OLG Hamburg: Werbung für ein Medikament mit Stiftung Warentest-Testergebnis ist wettbewerbswidrig

veröffentlicht am 4. Mai 2010

Rechtsanwalt Dr. Ole DammOLG Hamburg, Urteil vom 30.06.2009, Az. 3 U 13/09
§§ 11 HWG; 8, 4 Nr. 11 UWG

Das OLG Hamburg hat entschieden, dass ein für die Behandlung von Kopflausbefall zugelassenes Arzneimittel nicht unter Verwendung eines Testergebnisses der Stiftung Warentest beworben werden darf. Gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG (Heilmittelwerbegesetz) dürfe für Arzneimittel außerhalb der Fachkreise nicht mit Angaben geworben werden, dass das Arzneimittel ärztlich, zahnärztlich, tierärztlich oder anderweitig fachlich empfohlen oder geprüft ist oder angewendet wird. Dabei komme es nicht darauf an, ob im vorliegenden Einzelfall die beanstandete Werbung eine (zumindest mittelbare) Gesundheitsgefährdung verursache. Es soll in jedem Fall vermieden werden, dass beim Verbraucher ein fehlgeleitete Vorstellung dahingehend entstehe, dass das genannte Arzneimittel umfassend geprüft und zur Krankheitsbehandlung ohne Berücksichtigung des individuellen Falles geeignet sei. Eine fachliche „ Empfehlung “ liegt bereits dann vor, wenn für den Verkehr der Eindruck entstehe, das Heilmittel werde von fachlicher Seite als therapeutisch geeignet angesehen. Dem von der Stiftung Warentest verwendeten Logo, welches das Adjektiv „geeignet“ enthalte, komme jedoch ebendiese Aussage zu.

Weiterhin komme nach Auffassung des entscheidenden Senats einem in der Werbung verwendeten Testurteil der vorliegenden Art nach der Verkehrsanschauung eine erhebliche meinungsbildende und handlungsleitende Wirkung zu. Ein großer Anteil der Verbraucher werde in einer solchen Situation nicht einen Arzt aufsuchen, um sich beraten und ein Mittel verschreiben zu lassen, sondern sich aus der Apotheke umgehend selbst ein Abhilfe versprechendes Mittel beschaffen. Wenn dem Verbraucher in dieser Eilsituation ein positives Testergebnis werblich begegne, so übe es eine starke, wenn nicht gar unwiderstehliche Anziehungskraft aus, welche den Verbraucher dazu veranlassen könne, auf eine individuelle fachmännische Beratung selbst dann zu verzichten, wenn in der Apotheke die Möglichkeit hierzu bestünde. Genau diese Art der Beeinflussung solle aber – auch bei objektiver Richtigkeit des Testergebnisses – durch das Werbeverbot vermieden werden, so dass der Unterlassungsantrag begründet sei. Dabei sei die Verursachung einer (mittelbaren) Gesundheitsgefährdung durch die beanstandete Werbung nicht erforderlich, da die europarechtskonforme Auslegung des § 11 HWG eine solche Einschränkung nicht erlaube.

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg

Urteil

Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 12, vom 23.12.2008, Geschäfts-Nr. 312 O 751/08 abgeändert.

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,00; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre)

verboten ,

im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken außerhalb der Fachkreise für das Arzneimittel „G. forte“ mit einer Bewertung der Stiftung Warentest zu werben und/oder werben zu lassen,

insbesondere wenn dies durch die Verwendung des folgenden Logos

Stiftung Warentest

oder wie in der diesem Urteil als Ausdruck beigefügten Website http://www.kopflaus.de/stiftung_warentest/ geschieht.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten im Eilverfahren um die heilmittelwerberechtliche Zulässigkeit werblicher Angaben.

Die Antragstellerin produziert und vertreibt seit 2007 das Medizinprodukt E. zur Behandlung des Kopfhaares bei Kopflausbefall. Es enthält das Silikonöl Dimeticon, welches physikalisch wirkt, indem es sich in den Atemöffnungen der Läuse und Nissen absetzt und hierdurch deren Atmung und Wasserhaushalt so stark stört, dass diese absterben (Anlage AST 1). Die Antragsgegnerin vertreibt seit über drei Jahrzehnten das insektizidhaltige Arzneimittel „G. forte“ zur „schnellen und gründlichen Vernichtung von Läusen und Nissen“ (Anlage AST 3).

Im Heft 09/2008 veröffentlichte die Stiftung Warentest unter dem Titel „Lausige Zeiten“ einen Artikel über Mittel gegen Kopfläuse (Anlage AST 4). Darin wurde nach Maßgabe einer Skala mit den Bewertungsstufen „geeignet“, „auch geeignet“, „mit Einschränkungen geeignet“ und „wenig geeignet“ „G. forte“ als „geeignet“, E. als „mit Einschränkungen geeignet“ eingestuft. Die Bewertungen nahm die Stiftung Warentest nach ihren Regeln der Arzneimittelbewertung vor, in welchen es u.a. heißt (Anlage AST 5):

„Basis unserer Arzneimittelbewertungen ist die veröffentlichte internationale und nationale Literatur. Anhand von allgemein anerkannten und aktuellen Werken der klinisch-pharmakologischen und medizinisch-therapeutischen Standardliteratur wurde die Eignung der jeweiligen Arzneimittel für die Indikationen beurteilt, die der Hersteller für sein Mittel beansprucht. Die Bewertung wurde auch mit Blick auf die übrigen in dem jeweiligen Anwendungsbereich angebotenen Arzneimittel vorgenommen und daraufhin, ob die Behandlung mit einem Arzneimittel überhaupt sinnvoll ist. Zusätzlich zur Standardliteratur wurden veröffentlichte und geeignete klinische Studien ausgewertet, um die Aktualität der Bewertung sicherzustellen. Diese „Primärliteratur“ konnte aber nur dann genutzt werden, wenn die Studien in anerkannten medizinischen Zeitschriften veröffentlicht wurden, in denen vor der Veröffentlichung ein Expertengremium (Review Board) die Qualität der Publikation geprüft hat.“

Die Antragsgegnerin verwendet die Bewertung der Stiftung Warentest auf ihrem im Internet für jedermann abrufbaren Portal www.kopflaus.de in Form des von der Stiftung gegen Zahlung einer Bearbeitungsgebühr zur Verfügung gestellten „Logos mit Qualitätsurteil“ (Anlage AST 6).

