OLG Hamburg: Zur Kerngleichheit einer abgewandelten Werbung mit einer früheren Verletzung

veröffentlicht am 29. Juni 2015

Rechtsanwalt Dr. Ole DammOLG Hamburg, Beschluss vom 28.04.2015, Az. 3 W 32/15
§ 91a ZPO; § 3 UWG, § 5 Abs. 1 UWG, § 12 Abs. 2 UWG

Das OLG Hamburg hat entschieden, dass eine Kerngleichheit einer unlauteren Werbung mit einer früheren Werbung nur dann vorliegt, wenn die neuere Werbung auf Grundlage eines zur älteren Werbung unterstellten Verbotstitels bestraft werden könnte. Sei dies nicht der Fall, liege eine neue Verletzungshandlung vor, auch wenn diese die gleiche Irreführung bzw. Fehlvorstellung des Verbrauchers bewirke wie die ältere Werbung. Für einen Verbotsantrag per einstweiliger Verfügung gegen die neue Werbung könne die Kenntnis der älteren Werbung nicht dringlichkeitsschädlich sein, wenn gerade keine Kerngleichheit vorliege. Zum Volltext der Entscheidung:

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg

Beschluss

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 10.02.2015 wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.

Der Wert der Beschwerde entspricht dem Wert der in I. Instanz insgesamt angefallenen Kosten des Rechtsstreits.

Gründe

Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin vom 11. März 2015 gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 10.02.2015 ist nicht begründet. Das Landgericht hat, nachdem die Antragsgegnerin wegen der angegriffenen konkreten Verletzungsform eine Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben hatte und die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, im Rahmen der nach § 91a ZPO getroffenen Kostenentscheidung der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens zu Recht auferlegt.

1.
Die Parteien streiten im Wesentlichen darum, ob dem Verfügungsbegehren der Antragstellerin die Dringlichkeit fehlt, weil die Antragstellerin – so die Antragsgegnerin – bereits in einem vorangegangenen Verfügungsverfahren (327 O 531/13) eine nach Auffassung der Antragsgegnerin kerngleiche Werbung hätte angreifen können, dieses aber unterlassen habe. Dass es sich bei den jeweils angegriffenen Werbemitteln um gesonderte Streitgegenstände handele, ändere nichts daran, dass die Dringlichkeit nach der Rechtsprechung des Senats auch entfallen könne, wenn einzelne in einer älteren Werbeunterlage bereits kerngleich vorhandene Werbeangaben nicht in dringlichkeitsunschädlicher Zeit angegriffen worden seien, obwohl dies möglich gewesen wäre.

In jenem vorangegangenen Verfügungsverfahren ist der Antragsgegnerin u.a verboten worden,

zu Zwecken des Wettbewerbs für das Arzneimittel A. und/oder B. unter Bezugnahme auf die Nutzenbewertung von Gliptinen im Bestandsmarkt durch den Gemeinsamen Bundesausschuss vom 1. Oktober 2013 mit der Aussage zu werben und/oder werben zu lassen:

(…)

2. „Der DPP-4-Hemmer mit der besten Bewertung“

wie geschehen in der als Anlage 2 in Kopie beigefügten Werbeunterlage.

Die nunmehr angegriffene Werbung – so die Antragsgegnerin – sei mit der seinerzeit als Anlage 2 beigefügten Werbeunterlage im Wortlaut der Angabe „Der DPP-4-Hemmer mit der besten Bewertung“ und der jeweils dargestellten Übersicht identisch. Hinter der Angabe finde sich jeweils eine Fußnote, einmal als „Sternchen“, einmal als Fußnote „1″, die wortwörtlich gleich aufgelöst werde.

Die Antragstellerin ist der Ansicht, negative Konsequenzen für die Dringlichkeit kämen schon deshalb nicht in Betracht, weil der Angriff gegen die neue – geänderte – Werbung einen neuen Streitgegenstand betreffe. Nach der „Biomineralwasser“-Entscheidung des Bundesgerichtshofes (GRUR 2013, 401) sei es jedem Anspruchsteller ausdrücklich offen gestellt, gegen die konkrete Verletzungsform vorzugehen, wenn aus der Gesamtgestaltung der Werbung eine Irreführungsgefahr abgeleitet werde. Auch weiche die nunmehr angegriffene konkrete Verletzungsform von der seinerzeit verbotenen Verletzungsform ab. Die jeweiligen Verletzungshandlungen seien nicht kerngleich.

