LG Offenburg: Versteckte Entgeltpflicht in Branchenbuch-Angeboten ist unwirksam

veröffentlicht am 14. Juni 2012

Rechtsanwalt Dr. Ole DammLG Offenburg, Urteil vom 15.05.2012, Az. 1 S 151/11
§ 123 Abs. 1 BGB, 3 305c BGB

Das LG Offenburg hat entschieden, dass ein Angebot für den Eintrag in ein Internet-Branchenbuch unwirksam und damit anfechtbar ist, wenn kein deutlicher Hinweis auf die Entgeltpflichtigkeit bzw. den Preis gegeben wird. Die Klausel der Entgeltpflichtigkeit sei überraschend und daher unwirksam. Auch die Anfechtbarkeit des Vertrages wegen Täuschung wurde vom Gericht bejaht. Das LG Offenburg befindet sich dabei auf einer Linie mit zahlreichen anderen Entscheidungen, deren Bewertung der jeweiligen Sachlage bis hin zu „Betrug“ reichte (vgl. LG Rostock, LG Düsseldorf, OLG Frankfurt a.M., LG Hamburg, AG München). Zum Volltext der Entscheidung:


Landgericht Offenburg

Urteil

1.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Wolfach vom 16.08.2011 – Az.: 1 C 90/11 – unter Aufhebung der Kostenentscheidung wie folgt abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.

3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Bezahlung des Entgelts für den Eintrag in ein Internet-Branchenverzeichnis. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, ist damit begründet, dass zwischen den Parteien ein wirksamer Vertrag zu Stande gekommen sei. Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten.

Im übrigen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO unter Bezugnahme auf sämtliche Aktenteile von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Das amtsgerichtliche Urteil war aufzuheben und die Klage abzuweisen, da die Klausel, mit der die Beklagte eine Zahlungspflicht des Beklagten begründen will, wegen Verstoßes gegen § 305c Abs. 1 BGB unwirksam ist und der Beklagte den Vertrag wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten hat.

1.
Die im Vertrag zwischen den Parteien vorgesehene Entgeltlichkeit des Interneteintrags scheitert hier bereits an § 305c Abs. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift werden überraschende oder mehrdeutige Klauseln nicht Vertragsbestandteil. Die Entgeltvereinbarung verstößt gegen diese Vorschrift.

a)
Die wesentlichen Inhalte des Schreibens, das die Klägerin am 20.01.201 0 an den Beklagten richtete, stellen Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 S. 1 BGB dar. Die Klägerin hat den Vortrag des Beklagte nicht bestritten, dass sie das streitgegenständliche Schreiben, das sie an den Beklagten versendet hat, für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert und verwendet hat.

b)
Eine Klausel in allgemeinen Geschäftsbedingungen ist überraschend im Sinne von § 305 c Abs. 1 BGB, wenn sie nach ihrem Inhalt oder nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages, so ungewöhnlich ist, dass der Vertragspartner des Verwenders nicht mit ihr zu rechnen brauchte. Ein Überraschungseffekt im Sinne von § 305c BGB kann sich auch aus der Stellung der Klausel im Gesamtwerk der allgemeinen Geschäftsbedingungen ergeben. Dabei kommt es allerdings nicht darauf an, an welcher Stelle des Klauselwerks die entsprechende Klausel steht, weil alle Bestimmungen grundsätzlich gleich bedeutsam sind und nicht durch die Platzierung einer Vorschrift im Klauselwerk auf deren Bedeutung geschlossen werden kann. Aus der Stellung der Klausel kann sich ein Überraschungseffekt vielmehr dann ergeben, wenn diese in einem systematischen Zusammenhang steht, in dem der Vertragspartner sie nicht zu erwarten braucht (BGH NJW 2010, 3152 Rn. 23 ff.).

