OLG Frankfurt a.M.: Kein Widerrufsrecht für über das Internet angebotene Bahn-Tickets

veröffentlicht am 3. Juli 2010

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtOLG Frankfurt a.M., Urteil vom 15.04.2010, Az. 6 U 49/09
§§ 307; 312 b Abs. 3 Nr. 6; 312 d Abs. 1 BGB; §§ 3; 4 Nr. 11 UWG

Das OLG Frankfurt a.M. hat entschieden, dass für eine im Internet angebotene Bahnfahrkarte, die den Käufer innerhalb eines Zeitraums von 11 Wochen zu zwei einfachen Bahnfahrten seiner Wahl berechtigt, kein Widerrufsrecht gilt. Vielmehr greife insoweit die Ausnahmeregelung des § 312 b Abs. 3 Nr. 6 BGB ein. Diese lautet: „Die Vorschriften über Fernabsatzverträge finden keine Anwendung auf Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Unterbringung, Beförderung, Lieferung von Speisen und Getränken sowie Freizeitgestaltung, wenn sich der Unternehmer bei Vertragsschluss verpflichtet, die Dienstleistungen zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines genau angegebenen Zeitraums zu erbringen„. Zum Volltext der Entscheidung:

Oberlandesgericht Frankfurt a.M.

Urteil

Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Frankfurt am Main hat … durch … für Recht erkannt:

Die Berufung gegen das am 04.03.2009 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.

Die Beklagte veräußerte vom 01.08. bis zum 10.08.2008 im Wege einer Internetversteigerung mit optionalem Sofortkauf sog. „X … Tickets“, die der Erwerber in der Zeit vom 16.08. bis zum 31.10.2008 für zwei einfache Bahnfahrten seiner Wahl verwenden konnte. Wegen der Einzelheiten wird auf die aus der Anlage K 3 ersichtlichen Angebotskonditionen (Bl. 16 d.A.) verwiesen.

Die Klägerin ist der Auffassung, den Erwerbern der Tickets habe ein Widerrufsrecht gemäß § 312d Abs. 1 BGB zugestanden, über das sie vorab hätten informiert werden müssen (§ 312c Abs. 1 BGB). Außerdem habe die in den Vertragsbedingungen vorgenommene Festlegung des Gültigkeitszeitraums unter Ausschluss einer Umtausch- oder Erstattungsmöglichkeit eine unangemessene Benachteiligung der Vertragspartner nach § 307 BGB dargestellt. Die Klägerin nimmt die Beklagte deshalb auf Unterlassung und Erstattung der Abmahnkosten in Anspruch.

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (Bl. 71 ff. d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Widerrufsrecht habe nicht bestanden, da hier die Voraussetzungen des § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB vorlägen, so dass die Vorschriften über Fernabsatzverträge keine Anwendung fänden. Auch eine unangemessene Benachteiligung durch die beanstandeten Vertragsbedingungen sei zu verneinen; gerade im Bereich der Beförderungsverträge seien Gültigkeitsbefristungen üblich und für den Unternehmer letztlich auch nicht verzichtbar.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils
1. die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr im Internet Verbrauchern Bahn-Tickets ohne Konkretisierung der Reisezeit und Reisestrecke zum Kauf anzubieten, ohne vor Vertragsschluss nach Maßgabe des § 312c Abs. 1 BGB i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 10 BGB-InfoV über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufs- oder Rückgaberechts sowie über die Bedingungen, Einzelheiten der Ausübung und die Rechtsfolgen des Widerrufs bzw. der Rückgabe zu informieren,
2. die Beklagte zu verurteilen, die Verwendung der folgenden und inhaltsgleicher Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Bezug auf Verträge über Bahn-Tickets, bei denen das Reiseziel nicht festgelegt ist, ausgenommen gegenüber einer Person, die in ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt (Unternehmer) zu unterlassen:
„Reisezeitraum: 16.08. – 31.10.2008″ (…)
„Geltungsdauer zwischen Hin- und Rückfahrt:
Innerhalb des Reisezeitraums.“ (…)
„Umtausch / Erstattung: Ausgeschlossen.“,
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 192,60 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie tritt der Berufung entgegen, wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie die nachfolgenden Ausführungen unter Ziff. II. Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Klageantrag zu 1. ist unbegründet, weil die Vorschriften über Fernabsatzverträge einschließlich der §§ 312c, 312d BGB hier nicht anwendbar sind. Da die Beklagte ein Widerrufsrecht weder einräumen noch hierüber informieren musste, fehlt es an einem Rechtsbruch, der einen Unterlassungsanspruch der Klägerin aus §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG oder aus §§ 2, 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG begründen könnte.

