OLG Hamburg: Die Vermutung der Dringlichkeit für eine einstweilige Verfügung wird nicht widerlegt, wenn der Anspruchsinhaber gegen vergangene Verstöße Dritter nicht vorgegangen ist

veröffentlicht am 23. September 2013

OLG Hamburg, Urteil vom 04.07.2013, Az. 3 U 161/11
§ 3 UWG, § 4 Nr. 11 UWG, § 5 UWG, § 8 UWG, § 12 Abs. 2 UWG; § 3 HWG

Das OLG Hamburg hat entschieden, dass die Dringlichkeitsvermutung des § 12 UWG nicht dadurch widerlegt wird, wenn der Antragsteller einer einstweiligen Verfügung gegen gleichartige Verstöße Dritter in der Vergangenheit nicht vorgegangen ist. Die Entscheidung, ob und gegen welche Verletzer vorgegangen werde, liege allein in der Hand des Antragstellers. Verstöße Dritter seien keine kerngleichen Verstöße des Schuldners, deren Kenntnis zugerechnet werden müsse. Inhaltlich stelle das Gericht erneut fest, dass die Werbung mit wissenschaftlich nicht belegten Heilwirkungen irreführend ist. Zum Volltext der Entscheidung:

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg

Urteil

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 15, vom 8.9.2011, Geschäfts-Nr. 315 O 187/11, wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, die Diabetes-Arzneimittel vertreibt, wendet sich gegen eine Werbung der Antragsgegnerin für zwei Diabetes-Arzneimittel.

Die Antragstellerin vertreibt das Produkt X. mit dem Wirkstoff Sitagliptin sowie das Produkt V. mit den Wirkstoffen Sitagliptin und Metformin. Die Antragsgegnerin vertreibt das Produkt J. mit dem Wirkstoff Vildagliptin und das Produkt I. mit den Wirkstoffen Vildagliptin und Metformin. Das Produkt J. ist mit dem seinerzeit von der Fa. N. vermarkteten Produkt G. identisch. Bei den Wirkstoffen Sitagliptin und Vildagliptin handelt es sich jeweils um sog. DPP4-Hemmer, welche die Insulinfreigabe des Körpers steigern und so zur Senkung des Blutzuckerspiegels beitragen. Die Verstoffwechselung (Metabolisierung) von arzneilichen Wirkstoffen erfolgt in der Leber in der Regel unter Einbeziehung des Enzymsystems CYP-450. Wenn zwei Wirkstoffe durch dieselben Enzymsysteme – etwa CYP-450 – verstoffwechselt werden, kann dies Konsequenzen für die Passage der Wirkstoffe im Körper haben, weil – bildlich gesprochen – das mit dem Abbau des einen Wirkstoffs beschäftigte Enzymsystem sich nicht zugleich in vollem Umfang dem Abbau des anderen Wirkstoffs widmen kann.

Die Antragsgegnerin hat für ihre Produkte mit der als Anlage AST 1 vorliegenden Anzeige und der Aussage „Vildagliptin – der einzige DPP4-Hemmer ohne CYP-450-Verstoffwechselung“ geworben. Die Abmahnung der Antragstellerin vom 25.3.2011 hat die Antragsgegnerin unter dem 31.3.2011 zurückgewiesen (Anlage AST 16). Die Antragstellerin mahnte daraufhin zunächst unter dem 1.4.2011 die Fa. S.P. GmbH (Anlage AST 15a) und sodann unter dem 5.4.2011 die Fa. S.P. Deutschland ab (Anlage AST 15). Die Fa. S.P. Deutschland GmbH ist mit Wirkung vom 30.7.2010 auf die Antragsgegnerin verschmolzen worden (Anlagen AST 19 und 19a).

Die Antragstellerin hat geltend gemacht, die angegriffene Angabe beinhalte die Behauptung, dass Vildagliptin nicht über die Leber abgebaut werde und sich folglich der Arzt keine Gedanken über Wechselwirkungen machen müsse, die im Zusammenhang mit dem Abbau von Wirkstoffen über CYP-450 zu erwarten seien. Diese Behauptung, Vildagliptin werde gar nicht über die Leber verstoffwechselt, sei nicht hinreichend wissenschaftlich belegt. Nach dem Inhalt der Fachinformation sei diese Frage explizit offen. Die weitere vorgelegte Studie (Anlage AST 6) habe ergeben, dass Vildagliptin immerhin in geringem Umfang verstoffwechselt werde, nämlich in einem Umfang von 1,6 %. Die angegriffene Angabe sei ferner eine unzulässige Alleinstellungsbehauptung, weil sie in unzutreffender Weise suggeriere, dass der Arzt sich bei Wettbewerbspräparaten nicht sicher sein könne, ob mit CYP-450 induzierten Wechselwirkungen zu rechnen sei.

