OLG Köln: Filesharing – Im Auskunftsverfahren kommt es nicht auf den wahren Täter an

veröffentlicht am 18. März 2011

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtOLG Köln, Beschluss vom 21.07.2010, Az. 6 W 63/10
§§ 101 Abs. 9 S. 4, 6 und 7 UrhG; 59 ff. FamFG

Das OLG Köln hat entschieden, dass ein Anschlussinhaber, der wegen Filesharings durch seine IP-Adresse und nachfolgenden Gerichtsbeschluss durch Auskunft des Providers ermittelt wurde, sich gegen diesen Auskunftsbeschluss nicht mit dem Argument, jemand anderes hätte den Download begangen, verteidigen kann. Das Gericht müsse und könne nicht feststellen, ob der nach dem Auskunftsbeschluss ermittelte Nutzer oder einer seiner Familienangehörigen tatsächlich vorsätzlich, fahrlässig oder auch unverschuldet in Rechte der Antragstellerin eingegriffen hatte. Unabhängig von der Person des wahren Rechtsverletzers genüge es, dass die Vornahme einer rechtsverletzenden Handlung zu einem bestimmten Zeitpunkt von einer bestimmten dynamischen IP-Adresse aus objektiv überwiegend wahrscheinlich gewesen sei. Dies habe die Antragstellerin glaubhaft machen können. Zum Volltext der Entscheidung:


Oberlandesgericht Köln

Beschluss

Die Beschwerde gegen den Beschluss der 17. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 217 O 48/10 – vom 17.03.2010 in Verbindung mit der Anlage zum Beschluss derselben Kammer vom 02.02.2010 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist Inhaberin des ausschließlichen Rechts, Tonaufnahmen des am 14.08.2009 als Single veröffentlichten Musikstücks „J’adore Hardcore“ der Gruppe „Scooter“ über dezentrale Computernetzwerke auszuwerten und zugänglich zu machen. Der Titel ist auf verschiedenen Kopplungstonträgern enthalten, u.a. auf der am 18.12.2009 veröffentlichten, 66 Musiktitel umfassenden Sammlung „Apres Ski Hits 2010“. Die Antragstellerin macht geltend, mit Hilfe einer speziellen Software zuverlässig ermittelt zu haben, dass dieses (durch den Hash-Wert der betreffenden Datei identifizierbare) Album am 31.01.2010 um 17:11:42 Uhr von der IP-Adresse 87.155.171.86 aus über ein Filesharing-Netzwerk (eine sogenannte Internet-Tauschbörse) zum Herunterladen angeboten wurde. Auf ihren Antrag ist der beteiligten Internet-Service-Providerin, der E. U. AG, von der der zuständigen Zivilkammer des Landgerichts gestattet worden, der Antragstellerin unter Verwendung von Verkehrsdaten Auskunft über den Namen und die Anschrift des Nutzers zu erteilen, dem diese IP-Adressen zu dem fraglichen Zeitpunkt zugewiesen war. Mit einem am 11.05.2010 beim Landgericht eingegangenen Schreiben rügt der Beschwerdeführer im Namen seines Sohnes den Beschluss der Kammer als fehlerhaft. Das Landgericht hat der Eingabe nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.
Zutreffend hat das Landgericht die als „Widerspruch“ bezeichnete Eingabe als Beschwerde gegen seinen Beschluss vom 17.03.2010 behandelt, den die Antragstellerin am 20.04.2010 zugestellt erhielt. Offenbar ist der Beschwerdeführer eine Abschrift des Beschlusses am 30.04.2010 von der Antragstellerin übermittelt worden. Eine Zustellung durch das Landgericht war schon deshalb nicht möglich oder geboten, weil Name und Adresse des Beschwerdeführers dem Gericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht bekannt sein konnte; denn der Providerin wurde erst mit der richterlichen Anordnung die Auskunft über die Identität des Anschlussinhabers gestattet, dem zum fraglichen Zeitpunkt die in Rede stehende dynamische IP-Adresse zugeordnet war.

Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob unter diesen Umständen gegen den richterliche Gestattungsbeschluss die gegebenenfalls im Wege eines Fortsetzungsfeststellungsantrags (§ 62 FamFG) geltend zu machende Beschwerde (§ 101 Abs. 9 S. 4, 6 und 7 UrhG, §§ 59 ff. FamFG) des mit der Auskunft benannten Anschlussinhabers stattfindet. Soweit unter Nr. 5 der angefochtenen Beschlusses darauf hingewiesen worden ist, dass der Senat mit Beschluss vom 05.05.2009 – 6 W 39/09 (GRUR-RR 2009, 321 – John Bello Story 2) ein eigenes Beschwerderecht des am Ausgangsverfahren nicht beteiligten Anschlussinhabers verneint hat, war dafür der Rechtszustand vor dem 01.09.2009 (Inkrafttreten des FamFG) maßgeblich und die Gründe des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 02.03.2010 (NJW 2010, 833 – Vorratsdatenspeicherung [Rn. 251, 254 ff.]) konnten noch nicht berücksichtigt werden.

Soweit die Beschwerde statthaft war, musste der Beschwerdeführer – auch soweit er als gesetzlicher Vertreter oder volljähriger Familienangehöriger seines Sohnes auftritt – keinen Rechtsanwalt bevollmächtigen, um das Verfahren betreiben zu können (§ 10 Abs. 1 FamFG); die Beschwerdefrist ist gewahrt.