Bei dem Verkauf der „X … Tickets“ handelte es sich um Fernabsatzgeschäfte gemäß § 312b Abs. 1 BGB, da diese Fahrkarten über das Internet vertrieben wurden. Die Vorschriften über Fernabsatzverträge finden indes gemäß § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB keine Anwendung auf Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Unterbringung, Beförderung, Lieferung von Speisen und Getränken sowie Freizeitgestaltung, wenn sich der Unternehmer bei Vertragsschluss verpflichtet, die Dienstleistungen zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines genau angegebenen Zeitraums zu erbringen. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Mit dem Erwerb eines „X … Tickets“ schloss der jeweilige Kunde mit der … Bahn einen Beförderungsvertrag, wobei er den Inhalt der Gegenleistung in dem vorgegebenen Rahmen vor Reiseantritt durch die Eintragung der Strecke und des Reisetags auf dem Ticket selbst näher bestimmen konnte.

Mithin handelte es sich um einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen in dem Bereich Beförderung. Unter die Bereichsausnahme nach § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB fallen zwar insbesondere touristische Dienstleistungen. Doch ist der Anwendungsbereich der Vorschrift hierauf nicht beschränkt.

Zu den dort angesprochenen Beförderungsdienstleistungen zählt nach allgemeiner Meinung auch jede Art des organisierten Transports von Personen, selbst wenn er nicht touristischen Zwecken dient (vgl. Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2005, § 312b Rn 81; Erman, BGB, 12. Auflage, § 312b Rn 19; Lütcke, Fernabsatzrecht, § 312b Rn 128; Härting, Fernabsatzgesetz, § 1 Rn 149).

Des weiteren verlangt § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB, dass sich der Unternehmer bei Vertragsschluss verpflichtet hat, die Dienstleistungen zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines genau angegebenen Zeitraums zu erbringen. Auch dieses Merkmal ist im vorliegenden Fall erfüllt, da die Beklagte einen genauen Zeitraum, nämlich den 16.08. bis 31.10. 2008, vorgegeben hat, innerhalb dessen der Reisende die versprochene Beförderungsleistung in Anspruch nehmen konnte.

Die Klägerin vertritt demgegenüber im Berufungsverfahren die Auffassung, die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung „zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines genau angegebenen Zeitraums“ sei so zu verstehen, dass die zweite Alternative lediglich die Konstellationen erfasse, in denen die Dienstleistung als Dauerleistung den vereinbarten Zeitraum ausfülle. Wäre dem zu folgen, so lägen bei dem Verkauf eines „X … Tickets“, das im Unterschied zu einer Zeitfahrkarte lediglich zu zwei Einzelfahrten innerhalb des angegebenen Zeitraums berechtigt, die Voraussetzungen des § 312b III Nr. 6 BGB nicht vor.

Eine restriktive Auslegung der Vorschrift, wie von der Klägerin für richtig gehalten, wird jedoch weder durch den Wortlaut noch den Zweck der Regelungnahegelegt.

Durch § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB ist Art. 3 II der Richtlinie 97/7 EG vom 20.05.1997 umgesetzt worden. Die Vorschrift ist daher richtlinienkonform auszulegen. Art. 3 II der Richtlinie 97/7 EG ist darauf gerichtet, die Erbringer von Dienstleistungen in bestimmten Tätigkeitssektoren von den Regelungen über Fernabsatzverträge auszunehmen, weil die Anforderungen der Richtlinie diese Unternehmer in unverhältnismäßiger Weise belasten könnten, insbesondere in dem Fall, dass eine Dienstleistung bestellt worden ist und diese Bestellung kurz vor dem für die Erbringung der Dienstleistung vorgesehenen Zeitpunkt vom Verbraucher storniert wird. Die betreffenden Dienstleister sollen vor solchen Nachteilen geschützt werden, die sich daraus ergeben, dass sie Vorkehrungen für die Erbringung der vereinbarten Leistung zu dem bei der Bestellung festgelegten Zeitpunkt treffen müssen (EuGH, NJW 2005, 3055 f., Tz. 29 – easyCar).

