OLG Frankfurt a.M.: Wird ein Verhalten als „kriminell“ bezeichnet, kann dies ein zulässiges Stilmittel sein

veröffentlicht am 22. Januar 2014

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtOLG Frankfurt a.M., Urteil vom 21.11.2013, Az. 16 U 90/13
§ 823 BGB, § 1004 BGB

Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Äußerung in einem Presseartikel Was A betreibt, ist deshalb kriminell, weil die dort nie davon reden, ob das, was sie gefunden haben, auch gefährlich ist als Meinungsäußerung zulässig ist. Insbesondere werde durch das Wort „nie“ keine (unwahre) Tatsachenbehauptung daraus, weil es sich dabei um rhetorisches Stilmittel handele, das lediglich eine Tendenz aufzeigen solle. Eine absolute Behauptung sei nicht getätigt worden und von den angesprochenen Verkehrskreisen auch nicht so aufgefasst worden. Zum Volltext der Entscheidung:


Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Urteil

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 02. Mai 2013 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main – 2/03 O 318/12 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens – und zwar beider Instanzen – zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin ist Herausgeberin der Zeitschrift A, der Beklagte Professor an der … Universität O1 im Fachbereich X.

Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Unterlassung einer Äußerung, die der Beklagte in einem Interview getätigt hat, das am … Januar 2012 in der O2er Tageszeitung unter dem Titel „Unsere vielen Ängste sind ein Luxusproblem“ veröffentlicht worden ist. Das Interview enthielt unter anderem folgende Aussage des Beklagten:

„Was A betreibt, ist deshalb kriminell, weil die dort nie davon reden, ob das, was sie gefunden haben, auch gefährlich ist.“

Das Interview war auch online abrufbar; auf Forderung der Klägerin hin entfernte die O2er Zeitung den Artikel am 31. Mai 2012 aus dem Internet.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 123-126 d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben und den Beklagten verurteilt, es bei Meidung für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu unterlassen, zu behaupten und/oder zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen:

„Was A betreibt, ist deshalb kriminell, weil die dort nie davon reden, ob das, was sie gefunden haben, auch gefährlich ist“,

wenn dies geschieht wie in Anlage K 1. Ferner hat das Landgericht den Beklagten verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 651,80 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. August 2012 zu zahlen.

Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei der inkriminierten Äußerung wegen des Wörtchens „nie“ um eine unwahre Tatsachenbehauptung handele, die der gesamten Aussage den Charakter einer Tatsachenbehauptung verleihe; ferner hat es auf der Basis eines Gegenstandswertes von 10.000,00 € und einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr die Erstattung von Abmahnkosten zugebilligt.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten der landgerichtlichen Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 126-131 d.A.) Bezug genommen.

Gegen das ihm am 08. Mai 2013 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit einer am 22. Mai 2013 bei Gericht eingegangenen Schrift Berufung eingelegt, die mit einer am 08. Juli 2013 bei Gericht eingegangenen Schrift begründet worden ist.

Der Beklagte rügt Rechtsfehler und macht mit der Berufung geltend, dass es sich bei der inkriminierten Äußerung nicht um eine unwahre Tatsachenbehauptung, sondern um eine Redewendung handele, mit der in der alltäglichen Sprache eine überspitzte Missbilligung zum Ausdruck gebracht werden solle. Ferner verweist er darauf, dass er vom Durchschnittsleser nicht als der X-Professor wahrgenommen werde, der immer auf das festzunageln sei, was er sage; vielmehr sei er dem Publikum in erster Linie als Buchautor bekannt, der sich zu verschiedenen Themen populärwissenschaftlich äußere. Auch sei der Begriff „gefährlich“ zu unbestimmt, um eine Einordnung als wahr oder unwahr vornehmen zu können. Schließlich liege – so meint er weiter – in dem Wort „kriminell“ ohnehin eine zulässige Meinungsäußerung, da im gesellschaftlichen und politischen Meinungskampf auch starke Formulierungen erlaubt seien.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 02. Mai 2013, Az.: 2/03 0 318/12, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und verweist insbesondere darauf, dass der Beklagte in dem fraglichen Artikel als „X-Professor und Autor“ vorgestellt werde, der mit seinen Studenten Gefahrenmeldungen sammele und analysiere, so dass der Leser mehr als Allgemeinplätze erwarte.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.
Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung des Beklagten hat auch in der Sache Erfolg.

Nach Auffassung des Senats steht der Klägerin gegen den Beklagten kein Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 824 BGB, 1004 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG zu.

Ein solcher Anspruch setzt entweder eine unwahre Tatsachenbehauptung voraus oder eine die Grenzen zur Schmähkritik überschreitende Meinungsäußerung.

Der Senat sieht in der inkriminierten Äußerung keine unwahre Tatsachenbehauptung.

Das Landgericht hat sich wegen der Formulierung „die Klägerin rede nie davon“ auf den Standpunkt gestellt, dass es sich um eine dem Mittel der Beweisführung zugängliche Tatsachenbehauptung handele, die auch unwahr sei, weil die Klägerin in ihren Tests sehr wohl auch immer wieder von Gefährlichkeit rede, was anhand von Beispielen aus diversen A-Zeitschriften erkennbar werde.