c)
Das ist hier der Fall. Der Preis für den Interneteintrag ist einmal im Adressfeld des Absenders und damit an einem völlig ungewöhnlichen Ort versteckt. Zweitens ist er in einem zwar fettgedruckten und umrandeten Textfeld, aber ebenfalls in einer Aufmachung getarnt, die nicht der Üblichkeit der Aufmachung von Angeboten im Geschäftsverkehr entspricht. Teilnehmer am Geschäftsverkehr erwarten, wie gerichtsbekannt ist und in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde, dass in Angebotsschreiben die Leistung und der dafür zu zahlende Preis deutlich abgehoben aufgeführt werden. Beides ist hier nicht der Fall. Auch durch den dritten, verklausulierten Hinweis auf die Eintragungskosten vor der Unterschriftenleiste wird dem Transparenzgebot nicht Genüge getan. Denn der Bundesgerichtshof hat in der bereits zitierten Entscheidung ergänzend ausgeführt, dass Verwender allgemeiner Geschäftsbedingungen nach dem Transparenzgebot entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet sind, Rechte und Pflichten ihrer Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dazu gehört auch, dass allgemeine Geschäftsbedingungen wirtschaftliche Nachteile und Belastungen soweit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Bei der Bewertung der Transparenz ist auf die Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen (BGH, a.a.O., Rn. 29 ff.). Diesen Anforderungen Wird auch der dritte Hinweis auf die Entgeltlichkeit nicht gerecht, da auch er versteckt und verklausuliert wurde. Dass das streitgegenständliche und ähnliche Formulare den genannten Transparenzanforderungen nicht entsprechen, ergibt sich auch aus der Vielzahl von Prozessen, die in der Folge solcher Schreiben geführt werden.

2.
Der Beklagte ist auch deswegen nicht zur Zahlung eines Entgeltes verpflichtet, weil er den Vertrag wirksam wegen Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB angefochten hat.

a)
Die Kammer gelangte aufgrund des gesamten Inhalts der Berufungsverhandlung, insbesondere der Anhörung des Beklagten, zu der von begründeten Zweifeln freien Überzeugung, dass der Beklagte in zwei Punkten einem Irrtum erlag, weil er bei Unterzeichnung des Schreibens der Klägerin der Meinung war, die bereits bei den „Gelben Seiten“ geschaltete Annonce zu verlängern, und nicht einen neuen, kostenpflichtigen Vertrag mit der Klägerin abzuschließen.

b)
Der Bundesgerichtshof hat seinerseits in der zum Wettbewerbsrecht ergangenen Entscheidung BGH GRUR 2012, 184 entschieden, dass solche Schreiben wie das hier streitgegenständliche Schreiben zur Täuschung geeignet und planmäßig darauf angelegt sind, einen wenn vielleicht auch nur kleinen Teil der Adressaten zu täuschen. Die Kammer gelangte insbesondere aufgrund der glaubhaften Angaben des Beklagten bei seiner Anhörung zu der Überzeugung, dass der Irrtum des Beklagten auf dem Anschreiben der Klägerin und dessen Eignung zur Irreführung beruht und hierin eine Ursache für den Entschluss des Beklagten lag, das Schreiben zu unterzeichnen und zurückzuschicken. Dass sich nicht nur der Beklagte, sondern auch viele weitere Empfänger solcher oder ähnlicher Schreiben getäuscht fühlen, wird aus der Vielzahl ähnlicher Prozesse deutlich, die die Klägerin bereits geführt hat. Da es Ziel des § 123 Abs. 1 BGB ist, dass einem auf Täuschungswillen beruhenden Verhalten begegnet werden kann, muss auch der anfechten können, der dem Täuschenden die Irreführung leicht gemacht hat (BGH NJW-RR 2005, 1082).

c)
Die Beantwortung der Frage, ob der Beklagte ein Anfechtungsrecht nach § 123 Abs. 1 BGB hat, hängt mithin davon ab, ob die Klägerin das Schreiben in dem Bewusstsein, dass es sich in der geschehenen Weise zur Irreführung und Beeinflussung eignet und mit dem Willen, den Adressaten zu täuschen, dem Beklagten zugesandt hat. Da es hierbei ausschließlieb um Gegebenheiten geht, die zum Subjektiven Bereich menschlichen Handelns gehören, Sind diese Voraussetzungen regelmäßig dem unmittelbaren Beweis nicht zugänglich. Auf das Wissen und Wollen des Anfechtungsgegners muss vielmehr in aller Regel aus den objektiv feststellbaren Umständen des jeweiligen Falles geschlossen werden.

(1)
Es kann offen bleiben, ob die Klägerin überhaupt den Vortrag des Beklagten in 1. Instanz zur Täuschungsabsicht (Seite 9 des Schriftsatzes vom 04.07.2011 – AS 135) hinreichend bestritten hat.