III.
Unabhängig von der Frage ihrer Zulässigkeit, über die im vorliegenden Verfahren nicht vorrangig entschieden werden muss (vgl. BGH, NJW-RR 2006, 1346 [Rn. 4] m.w.N.; Prütting / Gehrlein / Lohmann, ZPO, 2. Aufl., § 572 Rn. 8), war die Beschwerde jedoch zurückzuweisen, denn sie ist jedenfalls unbegründet. Gegenstand der Prüfung durch den Senat ist dabei ausschließlich der Beschluss des Landgerichts Köln, nicht das dem Beschwerdeführer vermutlich gleichzeitig zugegangene, dem Senat aber nicht vorliegende Schreiben der Antragstellerin, mit dem diese ihre Forderung gegen ihn begründet zu haben scheint.

Von einer widersprüchlichen Begründung des gerichtlichen Beschlusses kann keine Rede sein. Zu prüfen hatte die Zivilkammer (nachdem zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen kein Anlass bestand) nur: Hat die Antragstellerin schlüssig dargetan, dass ihr geschütztes Recht (aus §§ 15 Abs. 2 Nr. 2, 19a UrhG) mit dem dargestellten Vorgang (hier: dem Anbieten der den Musiktitel „J’adore Hardcore“ enthaltenden CD „Apres Ski Hits 2010“ über eine Internet-Tauschbörse zum Herunterladen durch Tauschbörsen-Teilnehmer) in gewerblichem Ausmaß verletzt worden ist? Denn in diesem Fall durfte die Kammer der Providerin gestatten, der Antragstellerin Name und Anschrift des Nutzers mitzuteilen, dem zum fraglichen Zeitpunkt die in Rede stehende IP-Adresse zugewiesen war. Ob dieser Nutzer oder einer seiner Familienangehörigen tatsächlich vorsätzlich, fahrlässig oder auch unverschuldet in Rechte der Antragstellerin eingegriffen hatte, konnte und musste das Landgericht in dem bei ihm geführten Verfahren nicht klären. Unabhängig von der Person des wahren Rechtsverletzers genügte es, dass die Vornahme einer rechtsverletzenden Handlung zu einem bestimmten Zeitpunkt von einer bestimmten dynamischen IP-Adresse aus objektiv überwiegend wahrscheinlich war. So liegt es hier, denn durch die eidesstattliche Versicherung des in einem Tochterunternehmen der Antragstellerin tätigen Mitarbeiters V. und die Darstellung der Funktionsweise des von diesem eingesetzten Computerprogramms „FileWatch“ ist glaubhaft gemacht, dass die genannte Musikdatei wirklich zum angegebenen Zeitpunkt von der IP-Adresse 87.155.171.86 aus öffentlich zugänglich gemacht wurde. Von der Providerin durfte deshalb die Auskunft verlangt werden, wem diese IP-Adresse am 31.01.2010 um 17:11:42 Uhr zugewiesen war. Denn wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 02.03.2010 (NJW 2010, 833 [Rn. 260]) betont hat, bildet das Internet keinen rechtsfreien Raum; die Möglichkeit der individuellen Zuordnung von Internetkontakten bei Rechtsverletzungen von einigem Gewicht ist deshalb ein legitimes Anliegen.

Weil die Rechtsverletzung einiges Gewicht haben muss, fordert der Gesetzgeber die Feststellung eines Urheberrechtsverstoßes in gewerblichem Ausmaß. Ein Handeln im geschäftlichen Verkehr oder Gewerblichkeit im ordnungsrechtlichen oder strafrechtlichen Sinn ist dafür aber nicht erforderlich. Auch insoweit kommt es für die richterliche Anordnung nur auf das objektive Erscheinungsbild vor Auskunftserteilung an. Wer an einer Internet-Tauschbörse teilnimmt, erstrebt regelmäßig einen wenigstens mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil. Das zusätzlich erforderliche Gewicht der Verletzungshandlung liegt nach der Gesetzesbegründung unter anderem vor, wenn ein Musikalbum in engem zeitlichen Zusammenhang mit seiner Veröffentlichung zum Herunterladen angeboten wird (BT-Drucks. 16/8783, S. 50). Nach der Rechtsprechung des Senats genügt es, dass eine hinreichend umfangreiche Datei innerhalb ihrer relevanten Verkaufs- und Verwertungsphase öffentlich zugänglich gemacht wird (Senat, GRUR-RR 2009, 9 [11] – Ganz anders). Dies isthier zu bejahen. Denn die CD „Apres Ski Hits 2010“, eine umfangreiche Musikdatei, wurde wenige Wochen nach ihrer Erstveröffentlichung und weniger als ein halbes Jahr nach Erscheinen der Single „J’adore Hardcore“ über eine Tauschbörse öffentlich angeboten. Dass nur das Anbieten des gesamten Albums gewerbliches Ausmaß erreicht, der Antragstellerin eigene Rechte aber nur an einem darauf enthaltenen Einzeltitel zustehen, steht der Berechtigung ihres Auskunftsverlangens und der richterlichen Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung von Verkehrsdaten durch die auskunftspflichtige Providerin nicht entgegen. Ob auch die Veröffentlichung nur des einzelnen Musikstücks eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß dargestellt hätte, kann dahingestellt bleiben, wenn die Rechtsverletzung insgesamt (wie im Streitfall) in gewerblichem Ausmaß erfolgt ist (Senat, a.a.O.).

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 101 Abs. 9 S. 4 UrhG, § 84 FamFG.

Beschwerdewert: 900,00 €

Vorinstanz: Landgericht Köln, Az. 217 O 48/10

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