OLG Karlsruhe: Wenn Großeltern im Kampf gegen das Jugendamt wegen entzogenem Sorgerecht Bilder ihres Enkels ins Internet stellen / Zur öffentlichen Zugänglichmachung von Kinderbildern

veröffentlicht am 10. April 2011

Rechtsanwalt Dr. Ole DammOLG Karlsruhe, Beschluss vom 02.02.2011, Az. 1 (7) Ss 371/10-AK 99/10
§§ 33 Abs.1; 22 KUG

Das OLG Karlsruhe hat in einem bemerkenswerten Beschluss die rechtlichen Grundlagen für die Veröffentlichung von Kinderbildern im Internet aufgezeigt, wenn der für die Veröffentlichung der Bilder Berechtigte (hier: Jugendamt) seine Einwilligung verweigert. Zum Beschluss im Volltext:


Oberlandesgericht Karslruhe

Beschluss

In der Sache

gegen

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 04.03.2010 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Baden-Baden zurück verwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht … verurteilte den Angeklagten am 27.05.2008 wegen öffentlichen Zurschaustellens von Bildnissen ohne Einwilligung des Abgebildeten in zwei Fällen zu der Gesamtgeldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 20 Euro. Seine unbeschränkt eingelegte Berufung verwarf das Landgericht Baden-Baden mit Urteil vom 04.03.2010.

Nach den getroffenen Feststellungen stellte der Angeklagte als verantwortlicher Domaininhaber in der Zeit zwischen dem 13.08.2005 und Juni 2007 unter www. … .de und in der Zeit nach dem 08.12.2007 bis 13.02.2008 unter www. … .eu jeweils ein zunächst nur als geschwärzte Silhouette erscheinendes, durch Überstreichen des Bildes mit dem Mauszeiger sichtbar zu machendes Lichtbild seines am 25.10.2001 geborenen Enkels … in das Internet ein, obwohl er wusste, dass das Jugendamt der Stadt …, welchem vom Amtsgericht … mit Beschluss vom 10.09.2004 ((10 F 50/04) das Recht der Personensorge für das Kind übertragen worden war, hiermit nicht einverstanden war. Die Einstellung des Lichtbildes erfolgte im Zusammenhang mit von dem Angeklagten auf den genannten Internetseiten veröffentlichen Berichten und Darstellungen über das aus dessen Sicht ungerechtfertigte Verhalten des Jugendamtes der Stadt … und dessen Auseinandersetzungen mit dieser Behörde.

II.
Das zulässige, form- und fristgemäß eingelegte Rechtsmittel ist begründet, weil die Urteilsgründe lückenhaft sind.

1.
Zu Recht geht die Strafkammer allerdings zunächst davon aus, dass die dem Angeklagten vorgeworfenen Straftaten noch verfolgbar sind, da der nach § 33 Abs. 2 KUG notwendige Strafantrag jeweils form- und fristgerecht gestellt wurde.

Antragsberechtigt war hier die Stadt …, welcher mit Beschluss des Amtsgerichts … vom 10.09.2004 (Az. 10 F 50/04) die Personensorge über [Name des Enkels] übertragen wurde (§ 77 Abs. 3 StGB; Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 77 Rn. 14).

Auch die dreimonatige Strafantragsfrist war jeweils gewahrt, denn diese beginnt bei Dauerdelikten erst mit der Kenntnis von der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes (RGSt 43, 285; BayObLG NJW 1965, 2862; Schönke-Schröder-Stree/Sternberg-Lieben, 28. Aufl. 2010, § 77 b Rn. 8), was bei der Tat Ziffer 1, bezüglich der Strafantrag am 05.11.2007 gestellt wurde, durch Abschalten der Homepage zwischen dem 05.09.2007 und dem 10.02.2008 und bei der Tat Ziffer 2, bezüglich der Strafantrag am 15.01.2008 gestellt wurde, durch Abschalten der Homepage am 13.02.2008 frühestens der Fall war. Dass die Strafkammer bezüglich der Tat Ziffer 1 unter III 1 der Urteilsgründe (UA S. 5) lediglich einen Tatzeitraum von 13.08.2005 bis Juni 2007 und nicht bis zum Abschalten der Homepage zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt zwischen dem 05.09.2007 und dem 10.02.2008 zugrunde gelegt hat, ist im Hinblick auf den frühestens mit der Beseitigung des rechtswidrigen Dauerzustandes – hier als frühestens ab dem 05.09.2007 – möglichen Beginn der Dreimonatsfrist rechtlich unerheblich.