Die Antragstellerin hat geltend gemacht, die Werbung der Antragsgegnerin verstoße gegen §§ 8, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HWG und hierzu vorgetragen: Es handele sich bei der auf jeder Seite des Internetportals der Antragsgegnerin verwendeten Bewertung der Stiftung Warentest um eine „anderweitige Empfehlung“ im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG. Das Werbeverbot des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG sei von Art. 90 lit. f) Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (RL 2001/83/EG) gedeckt, welcher den Bereich der Arzneimittelwerbung vollständig harmonisiert habe. Da 94 % der Deutschen die Stiftung Warentest kennten und sich ein Drittel hiervon bei wichtigen Kaufentscheidungen auf Testergebnisse der Stiftung verließen, werde das Kaufverhalten der Verbraucher signifikant beeinflusst. Da Kopfläuse häufig im Rahmen der Selbstmedikation behandelt würden – wegen der Eilbedürftigkeit suchten die Betroffenen bzw. ihre Eltern vielfach ohne vorherigen Arztbesuch sogleich die Apotheke auf – treffe in vielen Fällen der Verbraucher selbst die Entscheidung, welches der nicht verschreibungspflichtigen Mittel eingesetzt werde.

Eine verfassungskonforme Auslegung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG komme nicht in Betracht, weil durch die Gintec-Entscheidung des EUGH geklärt sei, dass der Gemeinschaftskodex eine Vollharmonisierung herbeigeführt habe. Jedenfalls liege auch eine zumindest mittelbare Gesundheitsgefährdung vor, weil zu befürchten sei, dass der Verbraucher ein als „geeignet“ bewertetes Mittel unkritisch als vollkommen ungefährlich ansehe und von der Beratung durch einen Arzt oder Apotheker Abstand nehme, obwohl „G. forte“ ein Nervengift enthalte und unter bestimmten Umständen – bei Säuglingen sowie in der Schwangerschaft und Stillzeit – nur nach Rücksprache mit dem Arzt bzw. unter ärztlicher Aufsicht angewendet werden solle.

Die Antragstellerin hat beantragt,

es der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,00; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu verbieten,

im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken außerhalb der Fachkreise für das Arzneimittel „G. forte“ mit einer Bewertung der Stiftung Warentest zu werben und/oder werben zu lassen,

insbesondere wenn dies durch die Verwendung des folgenden Logos (es folgt die aus dem Tenor ersichtliche Grafik)

oder wie in der als Ausdruck als Anlage AST 6 beigefügten Website http://www.kopflaus.de/stiftung_warentest/ geschieht.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen

Die Antragsgegnerin hat vorgetragen: Es handele sich bei der Werbung schon nicht um eine fachliche Empfehlung im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG. Anders als in der vom Bundesgerichtshof getroffenen Entscheidung „Warentest für Arzneimittel“, in welcher allein das dort benannte Produkt mit der Bewertung „gut geeignet“ beworben worden sei, weise sie, die Antragsgegnerin, auch auf das Produkt „I.“ eines Wettbewerbers hin. Sie mache sich also die Empfehlung der Stiftung Warentest nicht als fachliche Empfehlung zu Eigen, weshalb es am werblichen Bezug im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG fehle. Ferner komme einer Empfehlung der Stiftung Warentest keine das Verbot nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG begründende Suggestivwirkung in dem Sinne zu, dass das Laienpublikum sich unkritisch und unreflektiert für das genannte Produkt entschiede. Vielmehr enthielten die Angaben dezidierte Informationen über Zusammensetzung, Packungsgröße, Preis und den Testkommentar und weise zudem auf das gleich geeignete Produkt eines Wettbewerbers hin.

Jedenfalls sei § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass ein Verbot nur angenommen werden könne, wenn die Werbung zur unsachlichen Beeinflussung des Laienpublikums geeignet sei und hierdurch eine zumindest mittelbare Gesundheitsgefährdung bewirken könne. Das Bundesverfassungsgericht habe ausgesprochen, dass die Zumutbarkeit des Werbeverbots unter dem Aspekt des Art. 12 Abs. 1 GG zu prüfen sei. Vor diesem Hintergrund sei die Einordnung der heilmittelwerberechtlichen Werbeverbote als abstrakte Gefährdungsdelikte nicht länger haltbar. Die genannte, zu § 11 Abs. 1 Nr. 4 und 10 HWG ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei auf § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG übertragbar. Auch vor dem Hintergrund der durch den Gemeinschaftskodex eingetretenen Vollharmonisierung dürfe von einer Überprüfung am Maßstab der Grundechte nicht abgesehen werden. Im Übrigen bestünden auch keinerlei Anhaltspunkte für eine auch nur mittelbare Gesundheitsgefährdung.

Das Landgericht Hamburg, Zivilkammer 12, hat mit Urteil vom 23.12.2008, Az. 312 O 751/08, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Auf das Urteil des Landgerichts wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie ergänzt ihren Vortrag wie folgt: Zu Unrecht habe das Landgericht angenommen, der Wiedergabe eines Testergebnisses komme nicht diejenige Suggestivwirkung gegenüber Laien zu, die zu verhindern Schutzzweck des § 11 Abs. 1 Nr. 2 UWG sei. Denn einer positiven Beurteilung durch die Stiftung Warentest, der der Verbraucher fachliche Kompetenz beimesse, entnehme dieser den Ratschlag oder Hinweis, das so beurteilte Produkt sei empfehlenswert, da es für den Zweck geeignet, vorteilhaft und zuverlässig sei. Schutzzweck des § 11 HWG sei, den undifferenzierten Einsatz eines Arzneimittels aufgrund einer fachlichen Empfehlung zu verhindern, zumal geeignete insektizidfreie Alternativen zur Verfügung stünden. Es existierten zudem durchaus auch negative Bewertungen des Produkts „G. forte“, wie etwa das in den Einzelkategorien „Pharmakologische Begutachtung“ und „Hilfs-/Inhaltsstoffe“ nur „ungenügende“ Ergebnis für „G. forte“ von Öko-Test (Anlage AST 13). Darin werde ausgeführt, dass das in „G. forte“ enthaltene Piperonylbutoxid den Entgiftungsprozess im Körper verzögere und so den Vorteil des ebenfalls enthaltenen, nur kurz wirksamen Pyrethrums zunichte mache. Pyrethrum, so Öko-Test weiter, sei nicht nur für Ungeziefer gefährlich, sondern könne bei Einatmen von Sprühnebel Kopfschmerzen und Brechreiz verursachen, wirke auch, sofern es ins But gelange, stark giftig. Zu der negativen Bewertung von „G. forte“ im Öko-Test hätte auch die Existenz von Formaldehyd-Abspaltern beigetragen, die schon in geringen Mengen die Schleimhäute reizen und Allergien auslösen, bei Aufnahme über die Atemluft sogar krebserregend sein könnten. Diese Umstände zeigten, dass der Einsatz eines Kopflausmittels von einer sorgfältigen Risiko-Nutzen-Analyse abhänge, die nicht durch eine aufgrund Werbung mit fachlichen Empfehlungen getroffene undifferenzierte Kaufentscheidung verdrängt werden dürfe.