Die Antragstellerin hat beantragt,

es der Antragsgegnerin bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel im Wege der einstweiligen Verfügung zu verbieten, in geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für die Arzneimittel J. und I.

1. mit der Aussage zu werben, dass Vildagliptin der einzige DPP4-Hemmer ohne CYP-450-Verstoffwechselung ist, wie geschehen in der als Anlage abgedruckten Abgabekarte [es folgt der Abdruck der Werbekarte];

2. mit der als Anlage beigefügten Abgabekarte zu werben, sofern im abgedruckten Pflichttext die „S.P. Deutschland GmbH“ genannt ist.

Das Landgericht Hamburg, Zivilkammer 15, hat am 20.4.2011 antragsgemäß eine einstweilige Verfügung erlassen.

Im Widerspruchsverfahren hat die Antragsgegnerin vorgetragen: Die Angelegenheit sei nicht mehr dringlich. Die Antragstellerin habe bereits seit über einem Jahr Kenntnis von dem Inhalt der angegriffenen Werbekarte gehabt. Der Mitarbeiter der Antragsgegnerin Herr L. habe der Produktmanagerin der Antragstellerin Frau N., deren Kenntnis sich die Antragstellerin zurechnen lassen müsse, im März 2010 u.a. eine sog. Leitlinienkarte per Email übermittelt, die die auch vorliegend angegriffene Angabe wortgleich in einem Störer enthalten habe. Die angegriffene Angabe sei nicht irreführend, weil ihr Inhalt wissenschaftlich erwiesen sei. Aus der von der Antragstellerin vorgelegten Studie gem. Anlage AST 7 ergebe sich, dass Vildagliptin nicht über CYP-450 verstoffwechselt werde. Bei der in der Studie genannten Aussage, dass die Erzeugung von geringen Metaboliten wahrscheinlich über P450 erreicht werde, handele es sich allenfalls um eine vage Vermutung. Entscheidend für das Verstoffwechselungspotential eines DPP4-Hemmers sei, ob es sich bei dem jeweiligen Wirkstoff um ein Substrat für CYP-450-Enzyme handele oder nicht. Anders als für Sidagliptin stehe für Vildagliptin jedoch fest, dass es kein Substrat für das Enzym Cytochrom P (CYP) 450 sei und CYP-450-Enzyme weder hemme noch induziere. Die Fachinformation gebe also die Erkenntnis wieder, dass eine klinisch relevante Verstoffwechselung von Vildagliptin nicht habe festgestellt werden können. Stehe dieses fest und sei ferner klar, dass Vildagliptin kein Substrat für CYP-450-Enzyme sei, so sei logisch ausgeschlossen, dass eine Verstoffwechselung über CYP 450 existiere. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin beinhalte die angegriffene Aussage auch keine Alleinstellungsbehauptung. Denn sie sei allein auf die Verstoffwechselung bezogen und gerade nicht auf das Wechselwirkungspotential von Vildagliptin.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

die einstweilige Verfügung in Ziff. I.1 aufzuheben, den auf ihren Erlass gerichteten Antrag insoweit zurückzuweisen und der Antragstellerin die gesamten Verfahrenskosten aufzuerlegen.

Die Antragstellerin hat beantragt,

die einstweilige Verfügung zu bestätigen.

Die Antragstellerin hat erwidert: Dringlichkeitsschädliche Vorkenntnis der Antragstellerin sei nicht gegeben. In der Sache sei die CYP-450-Metabolisierungsrate von Vildagliptin zwar nicht signifikant; dies rechtfertige aber nicht die Aussage, dass Vildagliptin überhaupt nicht über CYP-450 verstoffwechselt werde. Die Antragstellerin habe sogar im Wege der Verkehrsbefragung von 60 niedergelassenen Ärzten bestätigt erhalten, dass die Werbekarte im dargelegten Sinne irreführend sei. Den 48% der Befragten hätten angegeben, dass sich die angegriffene Aussage auf die Interaktion/Kombinierbarkeit von Vildagliptin beziehe (Anlage AST 21).

