OLG Hamm: Anrechnung von Geschäftsgebühr auf Verfahrensgebühr auch bei zwischenzeitlich erfolgter Abtretung des eingeklagten Anspruchs

veröffentlicht am 5. Dezember 2011

OLG Hamm, Beschluss vom 13.05.2011, Az. I-25 W 95/11
Nr. 3200, 2300 VV RVG; Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG; § 15 a RVG; § 104 ZPO; § 398 BGB

Das OLG Hamm hat entschieden, dass eine vorgerichtlich angefallene Geschäftsgebühr auch dann auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist, wenn der Prozessbevollmächtigte außergerichtlich zunächst für den ursprünglichen Inhaber der Forderung und gerichtlich dann nach zwischenzeitlich erfolgter Abtretung für den neuen Inhaber auftritt. Der Gegenstand beider Aufträge sei auf Grund der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise derselbe, auch wenn zwei unterschiedliche Auftraggeber vorlägen. Zum Volltext der Entscheidung:


Oberlandesgericht Hamm

Beschluss

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.042,04 € festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

A.

Die Klägerin nahm die Beklagte auf Schadensersatz aus abgetretenem Recht wegen einer nach ihrem Vortrag fehlerhaften Anlageberatung gegenüber dem Zedenten in Anspruch. Gegenstand der Klage war unter anderem ein Anspruch auf Zahlung von 5.863,09 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit.

Nach der Klagebegründung handelte es sich hierbei um eine 2,3 Geschäftsgebühr nebst Umsatzsteuer, welche der Zedent wegen einer vorgerichtlichen Tätigkeit des Klägervertreters für ihn hat aufwenden müssen.

Der Klägervertreter hatte mit Schreiben vom 04.12.2008 im Namen des Zedenten Schadensersatzansprüche gegenüber der Beklagten geltend gemacht, eine Zahlungsfrist gesetzt und Gesprächsbereitschaft signalisiert.

Durch ein am 28.10.2009 verkündetes Urteil des Landgerichts wurde die Beklagte unter anderem verurteilt, an die Klägerin 5.963,09 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.03.2009 zu zahlen. In den Entscheidungsgründen wurde hierzu ausgeführt, dass die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren habe.

Das landgerichtliche Urteil wurde nach wechselseitiger Berufung der Parteien insoweit in Höhe von 5.963,09 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.12.2008 durch Urteil des 31. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 20.09.2010 bestätigt. In den Gründen heißt es hierzu unter anderem, dass der Klägerin aus abgetretenem Recht ein Anspruch auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten zusteht.

Die Kosten des Rechtsstreits wurden in vollem Umfang der Beklagten auferlegt.

Das Berufungsurteil ist rechtskräftig.

Der Klägervertreter hat mit Schriftsatz vom 30.12.2009 die Festsetzung eines Kostenerstattungsanspruches der Klägerin für die erste Instanz beantragt und dabei eine ungekürzte Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht.

Das Landgericht hat zunächst durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10.01.2011 zugunsten der Klägerin eine ungekürzte Verfahrensgebühr für die erste Instanz festgesetzt.

Gegen den am 13.01.2011 zugestellten Beschluss hat die Beklagte mit einem am 26.01.2011 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt und mit dieser eine anteilige Anrechnung der für die vorgerichtliche Tätigkeit des

Klägervertreters entstandenen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr angestrebt.

Die Beklagte hat hierzu im Wesentlichen die Auffassung vertreten, die Klägerin müsse sich die ihr zuerkannte Geschäftsgebühr anrechnen lassen. Es sei dabei unerheblich, dass der Klägervertreter vorgerichtlich für den Zedenten und gerichtlich für die Zessionarin tätig geworden sei, weil sich die Tätigkeit des Klägervertreters auf denselben Gegenstand bezogen habe.

Die Klägerin ist der Ansicht gewesen, sie müsse sich die aufgrund der Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten für den Zedenten entstandene Geschäftsgebühr nicht auf die Verfahrensgebühr anrechnen lassen, weil es an der notwendigen Gegenstandsidentität fehle. Es liege keine Rechtsnachfolge in ein Prozessrechtsverhältnis vor, sondern es handele sich um zwei Angelegenheiten unterschiedlicher Auftraggeber. Zu ihren Gunsten sei keine Geschäftsgebühr, sondern ein eigenständiger Schadensersatzanspruch wegen vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten tituliert worden.

