zuständigkeitsregelung für die Fallgestaltungen, in denen ein Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bildet. Umgekehrt ergibt sich die Zuständigkeit gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO für den Ort der unerlaubten Handlung aufgrund der vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) geprägten Definition für alle Klagen, „mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anknüpfen“ (Urteil vom 27.09.1988 – 198/87, „Kalfelis“).

Vorliegend beruht die Bewertung, dass es sich um ein wettbewerbswidriges, als unerlaubte Handlung zu bewertendes Verhalten der Beklagten handelt, entscheidend auf einer vom Kläger behaupteten Verletzung von vertraglichen Absprachen im Hinblick auf die Entwicklung einer Armbanduhr, so dass dieser Vertragsschluss notwendige Voraussetzung für die behaupteten, jetzt allein im vorliegenden Verfahren noch streitigen deliktischen Schadenersatzansprüche ist. Damit stellt sich für die Auslegung von Art. 5 Nr. 1 EuGVVO die Frage, ob das vertragliche Element so im Vordergrund steht, dass dieses den Charakter des Rechtsverhältnisses entscheidend prägt und daher eine Anknüpfung an einen Vertrag vorliegt, die zu einer Bejahung der Voraussetzungen des Art. 5 Nr. EuGVVO führt.

Anders als in dem der Entscheidung des EuGH vom 10.06.2004 – 168/02 Kronhofer/Maier – zugrunde liegenden Sachverhalt, in dem der dortige Kläger keine unmittelbaren Vertragspartner, sondern die für die Gesellschaft Handelnden persönlich in Anspruch genommen hat, nimmt der Kläger hier mit den Beklagten zu 1) und 2) seinen unmittelbaren Vertragspartner in Anspruch, mit denen er selbst eine Vereinbarung über die Konstruktion von Armbanduhren abgeschlossen hat.

Die Grundlage für etwaige Schadenersatzansprüche gegen beide Beklagten bilden jedoch auch insofern vertragliche Abreden, ohne die die behaupteten (deliktischen) Wettbewerbsverstöße nicht hätten eintreten können. Insoweit könnte für eine Anwendung von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO sprechen, dass der Kläger sich nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf im zurückverwiesenen Verfahren ausschließlich auf deliktische Anspruchsgrundlage stützen kann, weil das Oberlandesgericht Düsseldorf eine internationale Zuständigkeit des Landgerichts Krefeld für vertragliche Ansprüche verneint hat. Andererseits spricht gegen die Anwendung von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO, dass die erhobenen Ansprüche notwendig auf die zwischen den Beteiligten geschlossenen Vereinbarungen zurückgehen und die behaupteten Pflichtverletzungen zugleich eine Verletzung der vertraglichen Pflichten beinhalten. Die vertraglichen Abreden stellen damit den Rahmen dar, von dem auch die deliktisch relevanten Ansprüche ummantelt sind.

Eine solche Auslegung, die im vorliegenden Sachverhalt eine Anwendung des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO befürwortet, erscheint auch deswegen folgerichtig, weil der EuGH andererseits die Zuständigkeit für klageweise geltend gemachte Ansprüche wegen vorvertraglichen Schadenersatzes auf Art. 5 Nr. 3 EuGVVO mit der Begründung stützt, dass die – quasivertraglichen – Ansprüche gerade nicht an einen Vertrag anknüpfen (s. Urteil vom 17.09.2002 – Rs C-334/00, Tacconi / Wagner).

4.
Zum weiteren Verfahren:

Die Kammer beabsichtigt, eine Abtrennung der Widerklage erst dann vorzunehmen, wenn die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Frage der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte im Hinblick auf die Klage vorliegt. Denn Klage und Widerklage betreffen den gleichen Sachverhalt, so dass bei einer Fortführung nur der Widerklage möglicherweise die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen besteht, wenn der Europäische Gerichtshof für die Klage eine Zuständigkeit des nationalen Gerichts bejahen sollte.

5.
Zur Beschlusskompetenz:

Die Kammer entscheidend in der Besetzung nur durch den Vorsitzenden, nachdem die Parteien im Termin vom 15.15.2012 (Bl. 497 d.A.) vor dem Vorsitzenden verhandelt haben und sich damit stillschweigend durch eine Entscheidung nur durch den Vorsitzenden gem. § 349 Abs. 3 ZPO einverstanden erklärt haben (vgl. dazu Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 98, 145, 153I.

Am 16. November 2012 erging in dieser Sache folgender Beschluss:

Die als Gegenvorstellung zu behandelnde sofortige Beschwerde des Klägers vom 17.10.2012 gegen den Vorlageschluss der Kammer vom 27.09.2012 (12 O 28/12) gibt zu einer abändernden Entscheidung keine Veranlassung.

