LG München I: Zur Frage, wann ein Unternehmen aus der „Volksrepublik Donezk“ Prozesskostensicherheit im Patentrechtsstreit gemäß § 110 ZPO zu leisten hat

veröffentlicht am 28. November 2014

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtLG München I, Zwischenurteil vom 13.11.2014, Az. 7 O 25677/11
§ 110 ZPO

Das LG München I hat entschieden, dass ein Unternehmen aus Donezk (Ostukraine) keine Prozesskostensicherheit zu leisten hat, da die Bundesrepublik Deutschland und die Ukraine Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens über den Zivilprozess (HZPÜ) sind, bei denen eine solche Sicherheitsleistung nicht zu erbringen ist. Hintergrund: Gemäß § 110 Abs. 1 ZPO muss ein Kläger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum hat, auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit leisten. Die Beklagte hatte argumentiert, Donezk gehöre faktisch nicht mehr zur Ukraine, sondern zur sich für unabhängig erklärten Volksrepublik Donezk. Dies lehnte die Kammer ab. Von der Entstehung eines neuen Staates wäre nur dann auszugehen, wenn dieser die völkerrechtlichen Kriterien für ein Staatsgebilde erfülle. Dieser völkerrechtliche Tatbestand werde in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich durch einen formellen Anerkennungsakt der Bundesregierung festgestellt, der hier nicht vorliege. Zum Volltext der Entscheidung:

Landgericht München I

Zwischenurteil

1.
Der Antrag der Beklagten auf Leistung von Prozesskostensicherheit durch die Klägerin wird zurückgewiesen.

2.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagte unter anderem Vindikationsansprüche bezüglich der europäischen Patentanmeldungen … (Anmeldenummer, Teilpatentanmeldung) und des deutschen Teils des europäischen Patent … geltend. Die Beklagte begehrt nach Verbindung der ursprünglichen getrennten Verfahren 7 O 22578/13 und 7 O 2797/14 zum hiesigen Verfahren im Wege der Widerklage die Vindikation der europäischen Patentanmeldung … .

In dem hier zu entscheidenden Zwischenstreit ist zunächst nur die Verpflichtung der Klägerin zur Leistung einer Prozesskostensicherheit gemäß § 110 ZPO Gegenstand.

Die Klägerin hat ihren Sitz in Donezk, Ukraine. Derzeit steht die Stadt unter Verwaltung von Separatisten, die eine sogenannte Volkrepublik Donezk ausgerufen haben und ihre Unabhängigkeit von der Ukraine erklärt haben. Die Bundesrepublik Deutschland hat, wie die weit überwiegende Mehrheit der Staaten, den von den Separatisten proklamierten eigenständigen Staat nicht anerkannt.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass Prozesskostensicherheit vorliegend zu leisten sei, weil die Ukraine die Verpflichtungen aus dem Haager Übereinkommen für den Teil ihres Staatsgebietes, in dem die Klägerin ansässig sei, nicht mehr erbringen könne. Vollstreckungsgericht für Ansprüche gegen die Klägerin sei das Gericht in Donezk. Die Gerichte seien dort nicht mehr tätig. Eine Rechtsordnung gebe es nicht.

Die Beklagte beantragt: Der Klägerin und Widerbeklagten wird aufgegeben, der Beklagten und Widerklägerin gemäß § 110 ZPO wegen der Prozesskosten Sicherheit in Höhe von EUR 170.000,-zu leisten und der Klägerin und Widerbeklagten wird eine angemessene Frist zur Beibringung der Prozesskostensicherheit gesetzt. Für den Fall, dass die Klägerin und Widerbeklagte die Sicherheit nicht fristgerecht leistet, wird die Klage gemäß § 113 S. 2 ZPO für zurückgenommen erklärt.

Die Klägerin beantragt:

Der Antrag der Beklagten ist zurückzuweisen.

