OLG Hamburg: Aufdringlichen Paparazzi darf der unbedarfte, angeklagte Bürger schon mal „auf die Mütze geben“ / Zum Tatbestand der Notwehr bzw. des Verbotsirrtums

veröffentlicht am 20. April 2012

OLG Hamburg, Beschluss vom 05.04.2012, Az. 3-14/12
§ 32 StGB, § 223 Abs. 1 StGB, § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, § 22 KunstUrhG, § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG

Das OLG Hamburg hat (in einem erfrischend lebens- und bürgernahen Beschluss und mit unverhohlen herber Kritik an der Vorinstanz) entschieden, dass ein in einen Nachbarschaftsstreit verwickelter Angeklagter nicht ohne weiteres von einem Paparazzo im Gerichtsflur fotografiert werden darf. Der Fotografierte hatte dem Fotografen nach vorheriger Untersagung der Fotos und gleichwohl erfolgter Fortsetzung der Fotoaufnahmen verärgert einen Schlag zum Kopf versetzt, wobei er dessen Kamera traf, die dem Fotografen ins Gesicht stieß. Der aufdringliche Fotograf erstattete pflichtgemäß und bar jeglichen Unrechtsbewusstseins (nachdem er aus einem mehrjährigen Koma erwacht war *nichternstgemeint*) Anzeige, die wegen gefährlicher (!) Körperverletzung weiterverfolgt wurde und in einer entsprechenden Verurteilung endete. Immerhin sei die Kamera des Fotografen ein „gefährliches Werkzeug“ gewesen. Der Senat verstand den Rummel nicht, lehnte das Tatbestandsmerkmal des „gefährlichen Werkzeugs“ – jedenfalls aus Sicht des Verletzten ab – und gab der Vorinstanz auf, eine Notwehrsituation (§ 32 StGB) zu prüfen und hilfsweise die Frage eines vermeidbaren Verbotsirrtums (§ 17 S. 1 StGB). Auch auf die „Milderungsmöglichkeit des § 17 S. 2 StGB“ wies der Senat hin. Abschließend teilte das Oberlandesgericht mit, dass das Landgericht „im Falle einer erneuten Verurteilung … – gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe [sic!] § 21 StGB zu prüfen haben“ wird. Zum Volltext der Entscheidung:

Oberlandesgericht Hamburg

Urteil

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 4, vom 14.10.2011 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek hat den jetzt 60-jährigen, unbestraften Angeklagten am 07.02.2011 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,00 EUR verurteilt. Die vom Angeklagten und der Staatsanwaltschaft eingelegten Berufungen hat das Landgericht mit Urteil vom 14.10.2011 verworfen. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Am 04.05.2010 sollte um 9.00 Uhr im Amtsgericht Hamburg-Wandsbek eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs einer Körperverletzung stattfinden. Es ging um einen Nachbarschaftsstreit, bei dem auch Hunde eine Rolle spielten. Das Verfahren stand auf der Presseliste der Staatsanwaltschaft, so dass auch ein Fotograf einer großen deutschen Boulevard-Zeitung, der später geschädigte Zeuge H. , anwesend war. Als der Angeklagte im Treppenhaus erschien, begann der Zeuge ihn zu fotografieren. Der Angeklagte war hierüber überrascht und erbost und forderte den Zeugen lautstark auf, sein Tun einzustellen. Der Zeuge H. reagierte hierauf nicht, sondern fotografierte den Angeklagten weiter. Auch die erneute lautstarke Aufforderung, das Fotografieren einzustellen, ignorierte der Zeuge und schlug dem Angeklagten vor, er möge sich doch ein Blatt Papier oder die mitgeführte Tasche vor das Gesicht halten. Der Angeklagte hielt sich stattdessen zunächst die Hand vor das Gesicht, ging dann, als der Zeuge weiter fotografierte, wütend auf ihn zu, holte mit dem rechten Arm aus und schlug mit bedingtem Körperverletzungsvorsatz mit der flachen Hand wuchtig gegen das Objektiv der Kamera, die der Zeuge gerade vor sein Gesicht hielt. Durch den Schlag wurde die Kamera in das Gesicht des Zeugen gedrückt. Der Zeuge taumelte etwas zurück und schubste den Angeklagten von sich weg. Er erlitt infolge des Schlages Schmerzen im Oberkiefer, Kopfschmerzen und ein Taubheitsgefühl im Bereich der Frontzähne, ferner eine gerötete Stelle auf dem Nasenrücken, die nicht behandelt werden musste. Die Kopfschmerzen waren am nächsten Tag verschwunden, die übrigen Schmerzen und das Taubheitsgefühl nach wenigen Tagen.

