LG Münster: Ungültigkeit des Mobilfunkvertrags bei Verletzung von Beratungspflichten

veröffentlicht am 8. März 2011

LG Münster, Urteil vom 18.01.2011, Az. 06 S 93/10
§§ 611, 398, 280, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB

Das LG Münster hat entschieden, dass die Kündigung eines Mobilfunkvertrags sowie die Forderung von Schadensersatz unzulässig sind, wenn die aufgelaufenen Kosten auf einer unzureichenden Beratung beruhen. Die Ansprüche des Mobilfunkanbieters könnten dann wegen unzulässiger Rechtsausübung entfallen. Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte ein Smartphone mit Internet-Zugang und Navigationsfunktion erworben und für die Datenverbindungen eine verbrauchsabhängige Abrechnung gewählt. Eine ausreichende Aufklärung über die Gefahren einer verbrauchsabhängigen Abrechnung erfolgte jedoch nicht. Dies sei allerdings  insbesondere deshalb notwendig gewesen, weil die Firma F dem Beklagten gleichzeitig das Mobiltelefon mit der Navigationssoftware „Route 66“ vermietet habe und ihr bekannt gewesen sei, dass dieses Gerät Internet- und WAP-Verbindungen mit erheblichem Datenvolumen herstellen könnte – z.B. um Softwareupdates sowie aktuelles Kartenmaterial für die Navigationssoftware im Umfang von mehr als 150,00 MB herunterzuladen. Auf diese Weise liefen innerhalb von 3 Tagen bereits ca. 1.000,00 EUR Kosten auf. Zum Volltext der Entscheidung:


Landgericht Münster

Urteil

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Klägerin macht gegen den Beklagten Ansprüche aus abgetretenem Recht der Mobilfunkanbieterin F geltend. Nachdem der Beklagte über mehrere Jahre verschiedene Verträge bei dieser Mobilfunkanbieterin abgeschlossen hatte, wechselte er zum 02.12.2008 in den Tarif „Time & More All In 500“ mit einer monatlichen Grundgebühr in Höhe von 42,50 €. Im Zusammenhang mit diesem Vertragswechsel vermietete die Mobilfunkanbieterin dem Beklagten zum Preis von monatlich 19,00 € das Handy „SGH i 900“, ein Smartphone mit verschiedenen Funktionen und Internet-Zugang. Zusammen mit dem Handy wurde dem Beklagten das Navigationsprogramm „Route 66“ zur Verfügung gestellt, das für aktualisiertes Kartenmaterial u.ä. Zugriff auf das Internet nimmt. Hinsichtlich der Internet- und WAP-Nutzung wurden dem Beklagten von einem Mitarbeiter der Firma F verschiedene Alternativen aufgezeigt. Er konnte zwischen einer konkreten Abrechnung nach dem in Anspruch genommenen Datenvolumen zum Preis von 0,006 € / Kilobyte für Internet-Verbindungen und 0,02 € / Kilobyte für WAP-Verbindungen, einem Datenpaket von monatlich 150 MB zum Preis von 10,00 € und einem unbegrenzten Datenvolumen zum Preis von monatlich 25,00 € wählen. Da der Beklagte noch keine Erfahrung mit internetfähigen Smartphones hatte, wählte er auf Anraten des Mitarbeiters der Firma F zunächst die volumenabhängige Abrechnung, um nach Erhalt der ersten Rechnungen zu entscheiden, ob sich eines der Paketangebote für ihn lohnt. Der Beklagte installierte zu Hause die mitgelieferte Software auf seinem Handy und nutzte das Gerät in den folgenden Tagen, wobei er nach eigenem Bekunden ca. drei- bis viermal im Internet surfte und sich dort verschiedene Seiten ansah. Am 12.12.2008 wurde ihm die SIM-Karte wegen der bis dahin entstandenen Telefonkosten in Höhe von mehr als 1.000 € gesperrt.

Diese Kosten entstanden ausweislich der Rechnung und des Einzelverbindungsnachweises der Mobilfunkanbieterin in erster Linie durch Internet- bzw. WAP-Verbindungen des Handys, insbesondere durch drei WAP-Verbindungen am 09.12.2008 um 21:48:01 Uhr über 11,96 MB zum Preis von 245,00 €, an demselben Tag um 23:06:40 Uhr über 7,078 MB zum Preis von 144,96 € und am Folgetag, 10.12.2008, um 21.22:37 Uhr über 31,15 MB zum Preis von 637,94 €. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Rechnung vom 13.01.2009 (Bl. 26 d.A.) nebst Einzelverbindungsnachweis (Bl. 43 d.A.) Bezug genommen.