Eine unverhältnismäßige Belastung des Dienstleisters besteht im Falle eines Widerrufsrechts beispielsweise dann, wenn die betreffenden Dienstleistungen an Reservierungen gebunden sind (vgl. Staudinger, a.a.O., Rn 79; Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage, § 312b Rn 83; Martis/ Meinhof, Verbraucherschutzrecht, 4. Teil B, Rn 56). Hierauf ist der Anwendungsbereich des § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB bzw. des Art. 3 II der Richtlinie 97/7 EG jedoch nicht beschränkt, wie sich schon daran zeigt, dass generell auch der Erwerb von Fahrkarten für öffentliche Verkehrsmittel in den Anwendungsbereich einbezogen wird (Staudinger, a.a.O., Rn 81; MüKo, a.a.O., Rn 83; Martis/ Meinhof, a.a.O., Rn 56; Lütcke, a.a.O., Rn 132; Härting, a.a.O., Rn 156).

Maßgebend bleibt, dass die betreffenden Dienstleister vor Nachteilen geschützt werden sollen, die sich daraus ergeben, dass sie Vorkehrungen für die Erbringung der vereinbarten Leistung zu dem bei der Bestellung festgelegten Zeitpunkt treffen müssen (EuGH, a.a.O.). Diese Erwägung rechtfertigt keine Beschränkung der Alternative „innerhalb eines genau angegebenen Zeitraums“ auf Dauerleistungen, die den Zeitraum ausfüllen. Auch dann, wenn der Unternehmer sich in einem der in § 312b III Nr.6 BGB genannten Dienstleistungssektoren zu einer punktuellen Leistung verpflichtet, die der Verbraucher innerhalb eines im Voraus festgelegten, zeitlich begrenzten, Zeitraums abrufen kann, wird der Unternehmer in der Regel Vorkehrungen treffen müssen, um zu gegebener Zeit leistungsfähig zu sein.

Würde man hingegen der Auffassung der Klägerin folgen, so dürften – über den Sonderfall des „X … Tickets“ weit hinausgehend – sämtliche Einzelfahrscheine für öffentliche Verkehrsmittel, die für einen gewissen Zeitraum gültig sind, im Fernabsatz nur noch bei Einräumung eines Widerrufsrechts verkauft werden. Eine derartige Einengung des Anwendungsbereichs des § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB wird vom Zweck der Vorschrift nicht getragen, zumal insoweit kein relevantes Schutzbedürfnis der Verbraucher gegeben ist. Bei Fernabsatzverträgen wird ein Widerrufsrecht deshalb für erforderlich gehalten, weil der Verbraucher in der Praxis keine Möglichkeit habe, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung im einzelnen zur Kenntnis zu nehmen (Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 97/7 EG). Diese Erwägung greift ersichtlich nicht, wenn es um die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel geht (vgl. Staudinger, a.a.O., Rn 81; Härting, a.a.O., Rn 150).

Nach allem erfasst § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB, auch wenn der zugrunde liegende Art. 3 II der Richtlinie 97/7 EG als Bereichsausnahme von einer gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzvorschrift grundsätzlich eng auszulegen ist (vgl. EuGH, a.a.O., Tz. 21 m.w.N.), den Verkauf von Einzelfahrscheinen, die für einen bestimmten Zeitraum gültig sind, der bis zu mehreren Wochen betragen kann (vgl. MüKo, a.a.O., Rn 83; Martis/ Meinhof, a.a.O., Rn 56; s.a. Härting, a.a.O., Rn 156 und Erman, a.a.O., Rn 20). Die gegenteilige Ansicht der Klägerin ist in Rechtsprechung und Schrifttum, soweit ersichtlich, bislang nicht vertreten worden.

Eine Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV (früher Art. 234 EG-Vertrag) zur Herbeiführung einer Vorabentscheidung ist nach der Einschätzung des Senats nicht veranlasst, weil hinsichtlich der Auslegung des Art. 3 II der Richtlinie 97/7 EG unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe und der Ausführungen des EuGH (NJW 2005, 3055 – easyCar) zum Zweck der Bestimmung keine vernünftigen Zweifel bestehen.

Vorliegend ging es um den Verkauf von als Einzelfahrscheine nutzbaren Bahntickets mit einer exakt angegebenen Gültigkeitsdauer vom 16.08. bis 31.10.2008. Der damit vorgegebene Zeitraum von rund 11 Wochen hält sich in einem zeitlichen Rahmen, der die Anwendung des § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB noch rechtfertigt. Denn dieser Zeitraum ist nicht so weit ausgedehnt, dass infolge der hierdurch bewirkten Entzerrung gezielte Vorkehrungen des Unternehmers zur Sicherstellung der Leistungsfähigkeit entbehrlich erschienen. Tatsächlich hat die Beklagte im Hinblick auf den Verkauf der „X … Tickets“ – unstreitig – Vorkehrungen getroffen, indem sie Kapazitäten für die Einlösung dieser Tickets durch die Reduktion anderer Fahrkartenkontingente bereitgehalten hat. Ferner liegt gerade ein eher längerer Gültigkeitszeitraum im Interesse des Verbrauchers.