Das Landgericht Hamburg hat mit am 8.9.2011 verkündeten Urteil die einstweilige Verfügung zu Ziff. I.1 bestätigt. Hinsichtlich der Begründung wird auf den Inhalt des Urteils verwiesen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag und ergänzt diesen wie folgt: Zu Unrecht habe das Landgericht einen Verfügungsgrund angenommen. Die Kenntnis von Frau N. sei dringlichkeitsschädlich. Denn es reiche die Kenntnis eines jeden Mitarbeiters aus, von dem nach seiner Funktion erwartet werden dürfe, dass er eine gewisse Wettbewerbsrelevanz des Verhaltens der Konkurrenz erkennen und seine Kenntnis auch an die zur Einleitung rechtlicher Schritte zuständigen Personen weiterleiten könne. Zu Unrecht habe das Landgericht die angegriffene Angabe als irreführend erachtet. Im medizinisch-wissenschaftlichen Bereich werde das Vorhandensein oder Fehlen bestimmter Umstände typischerweise an bestimmten Grenzwerten gemessen. Die Zulässigkeit einer „Nicht-Unterlegenheitsaussage“ sei anerkanntermaßen nicht daran geknüpft, dass überhaupt keine messbaren Unterschiede festgestellt worden seien. Vielmehr stünden festgestellte Unterschiede der „Nicht-Unterlegenheitsaussage“ nicht entgegen, solange sie sich in einem akzeptierten wissenschaftlichen Korridor bewegten. Es reiche nach in der Wissenschaft akzeptiertem Maßstab eine Sicherheit von 95%, die in dem anerkannten p-Wert <= 0,05 zum Ausdruck komme. Dieses Maß sei auch heilmittelwerberechtlich als hinreichender Nachweis eines signifikanten Unterschieds anerkannt. Ferner stehe die Substrateigenschaft von Vildagliptin fest; ebenso, dass Substrate nicht über die Leber verstoffwechselt würden. Wenn eine Untersuchung nach dem Goldstandard wie diejenige von He et al. ergebe, dass eine Metabolisierung nicht in irgendwie quantifizierbarer Weise stattfinde, so sei bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen, dass eine solche Metabolisierung nicht stattfinde. Dass He et al. eine 1,6%ige Metabolisierung gefunden hätten, spreche nicht gegen dieses Ergebnis. Denn bei In-vivo-Untersuchungen könne grundsätzlich eine große Zahl an Störungen auftreten, da neben den CYP-Enzymen zahlreiche andere Metabolisierungswege zur Verfügung stünden. Ein belastbarer Nachweis, dass die gefundenen Metabolite durch CYP-Enzyme hergestellt worden seien, hätten auch He et al. nicht gefunden. Deshalb sei es konsequent, wenn die Studienverfasser die Involvierung von P450 ausdrücklich als nicht signifikant bezeichnet hätten. Die von der Antragstellerin vorgelegte „Online-Befragung“ sei im vorliegenden Zusammenhang nicht verwertbar, weil sie nicht die angegriffene Unterlage betreffe.

Die Antragsgegnerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hamburg vom 8.9.2011 die einstweilige Verfügung vom 20.4.2011 aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen sowie der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Antragstellerin wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie ergänzt ihren Vortrag wie folgt: Zu Recht habe das Landgericht die einstweilige Verfügung bestätigt. Die Dringlichkeitsvermutung sei nicht widerlegt. Die angegriffene Angabe sei auch irreführend. Sowohl nach allgemeinem Sprachverständnis als auch in der Wissenschaft werde die Aussage „ohne CYP-450-Verstoffwechselung“ dahingehend verstanden, dass absolut keine Verstoffwechselung von Vildagliptin über CYP-450-Enzyme stattfinde. Zudem sei entgegen der Behauptung der Antragsgegnerin die CYP-450-Verstoffwechselung von Vildagliptin durchaus quantifizierbar. Dass Vildagliptin nicht „signifikant“ umgesetzt werde, sei nicht gleichbedeutend mit der Aussage, dass CYP-450 ein nicht vorhandener Metabolisierungsweg für Vildagliptin sei. Die Fachinformation bringe zutreffend zum Ausdruck, dass Vildagliptin in einem „nicht quantifizierbaren“ und im Ergebnis nicht signifikanten Ausmaß über CYP-450 verstoffwechselt werde. Selbst bei Nutzung eines sehr sensitiven In-vitro-Systems zum Nachweis von Metabolismus dürften in-vivo gefundene Metabolite nach Auffassung der EMA nicht ignoriert werden, selbst wenn sie in-vitro nicht oder nur in geringem Umfang nachweisbar seien; es sei also keineswegs so – wie die Antragsgegnerin insinuiere – dass solche Effekte medizinisch nicht weiter relevant seien und gegenüber wissenschaftlichen Fachkreisen als nicht existent apostrophiert werden dürften.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die angefochtene Entscheidung sowie die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