Das Landgericht hat maßgeblich darauf abgestellt, dass die Antragstellerin das Verbot einer konkreten Verletzungsform in ihrer Gesamtheit begehre. Zwar habe sich die Antragstellerin zur Begründung ihres Unterlassungsbegehrens damals wie heute primär auf das irreführende Verkehrsverständnis der tabellarischen Darstellung gestützt. In beiden Verfahren sei vorgetragen worden, dass der Verkehr die in der tabellarischen Übersicht verwendeten Symbole (Haken und Einfahrt-Verboten-Zeichen) dahin interpretiere, dass bei der Verordnung der mit dem Haken versehenen Präparate „alles Ok“ sei und sich der Arzt bezüglich der Verschreibung dieses Präparats keine Gedanken machen müsse, während das Einfahrt-Verboten-Zeichen zum Ausdruck bringe, dass dieses Präparat nicht (mehr) verordnet werden dürfe. Deshalb sei es aber der Antragstellerin nicht verwehrt, immer wieder abgewandelte Werbeunterlagen mit immer wieder derselben Begründung auf der Basis desselben fehlgeleiteten Verkehrsverständnisses anzugreifen – daran sei nichts dringlichkeitsschädlich.

2.
Diese letztgenannte Sichtweise des Landgerichts ist in ihrer Allgemeinheit zutreffend, mag sie auch im Detail weiteren Einschränkungen unterliegen.

a)
Bewirkt eine konkrete Werbung eine bestimmte Fehlvorstellung, so kann es vorkommen, dass eine abgewandelte Werbung zu einer nämlichen Verkehrsvorstellung des Verkehrs führt, die aus den gegenüber der vormaligen Werbung gleichbleibenden Gründen unrichtig sein und deshalb eine Fehlvorstellung bewirken kann.

Das kann einmal deshalb der Fall sein, weil sich die abgewandelte Werbung in Wahrheit gar nicht als eine Abwandlung erweist, weil die angeblichen Abweichungen so unbedeutend sind, dass die charakteristischen Merkmale der vorangegangenen Verletzungshandlung in der neuerlichen Werbung gleichermaßen verwirklicht sind, also Kerngleichheit besteht.

In einem solchen Fall kann es u.U. – die Problematik einer sogenannten Klarstellungsverfügung einmal außen vor gelassen – bereits an einem Rechtsschutzbedürfnis für das Verbot der neueren Werbung fehlen, wenn der Gläubiger gegen jene Werbung aus einem wegen einer kerngleichen Werbung bereits bestehenden Unterlassungstitel vollstrecken kann.

Zum anderen kann es aber vorkommen, dass die Werbung tatsächlich so abgewandelt ist, dass bei der Prüfung der durch die Werbung bewirkten Verkehrsvorstellung auch erstmals in der neuerlichen Werbung enthaltene – weitere – Angaben zu berücksichtigen sind. Zwar kann diese Prüfung ergeben, dass die Werbung trotz der Abwandlungen unverändert die nämliche Verkehrsvorstellung bewirkt. Auch wird in einem solchen Fall – wenn diese Verkehrsvorstellung mit den Tatsachen nicht übereinstimmt – die nämliche Fehlvorstellung bewirkt werden. Dennoch fehlt es dann an einer Kerngleichheit der jeweiligen Verletzungshandlungen und der darauf gestützten Verbote, weil die jeweilige Werbung eigenständig darauf untersucht werden muss, ob sie gerade in ihrer konkreten Ausgestaltung zu einer – gegebenenfalls gleichen – Fehlvorstellung führt. Muss dabei etwa untersucht werden, ob eine in der abgewandelten Werbung erstmals hinzugesetzte Fußnote nebst der zugehörigen Auflösung der Annahme der vom Kläger/Antragsteller behaupteten Fehlvorstellung entgegenstehen kann, gehört die Fußnote nebst ihrer Erläuterung auch dann zu den Charakteristika der angegriffenen Verletzungshandlung, wenn die Prüfung letztlich ergibt, dass die durch die Hinzusetzung der Fußnote vorgenommene Abwandlung die beanstandete Fehlvorstellung des Verkehrs nicht verhindert. In einem solchen Fall käme die Verhängung eines Ordnungsgeldes in einem Ordnungsmittelverfahren nicht in Betracht, weil das Gericht neu prüfen muss, ob überhaupt eine Irreführung, also ein Wettbewerbsverstoß, vorliegt und es nicht bloß um die Feststellung eines Verstoßes gegen ein bereits verhängtes Verbot geht. Die „Testfrage“ zur Feststellung einer Kerngleichheit ist also immer, ob wegen der neuerlichen Werbung auf der Grundlage eines – unterstelltermaßen – bereits zur älteren Werbung ergangenen Verbotstitels bestraft werden könnte.

