LG München I: Forumbetreiber darf renitenten Nutzer entfernen / Zum „virtuellen Hausrecht“

veröffentlicht am 4. August 2009

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtLG München I, Urteil vom 25.10.2006, Az. 30 O 11973/05
§§
314 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 2 S. 2, 323 Abs. 2 Nr. 3, 858, 862, 903 S. 1 Alt. 2, 1004 BGB, Art. 5 GG

Das LG München I hat in dieser Entscheidung darauf hingewiesen, dass Nutzer, die wiederholt gegen die Nutzerbestimmungen eines Forums verstoßen, vom Forumsbetreiber ausgeschlossen werden dürfen. Insoweit bestehe ein sog. „virtuelles Hausrecht“. Vgl. dagegen zu „öffentlich zugänglichen Websites“ OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 05.03.2009, Az. 6 U 221/08 (Link: OLG FFM) und zur Sperrung der IP-Adresse eines Wettbewerbers, der übermäßig auf eine Webseite zugreift OLG Hamm, Urteil vom 10.06.2008, Az. 4 U 37/08 (Link: OLG Hamm).

Das Recht, Beiträge in einem Internetforum der Klägerin zu veröffentlichen, stehe einem Nutzer nur aufgrund eines Vertrages oder einer Gestattung zu, denn der Betreiber könne grundsätzlich jeden Dritten von seinem Forum aufgrund seines virtuellen Hausrechts ausschließen. Dem Betreiber eines Internetforums stehe ein virtuelles Hausrecht zu (vgl. OLG Köln, Urteil, vom 25.08.2000, Az. 19 U 2/00). Das virtuelle Hausrecht finde seine Grundlage zum einen im Eigentumsrecht des Forumbetreibers, sofern dieser das Eigentum an der Hardware hat, auf der die Beiträge der Nutzer gespeichert werden. Nach §§ 903 S. 1 Alt. 2, 1004 BGB könne daher der Betreiber jeden anderen von der Nutzung der Hardware durch das Speichern von Inhalten auf dieser abhalten. Habeder Betreiber die Hardware nur gemietet, so könne er aufgrund des Besitzes und seines Rechtes zum Besitz andere von jeder Einwirkung ausschließen, §§ 858, 862 BGB. Zum anderen finde sich die Grundlage eines virtuellen Hausrechts auch darin, dass der Forumbetreiber der Gefahr ausgesetzt sei, für Beiträger anderer zu haften und auf etwa auf Unterlassung in Anspruch genommen zu werden. Dem Betreiber müsse daher das Recht zustehen, Beiträge zu löschen oder den Zugang zu ihnen zu sperren.

Die Parteien hatten am 04.04.2000 einen Vertrag geschlossen, indem der Beklagte sich unter der Identifizierungsnummer … und dem Benutzernamen … bei der Klägerin registrierte und diese die Registrierung durch eine E-Mail bestätigte. Dadurch erwarb der Beklagte das Recht, in den Foren der Klägerin Beiträge zu veröffentlichen. Die Klägerin räumte das Recht, in ihrem Forum Beiträge zu veröffentlichen, nur durch einen Vertrag ein. Ein Nutzer musste, bevor er Beiträge in den Foren veröffentlichen konnte, sich bei der Klägerin unter Angabe seines richtigen Namens und unter Angabe einer ihm gehörenden E-Mail-Adresse anmelden und die Klägerin musste diese Anmeldung durch E-Mail bestätigen, bevor der Nutzer Beiträge veröffentlichen konnte. Darin liege nach Auffassung des Gerichts der Abschluss eines Vertrages und nicht nur die Gestattung der Veröffentlichung von Beiträgen aus Gefälligkeit.

Ob die Parteien einen Vertrag schließen wollten, sei eine Frage der Auslegung, §§ 133, 157 BGB. Entscheidend sei, ob ein verständiger Beobachter auf einen Rechtsbindungswillen des Handelnden schließen konnte (vgl. BGH NJW 1956, 1313). Dies sei hier der Fall. Aus der Sicht eines verständigen Beobachters hätten sich die Beteiligten rechtlich binden und nicht nur in einem bloßen frei widerruflichen Gefälligkeitsverhältnis stehen wollen.

Bei verständiger Würdigung habe die Klägerin erkennen müssen, dass ein sich anmeldender Benutzer eine Rechtsposition erwerben wolle, aufgrund derer sie ihn nicht mehr willkürlich von der Veröffentlichung von Beiträgen ausschließen könne. Internetnutzern gehe es in der Regel nicht darum, nur einen Beitrag in einem Forum abzulegen. Oft komme es nach der Veröffentlichung eines Beitrages zu einer Diskussion, bei der der Nutzer auf eine Entgegnung selbst wieder erwidern wolle. Viele Nutzer beteiligten sich über Jahre an Diskussionsforen und würden über ihre Kennung in diesem Forum eine eigene Identität erwerben. Davon wolle ein Nutzer für den Betreiber erkennbar nur dann ausgeschlossen werden können, wenn er gegen bestimmte Regeln verstoßen habe, wobei hier offen bleiben kann, inwieweit diese Regeln im Lichte der Meinungsfreiheft gem. Art. 5 GG auszulegen seien. Für den sich Anmeldenden Nutzer wiederum sei erkennbar, dass der Forumsbetreiber ihn zur Einhaltung bestimmter Regeln verpflichtet wolle, weil ein Forumsbetreiber für den Inhalt der veröffentlichen Beiträge nicht unerheblichen Haftungsrisiken ausgesetzt sei.