Mit Schriftsatz vom 19.01.2011 hat der Klägervertreter eine Kostenerstattung für die zweite Instanz angemeldet und dabei ebenfalls eine ungekürzte Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht.

Hierzu hat die Beklagte die Ansicht vertreten, es sei eine anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr vorzunehmen, die auch in der 2. Instanz erfolgen könne.

Daraufhin hat das Landgericht in dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 09.02.2011 im Rahmen der Festsetzung des Kostenerstattungsanspruches der Klägerin für die zweite Instanz die vorgerichtliche Geschäftsgebühr mit einem Satz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr der zweiten Instanz angerechnet.

Die Beklagte hat daraufhin die sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10.01.2011 zurückgenommen.

Gegen den am 22.02.2011 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss hat die Klägerin mit einem am 25.02.2011 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie den Ansatz einer nicht um eine anteilige Geschäftsgebühr gekürzten Verfahrensgebühr anstrebt.

Mit der Beschwerde vertieft die Klägerin ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie meint weiterhin, es müsse zur Annahme desselben Gegenstandes ein personeller Zusammenhang vorliegen, der bei einem auf die außergerichtliche Tätigkeit beschränkten Auftrag des Zedenten und einem auf die gerichtliche Tätigkeit beschränkten Auftrag der Zessionarin fehle. Seitens der Rechtsprechung werde bei einem Tätigwerden des Rechtsanwalts für mehrere Auftraggeber für die Bejahung desselben Gegenstandes gefordert, dass zwischen den Auftraggebern eine Rechtsgemeinschaft bestehe.

Darüber hinaus weise das Berufungsurteil im Tenor nicht ausdrücklich eine bezifferte Geschäftsgebühr aus, was aber erforderlich sei, um eine Titulierung der Geschäftsgebühr im Sinne des § 15 a Abs. 2 RVG annehmen zu können.

Die Beklagte begehrt unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde.

Der Rechtspfleger hat der sofortigen Beschwerde durch Beschluss vom 01.03.2011 nicht abgeholfen und das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.

Die Einzelrichterin hat durch Beschluss vom 13.05.2011 das Beschwerdeverfahren auf den Senat übertragen.

B.

Die nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 2, 569 Abs. 1 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Die im Ausgangsrechtsstreit nach Nr. 3200 VV RVG für den Klägervertreter angefallene Verfahrensgebühr ist durch Anrechnung einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG in Höhe eines Gebührensatzes von 0,75 zu kürzen.

1.

Die Geschäftsgebühr kann anteilig auch auf die in zweiter Instanz entstandene Verfahrensgebühr angerechnet werden. Die eine Anrechnung regelnde Vorschrift der Vorbem. 3 Abs. 4 VV zum RVG bezieht sich auf sämtliche Gebühren des Abschnittes 3 des VV zum RVG, worüber zwischen den Parteien kein Streit besteht (vgl. dazu auch Hessisches Finanzgericht, Beschluss vom 26.02.2010, AZ: 11 KO 103/10, Tz. 8 = RVG-Report 2010, 308-309, FG Köln, Beschluss vom 30.07.2009, AZ: 10 KO 1450/09, Tz. 13 = AGS 2010, 288-292, Niedersächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 28.02.2011, AZ: 16 KO 7/10, Tz. 9).

2.

Der Klägervertreter hat unstreitig wegen seiner außergerichtlichen Tätigkeit für den Zedenten eine Geschäftsgebühr nach Ziff. 2300 VV zum RVG verdient.

2.

Diese Geschäftsgebühr ist in dem von dem Landgericht vorgenommenen Umfang gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 S. 1 VV zum RVG auf die von dem Klägervertreter verdiente Verfahrensgebühr anzurechnen, denn die Geschäftsgebühr ist wegen desselben Gegenstandes entstanden wie die Verfahrensgebühr.

a)

Der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit wird durch das Recht oder Rechts- verhältnis bestimmt, auf das sich die jeweilige Tätigkeit des Rechtsanwalts bezieht. Derselbe Gegenstand liegt vor, wenn der Rechtsanwalt wegen desselben Rechts

oder Rechtsverhältnisses tätig wird (vgl. dazu Gerold/Schmidt/Müller-Rabe Ziff. 1008 VV zum RVG Rdnr. 135, BVerfG, Beschluss vom 15.07.2007, AZ: 1 BvR 1174/90, Tz. 17 = NJW 1997, 3430-3432, BGH, Urteil vom 14.03.2007, AZ: VIII ZR 184/06, Tz. 15 = NJW 2007, 2050, Urteil vom 17.06.2004, AZ: IX ZR 56/03, Tz. 7 = JurBüro 2005, 141 ff, KG, Urteil vom 01.07.2009, AZ: 11 U 59/08, Tz. 42 = KGR Berlin 2009, 880-884).