Das Landgericht stelle ferner zu Unrecht darauf ab, dass durch die Werbung lediglich bei Auftreten eines konkreten Bedarfs die Möglichkeit einer neutralen und sachgerechten Orientierung geschaffen werde. Bei der Frage der Suggestivwirkung gehe es um das „Wie“, also darum, für welches Arznei- oder sonstiges Mittel sich der Verbraucher entscheide. Es gehe dem Verbraucher nicht nur darum, den Kopflausbefall zu eliminieren, sondern dies mit dem für seinen Fall am besten geeigneten Mittel – eben nicht „um jeden Preis“ – zu tun. Mit den Fragen der Risiko-Nutzen-Abwägung (Anlage AST 3, dort Ziff. 5) werde sich der Verbraucher nicht auseinandersetzen, der aufgrund des mitgeteilten Testergebnisses davon ausgehe, es handele sich bei dem Präparat der Antragsgegnerin um ein unbedenkliches Mittel.

Die Antragstellerin beantragt

wie erkannt.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin verteidigt das landgerichtliche Urteil, wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie ergänzt ihren Vortrag wie folgt: § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG erfordere die Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung oder Irreführung des Verkehrs, der davor geschützt werden solle, auf Grund von Hinweisen in den fachlichen Empfehlungen ohne nähere Reflektion allein im Vertrauen auf die fachliche Empfehlung das empfohlene Produkt zu kaufen. Bei der Berichterstattung in der Zeitschrift „test“ gehe es aber gerade nicht darum, den Verbraucher unreflektiert zu einem ungehemmten Konsum anzuregen, sondern vielmehr solle dem Verbraucher die Möglichkeit einer neutralen und sachgerechten Orientierung gewährt werden. Der unkundige Verbraucher werde sich durch den Hinweis auf die Bewertung der Stiftung Warentest nicht in seiner Kaufentscheidung leiten lassen, ohne über das Produkt und mögliche Gefahren zu reflektieren. Denn es werde nicht nur G. forte genannt, sondern auch das weitere als „geeignet“ bewertete Mittel. Auch die weiteren Hinweise auf Zusammensetzung, Packungsgröße, Preis und die Grundlagen der Bewertung durch die Stiftung Warentest dienten dem Informationsinteresse. § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG schütze den Verbraucher zwar vor unsachlicher Beeinflussung, enthebe ihn aber nicht jeglicher Verpflichtung, sich über die ordnungsgemäße Anwendung des Produkts zu informieren.

Die Antragstellerin gehe fehl, wenn sie unter Berufung auf den Gemeinschaftskodex und die „Gintec“-Entscheidung des EUGH dafür plädiere, dass § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG wieder als rein abstraktes Gefährdungsdelikt verstanden werden müsse. Vielmehr halte gerade der europäische Gesetzgeber eine Einzelfallbewertung für geboten, wie aus Erwägungsgrund 45 des Gemeinschaftskodexes folge. Eine Auswirkung auf die öffentliche Gesundheit werde nur dann angenommen, wenn es sich um eine übertriebene und unvernünftige Werbung handele; mithin lasse die Richtlinie ein einschränkendes Korrektiv bei der Anwendung der normierten Verbote zu. Lasse daher eine Werbung im Einzelfall nicht befürchten, dass durch sieein unzweckmäßiger Arzneimittelverbrauch gefördert werde und begründe sie auch nicht auf sonstige Art und Weise eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit, sei ein Verbot dieser Werbung nicht vom Zweck der Richtlinie gedeckt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die angefochtene Entscheidung sowie die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Antragstellerin steht der von ihr geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu.

1.
Gegenstand des Antrags ist das Verbot,

– im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken außerhalb der Fachkreise
– für das Arzneimittel „G. forte“
– mit einer Bewertung der Stiftung Warentest zu werben und/oder werben zu lassen,
– insbesondere wenn dies durch die Verwendung des folgenden Logos (es folgt die aus dem Tenor ersichtliche Grafik)
– oder wie in der als Ausdruck als Anlage AST 6 beigefügten Website http://www.kopflaus.de/stiftung_warentest/ geschieht.

Dieser Antrag beinhaltet ein abstraktes Verbot der produktbezogenen Werbung „mit einer Bewertung der Stiftung Warentest“ sowie – mittels des „insbesondere“-Zusatzes – die beispielhafte Bezugnahme auf die konkreten Verletzungsformen als Unterfälle des verallgemeinerten Verbots.

2.
Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegenüber der Antragsgegnerin gemäß § 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG zu. Nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG darf für Arzneimittel außerhalb der Fachkreise nicht mit Angaben geworben werden, dass das Arzneimittel ärztlich, zahnärztlich, tierärztlich oder anderweitig fachlich empfohlen oder geprüft ist oder angewendet wird. Die richtlinienkonforme Auslegung und Anwendung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG in Verbindung mit Art. 90 lit. f) der Richtlinie 2001/83/EG (Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel) führt zu dem Ergebnis, dass ein Verstoß unabhängig von der Frage anzunehmen ist, ob im vorliegenden Einzelfall die beanstandete Werbung eine (zumindest mittelbare) Gesundheitsgefährdung verursacht.

a)
Das Tatbestandsmerkmal der fachlichen Empfehlung ist vor dem Hintergrund des Zwecks der Norm zu verstehen, die einerseits die Gefahr der Irreführung darüber ausschließen soll, das genannte Arzneimittel sei umfassend geprüft und zur Krankheitsbehandlung ohne Berücksichtigung des individuellen Falles geeignet, sowie anderseits der Gefahr vorbeugen soll, dass fachunkundige Verbraucher in ihrem Glauben an ärztliche Autorität und die damit verbundene Suggestivwirkung unsachlich beeinflusst und veranlasst werden, den Werbeangaben mit einer unangebrachten Sorglosigkeit zu vertrauen (siehe nur BGH GRUR 1998, 498, 500 – Fachliche Empfehlung III; BGH NJW 1998, 815 – Fachliche Empfehlung II; Doepner, HWG, 2. Aufl. 2000, § 11 Nr. 2 Rz. 4f.).

aa)
Die Stiftung Warentest ist in der vorliegenden Konstellation „ fachliche “ Stelle im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG. Denn sie nimmt aufgrund der von ihr vorgenommenen Literaturauswertung die fachliche Autorität Dritter für ihre Stellungnahme in Anspruch.