Nach Auffassung des Senats handelt es sich jedoch bei der inkriminierten Äußerung nicht um eine unwahre Tatsachenbehauptung, sondern um eine als Stilmittel eingesetzte verbale Übertreibung.

Bei der Frage, wie eine Äußerung zu verstehen ist, kommt es auf die Sicht des Durchschnittslesers an.

Aus der Sicht des Durchschnittslesers handelt es sich bei der inkriminierten Äußerung um eine Aussage in einem Interview, bei dem normalerweise – für jeden Leser erkennbar – mit rhetorischen Stilmitteln gearbeitet wird. Zwar wird der Beklagte als X-Professor vorgestellt, der sich mit seinen Studenten mit der steten Flut immer neuer Gefahrenmeldungen beschäftigt, diese sammelt und analysiert. Das Interview ist insgesamt eher unterhaltend konzipiert und soll dem Leser die Absurdität vieler Ängste der Menschen vor Augen führen. Der Leser soll die Botschaft mitnehmen, dass viele Ängste heute ein Luxusproblem sind, überdies fehlgesteuert werden, weil sie die wirklichen Gefahren, zum Beispiel fettes Essen, Alkoholkonsum und ähnliches, vernachlässigen und sich auf in ihren Auswirkungen überschätzte bzw. gar nicht erwiesene Substanzen in Lebensmitteln konzentrieren. Vor diesem Hintergrund liegt in der inkriminierten Äußerung eine rhetorische Überspitzung, ohne dass der Leser mitnimmt, dass tatsächlich vom Beklagten und seinen Studenten geprüft worden ist, die Klägerin würde tatsächlich nie auf die Gefährlichkeit der festgestellten Substanzen eingehen. Trotz des Wörtchens „nie“ soll nur eine Tendenz geschildert werden, aufgrund in Lebensmitteln analysierter Substanzen die Ängste der Menschen zu schüren, obwohl unklar ist, ob diese Substanzen für den Menschen tatsächlich gefährlich sind oder gefährlicher als natürliche Substanzen, die den Produkten eigen sind. Dem Leser wird die Botschaft vermittelt, dass sich die Gewichtung zwischen berechtigten und unberechtigten Ängsten verschoben habe zu Lasten der Lebensqualität der Menschen und die Zeitschrift A dazu einen Beitrag leiste.

Das Wörtchen „nie“ soll daher nicht aus der Sicht des Durchschnittslesers als absolute Verneinung verstanden werden. Dieses rhetorische Stilmittel ist verbreitet. Wer formuliert „in öffentlichen Verkehrsmitteln machen junge Leute heutzutage nie mehr ihren Platz frei für Ältere“, will nicht die Behauptung aufstellen, dass dies tatsächlich niemals der Fall ist, sondern nur eine Tendenz formulieren, was auch jeder, der mit dieser Äußerung konfrontiert ist, richtig einzuordnen versteht.

So ist es auch im vorliegenden Fall mit der Formulierung „die Klägerin rede nie davon“. Hier findet – für den Leser erkennbar – eine Bewertung in dem Sinne statt, dass eher selten oder zu wenig davon die Rede ist. Die intervenierte Äußerung überspitzt im Interesse der vom Beklagten verfolgten Botschaft die Kritik an der Zeitschrift A. Dabei wird A auch nur beiläufig erwähnt, was wiederum zeigt, dass dieser Satz nur exemplarisch gemeint ist, ohne eine wissenschaftlich fundierte Aussage über die Testanalysen der Klägerin verfolgen zu wollen. Gemeint und für den Leser erkennbar geht es um eine Kritik an der Klägerin, durch die Tests und ihre Darstellung den Konsumenten zu verunsichern und das Thema Ängste noch zusätzlich anzuheizen. Das muss im Meinungskampf auch durch überspitzte Formulierungen, die – wie hier – auch als solche erkennbar sind – erlaubt sein. Insgesamt liegt daher nach Auffassung des Senats keine unwahre Tatsachenbehauptung, sondern eine mit dem Stilmittel der Übertreibung umgesetzte Missbilligung vor, die von der Klägerin hingenommen werden muss. Durch die Nennung des Wortes „kriminell“, wird diese Missbilligung noch pointierter in Szene gesetzt, ohne jedoch dem Wörtchen „nie“ einen anderen Aussagegehalt zuzusprechen. Das Wort „kriminell“ ist in diesem Zusammenhang ohnehin eine Meinungsäußerung. Die Grenze zur Schmähkritik ist auch nicht überschritten, da sich der Beklagte in seinem Interview zur Sache äußert, also im Meinungskampf befindet, und nicht die Klägerin als solche herabzuwürdigen beabsichtigt.

Da der Unterlassungsanspruch der Klägerin entfällt, hat sie auch keinen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Abmahnkosten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

Vorinstanz:
LG Frankfurt, Az. 2-3 O 318/12

I