2.
Zutreffend ist der Tatrichter auch davon ausgegangen, dass der Angeklagte durch Einstellen des Lichtbildes auf den Homepages ein Bildnis des Kindes  [Name des Enkels] im Sinne der §§ 33 Abs.1, 22 KUG öffentlich zur Schau gestellt hat, denn er hat hierdurch dieses „den Blicken anderer ausgesetzt“.

Insoweit ist es unerheblich, ob die Homepages des Angeklagten tatsächlich von Nutzern besucht wurden und dass das Bild erst nach Überstreichen mit der Maustaste sichtbar gemacht werden konnte, denn es reicht aus, dass hierzu jeweils die Möglichkeit bestand (VerfGH Berlin NJW-RR 2007, 1686; Dreier, in: Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetze, 3. Aufl. 2008. § 22 KUG Rn. 3,11).

Frei von Rechtsfehlern ist auch die Annahme des Landgerichts, dass ausschließlich das Jugendamt der Stadt … als Inhaber der Personensorge zur Entscheidung über die Einwilligung zur Veröffentlichung von Lichtbildern des zu den Tatzeiten 4 bis 7 Jahre alten Kindes berechtigt (vgl. Dreier, a.a.O, § 22 KUG, Rn. 25,26) und dem Angeklagten in subjektiver Hinsicht bekannt und bewusst war, dass das Jugendamt mit einer solchen Veröffentlichung nicht einverstanden war.

3.
Nicht in seine Prüfung mit einbezogen hat der Tatrichter jedoch die Möglichkeit einer Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung des Lichtbildes im Internet durch den Angeklagten.

Nach § 33 Abs. 1 KUG wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe nämlich nur bestraft, wer „entgegen §§ 22, 23 ein Bildnis verbreitet oder öffentlich zur Schau stellt“.

Die Vorschrift stellt damit nicht nur auf den Tatbestand des § 22 KUG ab, sondern bezieht auch die Ausnahmetatbestände des § 23 Abs.1 KUG ein. Da es einer Einwilligung nach § 23 Abs.1 Nr.1, Abs. 2 KUG aber dann nicht bedarf, wenn es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt und durch dessen Veröffentlichung ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten nicht verletzt wird (zum Verhältnis der Absätze 1 und 2 des § 23 KUG vgl. Dreier, a.a.O., § 23 KUG, Rn. 1,3, 25 ff.), hätte sich der Tatrichter vorliegend mit der Frage näher befassen müssen, ob das Kind durch die Geschehnisse und Auseinandersetzungen in Zusammenhang mit der Sorgerechtsübertragung auf das Jugendamt und deren an die Öffentlichkeit gerichtete kritische Kommentierung durch den Angeklagten im Internet in den Bereich der Zeitgeschichte gerückt und so zu einer sog. relativen Person der Zeitgeschichte geworden sein könnte. Eine solche Bewertung vermag der Senat hier nicht ohne weiteres auszuschließen, denn dieser Begriff ist weit gefasst und wird maßgeblich von dem durch Art. 5 GG verfassungsrechtlich geschützten legitimen Informationsinteresse der Öffentlichkeit einerseits und den gleichermaßen durch Art.1, 2 Abs.1 GG verfassungsrechtlich geschützten berechtigten Freiheits- und Persönlichkeitsrechten des Betroffenen andererseits bestimmt (vgl. Dreier a.a.O.).

Dem entspricht es, hinsichtlich der Abbildung solcher Personen, die lediglich in Bezug auf ein bestimmtes Geschehen in das Blickfeld der Öffentlichkeit treten und bei denen allein aufgrund dieses Geschehens ein öffentliches Interesse an ihrem Bildnis besteht – sog. relative Personen der Zeitgeschichte -, den Anwendungsbereich des § 23 Abs.1 Nr.1 KUG auf solche Bildnisse zu beschränken, die einen hinreichenden sachlichen, zeitlichen und örtlichen Bezug zu dem Ereignis aufweisen, welches das Informationsinteresse der Öffentlichkeit begründet. Dies schließt zwar die Verwendung von Bildern nicht grundsätzlich aus, die in anderem Zusammenhang aufgenommen wurden als bei dem Ereignis, über welches berichtet wird (VerfGH Berlin a.a.O m.w.N.; Dreier, a.a.O., § 23 KUG, Rn. 3).

