LG München I: Rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme des fliegenden Gerichtsstandes, auch wenn dieser der Ausnutzung des Rechtsprechungsgefälles dient / Zur Erstattung von Reisekosten bei auswärtigen Filesharing-Prozessen

veröffentlicht am 18. April 2013

LG München I, Urteil vom 22.03.2013, Az. 13 T 20183/12 – nicht rechtskräftig
§ 242 BGB, § 32 ZPO, § 35 ZPO, § 91 Abs. 1 S.1 ZPO, § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO

Das LG München I hat entschieden, dass die Erwägung, die Rechtsprechung eines nach dem Prinzip des „fliegenden Gerichtsstandes“ erfolgte Inanspruchnahme eines auswärtigen Gerichts die Ansprüche des Klägers „in besonderer Weise“ stütze, lediglich eine strategische Erwägung darstelle („forum-shopping“), die nicht vom Schutzzweck der §§ 32 und 35 ZPO erfasst ist. Unberührt bleibe das Recht des Klägers, sich aus diesen strategischen Gründen für eine Klage in München zu entscheiden. Hinnehmen müsse er jedoch, dass er dann die dadurch entstehenden Mehrkosten nicht erstattet bekomme. Zum Volltext der Entscheidung:

Landgericht München I

Urteil

In Sachen

wegen Forderung

Hier: Kostenfestsetzungsbeschwerde

erläßt das Landgericht München I – 13. Zivilkammer – durch … am 22.03.2013 folgenden

Beschluss:

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 10.07.2012 (Az. 142 C 32827/11) wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 464,44 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.
Der in Großbritannien ansässige Kläger macht vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, dessen Kanzlei in Kiel ansässig ist, gegen den Beklagten, der seinen Wohnsitz in 61273 Wehrheim im Bezirk des Amtsgerichts Bad Homburg [bei Frankfurt/Main] hat, vor dem Amtsgericht München einen Anspruch auf Schadenersatz und Ersatz von Rechtsanwaltskosten wegen des unerlaubten öffentlichen Zugänglichmachens eines erotischen Filmwerks in einem dezentralen Computernetzwerk geltend. Aufgrund des Vergleichs vom 29.02.2012 trägt der Kläger 1/3, der Beklagte 2/3 der Kosten des Rechtsstreits.

Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 05.04.2012 macht der Kläger Fahrtkosten gem. 7003 VV RVG in Höhe von 54,00 EUR und gem. Nr. 7004 VV-RVG in Höhe von 11,00 EUR und 551,49 EUR geltend, Tagegeld gemäß 7005 VV-RVG in Höhe von 60,00 EUR , sowie sonstige Auslagen in Höhe von 20,17 EUR (Nr. 7006 VV-RVG).

Im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10.07.2012 lehnte das Amtsgericht München die Festsetzung dieser Kosten ab. Der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde des Klägers half das Amtsgericht München nicht ab.

II.
Die zulässige sofortige Beschwerde ist in der Sache unbegründet.

Übt der Kläger das ihm zustehende Recht zur Wahl unter mehreren zuständigen Gerichten gemäß § 35 ZPO dahin aus, dass er nicht im eigenen Gerichtsstand klagt, sondern bei einem auswärtigem Gericht an einem dritten Ort, der auch nicht dem Gerichtsstand des Beklagten entspricht, dann sind die Reisekosten seines Prozessbevollmächtigten anlässlich der Terminswahrnehmung an dem auswärtigen Gerichtsort zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig und eshalb nicht erstattungsfähig gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 Abs. 2 Satz 1 ZPO, weil der Kläger bei der Gerichtswahl seiner Pflicht zur kostengünstigen Prozessführung nicht nachgekommen ist (OLG Stuttgart, OLGR 2008, 768).

Entgegen der Auffassung des OLG Köln (Beschluss vom 01.12.2008, Az. 17 W 211/08; s. auch Schneider, AGS 2008, 625) steht die Annahme eines freien Wahlrechts unter verschiedenen Gerichtsständen gemäß § 35 ZPO dieser Rechtsauffassung nicht entgegen. Denn die entgegenstehende Auffassung übersieht, dass jegliche Rechtsausübung durch das Verbot des Rechtsmißbrauchs begrenzt wird. So ist in der Rechtssprechung (s. OLG Hamm NJW 1987, 138) anerkannt, dass selbst die Wahl des Gerichtsstands nach § 35 ZPO allein aufgrund sachfremder Erwägungen mißbräuchlich oder treuwidrig sein kann. Dabei ist hier insbesondere zu berücksichtigen, dass Sinn der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung in § 32 ZPO ist, einen Gerichtsstand dort zu eröffnen, wo die sachliche Aufklärung und Beweiserhebung in der Regel am besten, sachlichsten und mit den geringsten Kosten erfolgen kann (BGH NJW 1977, 1590). Wenn – wie hier – mehrere deliktische Gerichtsstände zur Verfügung stehen, ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Sachaufklärung bei allen Gerichtsständen in gleicher Weise geschehen kann. Dementsprechend verbleibt als Unterscheidungskriterium allein der Gesichtspunkt der – insbesondere im Verhältnis zum Streitgegenstand – kostengünstigen Geltendmachung. Diese ist bei Anhängigmachung eines Rechtsstreits bei einem Gericht, das sowohl vom Sitz des klägerischen Prozessbevollmächtigten als auch des Beklagten weit entfernt ist, nicht gegeben. Ein derartiges Vorgehen muss unter Kostengesichtspunkten als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Die vom Klägervertreter geschilderte Erwägung, die Rechtsprechung in München stütze die Ansprüche des Klägers „in besonderer Weise“, stellt lediglich eine strategische Erwägung dar („forum-shopping“), die nicht vom Schutzzweck der §§ 32 und 35 ZPO erfasst ist. Unberührt bleibt das Recht des Klägers, sich aus diesen strategischen Gründen für eine Klage in München zu entscheiden. Hinnehmen muß er jedoch, dass er dann die dadurch entstehenden Mehrkosten nicht erstattet bekommt.

Der hier angenommenen Lösung steht auch nicht entgegen, dass ggf. die Reisekosten des Klägers aus Großbritannien (zu ggfs. jedem beliebigen Gerichtsort in Deutschland) zu erstatten gewesen wären. Denn tatsächlich ist der Kläger selbst nicht angereist. Wenn er indes einen Rechtsanwalt in Kiel mit der Prozessführung beauftragt und nicht selbst anreist, besteht kein sachlicher Grund für die Prozessführung vor dem Amtsgericht München. Es ist auch nicht dem Argument des Klägervertreters zu folgen, es müßten jedenfalls Reisekosten bis zur Höhe der Kosten für eine Reise zwischen dem Wohnortgericht des Beklagten und Kiel ersetzt werden, da der Beklagte diese Reise hätte antreten müssen, wenn in Kiel geklagt worden wäre. Denn tatsächlich ist der Beklagte nicht nach München gereist, sondern hat sich durch einen Unterbevollmächtigten mit Sitz am Gerichtsort München vertreten lassen. Reisekosten sind insoweit nicht angefallen. Dass der Beklagte sich bei einer Klage in Kiel anders verhalten hätte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Reisekosten des Klägervertreters wären bei einer Klage in Kiel nicht angefallen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren war in Höhe von 2/3 der geltend gemachten Fahrtkosten festzusetzen (2/3 von 696,66 = 464,44 EUR).

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Rechtssprechung der Oberlandesgerichte und der Anzahl der Verfahren vor.

Auf die Entscheidung hingewiesen hat RAin Stefanie Hagendorff (hier).

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