LG Ravensburg: Rechtsanwalt darf Verbrauchern nicht „Beratungen in allen Angelegenheiten“ zu einem Pauschalpreis von 20,00 EUR inkl. MwSt. oder ähnlich niedrigen Pauschalsätzen anbieten

veröffentlicht am 6. September 2012

Rechtsanwalt Dr. Ole DammLG Ravensburg, Urteil vom 28.07.2006, Az. 8 O 89/06 KfH 2
§ 3 UWG, § 4 Nr. 11 UWG, § 49 b Abs. 1 S.1 BRAO, § 4 Abs. 2 S.3 RVG

Das LG Ravensburg hat in diesem älteren Urteil entschieden, dass ein Rechtsanwalt nicht damit werben darf, in allen Angelegenheiten für Verbraucher zu einem Pauschalpreis von 20,00 EUR inkl. MwSt. o. ä. niedrigen Pauschalsätzen tätig zu werden. Für Insider: Allerdings ist es Rechtsanwälten erlaubt, etwas anders zu werben und im Leopardenmantel in der Kanzlei aufzutreten. Zum Volltext der Entscheidung:

Landgericht Ravensburg

Urteil

1.
Die Verfügungsbeklagten werden verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs damit zu werben, Beratungen in allen Angelegenheiten für Verbraucher zu einem Pauschalpreis von 20,00 EUR inkl. MwSt. o. ä. niedrigen Pauschalsätzen anzubieten.

2.
Den Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das in Ziffer 1 aufgeführte Unterlassungsgebot ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, angedroht.

3.
Die Verfügungsbeklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Streitwert: 30.000,00 EUR.

Tatbestand

Die Verfügungskläger Ziffer 1-4 verlangen von den Verfügungsbeklagten Ziffer 1 und Ziffer 2 die Unterlassung einer Werbeanzeige.

Bei den Parteien handelt es sich um Rechtsanwälte, die in der Stadt … miteinander in unmittelbarem Wettbewerb stehen. Die Verfügungskläger Ziffer 1 und Ziffer 2 betreiben gemeinsam eine Anwaltskanzlei und die Verfügungsklägerinnen Ziffer 3 und Ziffer 4 betreiben ebenfalls gemeinsam eine Kanzlei. Die Verfügungsbeklagten haben sich als Rechtsanwälte ebenfalls zur gemeinschaftlichen Berufsausübung zusammengeschlossen.

Am 10.06.2006 und am 14.06.2006 erschien in der „Schwäbischen Zeitung“, deren Verbreitungsgebiet auch die Stadt … umfasst, eine Anzeige der Verfügungsbeklagten Ziffer 1 und Ziffer 2, in der diese auf eine Fachanwaltszulassung und auf Tätigkeitsschwerpunkte hinweisen. Außerdem enthält das Inserat folgenden Hinweis:

„Als besondere Dienstleistung bieten wir ab dem 01.07.2006 jeweils mittwochs und freitags von 15:00 Uhr bis 18:00 Uhr die Möglichkeit, sich ohne vorherige Terminabsprache von uns in allen Angelegenheiten beraten zu lassen. Die Kosten für eine solche Beratung betragen für Verbraucher 20,00 EUR inkl. MwSt“ (Anlage VK1)

Die Verfügungskläger halten diese Werbeanzeige für wettbewerbswidrig. Mit Anwaltsschriftsatz vom 14.06.2006 (Anlage VK2) forderten sie die Verfügungsbeklagten auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Mit Schriftsatz vom 23.06.2006 (Anlage VK3) lehnten die Verfügungsbeklagten die geforderte Unterlassungserklärung ab.

Die Verfügungskläger verfolgen ihr Unterlassungsbegehren weiter und haben den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt.

