OLG Köln: Filesharing – Gutachten über die Zuverlässigkeit der IP-Ermittlung muss aussagen, dass Fehler ausgeschlossen sind

veröffentlicht am 30. Januar 2012

Rechtsanwalt Dr. Ole DammOLG Köln, Beschluss vom 07.09.2011, Az. 6 W 82/11
§ 101 Abs. 9 S. 4, 6 und 7 UrhG

Das OLG Köln hat entschieden, dass ein Gutachten, das dazu dienen soll, die Zuverlässigkeit einer Software zur Ermittlung von IP-Adressen zu belegen, nicht nur die korrekte Zuordnung darlegen muss, sondern ebenso, dass Fehler bei der Ermittlung ausgeschlossen seien. Liege ein solches Gutachten nicht vor, bestehe kein Auskunftsanspruch gegen den Provider. Die nachträgliche Erstellung eines solchen Gutachtens sei ebenfalls nicht zielführend, da durch nicht sichergestellt werden könne, dass die Software zum Zeitpunkt der Feststellung der verfahrensgegenständlichen IP-Adressen korrekt gearbeitet habe. Zum Volltext der Entscheidung:


Oberlandesgericht Köln

Beschluss

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 14. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 214 O 3/11 – vom 16.3.2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.

Gründe

Die gemäß § 101 Abs. 9 S. 4, 6 und 7 UrhG, §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer richterlichen Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung von Verkehrsdaten hat keinen Erfolg, weil nicht festgestellt werden kann, dass von den in der Anlage ASt. 1 aufgelisteten IP-Adressen aus Rechtsverletzungen begangen worden sind.

Eine Anordnung nach § 101 Abs. 9 UrhG setzt voraus, dass eine offensichtliche Rechtsverletzung im Sinne des § 101 Abs. 2 UrhG vorliegt. Dabei bezieht sich das Erfordernis der Offensichtlichkeit in § 101 Abs. 2 UrhG neben der Rechtsverletzung auch auf die Zuordnung dieser Verletzung zu den begehrten Verkehrsdaten. Nach der Gesetzesbegründung soll durch dieses Tatbestandsmerkmal gewährleistet werden, dass ein Auskunftsanspruch nur dann zuerkannt wird, wenn eine ungerechtfertigte Belastung des Auskunftsschuldners ausgeschlossen erscheint; zugleich sei unter diesen Voraussetzungen auch der Verletzer nicht mehr schutzwürdig (BT-Drucks. 16/5048, S. 39). Der Schutz des unbekannten Dritten, dem das gesamte Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG dient, erfordert es daher, dass auch die Zuordnung der Rechtsverletzung zu den verfahrensgegenständlichen Verkehrsdaten dem Maßstab der Offensichtlichkeit gerecht wird (Senat, GRUR-RR 2009, 9, 11).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Das Landgericht hat auf der Grundlage des damaligen Verfahrensstandes sehr nachvollziehbare Bedenken im Hinblick auf den Umgang der Antragstellerin mit der Erstellung und Vorlage von eidesstattlichen Versicherungen aufgezeigt. Ob diese Bedenken auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens durchgreifend sind, oder ob das Verhalten der Antragstellerin auf der uneinheitlichen Praxis der verschiedenen zuständigen Kammern des Landgerichts Köln beruht und daher keine Rückschlüsse auf eine generelle Unzuverlässigkeit bei der Ermittlung und Darlegung der Rechtsverletzungen durch die Antragstellerin zulässt, kann indes dahinstehen, weil bereits grundsätzlich nicht festgestellt werden kann, dass das von der Antragstellerin eingesetzte Verfahren, insbesondere die Software, hinreichend zuverlässig Rechtsverletzungen ermittelt.

