OLG Hamm: Die Bewerbung eines „Vollkaskoimplantats“ (Zahnersatz) ist bei verbleibenden Zusatzkosten irreführend

veröffentlicht am 12. Juni 2013

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtOLG Hamm, Urteil vom 21.06.2011, Az. I-4 U 215/10
§ 8 Abs. 1 UWG, § 3 UWG, § 5 Abs. 1 UWG

Das OLG Hamm hat entschieden, dass eine Werbung für eine Garantie für Zahnimplantate mit den Begriffen „Vollkaskoimplantat“ und „Vollkaskozahnimplantat“ irreführend und daher wettbewerbswidrig ist, wenn diese Garantie erhebliche Ausschlüsse enthält, auf welche nicht deutlich genug hingewiesen wird. Dem allgemeinen Verkehr ist der Begriff „Vollkasko“ aus dem Bereich der Autoversicherung bekannt, wo sämtliche Schäden und Folgeschäden vom Versicherungsschutz umfasst sind (Ausnahme: Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit). Diese Begrifflichkeit werde der Verbraucher auf die streitgegenständliche Werbung übertragen und bei ungenügendem Hinweis auf die bestehenden Ausschlüsse getäuscht. Zitat:

„c.

Bei der Feststellung des Verkehrsverständnisses des angesprochenen Verkehrs sind vorliegend einerseits die Begriffe „Vollkaskoimplantat“ und „Vollkaskozahnimplantat“ zu umreißen wie andererseits der für diese Begriffe untypische Bereich der Zahnbehandlung mittels Implantate. Unstreitig kennt der angesprochene Verkehrskreis den Begriffsteil Vollkasko aus dem Bereich der Fahrzeugversicherung. In diesem Zusammenhang steht er dafür, dass von der jeweiligen Versicherungs-gesellschaft mit Ausnahme von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit sämtliche Schäden sowie Folgeschäden von dem Versicherungsschutz umfasst sind. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts (S. 7) verwiesen werden.

Ausweislich der Garantiebedingungen enthält die hier angebotene Garantie erhebliche Ausschlüsse: der volle Garantieumfang tritt erst nach sechs Monaten nach der Insertion in Kraft; es wird nach Implantatverlust zwar das Implantat ersetzt, jedoch wird für die nachfolgende Prothetik lediglich ein Zuschuss von 200,- € ersetzt; nicht von der Garantie erfasst sind die Röntgenleistungen sowie etwaige Sonderleistungen, wie Sinuslift, Knochenaugmentation und Bone Spreading sowie alle damit zusammenhängenden Leistungen; die Übernahme der Behandlungs-kosten für das Einbringen des Ersatzimplantats werden auf einen maximalen Gebührensatz von 2,3 beschränkt.

Die Verwendung des Begriffs „Vollkasko“ für den Bereich von Zahnimplantaten ist untypisch. Eine feststehende Bedeutung gibt es diesbezüglich nicht. Insofern wird sich der Verkehr fragen, was damit gemeint ist, und dann auch die weiteren werblichen Äußerungen lesen (vgl. Senat Urteil v. 22.06.2010, Az.: 4 U 28/10 – Schutzbrief).

Da der Begriff „Vollkasko“ im Zusammenhang mit Zahnimplantaten untypisch ist, kommt den Erläuterungen des so bezeichneten Angebots maßgebliche Bedeutung zu.

d.

Die Erläuterungen auf der Internetseite www.periointegration.de (Anlage K 1) beseitigen nicht den – unzutreffenden – Eindruck des Lesers, dass das Vollkaskoimplantat oder Vollkaskozahnimplantat einen nahezu umfassenden Schutz im Falle eines Implantatverlusts gewährt.

Auf der Seite 1 dieser Internetseite wird in der oberen Hälfte dargestellt, dass die Beklagte zu 1) mit derzeit 20 Mitarbeitern von C2 aus die weltweite Vermarktung „des Vollkaskozahnimplantats Perio TypeX-Pert“ betreibt. Soweit an dieser Stelle der Link „(mehr…)“ erscheint, rechnet der Leser nicht unbedingt damit, dass das Produkt selbst genauer erklärt wird oder gar Garantiebedingungen dargestellt werden, weil es in diesem Text schwerpunktmäßig um die Vertriebsbemühungen für das Produkt der Beklagten zu 1) geht.

Im nächsten Abschnitt wird von einer Forsa-Umfrage berichtet, wonach 71 % aller Deutschen sich für ein Zahnimplantat entscheiden würden, wenn sie von ihrem Zahnarzt ohne Maklerkosten eine 10-Jahres-VollkaskoGarantie auf kostenfreien Ersatz des Implantats erhalten würden. Die Begriffe „Garantie“ und „kostenfreier Ersatz“ verstärken dabei noch den Eindruck eines umfassenden Schutzes durch das Vollkaskoimplantat. Auch an dieser Stelle erscheint der Link „(mehr…)“. Aber auch hier rechnet der Leser nicht zwingend mit einer genaueren Erklärung des Produktes oder Darstellung der Garantiebedingungen.