Das ist im Streitfall zu verneinen, weshalb es dahinstehen kann, ob die Auffassung der Antragstellerin zutreffend ist, die Biomineralwasser-Entscheidung des BGH stelle einen Wendepunkt dar, weil der Antragsteller nach jener Entscheidung frei sei, gegen die konkrete Verletzungsform vorzugehen.

b)
Im Streitfall weist die Antragstellerin nämlich zu Recht darauf hin, dass die angegriffene – neue – Werbung gegenüber der Werbung in der Sache 327 O 531/13 verändert worden ist, indem einerseits die für S…. und für Sa…. in der Zeile „G-BA-Beschluss“ gesetzten Haken mit Fußnoten versehen sind, die auf die Befristung des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses verweisen, und sich entsprechende Hinweise auch auf der Rückseite der Werbekarte finden, auf die über die Auflösung der Fußnote „1″ hingewiesen wird. Schließlich ist die Überschrift der Werbekarte verändert. Während es in der früheren Werbung in der ersten Zeile der Werbung hieß: „Jetzt umstellen auf A.® und B.®:“ heißt es in der nunmehr streitgegenständlichen Werbung: Jetzt A.® und B.®:“.

Das führt aus der Annahme heraus, bei der früheren Werbung könnte es sich mit Konsequenzen für die Dringlichkeit oder gar für das Rechtsschutzbedürfnis um eine kerngleiche Verletzungshandlung handeln.

Wäre es anders, wäre die Antragstellerin bereits durch das in der Sache 327 O 531/13 ausgesprochene Verbot geschützt und könnte die neuerliche Werbung im Ordnungsmittelverfahren als Verstoß gegen jenen Verbotstitel verfolgen. Denn der Angriff der Antragstellerin betraf bzw. betrifft nach der dazu jeweils gegebenen Antragsbegründung in beiden Verfahren die jeweilige tabellarische Darstellung unter den jeweiligen Überschriften und die dadurch bewirkte nämliche Fehlvorstellung. Insoweit würde es keinen Unterschied machen, ob einmal der Satz: „Der DPP-4-Hemmer mit der besten Bewertung“ innerhalb der konkreten Verletzungsform – dort Anlage 2 – angegriffen ist (327 O 531/13) oder – wie im Streitfall – die konkrete Verletzungsform als solche, wenn sie mit der nämlichen Begründung, also dem nämlichen Irreführungsgesichtspunkt, angegriffen wird, zumal sie die Angabe „Der DPP-4-Hemmer mit der besten Bewertung“ in gleicher Weise enthält. Das hat schon das Landgericht zutreffend so gesehen.

In beiden Verfahren hat die Antragstellerin beanstandet, dass durch die Werbung – und zwar insbesondere auch jeweils durch die konkrete tabellarische Darstellung – die Bedeutung der Feststellung des durch das IQWiG und den G-BA festgestellten Zusatznutzens von S… nicht richtig kommuniziert sei. Die Bewertung des Zusatznutzens für S… durch den G-BA sei nur vorläufig und befristet. Kein einziger Patient müsse aktuell in seiner Medikation umgestellt werden. U.a. seien auch für V… fehlende Langzeitdaten vom G-BA nachgefordert worden. Die Bewertung des G-BA zum – fehlenden – Zusatznutzen für V… enthalte keine Aussage zur Wirksamkeit oder Sicherheit von S… im Verhältnis zu V… und bestätige keinen Zusatznutzen von S… gegenüber V… und lege deshalb auch keine Umstellung von V… auf S… nahe. V… sei nicht dahin bewertet worden sei, dass es nicht mehr verordnet werden dürfe, wie es das Einfahrt-Verboten-Zeichen in der tabellarischen Darstellung vermittle.