1.
Mit ihrer Berufung wehrt sich die Antragsgegnerin gegen das auf den Antrag zu 1. ergangene Verbot,

– für die Arzneimittel J. und I. mit der Aussage zu werben,

– dass Vildagliptin der einzige DPP4-Hemmer ohne CYP-450-Verstoffwechselung ist,

– wie geschehen in der als Anlage abgedruckten Abgabekarte [es folgt der Abdruck der Werbekarte].

Dieser Antrag bezieht sich auf die durch die bezeichnete Anlage charakterisierte konkrete Verletzungsform.

2.
Der Antrag ist zulässig, insbesondere besteht ein Verfügungsgrund. Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG ist nicht widerlegt.

Hierbei kann offenbleiben, ob – wie die Antragsgegnerin geltend macht – eine etwaige Kenntnis der Frau N. der Antragstellerin dringlichkeitsschädlich zur Last fällt. Gleichermaßen kann dahinstehen, ob es sich bei der von der Antragsgegnerin als Anlage AG 1 vorgelegten Werbekarte um diejenige Karte handelt, die Anfang des Jahres 2010 von der Fa. S.P. GmbH veröffentlicht worden ist.

Denn die Veröffentlichung der von der Antragsgegnerin als Anlage AG 1 vorgelegte Werbekarte zu Anfang des Jahres 2010 stellt keinen Anknüpfungspunkt für die Annahme dringlichkeitsschädlicher Kenntnis dar. Zwar kann die Untätigkeit eines Anspruchsgläubigers nach Kenntnisnahme von einer früheren Verletzungshandlung die Dringlichkeit für eine später wiederholte kerngleiche Verletzungshandlung tangieren (s. nur Senat GRUR-RR 2011, 376). Kerngleich in diesem Sinne ist jedoch nur eine Handlung desselben Schuldners. Hingegen ist die Dringlichkeit anerkanntermaßen nicht durch die Untätigkeit des Antragstellers berührt, der gegen gleichartige Verstöße Dritter nicht vorgegangen ist. Denn die Entscheidung, ob und gegen welchen Verletzer er vorgeht, liegt allein in der Hand des Antragstellers (Köhler/Bornkamm, 31. Aufl. 2013, § 12 Rn. 3.19). Vorliegend handelte es sich bei der von der Antragsgegnerin in Bezug genommenen früheren werblichen Handlung nicht um eine solche der Antragsgegnerin, sondern eine Handlung der Fa. S.P., die erst mit Wirkung vom 30.7.2010 auf die Antragsgegnerin verschmolzen worden ist (Anlagen AST 19 und 19a).

3.
Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gem. §§ 3, 4 Nr. 11, 5, 8 UWG i.V.m. § 3 HWG zu, wie das Landgericht zutreffend und mit zutreffender Begründung entschieden hat. Denn es ist überwiegend wahrscheinlich, dass die beanstandete Werbebehauptung mangels hinreichenden wissenschaftlichen Nachweises irreführend ist. Auf die Frage der unzulässigen Alleinstellungsbehauptung kommt es damit nicht mehr an.

a)
Die Antragstellerin hat folgendes Verkehrsverständnis vorgetragen: Mit der angegriffenen Angabe werde gegenüber den angesprochenen Ärzten eine Aussage dahingehend getroffen, dass – wissenschaftlich erwiesenermaßen – Vildagliptin nicht über die Leber (hierfür stehe die Benennung des Rezeptors CYP-450) verstoffwechselt werde.