Zu den Fachleuten im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG zählen die in der Vorschrift genannten Personen und Einrichtungen, alle anderen Angehörige der Fachkreise im Sinne des § 2 HWG sowie alle sonstigen Personen, denen das Publikum fallbezogen eine bessere Fachkenntnis und entsprechende fachliche Autorität zutraut (Doepner, a.a.O. Rz. 13). Hierbei ist nicht erforderlich, dass in der Werbung diejenige fachliche Instanz hervortritt, die das Heilmittel empfiehlt oder es geprüft hat; vielmehr reicht es aus, dass dem Publikum durch Tätigkeitsberichte oder Erfolgsbeschreibungen der Eindruck erweckt wird, dass eine fachliche Empfehlung vorliege (Doepner a.a.O.). Da der Verkehr erwartet, dass hinter den Aussagen einer nach der Wahrnehmung des Verkehrs angesehenen Stiftung wie der Stiftung Warentest eine gewisse fachliche Kompetenz steht – etwa die fachliche Kompetenz Dritter, die aufgrund der Auswertung von medizinischer Literatur in Anspruch genommen wird – zählt ggf. auch die Stiftung Warentest zu dem von § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG erfassten Personenkreis (BGH NJW 1998, 818, 819; Doepner a.a.O.).

bb)
Der individuelle Produktbezug der Angabe ergibt sich aus der Nennung von „G. forte“ im werblichen Zusammenhang, wie ihn die Antragstellerin durch Vorlage der Anlagen AST 6 und AST 14 glaubhaft gemacht hat, im Übrigen auch aus der von der Antragsgegnerin vorgelegten Anlage AG 1. Der Annahme eines werblichen Bezugs steht nicht entgegen, dass auch ein Konkurrenzprodukt genannt und weitere Informationen gegeben werden. Der weite Werbebegriff gemäß Art. 86 Abs. 1 Gemeinschaftskodex, der bei der Auslegung des HWG zu berücksichtigen ist, umfasst jegliche Maßnahmen zur – auch sachlichen – Information mit dem Ziel, die Verschreibung, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern.

cc)
Eine „ Empfehlung “ liegt bereits dann vor, wenn für den Verkehr der Eindruck entsteht, das Heilmittel werde von fachlicher Seite als therapeutisch geeignet angesehen (BGH GRUR 1998, 498, 500 – Fachliche Empfehlung III; Doepner a.a.O. Rz. 16). Dem vorliegend innerhalb des beanstandeten Logos der Stiftung Warentest verwendeten Adjektiv „geeignet“ kommt ebendiese Aussage zu.

Das Landgericht hat allerdings die Zurückweisung des Antrags darauf gestützt, dass eine Empfehlung durch die Stiftung Warentest mangels einer nach dem Normzweck zu fordernden Suggestivwirkung dem § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG nicht unterfalle. Denn es handele sich um eine im Interesse der Verbraucheraufklärung eingerichtete, öffentlich geförderte Institution, die keinerlei kommerzielle Interessen verfolge und insbesondere nicht zu einem Kauf der von ihr mit positivem Ergebnis getesteten Produkte aufrufe.

Der Senat teilt diese Auffassung nicht. Einem in der Werbung verwendeten Testurteil der vorliegenden Art kommt nach der Verkehrsanschauung eine erhebliche meinungsbildende und handlungsleitende Wirkung zu. Zu bedenken ist, dass es sich bei Läusebefall nach allgemeiner Anschauung um einen das Wohlbefinden außerordentlich stark beeinträchtigenden, zudem sozial stigmatisierten Zustand handelt, der den Betroffenen bzw. sorgeberechtigte Personen zu sofortigem Handeln veranlasst. Ein erheblicher Anteil der Verbraucher wird in einer solchen Situation nicht einen Arzt aufsuchen, um sich beraten und ein Mittel verschreiben zu lassen, sondern sich aus der Apotheke umgehend selbst ein Abhilfe versprechendes Mittel beschaffen. Wenn dem Verbraucher in dieser Eilsituation ein positives Testergebnis werblich begegnet, so übt es eine starke, wenn nicht gar unwiderstehliche Anziehungskraft aus, welche den Verbraucher dazu veranlassen kann, auf eine individuelle fachmännische Beratung selbst dann zu verzichten, wenn in der Apotheke die Möglichkeit hierzu bestünde. Gerade eine solche Beeinflussung soll das Werbeverbot des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG verhindern, ohne dass es darauf ankäme, ob das in der Werbung verwendete Testergebnis objektiv oder sachlich richtig wäre. „Unsachlich“ ist die Einflussnahme bereits deshalb, weil sie den Verbraucher von einer reflektierten Kaufentscheidung abzuhalten geeignet ist.

b)
Sieht man im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG den Tatbestand des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG im Wege der verfassungskonformen Auslegung nur dann als erfüllt an, wenn über den Wortlaut der Vorschrift hinaus eine zumindest mittelbare Gesundheitsgefährdung besteht, so ist ein Verstoß vorliegend allerdings nicht gegeben.

Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NJW 2004, 2660; NJW-RR 2004, 1267, jeweils m.w.N.) versteht der Bundesgerichtshof einzelne Regelungen des § 11 HWG nicht mehr als abstrakte Gefährdungsdelikte, sondern legt sie unter dem Aspekt des Art. 12 Abs. 1 GG dahingehend verfassungskonform einschränkend aus, dass eine zumindest mittelbare Gesundheitsgefährdung vorliegen müsse, um die aus dem Werbeverbot resultierende Beeinträchtigung der Berufsfreiheit zu rechtfertigen (BGH GRUR 2007, 809, 810 – Krankenhauswerbung – zu § 11 Abs. 1 Nr. 4 HWG ; GRUR 2004, 799, 800 – Lebertrankapseln – zu § 11 Abs. 1 Nr. 10 HWG). Diese Erwägungen sind auf die Anwendung des vorliegend relevanten § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG übertragbar (Bülow/Ring, HWG, Komm., 3. Aufl. 2005, § 11 Abs. 1 Nr. 2 Rz. 1). Eine mittelbare Gesundheitsgefährdung besteht nach Auffassung des Bundesgerichtshofs etwa dann, wenn Adressaten auf Grund der Werbung glauben könnten, sie könnten sich von einer Krankheit durch Selbstmedikation heilen und deshalb von einem Arztbesuch absehen, der zum noch rechtzeitigen Erkennen anderer, ernster Leiden geführt hätte (BGH a.a.O. – Lebertrankapseln).

