OLG Frankfurt a.M.: Zur Indizwirkung von Streitwertangaben

veröffentlicht am 11. Dezember 2014

OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 03.11.2011, Az. 6 W 65/10
§ 3 ZPO

Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass den Streitwertangaben des Klägers in einem Unterlassungsverfahren (hier: Patentrecht) grundsätzlich eine Indizwirkung für die Bewertung des klägerischen Interesses zukommt. Ein von dieser Angabe nach oben oder unten abweichender Streitwert müsse lediglich festgesetzt werden, wenn dazu schon nach eigenem Sachvortrag des Klägers oder auf Grund konkreter Einwendungen des Beklagten Anlass bestehe. Zum Volltext der Entscheidung:


Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Beschluss

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

Der Streitwert wird auf 50.000 EUR festgesetzt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die zulässige Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts auf 100.000 EUR mit Beschluss vom 08.04.2010 hat auch in der Sache Erfolg. Der Streitwert war, gemäß der Angabe der Klägerin in ihrer Klageschrift, auf 50.000 EUR herabzusetzen.

1.
Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats kommt den eigenen Streitwertangaben des Klägers zu Beginn des Verfahrens eine gewisse indizielle Bedeutung für die Bewertung des mit einem Unterlassungsbegehren verfolgten Interesses zu, weil zu Beginn des Verfahrens über den Erfolg der Klage meist keine Gewissheit besteht, so dass im Falle des Unterliegens eine zu hohe Streitwertangabe und im Falle des Obsiegens eine zu niedrige Streitwertangabe für die Partei oder deren Prozessbevollmächtigten mit Nachteilen verbunden sein kann. Dies begründet eine gewisse Vermutung dafür, dass zu diesem Zeitpunkt geäußerte Vorstellungen über die Streitwerthöhe dem tatsächlichen Interesse des Klägers entsprechen; dies gilt erst recht, wenn auch die Gegenseite gegen diese Angaben keine Einwände erhebt (vgl. Senat, Beschl. v. 2.7.2009 – 6 W 18/09). Allerdings kommt den Streitwertangaben der Parteien dann keine Bedeutung zu, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass diese das tatsächliche Interesse des Klägers offensichtlich nicht zutreffend widerspiegeln. Für die Praxis der Streitwertbemessung bedeutet dies, dass grundsätzlich keine Bedenken bestehen, bei der Festsetzung zunächst den Angaben des Klägers zu folgen und nur bzw. erst dann korrigierend einzugreifen, wenn diese Angaben schon nach dem eigenen Sachvortrag des Klägers oder auf Grund konkreter Einwendungen der Gegenseite übersetzt oder auch untersetzt erscheinen.

2.
Demgegenüber vertritt der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf in einer Entscheidung vom 10.5.2011 (I-2 W 15/11, GRUR-RR 2011, 341) – jedenfalls für den Bereich der Patentstreitsachen – eine von diesen Grundsätzen abweichende Auffassung. Er führt aus, nach seinen Erfahrungen stelle es eine beinahe regelmäßige Praxis dar, dass beide Parteien im einträchtigen Zusammenwirken mit einer zur niedrigen Streitwertangabe prozessieren, um Gerichtskosten „zu sparen“. Ihre Ursache habe diese Erscheinung in der Tatsache, dass die Parteivertreter jedenfalls in größeren Verfahren ihre eigenen Gebühren nach Stundenaufwand abrechneten. Eine unangemessen niedrige Streitwertfestsetzung berühre deswegen nicht mehr den eigenen Honoraranspruch des Anwalts, sondern wirke sich einseitig nur noch zu Lasten der Landeskasse aus. Aus verschiedenen Äußerungen von Anwälten wisse der Senat, dass die zu niedrige Streitwertangabe in solchen Fällen in der direkten Absicht erfolgt, durch die mittels der untersetzten Streitwertangabe „eingesparten“ Gerichtsgebühren weiteren Spielraum für die Abrechnung zusätzlichen eigenen Honorars zu gewinnen. Darauf müsse mit einer angemessenen Anhebung des Streitwerts reagiert werden. Soweit die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten dies nicht selten mit dem Hinweis zu torpedieren versuchten, keine genaue Kenntnis über die maßgeblichen Bemessungsfaktoren zu haben, sei dies in aller Regel vorgeschoben. Dem sei dadurch zu begegnen, dass vom Gericht ein Streitwert geschätzt wird, der so hoch ist, dass er die Parteien zuverlässig motiviert, im Rahmen eines Antrags auf Streitwertkorrektur ihrer Mitwirkungspflicht wahrheitsgemäß nachzukommen. Nach Mitteilung der hierzu erforderlichen Angaben sei im Patentverletzungsstreit eine über die restliche Laufzeit des Patents angestellte Lizenzbetrachtung vorzunehmen, bei der die vom Verletzer in diesem Zeitraum voraussichtlich noch zu erzielenden Umsätze mit einem an der oberen Grenze des denkbaren Rahmens anzusetzenden Lizenzsatz zu multiplizieren sei. Unterhalb des sich daraus ergebenden Betrages werde der Streitwert für die auch auf Unterlassung gerichtete Klage nicht festgesetzt werden können.

Dieser Beurteilung und der sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Streitwertermittlung vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen.