Der Klägerin kann auch nicht darin gefolgt werden, dass es der Sinn und Zweck des § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB gebiete, den Vertrieb der „X … Tickets“ wegen ihrer Besonderheiten von dem Anwendungsbereich dieser Vorschrift auszunehmen. Der Sache nach zielt diese Argumentation der Klägerin auf eine teleologische Reduktion des § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB. Bei einer teleologischen Reduktion wird der Tatbestand einer Norm entgegen dem möglichen Wortsinn eingeschränkt, weil der Anwendungsbereich der Norm sonst über den Zweck der gesetzlichen Regelung hinausginge. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Der Umstand, dass das genaue Reisedatum beim Verkauf des Tickets noch nicht festliegt, widerspricht aus den oben bereits dargelegten Gründen nicht dem Zweck des § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB. Ein weiteres Merkmal des „X … Tickets“ ist die anfänglich fehlende Konkretisierung der Reisestrecke und das dem Kunden insoweit zustehende Leistungsbestimmungsrecht. Dies führt aber gleichfalls nicht dazu, dass der Zweck der Vorschrift hier verfehlt würde. Denn Vorkehrungen des Unternehmers zur Sicherstellung seiner Leistungsfähigkeit werden hierdurch nicht obsolet. Auch wenn die Reisestrecke beim Ticketverkauf noch nicht festgelegt wurde, konnte und musste die Beklagte Dispositionen treffen, indem sie etwa andere Sonderangebote auf erfahrungsgemäß durch die Ausnutzung derartiger Angebote stark frequentierten Strecken reduzierte. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Verbraucher durch die Wählbarkeit der Reisestrecke gerade profitieren. Würde die fehlende Konkretisierung der Reisestrecke eine teleologische Reduktion des § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB rechtfertigen, so könnten Netzkarten, wie auch beispielsweise das „Schönes-Wochenende-Ticket“ im Fernabsatz nicht mehr ohne Einräumung eines Widerrufsrechts vertrieben werden.

Eine Besonderheit des hier in Rede stehenden „X … Tickets“ kann schließlich auch darin gesehen werden, dass insoweit eine besondere, zeitlich begrenzte, Verkaufsaktion stattgefunden hat, so dass grundsätzlich die Möglichkeit bestanden hätte, den zeitlichen Abstand zwischen der Beendigung des Abverkaufs und dem ersten Geltungstag in einer mit der Einräumung eines Widerrufsrechts verträglichen Weise zu bemessen. Auch unter diesem Gesichtspunkt erscheint eine teleologische Reduktion des § 312b III Nr.6 BGB jedoch nicht gerechtfertigt. Dass bei der Formulierung der Bereichsausnahme der Zeitraum zwischen dem Vertragsabschluss und der vereinbarten Leistungszeit unberücksichtigt blieb, dient der Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten und damit der Rechtssicherheit. Die Bereichsausnahme ist darauf gerichtet, die Erbringer von Dienstleistungen in bestimmten Tätigkeitssektoren von den Regelungen über Fernabsatzverträge auszunehmen, weil die Anforderungen der Richtlinie diese Unternehmer in unverhältnismäßiger Weise belasten könnten (vgl. EuGH, NJW 2005, 3055 f., Tz. 29 – easyCar). Dass eine solche Belastung im Einzelfall tatsächlich festzustellen ist, ist nicht Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift.

Der Umstand, dass hier eine zeitlich begrenzte und dem Leistungszeitraum vorgelagerte Verkaufsaktion stattgefunden hat, kann den Klageantrag zu 1. auch aus prozessualen Gründen nicht rechtfertigen. Denn die Klägerin stellt mit ihrem Antrag und dem ihm zugrunde liegenden Vortrag auf diesen Umstand nicht ab.

Auch soweit das Landgericht den Klageantrag zu 2. abgewiesen hat, hat das angefochtene Urteil Bestand. Ein Unterlassungsanspruch der Klägerin aus §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG oder aus §§ 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG scheidet aus, da die beanstandeten Angebotskonditionen, durch die die Gültigkeit der „X … Tickets“ befristet wird, ohne ein Umtauschrecht einzuräumen oder eine Erstattung des Preises vorzusehen, nicht nach § 307 BGB unwirksam sind.

