OLG Hamm: § 15 a RVG nicht auf Altfälle anwendbar – OLG bleibt bei seiner Auffassung

veröffentlicht am 18. Juni 2010

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtOLG Hamm, Beschluss vom 27.04.2010, Az. 25 W 133/10
§ 15 a RVG

Das OLG Hamm bleibt – obwohl zwischenzeitlich der dritte Senat des Bundesgerichtshof anderslautend entschieden hat – bei seiner Auffassung, dass § 15 a RVG nicht auf so genannte Altfälle anwendbar ist. Sei das Ausgangsverfahren vor Einführung des § 15 a RVG in Auftrag gegeben worden, sei die angefallene Verfahrensgebühr um die vorgerichtlich angefallene Geschäftsgebühr zu kürzen. Wegen fehlender Überleitungsvorschrift finde die Neuregelung § 15 a RVG keine Anwendung. Der im Durchdringen befindliche Auffassung, dass die Regelung des § 15 a keine Gesetzesänderung, sondern lediglich eine Klarstellung des Gesetzgeberwillens sei, vermochte sich das OLG Hamm nicht anzuschließen. Die Rechtsbeschwerde in der Angelegenheit wurde auf Grund der unterschiedlichen Rechtsprechung jedoch zugelassen. Auch ist nicht bekannt, ob das OLG Hamm bereits Kenntnis von der oben genannten BGH-Entscheidung hatte. In der Vergangenheit hatte das OLG Hamm bereits verlauten lassen, dass eine klärende Entscheidung des BGH abzuwarten sei. Die bis dahin ergangene Entscheidung des II. Senats war offensichtlich nicht als abschließend betrachtet worden.


Oberlandesgericht Hamm

Beschluss

Auf die sofortige Beschwerde wird der angefochtene Beschluss abgeändert.

Die auf Grund des vor dem 31. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm geschlossenen Vergleichs vom 04.02.2009 von der Beklagten an die Kläger zu erstattenden Kosten werden anderweitig auf 4.069,92 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.01.2010 festgesetzt.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Beschwerdewert beträgt 1.038,33 EUR.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

Im Kostenfestsetzungsverfahren beantragten die Kläger u.a. bei der Ausgleichung eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG zzgl. einer 0,3 Erhöhungsgebühr nach Ziffer 1008 RVG VV, insgesamt also 2.659,20 EUR zzgl. Umsatzsteuer = 3.164,45 EUR, in Ansatz zu bringen.

Der Rechtspfleger hat diese Gebühr antragsgemäß in Ansatz gebracht.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten, die meint, die Verfahrensgebühr sei auf die Hälfte zu reduzieren, da insoweit die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr anzurechnen sei.

Der Beschwerde hat die Rechtspflegerin nicht abgeholfen und die Sache zur Entscheidung dem hiesigen Oberlandesgericht vorgelegt. Durch Beschluss vom 30.03.2010 hat die originär zuständige Einzelrichterin die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO auf den Senat übertragen.

2.

Die nach §§ 104 Abs. 3, 567 Abs. 2, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Klägers hat in der Sache Erfolg.

Die im Ausgangsverfahren angefallene 1,6 Verfahrensgebühr des Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist nur gekürzt in Höhe einer 0,85 fachen Gebühr in Ansatz zu bringen. Insoweit greift die Anrechnungsvorschrift in Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG, da – was unstreitig ist – der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bereits vorgerichtlich tätig geworden und dabei eine Geschäftsgebühr erwachsen ist und der Gegenstand dieser außergerichtlichen Tätigkeit und der Prozessvertretung im anschließenden gerichtlichen Verfahren jeweils derselbe war.

Die 1,6 Verfahrensgebühr ist daher unter Anrechnung der vorprozessualen Geschäftsgebühr in Höhe einer 0,75 fachen Gebühr nach Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG nur mit 0,85 anzusetzen (vgl. BGH Beschl. v.22.01.2008 – VIII ZB 57/07, Beschl. v. 30.04.2008- III ZB 8/08, zitiert nach juris). Die angemeldete Gebühr war daher um einen Betrag in Höhe von 1.483,34 EUR zu reduzieren. Da die Beklagte nach der Kostengrundentscheidung 70 % der Kosten zu tragen hat, reduzieren sich die gegen sie festzusetzenden Kosten um einen Betrag in Höhe von 1.038,33 EUR.