Dieses ärztliche Verkehrsverständnis, dessen Ermittlung nach der ständigen Rechtsprechung des Senats durch die Mitglieder des Gerichts jedenfalls dann möglich ist, wenn – wie vorliegend – der Erkenntnisstand der Wissenschaft im Hinblick auf den maßgebenden Sachverhalt vorgetragen wurde und außerdem – wie hier – keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass ein Arzt die deutsche Sprache anders verstehen könnte als jemand, der ebenfalls ein wissenschaftliches Studium absolviert hat (Senat, Urteil v. 21.12.2006, Az. 3 U 77/06, PharmaR 2007, 204), ist zutreffend. Die Erwartungshaltung des Verkehrs geht hinsichtlich des Wirkungsbezugs einer Angabe in der Regel dahin, dass die Wirkungsangabe wissenschaftlich abgesichert sei (Riegger, Heilmittelwerberecht, Kap. 3 Rn. 25, 33). Für die vorliegend angesprochene Frage der Verstoffwechselung, also der Art und Weise der Aufnahme des Wirkstoffs in den menschlichen Organismus – ein der pharmakologischen Wirkung vorausgehender und von dieser vorausgesetzter Sachverhalt – kann nichts Anderes gelten.

Eine – im Ergebnis von der Antragsgegnerin vertretene – Umdeutung der Angabe in die Behauptung der Abwesenheit einer „signifikanten“ oder „klinisch relevanten“ Verstoffwechselung kommt angesichts des klaren Wortlauts der Angabe nicht in Betracht. Es trifft zwar zu, dass in medizinisch-wissenschaftlichen Kreisen das Vorhandensein oder Fehlen bestimmter Umstände typischerweise an bestimmten Grenzwerten gemessen wird und der anhand von Studien lege artis geführte wissenschaftliche Nachweis stets mit der aus der Zugrundelegung eines anerkannten Signifikanzmaßstabs folgenden Restunsicherheit belastet ist. Allerdings belegt diese medizinisch-wissenschaftliche Konvention für die Einordnung von Studienergebnissen auf der Ebene des Verkehrsverständnisses noch nicht den Umkehrschluss, dass Ärzte die uneingeschränkt daherkommende tatsächliche Behauptung der Abwesenheit eines Effekts gleichsam automatisch dahingehend relativierten, der Effekt sei allenfalls in einem nicht signifikanten Ausmaß vorhanden. Gleiches gilt für ein auf die klinische Relevanz bezogenes, eingeschränktes Verständnis der Angabe. Im Bereich der gesundheitsbezogenen Werbung, in dem wegen des hohen Schutzgutes der Gesundheit des Einzelnen und der Bevölkerung an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Aussagen besonders strenge Anforderungen zu stellen sind („Strengeprinzip“, s. Senat, Urteil v. 21.12.2006, Az. 3 U 77/06, PharmaR 2007, 204), ist für die Annahme, der Adressat einer Mitteilung werde diese in einer anderen als durch den Wortlaut nahegelegten Weise verstehen, noch weniger Raum als im Bereich des allgemeinen lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbots, wo ein solches „korrigierendes Verständnis“ kaum je in Betracht kommt.

b)
Die Werbeangabe ist irreführend, weil die Abwesenheit jeglicher Verstoffwechselung über die Leber (CYP-450) nicht wissenschaftlich erwiesen ist.

aa)
Die Antragstellerin verweist hierzu auf den Inhalt der Fachinformation, nach der diese Frage explizit offen sei. In der Fachinformation für J. heißt es im Abschnitt 5.2:

„Vildagliptin wird nicht von CYP-450-Enzymen in einem quantifizierbaren Ausmaß verstoffwechselt. Daher geht man davon aus, dass die metabolische Clearance von Vildagliptin nicht durch gleichzeitig gegebene Arzneimittel beeinflusst wird, die CYP 450 hemmen oder induzieren. In-vitro-Studien zeigten, dass Vildagliptin die CYP-450-Enzyme nicht hemmt/induziert. Deshalb hat Vildagliptin wahrscheinlich keinen Einfluss auf die metabolische Clearance gleichzeitig gegebener Arzneimittel, die über CYP 1A2, CYP 2C8, CYP 2C9, CYP2C19, CYP 2D6, CYP2E1 oder CYP 3A4/5 verstoffwechselt werden.“