Die Klägerin ist der Auffassung, sie sei nach § 110 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht verpflichtet, der Beklagten Sicherheit wegen der Prozesskosten zu leisten. Die Ukraine sei Vertragsstaat des Haager Übereinkommens vom 01.03.1954 über den Zivilprozess, nach dessen Art. 17 den Angehörigen der Vertragsparteien eine Sicherheitsleistung nicht auferlegt werden dürfe.

Der Antrag sei wenigstens der Höhe nach unbegründet. Obwohl durch Verfahrensverbindung die ursprüngliche Widerklage der Klägerin zu einer Klage geworden sei, sei die Ausnahme des § 110 Abs. 2 Nr. 4 ZPO für Widerklagen anzuwenden, die Privilegierung der Widerklage bestehe fort.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 18.09.2014, Bl. 176/181 d.A., Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der zulässige, insbesondere rechtzeitig im Sinne von § 282 Abs. 3 ZPO gestellte Antrag der Beklagten auf Leistung einer Prozesskostensicherheit durch die Klägerin ist unbegründet, weil die Voraussetzungen von § 110 Abs. 1 Nr. 2 ZPO erfüllt sind.

I.
Gemäß § 110 Abs. 1 ZPO muss ein Kläger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder einen Vertragsstaat der Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum hat, auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit leisten. Bei Gesellschaften gilt als gewöhnlicher Aufenthalt deren Sitz im Sinne von § 17 ZPO (BGH, NJW-RR 2005, 248 ff m.w.N.). Die Beklagte hat ihren Sitz in Donezk, Ukraine, also nicht in der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat der Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum.

II.
Nach § 110 Abs. 2 Nr. 1 tritt die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung wegen der Prozesskosten jedoch dann nicht ein, wenn aufgrund völkerrechtlicher Verträge keine Sicherheit verlangt werden kann. Die Bundesrepublik Deutschland und die Ukraine sind Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens über den Zivilprozess (HZPÜ) vom 01.03.1954 (BGBl. 1958 II S. 576). Nach dessen Art. 17 darf den Angehörigen einer der Vertragsstaaten, die in einem dieser Staaten ihren Wohnsitz haben und vor den Gerichten eines anderen dieser Staaten als Kläger oder Nebenintervenienten auftreten, wegen ihrer Eigenschaft als Ausländer oder wegen Fehlens eines inländischen Wohnsitzes oder Aufenthalts keine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung auferlegt und auch kein Vorschuss zur Deckung der Gerichtskosten abverlangt werden.

Die Klägerin ist in Donezk in der Ukraine, also in einem Vertragsstaat des HZPÜ ansässig. Aufgrund völkerrechtlichen Vertrages, des HZPÜ, kann von der Klägerin eine Sicherheit nicht verlangt werden. Der Einwand der Beklagten, die Ukraine könne ihre Verpflichtungen aus dem HZPÜ für den Teil ihres Staatsgebiets, in dem die Klägerin ansässig sei, nicht mehr erbringen, greift nicht durch.

Die Beklagte macht bereits nicht geltend, dass das Gebiet von Donezk nicht mehr zum ukrainischen Staats-bzw. Hoheitsgebiet zu rechnen sei. In dem Fall der Entstehung eines neuen Staates auf einem Teil des ehemaligen Staatsgebietes der Ukraine stellt sich die Frage der Staatennachfolge in den völkerrechtlichen Vertrag des HZPÜ durch sogenannte Separation (vgl. Art. 34 Abs. 1 der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Verträge (WKSV), der die Bundesrepublik Deutschland allerdings nicht beigetreten ist; vgl. auch Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, § 978, S. 611; Knut Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, § 12 Rz. 13 f.; Zimmermann, Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge, 2000, S. 20ff). Von der Entstehung eines neuen Staates wäre jedoch nur dann auszugehen, wenn dieser die völkerrechtlichen Kriterien für ein Staatsgebilde erfüllt. Dieser völkerrechtliche Tatbestand wird in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich durch einen formellen Anerkennungsakt der Bundesregierung festgestellt (vgl. Schweitzer/Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis der Bundesrepublik Deutschland, Rz. 434 ff). Daneben können aber deutsche Gerichte in freier Beweiswürdigung darüber entscheiden, ob ein von ihrer Regierung nicht anerkannter Staat dennoch die Voraussetzungen für die Annahme eines neuen Völkerrechtssubjektes erfüllt. Hier hat die Beklagte jedoch zur Staatsqualität der in der Region Donezk ausgerufenen „Volkrepublik Donezk“ nicht vorgetragen.