Am nächsten Tag erschien in der Zeitung ein Artikel über den Prozess, dem ein Bild des Angeklagten beigefügt war. Auf zivilrechtliche Intervention des Angeklagten verpflichtete sich der Verlag, keine Bilder des Angeklagten zu veröffentlichen. In dem damaligen Strafverfahren wurde der Angeklagte freigesprochen.

Das Landgericht hat eine gefährliche Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB angenommen, die nicht durch Notwehr gerechtfertigt gewesen sei. Das Fotografieren in einem öffentlichen Gerichtsgebäude anlässlich einer öffentlichen Hauptverhandlung auch gegen den erklärten Willen des Angeklagten stelle keinen rechtswidrigen, notwehrfähigen Angriff dar, der einen Schlag gegen die Kamera rechtfertige.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Angeklagten form- und fristgerecht erhobene Revision.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil des Landgerichts mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Berufungsstrafkammer des Landgerichts zu verweisen. Die Subsumtion des Landgerichts unter den objektiven Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung und die Verneinung einer Rechtfertigung seien nicht zu beanstanden. Es liege aber ein Erörterungsmangel vor, weil das Landgericht die Möglichkeit einer Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) nicht geprüft habe, obwohl hierzu wegen einer psychischen Erkrankung des Angeklagten, die zu dauernder Erwerbsunfähigkeit und zu eine Schwerbehinderung von 80% geführt habe, Anlass bestanden hätte.

II.

Die Revision des Angeklagten führt bereits mit der Sachrüge zur umfassenden Aufhebung des landgerichtlichen Urteils.

1.
Die Feststellungen des Landgerichts tragen nicht den Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung. Die Urteilsgründe ergeben nicht, dass es sich bei der Kamera, die der Geschädigte in der Hand gehalten hat, um ein gefährliches Werkzeug des Angeklagten i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gehandelt hat.

Ein gefährliches Werkzeug ist ein Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen. Entscheidend ist dabei die Erheblichkeit der Verletzungen, die der Täter durch den Einsatz dieses Werkzeuges verursacht hat oder verursachen wollte (Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 224 Rn. 9 m.w.N.).

Zur objektiven Eignung der Kamera, erhebliche Verletzungen herbeizuführen, enthält das Urteil außer einer formelhaften Behauptung (UA 17) keine Feststellungen. Die tatsächlich eingetretenen Verletzungen durch den mit Wucht ausgeführten Schlag gegen die Kamera (UA 6) sind vergleichsweise gering und unterscheiden sich nicht durch Verletzungen, die auch durch einen Schlag mit der bloßen Hand in das Gesicht hätten herbeigeführt werden können.

Das Urteil enthält auch keine Feststellungen dazu, dass der Angeklagte mit dem Schlag gegen die Kamera erhebliche Verletzungen bewirken wollte. Das Landgericht führt im Rahmen der Beweiswürdigung im Gegenteil sogar aus, der Zeuge H. habe betont, dass der Angeklagte nach seiner Einschätzung in erster Linie das Fotografieren verhindern, nicht aber ihm Schmerzen zufügen wollte (UA 9).

2.
Auf der Grundlage der Feststellungen ist der Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB erfüllt. Der nach § 230 StGB erforderliche Strafantrag liegt vor. Das Landgericht hat aber mit rechtsfehlerhafter Begründung eine Rechtfertigung des Angeklagten wegen Notwehr gemäß § 32 StGB verneint.

a)
Das Landgericht geht davon aus, dass das Fotografieren des Angeklagten gegen dessen erklärten Willen keinen rechtswidrigen, notwehrfähigen Angriff darstellt. Das ist auf der Grundlage der – insoweit lückenhaften Feststellungen – rechtsfehlerhaft.