Im letzten Abschnitt dieser Seite geht es dann um den Implantatschutzbrief, der Wachstumspotential schafft. Hier ist wiederum von einer „10-Jahres-Garantie“ die Rede. Ob der an dieser Stelle erscheinende Link „(mehr…)“ ausreicht, um den daraufhin erscheinenden Text an der Werbeaussage auf Seite 1 der Internetseite teilhaben zu lassen, kann dahingestellt bleiben.

Denn der Text, der bei Anklicken des Links erscheint, ist nicht ausreichend, um den Verbraucher darüber zu informieren, dass sich trotz des Vollkaskoschutzes erhebliche Kostenlücken auftun können. Zwar ist unter der Überschrift „Was umfasst die Garantie“ die Karenzzeit von 6 Monaten und die Begrenzung auf einen 2,3-fachen GOZ-Satz bei den Kosten des Einsetzens des neuen Implantats erwähnt. Jedoch bleibt völlig außen vor, dass für die prothetische Versorgung der Festkostenzuschuss auf 200,- € begrenzt ist und die Röntgenleistungen sowie etwaige Sonderleistungen, wie Sinuslift, Knochenaugmentation und Bone Spreading nicht erfasst sind.

Wären nur die in dem Text erwähnten Begrenzungen für das Vollkaskoimplantat gültig, könnte der Leser tatsächlich noch von einem in gewisser Weise relativ umfassenden Schutz im Falle des Implantatverlusts ausgehen. Nimmt man aber die in dem Text nicht erwähnten Begrenzungen hinzu, bleibt trotz der Bewerbung mit dem Begriff „Vollkasko“ gegebenenfalls noch ein erhebliches Kostenrisiko. Auch auf die Garantiebedingungen wird nicht hingewiesen. Damit vermittelt die Internetseite www.periointegration.de (Anlage K 1) einen irreführenden Eindruck.

4.

Die durch die Anlage K 1 verursachten Fehlvorstellungen sind auch wettbewerbs-rechtlich relevant. Sie können dazu führen, dass an Zahnersatz interessierte Personen die von der Beklagten zu 1) beworbenen Waren und Dienstleistungen in Anspruch nehmen, weil sie glauben, für 10 Jahre eine nahezu uneingeschränkte finanzielle Sicherheit für den Fall des Implatatverlusts zu erhalten. Sie sind geeignet, den Verbraucher daran zu hindern, eine informationsgeleitete Entscheidung zu treffen.

[…]

Diese Werbung ist auch unlauter im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UWG. Sie stellt eine Irreführung dar. In der Überschrift heißt es „Zahnimplantate: 10 Jahre Sicherheit zum Nulltarif / Neu: Implantatschutzbrief für Vollkaskoimplantat bietet jetzt 10-Jahres-Garantie auf Ersatz und Behandlungskosten – Für Patienten und Ärzte kostenfrei“. In dem folgenden Text wird wieder auf die Forsa-Umfrage (vgl. III. 3. d. / Anl. K 1) Bezug genommen, in der von einer mehrjährigen Garantie die Rede ist. Im dritten Absatz wird der Leistungsumfang weiter dargestellt mit den Begriffen „Anspruch auf kostenfreien Implantatersatz“. Weiter heißt es „Zusätzlich umfasst der Schutz die notwendigen Implantatbestandteile, die für die Kronen- und Brückenherstellung benötigt werden. Abgedeckt sind darüber hinaus auch die Behandlungskosten für das standardmäßige Einsetzen des Ersatzimplantats. Die Versicherung ist im Implantatspreis bereits enthalten und damit für Zahnärzte und Patienten kostenfrei.“ Ein Verweis auf die kompletten Garantiebedingungen fehlt. Es fehlt insbesondere der Hinweis, dass die Röntgenleistungen sowie etwaige Sonderleistungen, wie Sinuslift, Knochenaugmentation und Bone Spreading sowie alle damit zusammenhängenden Leistungen nicht von dem Schutzbrief umfasst sind. Weiter fehlt der Hinweis, dass die Behandlungskosten an sich nur bis zu einem Steigerungsfaktor von 2,3 getragen werden und für die prothetische Versorgung nur ein Festkostenzuschuss von 200,- € gewährt wird. Wie bereits bei der Anlage K 1 (vgl. III. 3.) entsteht hier der Eindruck eines nahezu umfassenden Schutzes, indem bei gleichzeitiger Verwendung des Begriffes Vollkaskoimplantat auf erhebliche Ausschlüsse nicht hingewiesen wird.“

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