Die Beklagte behauptet demgegenüber lediglich, dass die Ukraine derzeit nicht in der Lage sei, im Gebiet von Donezk die Staatsgewalt auszuüben. Dies ist jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut von § 110 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht maßgeblich. § 110 Abs. 2 Nr. 1 ZPO stellt nicht auf die tatsächliche Durchsetzungsmöglichkeit von Kostenerstattungsansprüchen durch völkerrechtliche Abkommen, sondern allein auf die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zum Verzicht auf die Sicherheitsleistung ab. Die Anordnung einer Sicherheitsleistung durch die Kammer würde einen Bruch der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland darstellen.

Die von der Bundesrepublik Deutschland in Art. 17 HZPÜ eingegangene Pflicht, gegenüber Angehörigen der Ukraine auf eine Sicherheitsleistung zu verzichten, entfällt nicht dadurch, dass die Ukraine derzeit möglicherweise auf dem Gebiet, auf dem die Klägerin ansässig ist, die Staatsgewalt nicht oder nicht im vollen Umfang ausüben kann. Die Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen können nur unter ganz engen Voraussetzungen in Wegfall kommen, die jedoch vorliegend allesamt nicht erfüllt sind.

Das Schicksal von Verpflichtungen aus älteren völkerrechtlichen Verträgen wie der HZPÜ ist nach Völkergewohnheitsrecht zu beurteilen. Dieses Völkergewohnheitsrecht wurde durch die Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) vom 23.05.1969, deren Vertragspartner die Bundesrepublik Deutschland ist, weitgehend inhaltsgleich kodifiziert. Zur Vereinfachung wird hier auf die entsprechenden Regelungen der der WVRK Bezug genommen. So sieht die WVRK in Art. 57 die Suspendierung eines völkerrechtlichen Vertrages durch Einvernehmen aller Vertragsparteien vor. In Art. 58 ist die Suspendieren von Verträgen durch einzelne Vertragsparteien untereinander durch Einvernehmen vorgesehen. Ein solches Einvernehmen ist hier jedoch weder zwischen allen Vertragsparteien der HZPÜ noch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ukraine zustande gekommen.

Nach Art. 60 der WVRK kann bei erheblichen Vertragsverletzungen die Beendigung oder Suspendierung eines völkerrechtlichen Vertrags verlangt werden. Hier sind jedoch bereits erfolgte Vertragsverletzungen der Ukraine nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Zudem setzt die Suspendierung oder Beendigung des Vertrages nach dieser Vorschrift ein entsprechendes Verlangen des verletzten Staates voraus, das hier ebenfalls nicht vorliegt. Zur Äußerung eines solchen Verlangens wäre das erkennende Gericht innerstaatlich auch nicht zuständig, sondern die Bundesregierung (vgl. Schweitzer/Weber, a.a.O, Rz. 182 ff.).

Nach Art. 61 der WVRK wäre auch eine (vorübergehende) Unmöglichkeit der Erfüllung der Verpflichtungen ein möglicher Grund für die Suspendierung eines völkerrechtlichen Vertrages. Eine solche Suspendierung liegt hier jedenfalls aber nicht vor, da sie nur auf ein entsprechendes Verlangen eintritt (vgl. Art. 61 WVRK). Für die Äußerung eines solchen Verlangen wäre innerstaatlich nicht das erkennende Gericht zuständig (s.o.).

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