Die Antragstellerin macht weiter geltend, dass die weitere vorgelegte Studie He et al. (Anlage AST 6) ergeben habe, dass Vildagliptin immerhin in geringem Umfang verstoffwechselt werde, nämlich in einem Umfang von 1,6 %. In der Studie (Anlage AST 6) heißt es:

„The formation of minor metabolites, M.20.9 and M21.6 is probably mediated by P450s. However, these pathways accounted for only approximately 1,6 % of the dose, indicating a lack of significant P450 involvement.“

sowie (S. 452, linke Seite, zweiter Absatz):

„The results indicated that [14C] vildagliptin was not metabolized in human liver microsomes nor by any P450 enzymes examined to any quantifiable extent.“

Die Antragstellerin verweist ferner auf den European Assessment Report für das Präparat G., mit dem J. identisch ist, in dem es heißt:

„CYP-450 isoenzymes are involved in vildagliptin metabolism only to a minor extent. Hence, the potential for interactions with vildagliptine metabolism is very small.“

bb)
Es ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass es an der hinreichenden wissenschaftlichen Absicherung der angegriffenen Aussage fehlt.

Die Werbung für Arzneimittel unterliegt den strengen Voraussetzungen der gesundheitsbezogenen Werbung, wonach – wie bereits unter a) ausgeführt – wegen des hohen Schutzgutes der Gesundheit des Einzelnen und der Bevölkerung an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Aussagen besonders strenge Anforderungen zu stellen sind (Senat, Urteil v. 21.12.2006, Az. 3 U 77/06, PharmaR 2007, 204). Daher sind werbende Anpreisungen auf diesem Gebiet nur zulässig, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen (BGH GRUR 1971, 153 – Tampax). Gegenüber der substantiierten Behauptung des Antragstellers, einer von ihm als irreführend angegriffenen gesundheitsbezogenen Werbung fehle die wissenschaftliche Grundlage bzw. die Aussage sei wissenschaftlich umstritten, obliegt es dem Antragsgegner, die wissenschaftliche Absicherung der Werbeaussage zu beweisen (Harte/Henning/Weidert, UWG, 2. Aufl. 2009, § 5 C Rz. 175). Denn hat der Werbende mit einer fachlich umstrittenen Meinung geworben und diese in der Werbung als objektiv richtig hingestellt, ohne auf die Bedenken hinzuweisen und die Gegenmeinung zu erwähnen, so übernimmt er dadurch, dass er sich für eine bestimmte Auffassung entscheidet und eine bestimmte Aussage trifft, die Verantwortung für deren Richtigkeit, die er – abweichend von den allgemeinen Regeln – nach höchstrichterlicher Rechtsprechung im Streitfall darzulegen und zu beweisen hat (BGH GRUR 91, 848, 849 – Rheumalind II m.w.N.; Senat GRUR-RR 2002, 173). Angaben in der Fachinformation geben in der Regel den im Zeitpunkt der behördlichen Zulassungsentscheidung maßgeblichen Stand der Wissenschaft wieder und können daher indizielle Bedeutung für den Nachweis der hinreichenden wissenschaftlichen Absicherung erlangen (BGH, Urt. v. 6.2.2013, I ZR 62/11, Rn. 35 f., 43 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil).

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Fachinformation die von der Antragsgegnerin in Anspruch genommene wissenschaftliche Absicherung einer Verstoffwechselung von „null“ nicht. Vielmehr ist dort davon die Rede, dass Vildagliptin nicht von CYP-450-Enzymen in einem quantifizierbarem Ausmaß verstoffwechselt werde; dass eine Verstoffwechselung gar nicht stattfindet, ist dieser Angabe nicht zu entnehmen. Die weiter von der Antragstellerin in Bezug genommenen wissenschaftlichen Stimmen untermauern dieses Ergebnis: Sowohl die Studie He et al. (Anlage AST 6) als auch der Assessment Report für G. sprechen davon, dass eine Verstoffwechselung über CYP-450 in einem Mindestmaß sehr wohl erfolgt, wenngleich dies auch von höchst untergeordneter klinischer Bedeutung sei. Die angegriffene Angabe relativiert also – in werblich gefälliger, unter der Geltung des Strengeprinzips aber nicht akzeptabler Weise – den Stand der Wissenschaft.

5.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

I