Klarstellend ist jedoch insoweit ein offensichtlicher Schreibfehler im Vorlagebeschluss dahingehend zu berichtigen, dass im zweiten Absatz zu II. Nr. 3 des Vorlagebeschlusses (Seite 10 der Beschlussausfertigung, Bl. 548 d.A.) der letzte Satz richtig wie folgt lautet:

„Damit stellt sich für die Auslegung von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO die Frage, ob das vertragliche Element so im Vordergrund steht, dass dieses den Charakter des Rechtsverhältnisses entscheidend prägt und daher eine Anknüpfung an einen Vertrag vorliegt, die zu einer Bejahung der Voraussetzungen des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO führt.“

Die Sache wird jetzt dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung über den Vorlagebeschluss vom 27.09.2012 vorgelegt.

Gründe

I.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 27.09.2012 (Bl. 539 d.A.) die Vorlage des Verfahrens an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchstabe b, Abs. 3 AEUV angeordnet. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers vom 17.10.2012 (Bl. 558 d.A.). Der Kläger ist der Auffassung, das Landgericht Krefeld müsse das Verfahren fortsetzen, weil die Voraussetzungen einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht gegeben seien. Denn das Landgericht Krefeld sei entgegen der Auffassung des Landgerichts Krefeld für die Entscheidung des Rechtsstreits sowohl nach Art 5 Nr. 1 EuGVVO wie auch nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO zuständig. Deshalb sei der Vorlagebeschluss aufzuheben. Zudem habe das Gericht in unzulässiger Weise nur durch den Vorsitzenden entschieden.

II.
Die sofortige Beschwerde ist unstatthaft.

Nach deutschem Recht sind Aussetzungen, die mit einer Vorlageentscheidung verbunden sind, nicht anfechtbar (vgl. dazu Zöller-Greger, ZPO 29. Auflage, § 252 Rn 1b; Thomas-Putzo, ZPO, vor § 239 ZPO, Rn 10). Ebenso wenig kennt das deutsche Recht ein Rechtsmittel gegen den Vorlagebeschluss selbst. Angesichts dessen ist eine Vorlage an das nationale Rechtmittelgericht weder geboten noch erforderlich.

III.
Die mithin als Gegenvorstellung zu behandelnde sofortige Beschwerde vom 17.10.2012 gibt zu einer abweichenden Entscheidung keine Veranlassung. Es bleibt vielmehr bei dem Vorlagebeschluss vom 27.09.2012, so dass die Sache jetzt dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen ist.

1.
Soweit der Kläger jetzt geltend macht, eine Zuständigkeit des Landgerichts Krefeld sei auch nach Art. 5 Nr. 1 EuGVVO gegeben, trifft diese rechtliche Bewertung nicht zu. Insoweit nimmt die Kammer Bezug auf die Ausführungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 05.10.2011 (I-20 U 29/11, dort Seiten 12f der Urteilsausfertigung, Bl. 434l und 434m d.A.), die sie teilt.

2.
Soweit eine Zuständigkeit des Landgerichts Krefeld nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO vom Kläger in den Raum gestellt wird, ist dies gerade Gegenstand der Vorlagefrage, die entgegen der Auffassung des Klägers hinreichend bestimmt und eindeutig formuliert ist. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf II. 3. des Vorlagebeschlusses (dort Seiten 10f, Bl. 548f. d.A.) Bezug genommen werden. Auf die im Tenor dieses Beschlusses vorgenommene klarstellende Berichtung unter II. Nr. 3, dort der letzte Satz des zweiten Absatzes (Bl. 548 d.A.) wird verwiesen.

3.
Eine Bindung an die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 05.10.2011 (Bl. 434a d.A.) ist im Rahmen des Vorlageverfahrens nicht gegeben. Insoweit kann auf II. Nr. 2. des Vorlagebeschlusses (Seite 9 der Beschlussausfertigung, Bl. 547 d.A.) sowie ergänzend auf die gefestigte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. nur Urteil vom 15.12.2008 in der Rechtssache C-210/06 Rn 94; Urteil vom 05.10.2010 in der Rechtssache C-173 Rn 30) Bezug genommen werden.

4.
Die Kammer ist nach nationalem Recht zur Entscheidung in der Besetzung wie in der mündlichen Verhandlung vom 15.05.2012 (Bl. 488 d.A.) berufen, nachdem die Parteien dort rügelos verhandelt haben (BVerfGE 98, 145, 153).

I