Die Verfügungskläger tragen vor:

Die Werbung der Verfügungsbeklagten mit einem derart niedrigen Pauschalgebührensatz von 17,24 EUR netto verstoße gegen die guten Sitten. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 RVG müssten zulässige Pauschalgebühren in einem angemessenen Verhältnis zur Leistung und zum Haftungsrisiko bzw. zur Verantwortung des Rechtsanwaltes stehen. Die von den Verfügungsbeklagten geschaltete Werbung mit Dumpingpreisen von 20,00 EUR inkl. MwSt. für Beratungen in allen Angelegenheiten verstoße damit gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. §§ 4 Abs. 2 Satz 3 RVG, 49 b Abs. 1 BRAO. Eine anwaltliche Beratung in allen Angelegenheiten auf seriöser Basis könne zu diesem Preis nicht durchgeführt werden. Wenn eine derartige Gebührenfestsetzung für zulässig erklärt würde, wären die Mitwettbewerber gezwungen, ihre Leistungen zu ähnlich niedrigen Vergütungssätzen anzubieten. Dies führte letztlich zu einem ruinösen Wettbewerb; dieses Ergebnis könne aber auch nicht im Interesse der Rechtsuchenden liegen, da bei einem derart ruinösen Wettbewerb damit zu rechnen sei, dass die Qualität der Rechtsberatung nachlassen werde.

Die Werbung der Verfügungsbeklagten sei darüber hinaus irreführend. Ziel der Werbung der Verfügungsbeklagten sei es im Hinblick auf die beworbenen Dumpingpreise, potentielle Mandanten im Rahmen einer kurz gehaltenen Beratung zur Erteilung eines Auftrags zur außergerichtlichen Vertretung oder zum gerichtlichen Tätigwerden zu bewegen, um diese Tätigkeiten dann nach den Gebührensätzen des RVG abrechnen zu können. Mit den niedrigen Pauschalsätzen werde der Verbraucher angelockt, um dann weitere Angebote unterbreitet zu bekommen. Vor diesem Hintergrund könne der Inhalt der Werbung nicht ernst gemeint sein und führe so zu einer Irreführung der betroffenen Verkehrskreise.

Die Verfügungskläger beantragen, den Verfügungsbeklagten Ziffer 1 und Ziffer 2 im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs damit zu werben, Beratungen in allen Angelegenheiten für Verbraucher zu einem Pauschalpreis von 20,00 EUR inkl. MwSt. o. ä. niedrigen Pauschalsätzen anzubieten.

Die Verfügungsbeklagten beantragen, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Sie bringen vor:

Für die beratende Tätigkeit der Rechtsanwälte gebe es ab 01.07.2006 gar keine gesetzliche Vergütung mehr; deshalb scheide ein Verstoß gegen §§ 49 b Abs. 1 BRAO aus. Die Rechtsprechung, auf die die Verfügungskläger Bezug nehmen, sei zur Gesetzeslage, die vor dem 01.07.2006 gegolten habe, ergangen.

Sie wiesen den Vorwurf, zum angegebenen Preis nicht seriös zu beraten, entschieden zurück. Es könne durchaus sein, dass im einen oder anderen Fall eine Beratung zum angegebenen Preis wenig Kostendeckung erwirtschafte. Dies sei aber das Problem, wie die Verfügungsbeklagten kalkulierten. Tatsächlich handele es sich bei dem Angebot nicht um „Dumpingpreise“, sondern um eine Mischkalkulation, die wirtschaftlich sei.

Es sei nicht richtig, dass die beanstandete Werbetaktik gewählt worden sei, um ein Beratungsmandat in eine Angelegenheit überführen zu können, die dann nach den Gebührensätzen des RVG abgerechnet werde. Ob ein Beratungsmandat in eine weiter nach dem RVG zu vergütende Tätigkeit münde, hänge allein vom Fall selbst ab.

Durch die Werbemaßnahme sei der Rechtssuchende auch nicht über den Preis des gesamten Angebots der anwaltlichen Tätigkeit getäuscht worden, weil sich die Werbemaßnahme eben nur auf die anwaltliche Beratung beziehe. Der Rechtssuchende könne sich frei entscheiden, welche Leistungen er in Anspruch nehmen wolle.

Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteivertreter und die vorgelegten Anlagen verwiesen.

Die Verfügungsbeklagten haben am 19.06.2006 nach der Abmahnung eine Schutzschrift eingereicht. Die Kammer hat die Akten der Schutzschrift (Az. 8 AR 64/06SchS) beigezogen.