Vorliegend ist eine solche aus der Art der angegriffenen Werbung folgende konkrete Gesundheitsgefahr nicht festzustellen. Da davon ausgegangen werden muss, dass der durchschnittlich informierte und aufmerksame Verbraucher dezidierte schriftliche, dem Produkt beigegebene Anwendungshinweise, die der Risikominimierung dienen, befolgen werde, führt die von der Antragstellerin betonte potentielle Schädlichkeit des insektizidhaltigen Mittels der Antragsgegnerin – etwa bei Anwendung auf infizierter oder geschädigter Haut, ohne ärztliche Aufsicht an einem Säugling oder ohne strenge Indikationstellung in Schwangerschaft oder Stillzeit – nicht zur Annahme einer konkreten Gefahr. Da ferner Kopflausbefall eine leicht erkennbare, nicht ernsthaft gefährliche und zudem einfach zu behandelnde Erscheinung darstellt, folgt aus der angegriffenen Werbung auch im Hinblick darauf keine konkrete Gesundheitsgefahr, dass Verbraucher ggf. von einem Arztbesuch abgehalten und zur Selbstmedikation angeregt werden.

c)
Aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen kommt eine verfassungskonforme Auslegung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG im Sinne eines konkreten Gefährdungsdelikts allerdings nicht in Betracht.

aa)
Die Annahme eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals „Gesundheitsgefährdung“ im Rahmen des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG ist mit der Richtlinie 2001/83/EG (Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel), deren Umsetzung die genannte Vorschrift dient, nicht vereinbar. Durch den Gemeinschaftskodex ist, wie der Europäische Gerichtshof ausgesprochen hat (Urteil v. 8.11.2007, Rs. C-374/05, EuZW 2008, 25 – Gintec), eine vollständige Harmonisierung des Bereichs der Arzneimittelwerbung erfolgt, von der die Mitgliedsstaaten nur in den ausdrücklich in der Richtlinie genannten Fällen abweichen dürfen. Derjenige Bereich, in welchem die Mitgliedsstaaten auch unter Geltung der vollständigen Harmonisierung durch den Gemeinschaftskodex abweichende Regelungen treffen dürfen, ist vorliegend nicht betroffen.

Zunächst wird der Wortlaut des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG – abgesehen von dem weiter gefassten, im Wege der richtlinienkonformen Auslegung einzuschränkenden Kreis der Fachleute – als mit Art. 90 lit. f) Gemeinschaftskodex weitgehend deckungsgleich, mithin gemeinschaftsrechtskonform erachtet (Doepner, a.a.O., Rz. 30; Gröning, Heilmittelwerberecht, Bd. 1, § 11 HWG Rz. 2).

Jedoch erfordert Art. 90 lit. f) Gemeinschaftskodex seinem Wortlaut nach – ebenso wie der Wortlaut des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG – keine (auch nur mittelbare) Gesundheitsgefährdung im Einzelfall:

Artikel 90
Die Öffentlichkeitswerbung für ein Arzneimittel darf keine Elemente enthalten, die
(…)
f) sich auf eine Empfehlung von Wissenschaftlern, von im Gesundheitswesen tätigen Personen oder von Personen beziehen, die weder Wissenschaftler noch im Gesundheitswesen tätige Personen sind, die aber aufgrund ihrer Bekanntheit zum Arzneimittelverbrauch anregen können;
(…)

Auch unter Berücksichtigung des in den Erwägungsgründen zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Zwecks ist Art. 90 lit. f) Gemeinschaftskodex als abstraktes Gefährdungsdelikt zu verstehen, so dass – entgegen der Ansicht des OLG München (PharmaR 2009, 173, 174) – ein Gleichklang der verfassungskonformen Auslegung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG und der Aussage des Art. 90 lit. f) Gemeinschaftskodex nicht gegeben ist.

Die Erwägungsgründe des Gemeinschaftskodexes lauten u.a. wie folgt:

(2) Alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der Herstellung, des Vertriebs oder der Verwendung von Arzneimitteln müssen in erster Linie einen wirksamen Schutz der öffentlichen Gesundheit gewährleisten.
(…)
(45) Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel, die ohne ärztliche Verschreibung abgegeben werden können, könnte sich auf die öffentliche Gesundheit auswirken, wenn sie übertrieben und unvernünftig ist. Die Werbung muss, wenn sie erlaubt wird, bestimmten Anforderungen genügen, die festgelegt werden müssen.
(46) Ferner ist die Abgabe von Gratismustern zum Zwecke der Verkaufsförderung zu untersagen.
(47) Die Arzneimittelwerbung bei Personen, die zur Verschreibung oder Abgabe von Arzneimitteln berechtigt sind, trägt zu deren Information bei. Diese Werbung ist jedoch strengen Voraussetzungen und einer wirksamen Kontrolle zu unterwerfen, wobei insbesondere den im Rahmen des Europarats durchgeführten Arbeiten Rechnung zu tragen ist.
(48) Die Arzneimittelwerbung muss angemessen und wirksam kontrolliert werden. Die entsprechenden Kontrollmechanismen sollten in Anlehnung an die Richtlinie 84/450/EWG ausgewählt werden.