Da die Firma F die Sperre nicht aufhob, konnte der Beklagte das Handy in der Folgezeit nicht nutzen. Die Mobilfunkanbieterin stellte dem Beklagten für die folgenden Monate den jeweiligen Grundbetrag nebst Miete für das Gerät in Rechnung. Da der Beklagte die Rechnungen nicht bezahlte, kündigte die Mobilfunkanbieterin den Vertrag mit Wirkung zum 26.05.2009 und verlangte Schadensersatz aufgrund der vorzeitigen Vertragsbeendigung.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben.

Zur Begründung hat es ausgeführt, die Daten seien unstreitig von dem Mobiltelefon des Beklagten aufgerufen worden. Da keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen technischen Defekt o.ä. bestünden, streite für die Richtigkeit der Abrechnungen der Anscheinsbeweis. Dass der Beklagte die Datenverbindungen nicht wissentlich oder willentlich hergestellt haben wolle, sei unerheblich. Auch wenn sein Handy automatische Verbindungen ins Internet hergestellt habe, falle es in seinen Risikobereich, sich mit der Bedienungsanleitung auseinanderzusetzen und diese Funktion zu deaktivieren. Ggf. könnten dem Beklagten im Hinblick hierauf Ansprüche gegen den Hersteller des Handys zustehen. Auch könne der Beklagte der Klägerin gemäß § 242 BGB keine Schadensersatzansprüche entgegenhalten. Zwar werde z.T. eine Verpflichtung des Telekommunikationsunternehmens angenommen, den Nutzer auf Auffälligkeiten hinzuweisen. Dieser Verpflichtung sei der Mobilfunkanbieter jedoch nachgekommen, indem er nach 3 Tagen den Anschluss gesperrt habe. Insoweit bestehe auch kein Schadensersatzanspruch wegen Verschulden bei Vertragsschluss. Dem Mobilfunkanbieter obliege keine Pflicht, den Nutzer auf jede Art der automatischen Einwahl o.ä. hinzuweisen. Dies würde die im Rahmen der Privatautonomie geltende Selbstverantwortlichkeit des Kunden zu stark zulasten des Mobilfunkanbieters verschieben. Der Schadensersatzanspruch auf Zahlung von 906,90 € beruhe auf der Kündigung infolge des Zahlungsrückstandes und resultiere aus §§ 611, 280, 281, 398 BGB i.V.m. den AGB des Mobilfunkanbieters.

Gegen das ihm am 24.06.2010 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit einem am 07.07.2010 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 04.08.2010 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Er beantragt,
die Klage unter Abänderung des am 16.06.2010 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Ahaus, Az: 16 C 2/10, abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Dem an die Klägerin abgetretenen Anspruch auf Zahlung der Rechnungsbeträge für die Monate Dezember 2008 sowie März bis Mai 2009 gemäß §§ 398, 611 BGB in Verbindung mit dem Mobilfunkvertrag steht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB entgegen.

Die mit Rechnung vom 31.12.2008 geltend gemachten Gebühren sind durch eine Verletzung vorvertraglicher Nebenpflichten seitens des Mobilfunkanbieters entstanden, so dass die Mobilfunkanbieterin als Zedentin gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 BGB im gleichen Umfang zum Schadensersatz verpflichtet wäre.

Die Firma F hat im Rahmen des Vertragsschlusses durch den zuständigen Mitarbeiter, dessen Verhalten sie sich gemäß § 278 BGB zurechnen lassen muss, vorvertragliche Nebenpflichten verletzt. Sie hätte den Beklagten vor Abschluss des Mobilfunkvertrags unter gleichzeitiger Vermietung des Smartphones „SGH i 900“ mit dem dazu gehörenden Navigationsprogramm „Route 66“ auf die Gefahr erheblicher Kosten durch WAP- und Internetverbindungen und die damit einhergehenden Vorzüge einer Datenflatrate hinweisen müssen.

Zwar ist im Rahmen der Privatautonomie grundsätzlich jede Partei selbst dafür verantwortlich, die eigenen Interessen wahrzunehmen und sich die für sie relevanten Informationen zu beschaffen (vgl. insoweit LG Bonn, Urteil vom 08.05.2009, Az: 10 O 395/08). Eine Aufklärungspflicht gemäß § 242 BGB besteht jedoch, wenn der Vertragspartner nach Treu und Glauben und den im Verkehr herrschenden Anschauungen redlicherweise Aufklärung erwarten darf – beispielsweise im Hinblick auf die Umstände, die für den Vertragsschluss von wesentlicher Bedeutung sind (Grüneberg in: Palandt, BGB, 70. Auflage 2011, § 242 Rdn. 37).

Nach diesem Maßstab konnte der Beklagte von der Mobilfunkanbieterin die Aufklärung über die Gefahren bei Nutzung des Smartphones „SGH i 900“ in Kombination mit einer verbrauchsabhängigen Datenabrechnung erwarten.

Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Firma F dem Beklagten gleichzeitig das Mobiltelefon mit der Navigationssoftware „Route 66“ vermietet hatte und ihr bekannt war, dass dieses Gerät Internet- und WAP-Verbindungen mit erheblichem Datenvolumen herstellen könnte – z.B. um Softwareupdates sowie aktuelles Kartenmaterial für die Navigationssoftware im Umfang von mehr als 150,00 MB herunterzuladen.

