OLG Frankfurt a.M.: Trägergesellschaft der documenta darf kommerziellen Reiseveranstaltern die Durchführung von documenta-Führungen untersagen

veröffentlicht am 31. Mai 2010

Rechtsanwalt Dr. Ole DammOLG Frankfurt a.M., Urteil vom 04.05.2010, Az. 11 U 70/09 (Kart)
§§ 19 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4; 20 Abs. 1; 33 Abs. 1 GWB

Das OLG Frankfurt a.M. hat entschieden, dass die Betreibergesellschaft der documenta (Kassel) einer Veranstalterin von Studienreisen, die auch kostenpflichtige Reisen zu in- und ausländischen Kulturereignissen anbietet, untersagen darf, Gruppenführungen durch die documenta-Ausstellungen für deren Pauschalreisegruppen durch eigene Reiseleiter durchzuführen.

Zwar ist die Beklagte, die gegen Entgelt Gruppenführungen durch die documenta-Ausstellungen anbietet, insoweit als Unternehmer anzusehen. Denn der Unternehmensbegriff wird auch im Recht der Marktbeherrschung funktional verstanden (Bechtold, GWB, 5. Auflage, § 19 Rn. 2). Der BGH geht davon aus, dass „jedwede Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr“ den Unternehmensbegriff erfüllt; ähnlich hat der EuGH in einer Vielzahl von Entscheidungen jede „eine wirtschaftliche Tätigkeit“ ausübende Einheit als Unternehmen eingeordnet (vgl. etwa Zimmer in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht: GWB, 4. Auflage, 2007, § 1 Rn. 32). Die Beklagte sei in Bezug auf die Ausstellung documenta auch als marktbeherrschend einzustufen (wird näher ausgeführt).

Es fehlt jedoch an einem Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung. Gemäß § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB liege ein Missbrauch vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen die Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen in einer für den Wettbewerb auf dem Markt erheblichen Weise ohne sachlich gerechtfertigten Grund beeinträchtige. Die Beklagte, die selbst Gruppenführungen durch die documenta-Ausstellungen gegen Entgelt anbiete, untersage der Klägerin, ebenfalls solche Führungen durch eigenes Personal der Klägerin anzubieten. Hierdurch würden zwar die Wettbewerbsmöglichkeiten der Klägerin beeinträchtigt. Dies geschehe jedoch nicht ohne eine sachliche Rechtfertigung.

Ob die Behinderung der Klägerin sachlich gerechtfertigt sei, sei ebenso wie bei § 20 Abs. 1 GWB aufgrund einer umfassenden und einzelfallbezogenen Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB vorzunehmen (Bechtold a.a.O; § 19 Rn. 70). Dabei müsse von dem Grundsatz ausgegangen werden, dass auch der Norm-Adressat der §§ 19, 20 GWB sein unternehmerisches Verhalten so ausgestalten könne, wie er es für wirtschaftlich richtig und sinnvoll halte (BGH GRUR 2003, 893 – Füllertransporte), wobei allerdings willkürliches Verhalten nicht privilegiert sein dürften. Ferner müsse die den Wettbewerb beschränkende Maßnahme des Norm-Adressaten objektiv sachgemäß und angemessen sein (BGH, BB 1979, 1678 – Vermittlungsprovision für Flugpassagen II; Markert in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. § 20 Rn. 142), was in erster Linie die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und damit die Wahl des mildesten Mittels erfordere. Hierzu führte das Gericht aus:

Hier ist auf Seiten der Klägerin zu berücksichtigen, dass sie ein Interesse daran hat, als qualifizierter Anbieter von Studienreisen ihren Kunden die gesamte Reise unter einheitlicher fachlicher Leitung anzubieten. Zudem ist das Interesse der Klägerin darauf gerichtet, die Kosten für die Vergütung der Führungen durch Personal der Beklagten einzusparen, da ihr für eigene Führungen durch ihre pauschal vergüteten Reiseleiter keine zusätzlichen Kosten entstehen. Diese Kosten halten sich allerdings in einem überschaubaren Rahmen und stellen das Geschäftskonzept der Klägerin nicht in Frage.

Auf Seiten der Beklagten ist zu berücksichtigen, dass sie ein Interesse daran hat, einen Teil der durch die Ausstellung entstehenden Kosten durch die Erlöse aus eigenen Führungen zu decken. Dabei kann nicht außer Betracht bleiben, dass die Beklagte den relevanten Markt überhaupt erst eröffnet hat. Daneben ist das Interesse der Beklagten zu berücksichtigen, die Konzeption der Ausstellung auch im Rahmen der Führungen zu vermitteln und zu bedenken, dass die Kunstvermittlung, wie von der Beklagten vorgetragen und aus der umfangreichen Dokumentation (Anlage 1 zum Schriftsatz vom 24.08.2009 – GA 183) ersichtlich, eine besondere Rolle im Konzept der documenta … einnahm.