Im vorstehend genannten 2. Erwägungsgrund der Richtlinie wird zunächst ausgesprochen, dass die arzneimittelrechtlichen Vorschriften primär dem Gesundheitsschutz dienen; dieses allgemeine Postulat ist hinsichtlich des etwaigen konkreten Erfordernisses einer Gesundheitsgefährdung im Einzelfall nicht aussagekräftig. Der vorstehend genannte 45. Erwägungsgrund – der einzige Erwägungsgrund, der sich explizit mit den inhaltlichen Anforderungen an Öffentlichkeitswerbung befasst – stellt eine potentielle Auswirkung übertriebener und unvernünftiger Werbung auf die öffentliche Gesundheit fest und knüpft daran das Postulat bestimmter festzulegender Anforderungen an die Werbung. Diese Zielsetzung wird in den Art. 87 bis 90 konkretisiert, wobei Art. 90 – nach einem § 11 HWG ähnlichen Regelungskonzept – einen Katalog von Elementen enthält, die einer Werbung „übertriebenen“ oder „unvernünftigen“ Gehalt geben (Gröning, a.a.O. RL 2001/83/EG, 45. und 46. Erwägungsgrund Rz. 4). Die Verwendung der Formulierung „könnte“ im 45. Erwägungsgrund spricht in Verbindung mit der Benennung bestimmter Werbeinhalte als „übertrieben“ oder „unvernünftig“ gegen die Annahme, dass das Werbeverbot im Einzelfall von (zumindest mittelbaren) Gesundheitsgefahren abhängen sollte; vielmehr liegt die Annahme näher, dass der europäische Gesetzgeber das Werbeverbot zur Abwehr bereits potentieller Gesundheitsgefahren für angemessen erachtet, die aus bestimmten werblichen Inhalten eben auch nur folgen könnten, nicht aber im Einzelfall gegeben sein müssen, dass also angesichts des hohen Stellenwerts des Schutzgutes Gesundheit bereits die Möglichkeit eines Eintritts der Gefahrenlage durch das Werbeverbot ausgeschlossen werden sollte. Eine solche abstrakte Betrachtung ist nicht auf Gefahren begrenzt, die gerade von der angegriffenen Werbung ausgehen, sondern erfasst auch jegliche in der Beschaffenheit des beworbenen Arzneimittels wurzelnden Umstände, etwa potentiell gefährliche Bestandteile. Im Falle des Art. 90 lit. f) Gemeinschaftskodex folgt der in diesem Sinne abstrakt gefährliche, ein Verbot rechtfertigende „übertriebene“ bzw. „unvernünftige“ Charakter einer Werbemaßnahme aus dem Umstand der Empfehlung durch den in der Vorschrift genannten Personenkreis, der einer reflektierten Kaufentscheidung entgegenwirkt.

Die Einstufung als abstraktes Gefährdungsdelikt ist auch weiteren Verbotstatbeständen des Art. 90 Gemeinschaftskodex keineswegs fremd. Dies zeigt etwa die – bisher nicht in deutsches Recht umgesetzte – Vorschrift des Art. 90 lit. c) Gemeinschaftskodex, welche einen formal ausgestalteten abstrakten Gefährdungstatbestand enthält (vgl. BGH GRUR 2009, 179, 181). Auch die Tatbestände des Art. 90 lit. b), g) und h) dürften eine konkrete Gefahrenlage nicht voraussetzen (vgl. zur Vorgängerregelung Art. 5 der RL 92/28/EWG Doepner/Reese, GRUR 1998, 761, 765). Desweiteren zieht auch der EuGH zur Rechtfertigung des Verbots aleatorischer Werbeanreize gemäß § 11 Nr. 13 HWG – eines abstrakten Gefährdungstatbestands, den der Gemeinschaftskodex in dieser Form nicht enthält – den 45. Erwägungsgrund der Richtlinie heran, wonach es notwendig sei, „übertriebene und unvernünftige Werbung, die sich auf die öffentliche Gesundheit auswirken könnte, zu verhindern“, ohne auf eine etwaige – im streitgegenständlichen Falle eines Ginseng-Präparats kaum gegebene – konkrete Gefahrenlage abzustellen (EuGH a.a.O. – Gintec – Rn. 51).

bb)
Angesichts der durch den Gemeinschaftskodex hergestellten gemeinschaftsrechtlichen Vollharmonisierung sind die Voraussetzungen einer nach dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG vorzunehmenden verfassungskonformen Auslegung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG vorliegend nicht gegeben.

Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist sekundäres Gemeinschaftsrecht nicht am Maßstab der Grundrechte zu prüfen, „solange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften gewährleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleichzuachten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt“ (Beschluss v. 22.10.1986, Az. 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 387 – Solange II). Die im sog. Maastricht-Urteil vom 12.10.1993 (Az. 2 BvR 2134/92 und 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155) ausgesprochene Einschränkung, in Kooperation mit dem EuGH seine Prüfungskompetenz jedenfalls insoweit wieder ausüben zu wollen, als es um die „generelle Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards“ gehe, findet sich im sog. „Bananenmarkt-Beschluss“ vom 7.6.2000 (Az. 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147) nicht wieder, in welchem das BVerfG ausführt (Unterstreichungen stammen vom erkennenden Senat):

[juris-Rz. 62] „ Ein deckungsgleicher Schutz in den einzelnen Grundrechtsbereichen des Grundgesetzes durch das europäische Unionsrecht und die darauf fußende Rechtsprechung des EuGH ist nicht gefordert . Den verfassungsrechtlichen Erfordernissen ist entsprechend den in BVerfGE 73, 339 (340, 387) genannten Voraussetzungen genügt, wenn die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleistet, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt. [juris-Rz. 63] Sonach sind auch nach der Entscheidung des Senats in BVerfGE 89, 155 Verfassungsbeschwerden und Vorlagen von Gerichten von vornherein unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlegt, dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nach Ergehen der Solange II-Entscheidung (BVerfGE 73, 339 <378 bis 381>) unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken sei . Deshalb muss die Begründung der Vorlage eines nationalen Gerichts oder einer Verfassungsbeschwerde, die eine Verletzung in Grundrechten des Grundgesetzes durch sekundäres Gemeinschaftsrecht geltend macht, im Einzelnen darlegen, dass der jeweils als unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz generell nicht gewährleistet ist . Dies erfordert eine Gegenüberstellung des Grundrechtsschutzes auf nationaler und auf Gemeinschaftsebene in der Art und Weise, wie das Bundesverfassungsgericht sie in BVerfGE 73, 339 (378 bis 381) geleistet hat.

Im Falle des europäischen Haftbefehls hat das BVerfG zwar von seiner Prüfungskompetenz Gebrauch gemacht, die Annahme der Verfassungswidrigkeit jedoch nicht auf den Inhalt des Rahmenbeschlusses, sondern vielmehr auf die Art der Umsetzung in das nationale Recht gestützt (Urteil v. 18.7.2005, Az. 2 BvR 2236/04, juris-Rz. 89; vgl. Hetmeier, in: Lenz/Borchardt, EU- und EG-Vertrag, Kommentar, 4. Aufl. 2006, Art. 249 Rz. 25 a.E.).