In jedem Fall bedarf es aber für die Zulässigkeit einer solchen Bildveröffentlichung einer umfassenden einzelfallbezogenen Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit bzw. dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit einerseits und den schutzwürdigen Interessen des Abgebildeten andererseits,wobei die begleitende Wortberichterstattung eine wesentliche Rolle für die Bewertung spielen kann (BGHZ 174, 262; zum Ganzen vgl. Dreier, a.a.O., § 23 KUG, Rn. 8 ff., 25 ff.).

Da das Landgericht weder die für eine solche Abwägung gebotenen Feststellungen – hierzu gehört, soweit möglich, auch eine zumindest zusammenfassende Darstellung der im Zusammenhang mit der Abbildung des Kindes im Internet veröffentlichten Texte – getroffen noch das möglicherweise Vorliegen eines überwiegenden Interesses des Angeklagten an der Veröffentlichung des Lichtbildes unter dem Gesichtspunkt des Informationsinteresses der Öffentlichkeit geprüft hat, war das Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Baden-Baden zurück zu verweisen.

Um dem erneut zur Entscheidung berufenen Tatrichter die Möglichkeit zu geben, ohne Bindung an – bezüglich der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 22 KUG an sich rechtfehlerfrei getroffenen (vgl. oben 2) – bisherigen Feststellungen den Sachverhalt auch im Hinblick auf den Ausnahmetatbestand des § 23 Abs.1 Nr.1, Abs.2 KUG umfassend und widerspruchsfrei neu festzustellen, waren die im Urteil getroffenen Feststellungen ebenfalls aufzuheben.

Für die neue Verhandlung weist der Senat – vorbehaltlich der dort erneut zu treffenden Feststellungen – darauf hin, dass bei der gebotenen Abwägung unter anderem im Betracht zu ziehen sein wird, dass der Angeklagte eine im unmittelbaren Sachzusammenhang mit seinem Anliegen stehende, lediglich das Porträt zeigende neutrale Abbildung des Kindes in das Internet eingestellt hat und dass diese Abbildung keine Herabsetzung des Abgebildeten enthält.

Weiter wird zu prüfen und bejahendenfalls in die Abwägung mit einzustellen sein, ob der Angeklagte auch fremdnützige Ziele verfolgen wollte, nämlich eine breitere Öffentlichkeit auf das nach seiner Ansicht ungerechtfertigte Verhalten des Jugendamtes … und seine Auseinandersetzungen mit dieser Behörde aufmerksam zu machen. Außerdem wird zu erwägen sein, ob möglicherweise erst durch die Gesamtaussage, die sich aus der Verbindung des veröffentlichten Bildes mit dem begleitenden Text ergibt, die Öffentlichkeit wirksam auf das Anliegen des Angeklagten aufmerksam gemacht werden konnte (vgl. BGH NJW 1994, 124).

Anderseits wird zu bedenken sein, ob und ggf. in welchem Umfang durch die Veröffentlichung des Bildes des Kindes für dieses negative Folgen tatsächlich eingetreten sind oder ihm zumindest konkret, etwa auch aufgrund von möglichen Auswirkungen auf seine Pflegefamilie oder sein sonstiges persönliches Umfeld, gedroht haben. Dabei wird maßgeblich zu beachten sein, dass die Veröffentlichung von Bildnissen von Kindern zwar nicht generell unzulässig ist, jedoch Minderjährige insoweit besonders schutzbedürftig sind und einen erhöhten Persönlichkeitsschutz genießen – und zwar sowohl im Hinblick auf den Schutz ihrer Privatsphäre als auch im Hinblick auf ihr Recht auf eine ungestörte kindgemäße Entwicklung und Entfaltung (BGH NJW 2010, 1454; Dreier, a.a.O., § 23 KUG, Rn.26).

Auf das Urteil hingewiesen hat openjur.

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