Die Klägerin habe diesen Vertrag am 01.02.2005 wirksam gekündigt. Die Erklärung müsse das Wort „Kündigung“ nicht enthalten, aber für den Empfänger gem. §§ 133, 157 BGB erkennen lassen, dass das Vertragsverhältnis enden solle (vgl. Weidenkaff/Palandt, Vorb v § 620 Rn. 32). Eine solche Erklärung enthalte das Schreiben der Klägerin. In diesem Schreiben erkläre die Klägerin, dem Beklagten dauerhaft die Beteiligung an den Dauerforen zu untersagen. Dies sei nur als Beendigung des Vertrages zu verstehen, da das Recht des Beklagten zur Beteiligung am Forum der wesentliche, wenn nicht der einzige, Inhalt des Vertrages gewesen sei.

Der Klägerin habe auch ein Kündigungsrecht gemäß § 314 Abs. 1 S. 1 BGB zugestanden.

Ein wichtiger Grund liege gemäß § 314 Abs. 1 S. 1 BGB vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden könne.

Dies sei hier der Fall, da der Beklagte gegen seine Vertragspflichten verstoßen und die Interessen der Klägerin derart schwer verletzt habe, dass dieser die Fortsetzung des Vertrages nicht mehr zugemutet werden könne. Nach der Sperrung des Kontos habe der Beklagte sich unstrittig mehrfach unter falschem Namen bei der Klägerin registriert und Beiträge veröffentlicht. Darin liege zum einen eine Verletzung der Vertragspflichten. Die Klägerin wolle erkennbar nur Nutzern das Recht zum Verfassen von Beiträgen einräumen, die ihren wirklichen Namen angäben. Dies sei dem Beklagten auch bekannt gewesen. In der Angabe eines falschen Namens liege darüber hinaus auch eine vorsätzliche Täuschung, die für sich allein genommen schon geeignet sei, dass Vertrauen zwischen Vertragsparteien zu zerstören und eine Fortsetzung des Verhältnisses unzumutbar zumachen. Für den Beklagten sei auch erkennbar gewesen, dass er die Interessen der Klägerin durch die Falschanmeldungen verletzt habe, weil diese auf die Kenntnis der Namen der Nutzer im Hinblick auf ihre mögliche Haftung für den Inhalt der Beiträge angewiesen sei.

Mehrfach habe der Beklagte durch E-Mails, die er während der Sperrungen an die Klägerin geschrieben habe, sich über die Klägerin belustigt und weitere vorsätzliche Vertragsverletzungen angekündigt. Nach Auffassung des Gerichts spiele es hingegen keine Rolle, ob die erste Sperrung, die wegen des Inhalts der Beiträge des Beklagten erfolgte, rechtmäßig gewesen sei. Dies wäre davon abhängig, ob diese Beiträge gegen die Nutzungsbedingungen verstießen. Dabei sei das Gericht durchaus der Meinung, dass die Nutzungsbedingungen im Lichte des Art. 5 GG auszulegen seien, der hier für den Beklagten streite, und dass für die Auslegung auch zu berücksichtigen sei, wie die Klägerin die Anwendung und Durchsetzung ihrer Nutzungsbedingungen gegenüber anderen Nutzern handhabe. Denn die Zulässigkeit von Beiträgen müsse sich in einem Meinungsforum auch danach richten, welche Inhalte und welcher Ton in den Beiträgen herrschten, mit denen sich ein Nutzer auseinandersetzten. Selbst wenn die Beiträge des Beklagten nicht gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen hätten und die erste Sperrung vom 22.12.2004 daher hätte rechtswidrig sein können, hätte der Beklagten dennoch nicht unter falschem Namen Beiträge schreiben dürfen. Er habe vielmehr bei einer solchen Vertragsverletzung der Klägerin gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen.

Offen bleiben könne, ob gemäß § 314 Abs. 2 S. 1 BGB eine Abmahnung notwendig oder ob diese gemäß §§ 314 Abs. 2 2, 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB entbehrlich gewesen sei. Denn eine Abmahnung sei hier durch die Klägerin jedenfalls erfolgt. Sie liege in der E-Mail vom 05.01.2005, in der festgestellt worden sei, dass der Beklagte sich erneut über die Nutzungsbedingungen hinweggesetzt habe.

Auch eine Begehungsgefahr sei zu bejahen gewesen.

Unstrittig habe der Beklagte in der Zeit der Sperrung vom 22.12.2004 bis zum 19.01.2005 mehrfach unter Benutzung eines falschen Namens Beiträge in den Foren der Klägerin veröffentlicht und sich dessen auch in E-Mails an die Klägerin gerühmt. Der Kläger habe auch nach der Kündigung vom 01.02.2005 unter falschem Namen Beiträge in Foren der Klägerin veröffentlicht. Da die Frage, ob ein Posting vom Beklagten stamme, Gegenstand der Wahrnehmung des Beklagten sei und die Klägerin die Beiträge substantiiert mit Inhalt und Datum vorgetragen habe, hätte der Beklagte substantiiert bestreiten müssen, dass er der Verfasser der Postings gewesen sei. Der Beklagte habe aber schon die Urheberschaft nicht bestritten. Im Schriftsatz vom 02.12.2005 (und im Schriftsatz vom 03.01.2006 habe der Beklagte allein festgestellt, dass die Klägerin die Urheberschaft nicht bewiesen habe. Sei daher davon auszugehen, dass der Beklagte auch nach der Kündigung sich unter falschem Namen angemeldet und Beiträge veröffentlicht habe, so begründe dies zusammen mit den fortlaufen Falschanmeldungen während der Sperrzeiten und des fortgesetzten Sichberühmens des Vertragsbruchs auch eine Begehungsgefahr, die der Beklagte erst in der mündlichen Verhandlung vom 13.01.2005, in der der Beklagte die Unterlassungserklärung abgegeben und damit die Erledigung herbeigeführt habe, ausgeräumt habe.

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