Nach Auffassung des BGH wird dabei der Gegenstand durch den Auftrag des Auftraggebers bestimmt (vgl. dazu BGH aaO).

Dies führt aber entgegen der Ansicht der Klägerin nicht zu der Annahme, dass wegen des Vorliegens eines Auftrages des Zedenten bezüglich der außergerichtlichen Tätigkeit und eines weiteren Auftrages der Zessionarin betreffend die gerichtliche Tätigkeit auch von zwei Gegenständen auszugehen ist.

Die Frage, ob ein Gegenstand vorliegt oder zwei Gegenstände anzunehmen sind, ist anhand einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise vorzunehmen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 14.03.2007, AZ: VIII ZR 184/06, Tz. 15 = NJW 2007, 2050). Darüber hinaus zieht der BGH die Reichweite des Auftrages heran, um den Umfang des materiellen Begehrens des Mandanten zu bestimmen, auf das sich die anwaltliche Tätigkeit bezieht. Hingegen ist nicht entscheidend, ob sich ein Auftrag zunächst nur auf die außergerichtliche Vertretung bezieht und ein Auftrag nur auf die gerichtliche Durchsetzung der geltend gemachten Ansprüche. Die Entstehung einer vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nach Ziff. 2300 VV zum RVG setzt gerade voraus, dass zunächst ein separater Auftrag für die außergerichtliche Vertretung erteilt wird und dann ein separater Klageauftrag. Hat der Rechtsanwalt von vornherein einen Verfahrensauftrag, dann entsteht keine separate Geschäftsgebühr nach Ziff. 2300 VV zum RVG, sondern ist eine außergerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts von der Verfahrensgebühr erfasst. Auch wenn der Rechtsanwalt einen Mandanten sowohl außergerichtlich als auch gerichtlich vertritt, erhält er zwei Aufträge, wenn er zunächst nur außergerichtlich tätig werden soll und dann mit der gerichtlichen Vertretung beauftragt wird. Soweit es – bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise – um denselben Anspruch oder dasselbe Recht geht, betrifft seine Tätigkeit aber unzweifelhaft denselben Gegenstand.

b)

Der Umstand, dass hier der Auftrag zur außergerichtlichen Vertretung und der Auftrag zur gerichtlichen Vertretung von zwei verschiedenen Personen erteilt wurden, ändert nichts daran, dass das von der anwaltlichen Tätigkeit betroffene Recht dasselbe bleibt.

Dem kann die Klägerin nicht entgegenhalten, dass zwischen dem Zedenten und der Zessionarin keine Rechtsgemeinschaft besteht. Soweit in der Rechtsprechung für die Bejahung desselben Gegenstandes das Bestehen einer Rechtsgemeinschaft gefordert wird (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 15.07.1997, AZ: 1 BvR 1174/90 Tz. 17 = NJW 1997, 3430-3432), kann dies auf die vorstehende Konstellation nicht übertragen werden. Die Rechtsprechung bezieht sich nämlich auf Fallgestaltungen, bei denen

der Rechtsanwalt für mehrere Auftraggeber gleichzeitig Ansprüche oder Rechte geltend macht. Über das Kriterium der Rechtsgemeinschaft wird die Geltendmachung eines einheitlichen Rechts in gemeinschaftlicher Trägerschaft, was zur Annahme desselben Gegenstands führt, von der Verfolgung nebeneinander bestehender Rechte abgegrenzt. Im Falle der Geltendmachung von Ansprüchen aus abgetretenem Recht ist es – von dem Sonderfall des gewillkürten Parteiwechsel auf Klägerseite während des Rechtsstreits (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 19.10.2006, AZ: V ZB 91/06, Tz. 14 = NJW 2007, 769-772) abgesehen – zwangsläufig so, dass der Anwalt das Recht nicht für mehrere Auftraggeber gleichzeitig geltend macht. Entscheidend für die Abgrenzung zwischen dem Vorliegen eines Gegenstandes oder zweier Gegenstände ist, ob es sich um die Geltendmachung eines einheitlichen Rechts handelt oder um Rechte, die den Personen, die der Anwalt vertritt, unabhängig voneinander zustehen. Hier kann der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nur entweder dem Zedenten oder der Zessionarin zustehen, was zu der Annahme eines einheitlichen Rechts führen muss.