Der Beklagte wusste hingegen zwar, dass er die abgerufenen Daten nach Volumen bezahlen musste. Auch waren ihm die hierfür vereinbarten Preise bekannt. Nicht zu erkennen und zu erwarten waren für ihn jedoch die möglichen Kostenfolgen durch die Funktionen des gleichzeitig von der Mobilfunkanbieterin angemieteten Handys. Er konnte die von dem Handy heruntergeladenen Datenmengen und die hiermit verbunden Kosten nicht überblicken. Dies gilt insbesondere, weil ihm mit der vereinbarten Abrechnungseinheit von 0,006 € / Kilobyte für Internet-Verbindungen bzw. 0,02 € / Kilobyte für WAP-Verbindungen ein besonders niedriger Preis suggeriert wurde.

Der Mitarbeiter der Firma F wäre daher im Rahmen der Beratung vor Vertragsschluss gemäß § 242 BGB dazu verpflichtet gewesen, den Beklagten auf die Gefahren bei Nutzung des Smartphones in Kombination mit einer verbrauchsabhängigen Abrechnung hinzuweisen und ihm eine Datenflatrate zur Vermeidung dieser Kostenfalle zu empfehlen. Hätte der Mitarbeiter diesen Hinweis ausgesprochen, hätte der Beklagte einen Tarif mit unbegrenztem Datenvolumen vereinbart, die Funktionen seines Handys besonders vorsichtig kontrolliert oder sogar ganz von dem Vertragsschluss Abstand genommen, so dass ihm die mit der Rechnung vom 31.12.2008 geltend gemachten Kosten nicht entstanden wären.

Die Klägerin kann auch die vereinbarte Grundgebühr des Tarifs „Time & More All In 500“ in Höhe von 42,50 sowie die Miete für das Endgerät in Höhe von 19,00 € für die Monate Dezember 2008 sowie März bis Mai 2009 nicht verlangen. Die Mobilfunkanbieterin hat die SIM-Karte am 12.12.2008 gesperrt mit der Folge, dass der Beklagte das Handy sowie die Telekommunikationsleistungen in der Folgezeit nicht mehr nutzen konnte. Die Sperrung war rechtswidrig, weil der Beklagte dem Vergütungsanspruch der Mobilfunkanbieterin den Einwand des § 242 BGB entgegenhalten konnte. Soweit der Beklagte in der Zeit vor der Sperrung – vom 02. bis 11.12.2008 – die Leistungen der Firma F in Anspruch genommen hat, ist der hierfür zu zahlende Preis durch die in der Rechnung vom 31.12.2008 in Abzug gebrachte Gutschrift in Höhe von 49,00 € erloschen.

Da bereits die dargestellte Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungs- und Beratungspflicht den geltend gemachten Vergütungsanspruch der Firma F zu Fall bringt, kann dahinstehen, ob – wofür viel spricht – die Mobilfunkanbieterin auch nach Vertragsschluss bestehende Hinweis- und Schutzpflichten verletzt hat (vgl. insoweit auch LG Bonn, Urteil vom 01.06.2010, Az: 7 O 470/09; AG Frankfurt, MMR 2008, 496f). Bereits durch die beiden WAP-Verbindungen am 09.12.2008 um 21:48:01 Uhr über 11,96 MB zum Preis von 245,00 € und um 23:06:40 Uhr über 7,078 MB zum Preis von 144,96 € sind Kosten entstanden, die den Jahresbetrag für eine Flatrate mit unbegrenztem Datenvolumen übersteigen. Der gewählte Tarif stand dementsprechend – was für den Mobilfunkanbieter erkennbar war – in einem eklatanten Widerspruch zu dem Nutzungsverhalten des Kunden. Hieraus musste der Mobilfunkanbieter den Schluss ziehen, dass der Kunde, dem die durch sein Handy abgerufenen Datenmengen und Kosten nicht unmittelbar mitgeteilt werden, sich offensichtlich unbewusst selbst schädigt. Die dargestellte Interessenlage spricht daher auch für eine Warnpflicht des Mobilfunkanbieters im Rahmen des laufenden Vertragsverhältnisses, beispielsweise durch eine automatisch generierte SMS bei Erreichen bestimmter Kostenmarken.

Da aus den oben dargelegten Gründen kein Vergütungsanspruch der Firma F bestand, war die am 25.05.2009 ausgesprochene Kündigung nicht berechtigt, so dass auch der geltend gemachte Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung gemäß §§ 398, 281 BGB i.V.m. den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Firma F nicht besteht.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10 ZPO.

Streitwert für die Berufungsinstanz: 2.070,86 €

Vorinstanz: AG Ahaus, Az. 16 C 2/10

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