Die Antragstellerin hat damit mittelbar vorgetragen, dass die so beschriebene Werbung vom Verkehr dahin verstanden werde, dass die Bewertung des Zusatznutzens für S… durch den G-BA von Dauer sei, dass sie die Wirksamkeit oder Sicherheit von S… im Verhältnis zu V… betreffe, dass deshalb die Umstellung von V… auf S… nahegelegt werde und dass Patienten aktuell in ihrer Medikation umgestellt werden müssten.

Ob diese Verkehrsvorstellungen tatsächlich hervorgerufen werden, hängt u.a. davon ab, wie die Ergebnisse der Bewertung durch den G-BA dargestellt werden. Auch kann es von Bedeutung sein, ob und in welcher Weise die Werbung im Zusammenhang mit dieser Darstellung eine Aufforderung zur Umstellung von dem einen auf das andere Präparat enthält. Diese Umstände sind Teil der in der angegriffenen Verletzungshandlung zum Ausdruck kommenden Charakteristika.

Die Darstellung des Beschlusses des G-BA wie auch die Art und Weise der Aufforderung zur Verordnung der beworbenen Mittel sind in den in Rede stehenden Werbemitteln unterschiedlich. Sie müssen zur Feststellung der mit den Verfügungsanträgen vorgetragenen Verkehrsvorstellungen jeweils gesondert bewertet werden. Es ist nicht vollständig fernliegend, dass die Darstellung der Befristung der G-BA-Entscheidung und die Intensität und Deutlichkeit der im ersten Halbsatz der Tabellenüberschrift zum Ausdruck kommenden Empfehlung der Mittel der Antragsgegnerin („Jetzt umstellen auf …“/„Jetzt:…“) Einfluss auf die Feststellung dieses Verkehrsverständnisses hat. Immerhin hat die Antragstellerin etwa in beiden Verfahren auf die fehlende Mitteilung über die Befristung der G-BA-Bewertung hingewiesen und die Bewirkung einer Fehlvorstellung des Verkehrs u.a. auch damit begründet. Darauf, ob etwa die zusätzlichen Hinweise letztlich – wie die Antragstellerin in der Antragsschrift gemeint hat – nicht geeignet sind, der vorgetragenen Irreführung entgegen zu wirken, kommt es nicht an. Maßgeblich ist, dass die Charakteristika der in den Werbeunterlagen angegriffenen Verletzungshandlungen jedenfalls leicht unterschiedlich sind, beide Verletzungshandlungen mithin nicht kerngleich.

Damit geht die Annahme der Antragsgegnerin, mit Blick auf frühere kerngleiche Verletzungshandlungen, die nicht angegriffen worden seien, fehle die Dringlichkeit, fehl.

3.
Die einstweilige Verfügung vom 23.12.2013 ist unbegründet geblieben. Das Landgericht hat sich auch im angegriffenen Beschluss mit der inhaltlichen Frage, ob der Fachverkehr durch die angegriffene Werbung wie von der Antragstellerin vorgebracht in die Irre geführt wird, nicht ausdrücklich befasst. Dies wohl auch deshalb, weil auch die Antragsgegnerin mit ihrem Widerspruch allein beanstandet hat, dass es an der Dringlichkeit fehle. Damit ist der Tatsachenvortrag der Antragstellerin zu der durch die angegriffene Werbung bewirkten Fehlvorstellung unstreitig geworden und kann festgestellt werden, dass die Antragstellerin bei Fortführung des Rechtsstreits voraussichtlich obsiegt hätte. Denn der geltend gemachte Verfügungsanspruch bestand danach, weil die angegriffene Werbung unstreitig zur behaupteten Fehlvorstellung des Verkehrs geführt hat und somit irreführend im Sinne der §§ 3 Abs. 1 Satz 1 HWG, 3, 4 Nr. 11 UWG war. Der deshalb begründete Unterlassungsanspruch (§ 8 Abs. 1 UWG) ist erst durch die Abgabe der strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung in der Widerspruchsschrift wegen des Wegfalls der Wiederholungsgefahr erloschen.

4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Vorinstanz:
LG Hamburg, Az. 327 O 668/13

I