Auch wenn also das Bundesverfassungsgericht einen umfassenden Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht nicht ausspricht, so nimmt es jedoch im Regelfall eine Einzelfallkontrolle von Grundrechtsverstößen europäischer Organe nicht vor (vgl. Streinz, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 4. Aufl. 2007, Art. 23 Rz. 41, unter Bezugnahme auf Mayer, EuZW 2000, 685; Pernice/Mayer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, Art. 220 EGV Rz. 70, sprechen von einem „Notvorbehalt der Prüfungszuständigkeit in Grundrechtsfragen“). Diese Verfahrensweise lässt sich auf die Ebene der Fachgerichte übertragen, hier allerdings mit der aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG folgenden Maßgabe, dass an die Stelle der Inzidentkontrolle nach dem Maßstab des deutschen Rechts eine solche nach dem Maßstab des europäischen Rechts zu treten hat (vgl. BVerfG, Beschluss v. 9.1.2001, Az. 1 BvR 1036/99, juris-Rz. 23f.; BVerwG, Urteil v. 30.6.2005, Az. 7 C 26/04, juris-Rz. 31f.; VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 19.3.2007, Az. 1 S 1041/05, juris-Rz. 28f.). Denn auf die Prüfung der Vereinbarkeit mit den nationalen Grundrechten wird ausschließlich im Hinblick auf den vergleichbaren europäischen Grundrechtsstandard und Rechtsschutz verzichtet.

Es ist in keiner Weise vorgetragen und auch nicht erkennbar, dass die Deutung des Art. 90 lit. f) Gemeinschaftskodex als abstraktes Gefährdungsdelikt dazu führte, dass der grundrechtlich unabdingbar gebotene Schutz der Berufsfreiheit auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene generell nicht gewährleistet wäre. Dass der europäische Grundrechtsschutz (dazu sogleich d)) ggf. weniger schutzintensiv ist, eröffnet die Prüfung am Maßstab der nationalen Grundrechte nicht, solange nicht der jeweils als unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz generell gefährdet ist; ein deckungsgleiches Schutzniveau verlangt das BVerfG, wie ausgeführt, nicht. Eine solche Gefährdung ist dem Vortrag der Antragsgegnerin nicht zu entnehmen, der sich auf die stete Wiederholung des Erfordernisses einer verfassungskonformen Auslegung beschränkt, ohne auch nur im Ansatz darzulegen, dass der Verzicht auf diese Auslegung den Grundrechtsstandard europäischer Herkunft unter das grundrechtlich unabdingbar gebotene Maß absinken lasse. Eine Unterschreitung des grundrechtlich unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutzes ist auch sonst nicht erkennbar.

Eine verfassungskonforme Auslegung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG kommt mithin aufgrund der durch den Gemeinschaftskodex eingetretenen Vollharmonisierung nicht in Betracht (vgl. auch Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm,, UWG, 27. Aufl. 2009, § 11 Rz. 11.133).

d)
Nach auf dem Stand der Erkenntnis im Eilverfahren gründender Auffassung des Senats ist die Auslegung des Art. 90 lit. f) Gemeinschaftskodex als abstrakter Gefährdungstatbestand mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht vereinbar, dessen Maßgeblichkeit sich aus Art. 6 Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union ergibt. Nach dieser Vorschrift achtet die Europäische Union die sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten ergebenden Grundrechte.

aa)
Der EuGH erkennt in ständiger Rechtsprechung das Grundrecht der Berufsfreiheit als aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten geschöpften Bestandteil des ungeschriebenen Gemeinschaftsrechts an (EuGH, Urteil v. 14.5.1974, Rs. C-4/73 – Hauer, Tz. 13f.; Urteil v. 13.12.1979. Rs C-44/79 – Nold, Tz. 32; Urteil v. 10.1.1992, Rs. C-177/90 – Kühn; Blanke, in: Tettinger/Stern (hrsg.), Kölner Gemeinschafts-Kommentar Europäische Grundrechte-Charta, Art. 15 Rz. 10). Der EuGH hat ausgeführt, dass die freie Berufsausübung zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehöre, die er zu wahren habe, hat jedoch die Schranken der Berufsfreiheit – wortgleich mit den für das Eigentumsgrundrecht entwickelten Formulierungen – wie folgt definiert (EuGH, Urteil v. 8.10.1986, Rs. C-234/85 – Keller, Tz. 8):

„Ebenso wie die Ausübung dieses Rechts von den Mitgliedsstaaten im öffentlichen Interesse Einschränkungen unterworfen ist, wird sie auch in der Gemeinschaftsrechtsordnung nur in den Grenzen gewährleistet, die durch die dem Gemeinwohl dienenden Ziele der Gemeinschaft gesetzt werden, soweit dadurch nicht der Wesensgehalt dieses Rechts angetastet wird.“

Als gemeinschaftsbezogene Gemeinwohlzwecke hat der EuGH etwa die gemeinsame Marktorganisation (Rs. C-280/93 – Bananenmarktordnung; Urteil v. 10.1.1992, Rs. C-177/90 – Kühn; Rs. C-306/93 – Winzersekt) oder völkerrechtliche Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten anerkannt (Rs. C-200/96 – Metronome Musik; siehe Pernice/Mayer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, nach Art. 6 EUV Rz. 130). Eingriffe in die Berufsfreiheit sieht der EuGH (Urteil v. 11.7.1989, Rs. C-265-87 – Schräder, Tz. 15) als gerechtfertigt an,

„sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet“.

Der Wesensgehalt des Grundrechts wird mithin durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung gesichert (Pernice/Mayer, a.a.O., nach Art. 6 EUV Rz. 131).

Der vorliegend relevante Gemeinschaftskodex, dessen in Art. 90 lit. f) enthaltene Reglementierung in die als Freiheit der gewerblichen Tätigkeit verstandene Berufsausübungsfreiheit eingreift, dient ausweislich seiner bereits erörterten Erwägungsgründe – insbesondere des 45. Erwägungsgrunds – dem Schutz der öffentlichen Gesundheit, mithin einem Schutzgut höchsten Stellenwerts. Das in Rede stehende Verbot der Empfehlungswerbung erscheint dem Senat nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens als diesem Schutzzweck tatsächlich zu dienen geeignet. Es soll – unabhängig von einer aus der Art der Werbung selbst folgenden Gesundheitsgefahr – bereits den Eintritt einer für den Verbraucher auch nur potentiell gefährlichen Situation vermeiden, die daraus resultieren könnte, dass der Verbraucher sich von einer in der Werbung kommunizierten „fachlichen Empfehlung“ zur Anwendungeines Arzneimittels verleiten lässt, dessen Bestandteile etwa bei bestimmter gesundheitlicher Disposition potentiell gefährlich sind. Das allein an abstrakte Gefahrenlagen anknüpfende Werbeverbot des Art. 90 lit. f) Gemeinschaftskodex tangiert nach Auffassung des Senats angesichts seines gewichtigen gesundheitlichen Schutzzwecks als nicht unverhältnismäßig nicht den Wesensgehalt der Berufsfreiheit im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung des EuGH.