3.

Die seit dem 05.08.2009 geltende Vorschrift des § 15 a RVG steht dem nicht entgegen. Der Senat ist mit den Oberlandesgerichten Düsseldorf (Beschluss vom 26.08.2009, 2 W 240/09), Frankfurt (Beschluss vom 10.08.2009, 12 W 91/09), Celle (Beschluss vom 26.08.2009, 2 W 240/09), dem Kammergericht (Beschluss vom 13.08.2009, 2 W 128/09) – zitiert jeweils nach juris – sowie dem 6. Familiensenat des Oberlandesgerichts Hamm (Beschluss vom 22.06.2009, 6 WF 154/09) und anders als die Oberlandesgerichte Stuttgart (Beschluss vom 11.08.2009, 8 W 339/09), OLG Dresden (Beschluss vom 13.08.2009, 3 W 793/09),Koblenz (Beschluss vom 01.09.2009, 14 W 553/09) und Köln (Beschluss vom 14.09.2009, 17 W 195/09) der Auffassung, dass § 15 a RVG wegen der zumindest entsprechend anwendbaren Überleitungsvorschrift des § 60 Abs. 1 RVG auf das vorliegende Verfahren keine Anwendung findet, weil der Auftrag zur Rechts-/Prozessvertretung des Antragstellers vor Inkrafttreten des § 15 a RVG (05.08.2009) erteilt worden ist.

Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird auf die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 30. März 2010 (Bl. 1533 -1538 d. A.) Bezug genommen.

Auch die Entscheidungen des II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 02.09.2009 – II ZB 35/07, zitiert nach juris, sowie des XII. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes vom 09.12.2009 – XII 175/07 – und 03.02.2010 – XII ZB 177/09 sowie IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes vom 11.03.2010 – IX ZB 82/08 – geben dem Senat keine Veranlassung, von dieser Rechtsauffassung abzuweichen. Mit seiner Beurteilung der Rechtslage vor Inkrafttreten des § 15 a RVG steht der II. Zivilsenat im Gegensatz zur Rechtsprechung des I., III., IV und VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs.(vgl. Beschlüsse vom 20.10.2005, I ZB 21/05; vom 30.04.2009, III ZB 8/08; IV ZB 16/08; vom 18.08.2009, VIII ZB 17/09; vom 25.07.2008, zitiert nach juris), der sich der Senat angeschlossen hat. Danach handelt es bei der Regelung des § 15 a RVG um eine Gesetzesänderung und nicht um eine bloße Klarstellung des wahren Willens des Gesetzgebers (vgl. auch KG Berlin, Beschluss vom 13.10.2009, 27 W 98/09; Tz. 19; zitiert nach juris).

Der sofortigen Beschwerde der Beklagten war daher vollumfänglich stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Wertfestsetzung bemisst sich nach dem Abänderungsinteresse der Beklagten.

4.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde war nach § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2, 2. Alt., Abs. 3 Satz 1 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, weil der Senat von der Rechtsauffassung der Oberlandesgerichte Dresden, Koblenz, Köln ,Stuttgart und des II., IX. und XII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, § 15 a RVG sei keine Gesetzesänderung im Sinne des § 60 Abs. 1 RVG, abweicht.

Durch die Entscheidung des II. Zivilsenats über dieAnwendung des § 15 a RVG auf „Altfälle“ ist diese Rechtsfrage noch nicht abschließend geklärt. Sie stützt sich auf eine Beurteilung der Rechtslage vor Einführung des § 15 a RVG, die von anderen Senaten des Bundesgerichtshofs nicht geteilt wird. Eine Entscheidung dieser Rechtsfrage durch den Großen Senat des Bundesgerichtshofs für Zivilsachen liegt, soweit ersichtlich, noch nicht vor.

Die Rechtssache hat daher grundsätzliche Bedeutung. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gefordert.

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