aa)
Das Anfertigen von Bildern ohne Einverständnis des Betroffenen stellt keinen Eingriff in § 22 KunstUrhG dar, denn dieses Norm regelt ausdrücklich nur das Verbreiten oder öffentliche zur Schau stellen von Bildnissen. Das Herstellen eines Bildes stellt aber nach allgemeiner Ansicht der Rechtsprechung einen Eingriff in das sich aus Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG ergebene allgemeine Persönlichkeitsrecht (Recht am eigenen Bild) dar, weil bereits mit der Anfertigung des Bildes in das Selbstdarstellungsrecht des Betroffenen eingegriffen, das Bildnis in der konkreten Form der Kontrolle und Verfügungsgewalt des Abgebildeten entzogen wird (Dreier/Schulze, 2. Aufl. 2006, § 22 KunstUrhG Rn. 13 m.w.N.; Götting in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 22 KunstUrhG Rn. 5 und 35 m.w.N.; OLG Karlsruhe, NJW 1982, 123). Weitgehende Einigkeit in Rechtsprechung und Literatur besteht ferner darüber, dass dieser weite Schutz gegen das Anfertigen von Bildnissen im Wege der Abwägung der im Widerstreit liegenden Interessen begrenzt wird, wenn er mit anderen grundgesetzlichen geschützten Interessen kollidiert. Im Ergebnis ist die Anfertigung eines Bildnisses in dem Umfang zulässig, in dem es nach §§ 22, 23 KunstUrhG verbreitet werden darf (Dreier/Schulze, a.a.O. Rn. 14, OLG Karlsruhe, a.a.O.).

In Betracht kommt hier nur die Rechtfertigung der Verbreitung nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG. Nach dieser Norm ist die Verbreitung ohne Einwilligung des Betroffenen zulässig, wenn es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Es ist ferner anerkannt, dass neben absoluten Personen der Zeitgeschichte auch relative Personen der Zeitgeschichte, Personen, die das Informationsinteresse der Allgemeinheit nur für beschränkte Zeit und in beschränktem Umfang auf sich ziehen (Dreier/Schulze, a.a.O., § 23 KunstUrhG Rn. 8; Götting, a.a.O. § 23 KunstUrhG Rn. 31), die Verbreitung ihrer Bilder hinnehmen müssen. Ob und in welchem Umfang die Allgemeinheit ein das Persönlichkeitsinteresse überwiegendes Informationsinteresse hat, ist aufgrund einer wertenden Abwägung aller betroffenen Interessen und Umstände des Einzelfalls zu ermitteln.

Als relative Personen der Zeitgeschichte kommen Angeklagte dann in Betracht, wenn die Tat über das täglich Wiederkehrende hinausgeht und einiges Aufsehen erregt hat (Dreier/Schulze, a.a.O. Rn. 9 m.w.N.; vgl. Götting, a.a.O. § 23 KunstUrhG Rn. 34 m.w.N.). Zugunsten des betroffenen Angeklagten ist dabei zu berücksichtigen, dass er sich in einem Strafverfahren regelmäßig in einer für ihn ungewohnten und belastenden Situation befindet, weil er etwa zur Anwesenheit verpflichtet ist und es gerade für ihn durchaus zu möglichen Prangerwirkungen oder Beeinträchtigungen seines Anspruchs auf Vermutung der Unschuld sowie auch einer späteren Resozialisierung kommen kann (KG, Urt. v. 17.09.2010 Abs. 18 – juris; BVerfG NJW 2008, 977). Auf der anderen Seite ist das ebenfalls grundrechtlich geschützte Informationsinteresse der Allgemeinheit und die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem grundlegenden Urteil vom 05.06.1973 (BVerfGE 35, 202-245 – Lebach-Urteil) dazu ausgeführt:

„Freilich gilt dieser Vorrang des Informationsinteresses nicht schrankenlos. Die zentrale verfassungsrechtliche Bedeutung des Persönlichkeitsrechts verlangt neben der Rücksicht auf den unantastbaren innersten Lebensbereich (vgl. HYPERLINK „http://www.juris.testa-de.net/jportal/portal/t/cmn/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=28&numberofresults=30&fromdoctodoc=yes&doc.id=KSRE165070684&doc.part=K&doc.price=0.0“ l „focuspoint“ BVerfGE 32, 373 (379) mit weiteren Nachweisen) die strikte Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit: Der Einbruch in die persönliche Sphäre darf nicht weiter gehen, als eine angemessene Befriedigung des Informationsinteresses dies erfordert, und die für den Täter entstehenden Nachteile müssen im rechten Verhältnis zur Schwere der Tat oder ihrer sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen. Danach ist eine Namensnennung, Abbildung oder sonstige Identifikation der Täter keineswegs immer zulässig. Dies wird in Fällen sog. kleiner Kriminalität oder bei Jugendlichen von den Kommunikationsorganen in der Praxis überwiegend beachtet.“