Bei den beanstandeten Angebotskonditionen handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) gemäß § 305 Abs. 1 BGB. Es kann des weiteren nicht davon ausgegangen werden, dass die fraglichen AGB infolge der Genehmigung des zugrunde liegenden Tarifs durch das Bundesverkehrsministerium der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB entzogen sind. Ob die besonderen Voraussetzungen, unter denen eine behördliche Genehmigung bestimmter Vertragsbedingungen ausnahmsweise zum Ausschluss der Inhaltskontrolle führen kann (vgl. dazu BGH, NJW 2007, 3344 f., Tz. 15), hier vorliegen, kann dem Vortrag der Parteien nicht entnommen werden. Die Beklagte folgert aus der ministeriellen Genehmigung selbst keine Kontrollfreiheit der Bedingungen.

Die beanstandeten AGB beinhalten keine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 BGB. Insbesondere liegt keine Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung vor, von der abgewichen wird (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB).

Die Vertragsbedingungen stehen im Einklang mit § 18 der Eisenbahn-Verkehrs-ordnung (EVO). Zwar besteht nach § 18 Abs. 1 EVO grundsätzlich ein Anspruch auf Erstattung nicht benutzter Fahrausweise. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht für ermäßigte Fahrausweise; bei ihnen richtet sich die Frage der Erstattung nach der Regelung in dem jeweils zugrunde liegenden Tarif (§ 18 Abs. 2 EVO).

Bei den „X … Tickets“ handelte es sich, wie im angefochtenen Urteil bereits zutreffend dargelegt, um ermäßigte Fahrausweise in diesem Sinne.

Da die mit dem „X … Ticket“ für zwei Einzelfahrten befahrbare Strecke in Deutschland frei wählbar ist, kann der für ein solches Ticket erhältlichen Beförderungsleistung ein wirtschaftlicher Wert beigemessen werden, der dem Normalpreis für zwei einfache Fahrten auf einer der längsten und teuersten Streckenverbindungen in Deutschland entspricht. Der „Sofort-Kaufen-Preis“ lag ebenso unter diesem Wert wie der vernünftigerweise zu erwartende Versteigerungserlös. Die Möglichkeit, dass für ein „X … Ticket“ ein Preis erzielt wird, der nicht (deutlich) unter dem eben erwähnten Normalpreis liegt, ist rein theoretisch und daher unbeachtlich. Tatsächlich erreichten die nach dem Vortrag der Klägerin erzielten Höchstverkaufspreise mit „über 190 EUR“ nicht den Normalpreis, der beispielsweise für zwei einfache Fahrten von Hamburg nach München und zurück (in der 2. Wagenklasse) zu entrichten gewesen wäre. Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, dass ein Reisender ein „X … Ticket“ zu einem relativ hohen Preis ersteigert, um es dann auf einer Strecke mit einem geringeren regulären Fahrpreis zu nutzen. Ein ermäßigter Fahrausweis bleibt auch dann ein solcher, wenn der Reisende die erhältliche Gegenleistung nur teilweise in Anspruch nimmt.

Eine Abweichung der beanstandeten AGB von einer gesetzlichen Regelung – als Voraussetzung einer Inhaltskontrolle (§ 307 Abs. 3 BGB – kommt allerdings insofern in Betracht, als das bürgerliche Recht für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im allgemeinen nur das in den §§ 194 ff. BGB geregelte Rechtsinstitut der Verjährung kennt, nicht dagegen besondere, von der Frage der Verjährung unabhängige Ausschlussfristen (vgl. BGH, NJW 2001, 2635, 2637).

Ob im vorliegenden Fall demnach eine Inhaltskontrolle vorzunehmen ist oder ob, wie die Beklagte meint, § 18 Abs. 2 EVO als eine Erlaubnisnorm zu verstehen ist, die zur Kontrollfreiheit führt, kann offenbleiben. Denn jedenfalls fehlt es an einer unangemessenen Benachteiligung der Verbraucher. Zu verneinen ist zugleich auch ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner zum Nachteil des Verbrauchers (Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG).