Die vom 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf wiedergegebenen Erfahrungen über das Verhalten der Parteien und ihrer Prozessbevollmächtigten im Zusammenhang mit der Streitwertangabe kann der erkennende Senat aus seiner Sicht nicht bestätigen. Es haben sich bisher in keinem Fall konkrete Anhaltspunkte für den Verdacht ergeben, die Parteien und ihre Anwälte könnten in bewusstem Zusammenwirken auf die Festsetzung zu niedriger Streitwerte hingewirkt haben, um auf diese Weise die Gerichtskosten zu reduzieren und damit zugleich finanziellen „Freiraum“ für höhere Anwaltshonorare zu schaffen.

Gegen die Annahme, dass ein solches Verhalten zur Regel geworden ist oder werden könnte, sprechen zudem weitere Überlegungen. Selbst wenn der Honoraranspruch der beteiligten Rechtsanwälte wegen der Vereinbarung einer Stundenvergütung von der Höhe des gerichtlichen Streitwerts nicht abhängt, bedeutet das nicht, dass ein zu niedriger Streitwert allein zu Lasten der Staatskasse ginge. Vielmehr wird in diesem Fall auch der Kostenerstattungsanspruch der obsiegenden Partei lediglich aus dem zu niedrigen Streitwert berechnet mit der Folge, dass die Partei die für sie wegen der Stundenhonorarvereinbarung ohnehin tatsächlich höheren Kosten lediglich zu einem geringeren Anteil vom Gegner erstattet verlangen kann, als dies bei Zugrundelegung des zutreffenden Werts der Fall wäre. Daher ist unter diesen Voraussetzungen auch die obsiegende Partei (ausnahmsweise) durch einen zu niedrigen Streitwert beschwert (vgl. Senat, Beschl. v. 13.8.2009 – 6 W 182/08; im Anschluss an Oberlandesgericht Düsseldorf – 5. Zivilsenat, Beschl. v. 16.6.2005 – 5 W 13/05; MDR 2006, 297). Der die Interessen seines Mandanten wahrende Klägervertreter wird folglich – auch wenn er selbst nach Stundenaufwand honoriert wird – schon aus diesem Grund in der Regel darauf achten, dass der von ihm angegebene Streitwert nicht unangemessen niedrig ausfällt. Etwas anderes mag allenfalls in den eher seltenen Fällen gelten, in denen der Klägervertreter dem Klagebegehren von vornherein nur geringe Erfolgssaussicht beimisst; dann wird allerdings der Beklagtenvertreter aus den gleichen Gründen erst recht auf die Festsetzung eines angemessenen Streitwerts achten.

Das vom 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf befürchtete missbräuchliche Zusammenwirken der Prozessbevollmächtigten bei der Streitwertbemessung kommt daher allenfalls in Betracht, wenn die beteiligten Anwälte beider Seiten entschlossen sind, auch die Interessen ihrer eigenen Mandanten zu beeinträchtigen. Diese Gefahr erscheint nicht so groß, dass sie es rechtfertigen könnte, von den unter 1. dargestellten Grundsätzen abzuweichen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass diese Grundsätze nicht zuletzt praktischen Bedürfnissen entgegenkommen. Die vom 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf vorgeschlagene Methode der Streitwertermittlung erfordert für jedes Verfahren einen erheblichen Aufwand. Insbesondere kann die Ermittlung der für den zu schätzenden Lizenzbetrag maßgeblichen Faktoren jedenfalls dann schwierig sein, wenn diese zwischen den Parteien streitig sind. Die regelmäßige Anwendung dieser Methode in allen Patent- oder sonstigen Schutzrechtsverletzungsverfahren führt daher zu Erschwernissen für die praktische Arbeit der Gerichte, die nach Einschätzung des erkennenden Senats außer Verhältnis zu den vermuteten Gefahren stehen, denen auf diese Weise begegnet werden soll.

3.
Die Klägerin hat den Streitwert in der Klageschrift mit 50.000 EUR beziffert. Auf die Verfügung des Landgerichts, sie möge nähere Angaben zu dem für Patentstreitsachen ungewöhnlich niedrigen Streitwert von 50.000 EUR machen, hat die Klägerin ausgeführt, der Streitwert resultiere aus der bisher kaum spürbaren Marktpräsenz der Beklagten. In ihrer Beschwerdebegründung hat die Klägerin weiter ausgeführt, das Klagepatent schütze ein Spezialwerkzeug, welches insbesondere zum Lösen von Wälzlagern von einer Welle verwendet werde. Der Markt für solche Gegenstände sei klein, die damit erzielbaren Umsätze seien entsprechend gering. Auch beschränke sich die angegriffene Verletzungshandlung auf ein Angebot und eine Lieferung im Rahmen des erstmaligen Marktauftritts der Beklagten.

Diese, von der Beklagtenseite allesamt unwidersprochen gebliebenen Ausführungen, begründen ohne weiteres die Festsetzung Streitwertes auf nicht mehr als 50.000 EUR. Der Umstand allein, dass es sich um eine Patentstreitsache handelt, ist wertneutral.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 ZPO) liegen nicht vor (§§ 68 Abs. 1, Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Vorinstanz:
LG Frankfurt, Az. 2-6 O 610/09

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