Gründe

I.

Der Antrag auf Erlass einer einsteiligen Verfügung ist zulässig.

II.

Der Antrag ist auch begründet.

1.
Die Verfügungskläger können von den Verfügungsbeklagten verlangen, dass diese es unterlassen, damit zu werben, Beratungen in allen Angelegenheiten für Verbraucher zu einem Pauschalpreis von 20,00 EUR inkl. MwSt. o. ä. niedrigen Pauschalsätzen anzubieten. Denn derartige Werbeanzeigen sind unlauter, da mit geringeren Gebühren geworben wird, als es das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) vorsieht (§§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 UWG, § 49 b Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 4 Abs. 2 Satz 3 RVG).

a)
Die Parteien stehen zueinander in einem direkten Wettbewerb, da sie alle ihre Anwaltskanzleien in der Stadt … betreiben.

b)
Die Werbung mit einer Pauschalgebühr in Höhe von 20,00 EUR inkl. MwSt. für eine Beratung in allen Angelegenheiten verstößt gegen das Verbot in § 49 b Abs. 1 Satz 1 BRAO, geringere Gebühren zu verlangen als es das RVG vorsieht. § 49 b BRAO stellt eine Marktverhaltensregelung (auch) im Interesse der Mitbewerber dar. Diese Vorschrift soll einen ruinösen Preiswettbewerb verhindern und gleichzeitig gleiche rechtliche Voraussetzungen für alle Wettbewerber auf dem Markt schaffen (Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, Wettbewerbsrecht, 24. Auflage, § 4 UWG, Randnummer 11.139).

c)
Nach § 49 b Abs. 1 Satz 1 BRAO ist auch die Vergütungsvorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 3 RVG zu beachten. Bei Kosten in Höhe von 20,00 EUR für Beratungsleistungen in allen Angelegenheiten des Verbrauchers steht die Vergütung aber nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu der Leistung, der Verantwortung und dem Haftungsrisiko des Rechtsanwalts.

Nach Ansicht der Kammer findet § 4 Abs. 2 Satz 3 RVG auch nach der Neufassung von § 34 RVG ab 01.07.2006 auf Pauschalvergütungen, die für Beratungsleistungen getroffen werden, Anwendung. Dass § 4 Abs. 2 Satz 1 RVG, auf den in § 4 Abs. 2 Satz 3 RVG Bezug genommen wird, vorsieht, dass für die außergerichtlichen Angelegenheiten, für die die Pauschalvergütung vereinbart wurde, ansonsten gesetzliche Gebühren gegolten hätten, § 34 Abs. 1 Satz 2 RVG n. F. aber nicht mehr auf Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis sondern auf die Gebühren nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts (§ 612 Abs. 2 BGB) verweist, steht dem nicht entgegen. Nach der Begründung zur Neufassung von § 34 RVG (vgl. BT-Drucksache 15/1971 S. 3 und S. 238) sollte dadurch zwar eine Deregulierung erreicht werden, andererseits sollte weiterhin eine funktionierende Rechtspflege sichergestellt werden. Deshalb ist § 4 Abs. 2 Satz 3 RVG als allgemeine Vorschrift auch für Pauschalvergütungen heranzuziehen, die für außergerichtliche Angelegenheiten vereinbart wurden, für die ansonsten eine übliche Vergütung nach § 34 Abs. 1 Satz 2 RVG i.V.m. § 612 Abs. 2 BGB festzusetzen wäre.

d)
Nach Ansicht der Kammer steht eine Pauschalvergütung in Höhe von 20,00 EUR für eine Beratungsleistung in allen Angelegenheiten eines Verbrauchers nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zur Leistung, zur Verantwortung und zum Haftungsrisiko des Rechtsanwalts (vgl. OLG Hamm NJW 2004, 3269). Das gilt sowohl dann, wenn man sich bei der angemessenen Vergütung an den Gebühren der Nummern 2100 ff. VV RVG a. F. orientiert, als auch dann, wenn man zum Vergleich auskömmliche Zeitvergütungen oder feste Anteile heranzieht (vgl. Schneider, Wegfall der Beratungsgebühren zum 01.07.2006, in: NJW 2006, 1905 ff., 1907 ff.; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe-Madert, RVG, 17. Auflage, § 34 Randnummer 3 ff.; zur Angemessenheit von Stundensätzen s. Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe-Madert, a.a.O., § 34 Randnummer 4 und § 4 Randnummer 34).