Die Antragstellerin setzt zur Erfassung der IP-Adressen das von ihr selbst entwickelte Such- und Überwachungsprogramm „Seeder Seek“ ein. Dieses Programm ermittelt – nach Eingabe der zu suchenden Hashwerte – weitgehend selbständig IP-Adressen, von denen aus Dateien mit entsprechenden Hashwerten aus angeboten werden. Auf Anfrage des Senats hat die Antragstellerin das Gutachten eines Unternehmens, das ausweislich seiner Firma EDV-Lösungen anbietet, vorgelegt. In dem Gutachten, das von der „Geschäftsleitung/CEO“ unterschrieben ist, ist dokumentiert, dass zwei Dateien, die in jeweils zwei verschiedenen Tauschbörsen angeboten worden sind, durch das Programm zutreffend aufgefunden worden seien. Auf den Hinweis des Senats, aus dem Gutachten ergebe sich weder die fachliche Qualifikation des Gutachters noch, ob Fehler ausgeschlossen sind, hat die Antragstellerin ein neues Gutachten angeboten.

Danach kann nicht mehr ermittelt werden, ob von den angegebenen IP-Adressen aus offensichtlich Rechtsverletzungen begangen worden sind:

Der bisherige Sachvortrag der Antragstellerin genügt nicht, um von der Zuverlässigkeit der Ermittlung der IP-Adressen auszugehen. Die eingesetzte Software ist nicht hinreichend validiert. Der Vortrag der Antragstellerin, die von ihr entwickelte Software arbeite zuverlässig, ist letztlich nur eine Behauptung. Auch die hierzu vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der von der Antragstellerin beauftragten Ermittlungsfirma beschränkt sich auf diese Wertung, die jedoch durch den Senat nicht nachvollzogen werden kann. Das vorgelegte Gutachten ist aus den bereits im Hinweis des Senats dargelegten Gründen unzureichend. Um die Zuverlässigkeit der Software festzustellen, genügt nicht der Nachweis, dass sie Rechtsverletzungen zutreffend ermittelt. Vielmehr ist eine Untersuchung erforderlich, ob es ausgeschlossen ist, dass IP-Adressen fehlerhaft ermittelt werden. Hierfür besteht vorliegend besonderer Anlass, weil es in der Vergangenheit bereits zu einer fehlerhaften Ermittlung von Rechtsverletzungen durch die eingesetzte Ermittlungsfirma gekommen ist, wie dies die 24. Zivilkammer in dem Beschluss vom 15.8.2011 (Az.: 224 O 212/11), der Gegenstand des Verfahrens vor dem Senat 6 W 178/11 war, dargelegt hat.

Die Einholung eines neuen Gutachtens (durch einen fachkundigen und unabhängigen Sachverständigen) ist nicht angezeigt, weil dadurch nicht festgestellt werden kann, ob die eingesetzte Software im Februar 2011 zuverlässig gearbeitet hat. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Software selbst unverändert geblieben ist (und die frühere Fehlermittlung nicht auf der Software, sondern menschlichem Versagen beruhte), ist doch nicht ersichtlich, dass auch alle weiteren technischen Parameter, von denen die korrekte Arbeitsweise der Software abhängen kann (Arbeitsweise/Version der Programme der aufgesuchten Tauschbörsen; sonstige Veränderungen der Systeme) unverändert geblieben sind und dies zudem beweissicher dokumentiert ist. Aus diesem Grund erfordert auch § 45g TKG eine zu dokumentierende fortlaufende Qualitätssicherung und eine regelmäßige (jährliche) Kontrolle der zur Ermittlung der dort in Rede stehenden Verbindungsdaten eingesetzten Systeme. Es ist daher ausgeschlossen, entsprechende Feststellungen nach Ablauf von mehr als sechs Monaten nach der angeblichen Rechtsverletzung mit einer dem Offensichtlichkeitserfordernis genügenden Verlässlichkeit nachzuholen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 101 Abs. 9 S. 4 UrhG i.V.m. § 84 FamFG.

Die Festsetzung eines Beschwerdewerts ist im Hinblick auf § 131a Satz 1, § 128e Abs. 1 Nr. 4 KostO nicht veranlasst.

Vorinstanz:
LG Köln, Az. 214 O 3/11

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