Der Sinn und Zweck der Anrechnung, einer Arbeitsersparnis des Rechtsanwalts Rechnung zu tragen, greift hier ebenfalls ein. Aufgrund der vorgerichtlichen Befassung mit dem Sachverhalt aufgrund des Auftrages des Zedenten konnte sich der Klägervertreter bereits mit der Materie vertraut machen. Die Abtretung führte nicht dazu, dass er sich für das Klageverfahren den Sach- und Streitstand sowie die Rechtslage neu erarbeiten musste.

c)

Die von der Klägerin zitierte Literatur und Rechtsprechung, die belegen soll, dass im Falle eines Auftraggeberwechsels eine neue Angelegenheit beginnt (vgl. dazu die Zitate im Schriftsatz vom 30.09.2010 Bl. 845 d. A, im Schriftsatz vom 22.03.2001, Bl. 913 d. A. und im Schriftsatz vom 06.04.2001, Bl. 922 d. A.), ist nicht einschlägig, denn sie bezieht sich auf den Begriff der Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG, nicht aber auf denjenigen des Gegenstandes im Sinne der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV zum RVG. Beide Begriffe sind voneinander zu unterscheiden (vgl. dazu OLG Koblenz, Beschluss vom 26.06.2008, AZ. 14 W 404/08, Tz. 5 = JurBüro 2009, 249). Eine Angelegenheit kann mehrere Gegenstände umfassen, aus einem einzigen Gegenstand können sich aber auch mehrere Angelegenheiten ergeben (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.04.2011, AZ: 17 W 14/11).

3.

Die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr ist auch im Verhältnis zu der Beklagten zu berücksichtigen.
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a)

Nach § 15 a Abs. 1 RVG betrifft die Anrechnung das Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandanten und wirkt sich grundsätzlich nicht im Verhältnis zu Dritten, insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, aus (BGH, Beschluss vom 2.September 2009, II ZB 35/07, NJW 2009, 3101, 3102; Beschluss vom 9. Dezember

2009, XII ZB 175/07, FamRZ 2010, 456, 457). Bei der Kostenerstattung ist die Anrechnung nur dahingehend zu berücksichtigen, dass der kostenpflichtige Gegner nicht mehr zuerstatten hat, als die obsiegende Partei ihrem Prozessbevollmächtigten aus dem Mandatsverhältnis schuldet (BGH, Beschluss vom 29. April 2010, V ZB 38/10).

Dem kann die Klägerin nicht entgegenhalten, dass eine unterbleibende Anrechnung hier nicht dazu führen würde, dass die Beklagte mehr zu erstatten hätte als die Mandanten des Klägervertreters, weil die Zessionarin die volle Verfahrensgebühr und der Zedent die volle Geschäftsgebühr auszugleichen hätten. Die Zessionarin hat nämlich nur eine unter Berücksichtigung der Anrechnung sich ergebende Verfahrensgebühr zu entrichten, da – wie oben ausgeführt – die Voraussetzungen der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV zum RVG vorliegen.

b)

Eine Anrechnung findet im Kostenfestsetzungsverfahren in den in § 15 a Abs. 2 RVG gesetzlich geregelten Fällen statt.

Danach können sich Dritte – hier die erstattungspflichtige Beklagte – auf die Anrechnung nur berufen, soweit sie den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen sie ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen sie geltend gemacht werden.

Die von dem Klägervertreter für dessen vorgerichtliche Tätigkeit verdiente Geschäftsgebühr wurde durch das Urteil des 31. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 20.09.2010 tituliert. Die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 5.963,09 € bezieht sich auf die infolge der vorgerichtlichen Tätigkeiten des Klägervertreters für den Zedenten entstandene Geschäftsgebühr. Dies ist unzweifelhaft den Gründen des Berufungsurteils sowie der Klagebegründung zu entnehmen. Die Klägerin hatte nämlich die Geschäftsgebühr im Wege des Schadensersatzes gegenüber der Beklagten eingeklagt.

aa)