Es kann auch nicht argumentiert werden, ein Rechtsanwalt könne zwischen der vereinbarten Vergütung für Beratungsleistungen und seiner sonstigen Kostenstruktur eine Mischkalkulation vornehmen, da ansonsten die Gefahr besteht, dass die Beratungsleistung i. S. v. § 34 RVG nicht umfassend erfolgt, sondern dass versucht wird, potentielle Mandanten im Rahmen einer kurz gehaltenen Beratung zur Erteilung eines Auftrags zur außergerichtlichen Vertretung oder zum gerichtlichen Tätigwerden zu bewegen.

Bei der vorliegenden Anzeige kommt erschwerend hinzu, dass keinerlei Differenzierung nach Rechtsgebieten, nach Schwierigkeit der Beratung und Umfang der Tätigkeit vorgenommen wird, und dass trotz der äußerst niedrigen Pauschalgebühren keine Ausnahmen vorgesehen sind. Auch nach der Vorstellung des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucksacke 15/1971 S. 239) sollte aber nicht für alle Beratungsfälle – unabhängig von Umfang, Bedeutung und Zeitintensität – eine einheitliche Pauschale verlangt werden, sondern durch die Gebührenvereinbarung sollte es dem Anwalt ermöglicht werden, eine auf den Einzelfall zugeschnittene Gestaltung der Gebühren vorzunehmen.

Den Verfügungsklägern ist außerdem zuzugeben, dass dann, wenn eine derartige Gebührenfestsetzung für zulässig erklärt würde, auch die Mitwettbewerber gezwungen wären, ihre Leistungen zu ähnlich niedrigen Vergütungssätzen anzubieten. Dies würde letztlich zu einem ruinösen Wettbewerb führen. Dieses Ergebnis kann aber nicht im Interesse der Rechtsuchenden liegen, da bei einem derart ruinösen Wettbewerb die Qualität der außergerichtlichen Beratung i. S. v. § 34 RVG beeinträchtigt sein könnte (vgl. LG Essen, NJW 2004, 2836).

Die Verfügungsbeklagten können sich schließlich auch nicht auf einen Vergleich mit den Beratungshilfegebühren berufen. Selbst in diesem Sonderfall entstehen als Festgebühren die Beratungshilfegebühr nach Ziffer 2500 des VV zum RVG i. H. v. 10,00 EUR und zusätzlich die Beratungsgebühr nach Ziffer 2501 des VV zum RVG i. H. v. 30,00 EUR zzgl. Auslagen und MwSt.; außerdem besteht hier noch die Möglichkeit der Einigungs- und Erledigungsgebühr nach Ziffer 2508 des VV zum RVG i. H. v. 125,00 EUR.

e)
Damit ist eine unlautere Werbemaßnahme im Sinne von §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 49 b Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 4 Abs. 2 Satz 3 RVG und ein Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 UWG gegeben.

f)
Ob die Werbung der Verfügungsbeklagten auch irreführend im Sinne von §§ 3, 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 UWG (Irreführung über Merkmal und Preis der Dienstleistung) ist, weil dem Mandanten ein Preis für eine Beratungsleistung versprochen wird, zu dem keine in allen Fällen befriedigende Beratung – kostendeckend – erfolgen kann, kann dahingestellt bleiben.

2.
Da die Verfügungsbeklagten im Juni 2006 die beanstandeten Werbeanzeigen veröffentlichen ließen, ist auch die Eilbedürftigkeit der Sache zu bejahen.

3.
Somit war dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stattzugeben (§§ 8 Abs. 1, 12 Abs. 2 UWG).

III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO. Die Androhung der Zwangsmittel beruht auf § 890 ZPO.

Die Schriftsätze des Klägervertreters vom 18.07.2006, 19.07.2006 und 25.07.2006 gaben keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.

I