bb)
Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) steht dem dargelegten Verständnis des Art. 90 lit. f) Gemeinschaftskodex ebenfalls nicht entgegen. Die EMRK enthält zwar keine Bestimmung über den Schutz der Berufsfreiheit, es kommt jedoch – ebenso wie nach bundesdeutschem Verständnis kommerzielle Werbung in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG fallen kann (vgl. BVerfG, Beschluss v. 01.08.2001, Az. 1 BvR 1188/92 – Therapeutische Äquivalenz) – im Falle berufsbezogener Werbung die Anwendung des Art. 10 EMRK in Betracht, welcher lautet:

Art. 10 EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung)
(1) 1 Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. 2 Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. 3 Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Hörfunk-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben.
(2) Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortung verbunden; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung.

Da fachliche Empfehlungswerbung im Sinne des Art. 90 lit. f) Gemeinschaftskodex zum einen bestimmte produktbezogene Wertungen dritter Personen mitteilt, zum anderen sich der Werbende diese Bewertungen im Rahmen der Werbung üblicherweise zu Eigen machen dürfte, ist vorliegend der Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK eröffnet.

Kommerzielle Werbung darf nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nach Art. 10 EMRK eingeschränkt werden, wenn die Einschränkung unlauteren Wettbewerb verhindert, unwahr oder irreführend ist oder die Rechte Dritter schützt oder die spezifischen Umstände bestimmter gewerblicher Tätigkeitsfelder dies verlangen, wobei allerdings die Umstände des Einzelfalls unter Beachtung der Bedeutung des Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit abzuwägen sind (siehe nur Urteil v. 11.12.2003, Az. 39069/97, Tz. 31 – KRONE VERLAG GmbH & Co. KG v. AUSTRIA; Urteil v. 24.2..1994, Az. 15450/89, Tz. 50 – CASADO COCA v. SPAIN). Die Entscheidungspraxis des EGMR ist hierbei umso grundrechtsfreundlicher, je mehr in der fraglichen Werbung eine Meinungsbekundung zu einem Thema allgemeinen Interesses im Vordergrund steht (vgl. Urteil v. 17.10.2002, Az. 37928/97, Tz. 46 ff. – STAMBUK v. GERMANY; Urteil v. 25.3.1985, Az. 8734/79, Tz. 58f. – BARTHOLD v. GERMANY). Je mehr hingegen der Werbeaspekt im Sinne der Vermittlung rein kommerzieller Information im Vordergrund steht, erfolgt eine weniger strenge Prüfung, die den Vertragsstaaten einen weiten Beurteilungsspielraum belässt (Blanke, a.a.O., Art. 15 Rz. 14).

Vorliegend verfolgt – wie dargelegt – Art. 90 lit. f) Gemeinschaftskodex den Zweck, die öffentliche Gesundheit zu schützen (s.o.). Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 EMRK darf die Meinungsfreiheit „Einschränkungen (…) unterworfen werden, die (…) in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die (…) öffentliche Gesundheit“. Der Senat ist nach dem Stand des Eilverfahrens – wie ausgeführt – der Auffassung, dass das in Rede stehende Werbeverbot diesem Schutzzweck tatsächlich zu dienen geeignet ist, indem bereits der Eintritt einer für den Verbraucher auch nur potentiell gefährlichen Situation vermieden wird (vgl. zur Rechtfertigung eines – unterstellten – Eingriffs in Art. 10 EMRK durch das mittels der in Frage stehenden Richtlinie verfolgte Schutzgut der öffentlichen Gesundheit EuGH, Urteil v. 28.10.1992, Az. C-219/91, Tz. 38 – Ter Voort). Demgegenüber beinhaltet die angegriffene Angabe – also die Verwendung des u.a. auf das eigene Produkt bezogenen Testurteils – auch unter Berücksichtigung der auf der Homepage verfügbaren allgemeinen, nicht produktbezogenen Informationen nicht vorrangig eine gesellschafts- oder gesundheitspolitisch relevante Meinungsbekundung zum Thema „Kopfläuse“. Denn der auf das eigene Produkt bezogene Hinweis auf das Testurteil steht nicht in einem unauflöslichen inhaltlichen Zusammenhang zu den genannten Informationen und Hinweisen zum Thema „Kopfläuse“. Insofern unterscheidet sich die vorliegende Konstellation etwa von derjenigen des genannten Urteils BARTHOLD v. GERMANY, in welchem der EGMR einem Tierarzt auf der Grundlage des Art. 10 EMRK auch unter Berücksichtigung des standesrechtlichen Werbeverbots zubilligte, sich mit namentlicher und bildlicher Erwähnung zu einem gesellschaftlich relevanten Thema (tierärztlicher Notdienst) in einem Zeitungsartikel äußern zu dürfen. Der Antragsgegnerin ist es vorliegend möglich und unbenommen, etwaige Aufklärungsarbeit zum Thema „Kopfläuse“ unter Einhaltung des in Rede stehenden Verbots der Empfehlungswerbung vorzunehmen. Bei der angegriffenen Angabe handelt es sich hingegen um eine mit einer fachlichen Empfehlung versehene werbende Anpreisung des von der Antragsgegnerin angebotenen Produkts (s.o. 2.a)bb)), deren Verbot auch im Lichte der Rechtsprechung des EGMR angesichts des mit dem Verbot bezweckten Gesundheitsschutzes nicht unverhältnismäßig in Art. 10 EMRK eingreift.

e)
Zu einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 234 Abs. 2 EGV sieht sich der Senat im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens nicht veranlasst. Im Hinblick auf den summarischen Charakter des Eilverfahrens und die Möglichkeit einer Klärung der gemeinschaftsrechtlichen Fragen im Hauptsacheverfahren entspricht es überwiegender Auffassung, dass im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zwar die Möglichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 234 Abs. 2 EGV besteht, jedoch keine Vorlageverpflichtung im Sinne des Art. 234 Abs. 3 EGV (vgl. BVerfG, Beschluss v. 29.11.2001, Az. 2 BvR 1486/01 – zitiert nach juris).

3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

I