Das Kammergericht hat in seinem Urteil vom 17.09.2010 (a.a.O. Abs. 35 – Tod eines Jugendlichen nach Komatrinken) ausgeführt:

„Bei der Gewichtung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit ist der jeweilige Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens bedeutsam. Bei Strafverfahren ist insbesondere die Schwere der zur Anklage stehenden Straftat zu berücksichtigen, aber auch die öffentliche Aufmerksamkeit, die sie etwa aufgrund besonderer Umstände und Rahmenbedingungen, der beteiligten Personen, der Furcht vor Wiederholung solcher Straftaten oder auch wegen des Mitgefühls mit den Opfern und ihren Angehörigen gewonnen hat. Das Informationsinteresse wird regelmäßig umso stärker sein und in der Abwägung an Gewicht gewinnen, je mehr die Straftat sich von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt, etwa aufgrund der Art der Begehung oder der Besonderheit des Angriffsobjekts (vgl. HYPERLINK „http://www.juris.testa-de.net/jportal/portal/t/e1p/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=KSRE000360004&doc.part=K&doc.price=0.0“ l „focuspoint“ BVerfGE 35, 202 <231>). Ein gewichtiges Informationsinteresse kann auch gegeben sein, wenn dem Angeklagten selbst keine herausragende zeitgeschichtliche Bedeutung zukommt, aber ein Informationsinteresse an dem Prozess als solchem, etwa wegen seines Aufsehen erregenden Gegenstands, besteht.“

bb)
Nach diesen Kriterien sind die Ausführungen des Landgerichts zur Verneinung eines rechtswidrigen Angriffs auf den Angeklagten rechtsfehlerhaft.

Zutreffend geht das Landgericht – ohne dies ausdrücklich zu erörtern – allerdings davon aus, dass der Eingriff in das Recht am eigenen Bild nicht bereits deshalb entfällt, weil das später veröffentlichte Bild durch einen Balken vor der Augenpartie verfremdet werden könnte, denn es bleibt weiterhin das Bildnis des Angeklagten. Der Schutz des § 22 KunstUrhG gilt auch dann, wenn der Angeklagte nur durch einen eingeschränkten Personenkreis identifiziert werden könnte (vgl. Dreier/Schulze, a.a.O., § 22 KunstUrhG Rn. 3 und 4 m.w.N.; Götting, a.a.O., § 22 KunstUrhG Rn. 17, 18 m.w.N.).

Das Landgericht hat es aber versäumt, die einander gegenüberstehenden Rechtsgüter in der verfassungsrechtlich gebotenen Form gegeneinander abzuwägen.

Das Fotografieren des Angeklagten ist nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil die Staatsanwaltschaft das Verfahren auf die Presseliste gesetzt hat. Das Recht des Angeklagten am eigenen Bild entfällt auch nicht bereits deshalb, weil er in einem öffentlichen Gerichtsgebäude anlässlich einer öffentlichen Hauptverhandlung fotografiert wurde. Ebenso wenig reicht die pauschale Feststellung, die Öffentlichkeit habe Interesse an Informationen über Strafverfahren in Schrift und Bild. Wenn das Landgericht ausführt, es sei Ausdruck der Pressefreiheit zu entscheiden, ob Artikel bebildert werden oder nicht, der Angeklagte habe dies auch in einem Strafverfahren, das eher dem Bereich der Kleinkriminalität zuzurechnen sei, hinzunehmen, so macht dies deutlich, dass das Landgericht das grundrechtlich geschützte Recht des Angeklagten am eigenen Bild nicht ausreichend in seine Abwägung eingestellt hat.

b)
Das Landgericht will mit der Formulierung, das Fotografieren sei im Übrigen „… zur Abwendung eines rechtswidrigen Angriffs in Gestalt des unzulässigen Herstellens von Lichtbildern auch unverhältnismäßig“ (UA19) die Rechtswidrigkeit offenbar hilfsweise auf eine Überschreitung der Grenzen der Notwehr stützen. Auch das ist rechtsfehlerhaft.