(2)
Denn die Kammer kam auf der Grundlage des gesamten Inhalts der mündlichen Verhandlung zu der von begründeten Zweifeln freien Überzeugung, dass die Klägerin ihr zur Täuschung geeignetes Schreiben planmäßig einsetzt, um unter dem Anschein „äußerlich verkehrsgerechten Verhaltens“ gezielt die Schädigung des Adressaten zu verfolgen, also die Irrtumserregung nicht die bloße Folge, sondern der Zweck der Versendung des Schreibens ist (BGH NJW 2001, 2187, 2189).

Dass die Klägerin von der Unzulänglichkeit ihrer Formulare weiß, zeigen die zahlreichen Urteile, die sie selbst vorlegt, und die in großer Zahl durch den Prozessvertreter der Klägerin erstritten worden sind. Aus diesen Verfahren hat die Klägerin die Kenntnis davon, dass sich eine große Zahl von Adressaten durch die Gestaltung der Formulare übervorteilt sieht. Hinzu kommt, dass sie selbst einräumt, dass sie ihre Formulare umgestaltet hat. Wenn diese Umgestaltung aber so erfolgt ist, dass die Kostenhinweise wiederum versteckt wurden, und nicht der im Verkehr erwartete, hervorgehobene Hinweis auf den Inhalt des Angebots und den Preis erfolgt, so lässt dies nur den Schluss zu, dass es die Klägerin weiterhin planmäßig darauf anlegt, einen wenn vielleicht auch nur kleinen Teil der Adressaten zu täuschen (BGH GRUR 2012,184 Tn. 17 ff.). Der Täuschungsvorsatz wird dadurch bestätigt, dass der werbende Charakter des Schreibens dadurch getarnt wird, dass der unzutreffende Eindruck vermittelt wird, die beworbene Dienstleistung sei bereits bestellt oder unentgeltlich. Als weiteres Indiz ist, wie der Bundesgerichtshof herausgestellt hat, zu sehen, dass das von der Klägerin versandte Schreiben die für eine Werbung typische Anpreisung der beworbenen Ware oder Dienstleistung vermissen lässt und dass diejenigen Empfänger, die seinen Angebotscharakter erkennen, eine Kaufentscheidung angesichts des Preises für die Veröffentlichung in einem weitgehend unbekannten Internetverzeichnis nicht ernsthaft in Betracht ziehen werden. Das mit dem Schreiben verfolgte Ziel der Absatzförderung lässt sich daher nur erreichen, wenn ein Teil der Adressaten – mag es sich auch nur um einen kleinen Teil handeln – den Inhalt des Schreibens flüchtig zur Kenntnis nimmt. Gerade daraus ist, wie der Bundesgerichtshof nicht beanstandet hat, darauf zu schließen, dass das Schreiben bewusst darauf angelegt ist, den flüchtigen Betrachter in seinem ersten, unzutreffenden Eindruck zu bestätigen, es bestehe bereits ein Vertragsverhältnis mit der Beklagten, oder es komme ein kostenfreier Vertrag zu Stande.

Hinzu kommt, dass weder ersichtlich ist noch von der Klägerin im Rahmen der sie für die subjektive Seite treffenden sekundären Darlegungslast vorgetragen wurde, dass sie über einen Stamm zufriedener Kunden verfügte. Auch dies spricht als Indiz dafür, dass sie ihr Geschäftsmodell bewusst darauf ausgefegt hat, den wesentlichen Umsatz mit getäuschten Kunden zu erzielen.

Auch die Vermutung des Werkvertragsrechts, die für eine Entgeltlichkeit spricht, kann hier nicht als Indiz gegen eine Täuschungsabsicht herangezogen werden, da die Klägerin eine Internetdienstleistung anbietet und in der Praxis nach wie vor eine ganz erhebliche Zahl von Internetdienstleistungen kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 1 0, 711, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die schon für sich allein streitentscheidende Frage, ob die Klägerin mit dem erforderlichen Täuschungswillen handelte, eine Frage der Beweiswürdigung ist und damit der revisionsgerichtlichen Überprüfung nur bedingt unterliegt (BGH NJW-RR 2005, 1 082, Juris-Rn. 20).

Vorinstanz:
AG Wolfach, Az. 1 C 90/11

Auf das Urteil hingewiesen hat openjur.de (hier).

I