Wägt man die Interessen der Beklagten gegenüber denjenigen der Klägerin in Bezug auf den konkret zu entscheidenden Sachverhalt ab, so erscheinen die Belange der Klägerin auch unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB nicht ausreichend, um die Behinderung der Klägerin als sachlich nicht gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Das Interesse der Beklagten, die Kosten ihrer eigenen Ausstellung durch Einnahmen aus Führungen durch die Ausstellung zu decken, ist kein ungerechtfertigtes Anliegen. Das Recht zur Vermarktung ihrer Ausstellung durch das Angebot von Führungen berechtigt die Beklagte, Wettbewerber von Führungen auszuschließen. Die damit verbundene Beeinträchtigung der Klägerin wiegt umso geringer, als die Beklagte keine Einwendungen gegen die Teilnahme von Kunst- und Reiseführern der Klägerin erhoben hat, jedoch deren Teilnahme, die ggfs. Auch eine „aktive Begleitung“ sein könnte, nur im Rahmen solcher Führungen zulassen möchte, die von den eigenen Kunstführern der Beklagten durchgeführt werden. Die Klägerin hat in keiner Weise dargelegt, dass sich ihre Kunden von der Teilnahme an den Fahrten zur documenta hätten abhalten lassen, weil die Führungen nur mit Führern der Beklagten erfolgten. Berücksichtigt man die Möglichkeit, eigene Kunstführer an diesen Führungen teilnehmen zu lassen, reduziert sich das Interesse der Klägerin praktisch auf den wirtschaftlichen Gesichtspunkt der Kostenvermeidung. Angesichts der eher geringen Kosten ist nichts dafür ersichtlich, dass der Klägerin hierdurch ernsthafte Nachteile im Wettbewerb drohten. Ähnlich wie der Inhaber eines gewerblichen Schutzrechts, soweit es nicht um den Zugang zu wesentlichen Einrichtungen geht, grundsätzlich frei ist, mit wem er einen Lizenzvertrag schließt, bleibt es der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten vorbehalten, wem sie Gruppenführungen durch die documenta-Ausstellungen gestattet. Es deutet auch nicht auf ein willkürliches Verhalten hin, dass die Beklagte Gruppenführungen durch die documenta-Ausstellungen von nicht kommerziellen Einrichtungen zugelassen hat. Die Beklagte hat dies damit begründet, dass es sich um Institutionen mit gesellschaftlichem Bildungsauftrag handelte, die mit den Grundgedanken des documenta-Konzepts vertraut gewesen seien. Die unterschiedliche Behandlung der Anbieter von Gruppenführungen durch die documenta-Ausstellungen, je nachdem, ob ein eigenes Gewinnstreben des Wettbewerbers im Vordergrund steht oder nicht, ist nicht als willkürlich einzustufen. Das Recht der Beklagten über die Vermarktung ihrer Ausstellung frei zu bestimmen, schließt das Recht ein, auf Einnahmen zugunsten solcher Institutionen zu verzichten, die – wie etwa die Volkshochschulen – durch die öffentliche Hand getragen werden.

Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin auf die Urteile des EuGH vom 26. Februar 1991 in den Rechtssachen C-154/89 (Kommission/Frankreich, Slg. 1991, I-659), C-180/89 (Kommission/Italien, Slg. 1991, I-709), C-198/89 (Kommission/Griechenland, Slg. 1991, I-727) und vom 22.03.1994 in der Rechtssache C-375/92 (Kommission/Spanien, Slg. 1994, I-00923). Nach diesen Entscheidungen verbietet es Artikel 59 EWG-Vertrag (jetzt Art. 49 EGV), dass ein Mitgliedstaat für die Erbringung von Dienstleistungen von Fremdenführern, die mit einer Gruppe aus einem anderen Mitgliedstaat anreisen, den Besitz eines Berufsausweises verlangt, dessen Erteilung eine bestimmte durch Bestehen einer Prüfung nachzuweisende Qualifikation voraussetzt, wenn diese Dienstleistungen darin bestehen, die betreffenden Touristen an anderen Orten zu führen als in Museen oder an Geschichtsdenkmälern, die nur mit einem spezialisierten Fremdenführer besichtigt werden können. Gegenstand dieser Entscheidungen, die in Vertragsverletzungsverfahren ergangen sind, sind Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit durch Rechtsakte von Mitgliedsstaaten. Selbst den Mitgliedsstaaten ist es nach diesen Entscheidungen nicht verwehrt, für bestimmte Museen oder Denkmäler aufgrund der besonderen Merkmale bestimmter Orte durch nationale Regelungen spezielle Qualifikationen zusätzlich zu denen vorschreiben, die für die Erlangung der allgemeinen Fremdenführererlaubnis erforderlich sind (vgl. Urteil des EuGH vom 26. Februar 1991 in der Rechtssache C-180/89 [Kommission/Italien, Slg. 1991, I-709], zitiert nach Juris Rn. 26). Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind jedoch nicht gesetzliche Beschränkungen durch den Staat, sondern die Abgrenzung des Interesses der Beklagten an der Wahrung ihrer unternehmerischen Entscheidungsfreiheit gegenüber dem Interesse von Wettbewerbern auf Zugang zu dem Markt für das Anbieten von Gruppenführungen durch documenta-Ausstellungen.“

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