War das Fotografieren ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff, dann durfte der Angeklagte die Maßnahmen ergreifen, die geeignet, erforderlich und geboten waren, um den Angriff zu beenden.

Der Schlag gegen die Kamera ist grundsätzlich geeignet, ein rechtswidriges Fotografieren zu beenden. Die bisherigen Feststellungen ergeben auch nicht, dass dem Angeklagten ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden haben könnte. Der Angeklagte musste sich nicht darauf beschränken, sein Gesicht zu verdecken, denn der Angriff betraf die Abbildung seiner gesamten Person, nicht nur die seines Gesichts. Er durfte vielmehr die Verteidigung wählen, die den Angriff sofort und endgültig beendete. Die Feststellungen ergeben auch nicht, dass der zur Tatzeit 58-jährige Angeklagte in der Lage gewesen wäre, mit weniger Gewaltanwendung, etwa durch einfaches Wegnehmen der Kamera, den Angriff zu beenden. Eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter, wie sie das Landgericht offenbar mit der Bejahung der „Unverhältnismäßigkeit“ vornehmen will, findet bei § 32 StGB grundsätzlich nicht statt (Fischer, § 32 StGB Rn. 31 m.w.N.). Auch eine Einschränkung des Notwehrrechts unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Gebotenheit (dazu Fischer, a.a.O., Rn. 36ff) kommt nach den Feststellung ersichtlich nicht in Betracht.

III.

Nach alledem ist das Urteil des Landgerichts auf die Sachrüge aufzuheben. Der Senat kann die im Rahmen des § 32 StGB erforderliche Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter nicht selbst vornehmen, weil die Feststellungen des Landgerichts insoweit lückenhaft sind. Das Landgericht teilt nicht mit, was genau Gegenstand des seinerzeitigen Strafverfahrens gewesen ist und ob bzw. in welchem Umfang der damalige Vorwurf einer Körperverletzung im Rahmen eines Nachbarschaftsstreits bereits vor dem 04.05.2010 Gegenstand eines öffentlichen Interesses gewesen ist. Liegt – wie ausgeführt – ein öffentliche Interesse der Allgemeinheit an einem mit Bildern versehenen Bericht im Bereich der Kleinkriminalität eher fern, so kann der Senat dies anhand der vorstehenden lückenhaften Feststellungen auch nicht völlig ausschließen. So ist etwa denkbar, dass der Angeklagte sich in jener Angelegenheit zuvor selbst an die Presse gewandt hat und dann ein erhöhtes Interesse der Öffentlichkeit an seiner Person hinnehmen müsste. Für die Beurteilung des Gewichts des öffentlichen Informationsinteresses an einer Abbildung des Angeklagten auch gegen seinen Willen kann indiziell der Inhalt der später erfolgten Bildberichterstattung herangezogen werden. Auch insoweit fehlt es an den erforderlichen Feststellungen.

Der Senat hat davon abgesehen, die Feststellungen zum objektiven Geschehen bestehen zu lassen, weil sie möglicherweise von der fehlerhaft begründeten Bejahung der Rechtswidrigkeit geprägt sind.

IV.

Sollte die nun zur Verhandlung und Entscheidung berufene Kammer erneut zu einer Verneinung des § 32 StGB kommen, wird die Frage eines Irrtums des Angeklagten sorgfältig zu prüfen sein. Bei der Prüfung der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums wird zu berücksichtigen sein, dass der Angeklagte von der Situation möglicherweise überrascht worden war und keine Möglichkeit hatte, sich über die Rechtslage und die dazu erforderlichen Abwägungen der Rechtsgüter zuverlässigen Rechtsrat einzuholen. Den Rechtsrat des „Angreifers“, das Fotografieren zu dulden und sich einen Gegenstand vors Gesicht zu halten, musste er nicht ungeprüft akzeptieren. Darüber hinaus weist der Senat auf die Milderungsmöglichkeit des § 17 Satz 2 StGB hin.

Im Falle einer erneuten Verurteilung wird das Landgericht – gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe – § 21 StGB zu prüfen haben.

Auf die Entscheidung hingewiesen hat openjur.de (hier).

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