Dem kann die Klägerin nicht entgegenhalten, es sei nicht die vorgerichtliche Geschäftsgebühr, sondern ein Schadensersatzanspruch tituliert worden. Dass ein Schadensersatzanspruch tituliert wurde, schließt nicht aus, dass es sich dabei um die vorgerichtliche Geschäftsgebühr handelt. Die durch die vorgerichtliche Tätigkeit des Klägervertreters entstandene Geschäftsgebühr ist Bestandteil des dem Zedenten entstandenen und von dieser im Klagewege geltend gemachten Schadens. Gegenüber einem Beklagten kann eine Geschäftsgebühr zwangsläufig nur im Wege der Verfolgung eines materiellen Kostenerstattungsanspruches und damit aufgrund eines Schadensersatzanspruches nach § 280 Abs. 1 BGB oder nach § 280 Abs. 2, 286 BGB tituliert werden. Würde man die Titulierung eines Schadensersatzan- spruches für die Anwendung des § 15 a Abs. 2 Alt. 2 RVG nicht ausreichen lassen, liefe diese Variante der Anrechnung leer, was nicht gemeint sein kann.

bb)

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist für eine Titulierung nicht erforderlich, dass im Tenor des Urteils ausdrücklich erwähnt ist, dass der zuerkannte Betrag die vorgerichtliche Geschäftsgebühr betrifft. Es genügt, dass sich dies anhand der Aktenlage zweifelsfrei feststellen lässt.

Die Klägerin stützt sich in diesem Zusammenhang zu Unrecht auf den Beschluss des BGH vom 07.12.2010 (AZ: VI ZB 45/10). Diese Entscheidung ist für die hier vorliegende Fallgestaltung nicht einschlägig, denn der BGH hat darin lediglich zum Ausdruck gebracht, dass von einer Titulierung der Geschäftsgebühr in einem Vergleich jedenfalls dann nicht ausgegangen werden könne, wenn nicht ausdrücklich festgehalten werde, dass und in welchem Umfang die Geschäftsgebühr in die Vergleichssumme Eingang gefunden hat. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass bei der Festlegung der Vergleichssumme seitens des Klägers auch auf Teile des von ihm reklamierten Anspruchs verzichtet wird. Soweit aus dem Vergleichstext nicht hervorgeht, dass und in welchem Umfang die Geschäftsgebühr bei der Bemessung des Vergleichsbetrages berücksichtigt wurde, besteht die Möglichkeit, dass der Kläger insoweit auf sie verzichtet hat, was gerade bedeutet, dass die Geschäftsgebühr nicht tituliert wurde. Damit ist die hier vorliegende Konstellation, bei der die Geschäftsgebühr separat im Urteilstenor ausgewiesen wurde, nicht ansatzweise zu vergleichen.

4.

Die seit dem 5. August 2009 geltende Vorschrift des § 15 a RVG, die entgegen der früheren BGH-Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 22.01.2008, VIII ZB 57/07, NJW 2008, 158-161) die Anrechnungsregelung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG auf das Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant beschränkt, findet vorliegend – in einem sog. „Altfall“ – Anwendung.

Der Senat hat sich – wie auch der 6. Familiensenat des hiesigen Oberlandesgerichts – unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. Beschluss vom 6. November 2009, 25 W 461/09) aus Gründen der Vereinheitlichung der Rechtsprechung im OLG-Bezirk Hamm der Auffassung der Senate des Bundesgerichtshofs angeschlossen, die bisher über diese Frage entschieden haben. Danach kommt § 15 a RVG als bloße Klarstellung des Gesetzgebers zu Vorbemerkung 3 Abs. 4 VVRVG auch in den Fällen zur Anwendung, in denen die Geschäftsgebühr vor dem 5. August 2009 angefallen ist.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

III.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes orientiert sich an dem Abänderungsinteresse der Klägerin.

IV.

Der Senat hat die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

1.

Die Sache hat grundsätzliche Bedeutung, denn die Frage der Anrechnung einer durch die vorgerichtliche Tätigkeit für einen Zedenten entstandenen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr infolge der gerichtlichen Vertretung des Zessionars stellt sich in einer unbestimmten Anzahl von Fällen.

2.

Darüber hinaus weicht der Senat bei der Beurteilung der Frage, ob Geschäftsgebühr und Verfahrensgebühr in diesem Fall denselben Gegenstand betreffen von einer Entscheidung des OLG Frankfurt vom 03.01.2011 (AZ: 23 U 259/09) ab.

Vorinstanz:
LG Essen, Az.  11 O 30/09

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