Gemäß § 307 Abs. 1 BGB sind Bestimmungen in AGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Zu den wesentlichen Grundgedanken der für schuldrechtliche gegenseitige Verträge geltenden Regeln des bürgerlichen Rechts gehört das Prinzip der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung, das durch die Verjährungsvorschriften in zeitlicher Hinsicht näher ausgestaltet wird. In dieses Äquivalenzverhältnis wird auch durch eine vertragliche Regelung eingegriffen, die die Werthaltigkeit einer Gegenleistung, die ein Vertragspartner auf Grund eigener Vorleistung verlangen kann, zeitlich über die Verjährungsregelungen hinaus beschränkt (vgl. BGH, NJW 2001, 2635, 2637; OLG München, NJW-RR 2008, 1233, 1234).

Allerdings kann nicht jede zeitliche Begrenzung der Gültigkeitsdauer als eine nicht hinnehmbare Verletzung des Äquivalenzprinzips und unangemessene Benachteiligung des Kunden angesehen werden. Solche Ausschlussfristen sind, obwohl im Gesetz in aller Regel nicht vorgesehen, in weiten Bereichen üblich und werden unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der beiderseits Beteiligten häufig als nicht unangemessen anzusehen sein (vgl. BGH, a.a.O.)

Im vorliegenden Fall stellt die Befristung der Gültigkeitsdauer auf ca. 11 Wochen keine unangemessene Benachteiligung dar. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die „X … Tickets“ nicht mit regulären Fahrausweisen gleichzusetzen sind, die nur bei konkretem Bedarf erworben werden. Eine solche, durch das Element der Versteigerung besonders attraktiv ausgestaltete, Verkaufsaktion ist vielmehr ersichtlich darauf ausgerichtet, der … zusätzliche Kunden zuzuführen, darunter auch solche, die überhaupt nur wegen der günstigen Kaufgelegenheit eine Bahnreise in Erwägung ziehen. Unter diesen Gelegenheitskäufern gibt es erfahrungsgemäß nicht wenige, bei denen die Umsetzung ihres zunächst noch unbestimmten Reisewunsches auf Hemmnisse stößt und für die die zeitliche Begrenzung sich daher als problematisch erweist. Auf der anderen Seite hat aber die Beklagte ein legitimes und offensichtliches Interesse daran, die Dauer einer derartigen Sonderaktion auf einen relativ kurzen Zeitraum zu begrenzen, für den sie dann entsprechende Vorkehrungen treffen kann. Eine solche Begrenzung ist auch dazu geeignet, die Nachfrage zu regulieren bzw. einem Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage entgegenzuwirken.

Eine unangemessene Benachteiligung der Bahnkunden resultiert auch nicht daraus, dass bei Ablauf der – für sich nicht zu beanstandenden – Gültigkeitsbefristung unbenutzte „X … Tickets“ ohne Erstattung und ohne Umtauschmöglichkeit verfallen. Die berechtigten Interessen der Beklagten rechtfertigen in Abwägung mit den Interessen der Kunden eine solche Regelung. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei, dass es sich bei den fraglichen Tickets um ermäßigte Fahrkarten handelt. Der Kunde profitiert im Unterschied zu einem Erwerber von Telefonkarten (vgl. BGH, NJW 2001, 2635) oder Geschenkgutscheinen (OLG München, NJW-RR 2008, 1233, 1234) bereits dadurch, dass er die Fahrkarte zu einem gegenüber dem regulären Preis – in der Regel deutlich – niedrigeren Preis erhält. Dieser Umstand ist bei der wertenden Betrachtung des durch die Vertragsbedingungen mitgestalteten Äquivalenzverhältnisses zu berücksichtigen. Das Risiko, dass ein „X … Ticket“ ungenutzt verfällt, korrespondiert in angemessener Weise mit dem geringeren Preis, der für ein solches Ticket zu zahlen ist. Gäbe es kein solches Verfallsrisiko, müsste die Beklagte überdies befürchten, dass sich an der Verkaufsaktion in erheblichem Umfang Personen beteiligen, denen allein daran gelegen ist, die Tickets – unter Umgehung anderweitiger Schutzvorkehrungen – gewinnbringend weiterzuveräußern.

Der auf die Begleichung der Abmahnkosten gerichtete Klageantrag zu 3. bleibt erfolglos, da die Abmahnung unberechtigt war (§ 12 Abs. 1 Satz 2 UWG).

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 97 Abs. 1 ZPO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision, wie von der Klägerin angeregt, war nicht veranlasst. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Weder bei der Auslegung des § 312b Abs. 3 Nr. 6 BGB (Klageantrag zu 1.) noch bei der hier vorzunehmenden Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB (Klageantrag zu 2.) haben sich Gesichtspunkte ergeben, die Anlass geben, der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beizumessen, oder die eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern.

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