OLG Köln, Beschluss vom 27.12.2010, Az. 6 W 155/10
§ 101 Abs. 9 UrhG
Das OLG Köln hat entschieden, dass im Bereich Filesharing regelmäßig dann kein Handeln im gewerblichen Ausmaß – welches den Provider zur Auskunft über Anschlussinhaber nach gerichtlichem Beschluss verpflichtet – mehr gegeben ist, wenn z.B. bei Filmen oder Musikstücken oder -alben die relevante Verwertungsphase von ca. 6 Monaten abgelaufen ist. Dabei sei bei Filmen der Beginn dieser Verwertungsphase mit dem Beginn der Veröffentlichung auf DVD zu berechnen. Nach Ablauf dieser Frist bedürfe es besonderer Umstände, um ein Fortdauern der relevanten Verwertungsphase annehmen zu können. So könne bei einem fortdauernden besonders großen kommerziellen Erfolg des Werks die relevante Verwertungsphase noch nicht als beendet angesehen werden. Bei Musiktiteln sei dies beispielsweise der Fall, wenn diese auch nach Ablauf von 6 Monaten noch in den Top 50 der Verkaufscharts vertreten seien. Zum Volltext der Entscheidung:
Oberlandesgericht Köln
Beschluss
in dem Verfahren auf Erlass einer Anordnung nach § 101 Abs. 9 UrhG
Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln hat am 27.12.2010 unter Mitwirkung seiner Mitglieder … beschlossen:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 203 o 171/10 – vom 21.9.2010 abgeändert:
Die Verwendung von Verkehrsdaten zur Erteilung der Auskunft, welchen Nutzern die in der Anlage Ast 1 zum Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 14.6.2010 – 2030171/10 – aufgeführten IP¬Adressen Ifd. Nummern 67 bis 168 (betreffend das Werk „Horst Schlämmer – Isch kandidiere!“) zu den dort genannten Zeitpunkten zugeordnet waren, ist zulässig.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin zur Hälfte; die außergerichtlichen Kosten tragen die Beteiligten selbst.
Gründe
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache teilweise Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung den Antrag auf Anordnung der Zulässigkeit der Verwendung von Verkehrsdaten hinsichtlich derjenigen IP-Adressen, von denen aus das Filmwerk „Männersache“ angeboten worden ist, zurückgewiesen, weil insoweit ein gewerbliches Ausmaß der Rechtsverletzung im Sinne des § 101 Abs. 1 Satz 1 UrhG nicht festgestellt werden kann. Dagegen lag in dem Angebot des Filmwerks „Horst Schlämmer – Isch kandidiere!“ eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß, so dass die Verwendung der Verkehrsdaten zulässig ist.
1.
Die Gestattung gemäß § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG setzt das Bestehen eines Auskunftsanspruchs nach § 101 Abs. 2 UrhG voraus. Dieser wiederum erfordert sowohl, dass der Auskunftsverpflichtete in gewerblichem Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbracht hat (§ 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG), als auch, dass eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß vorliegt.
Das Angebot eines einzelnen urheberrechtlich geschützten Werks im Internet in einer sog. Tauschbörse kann das geschützte Recht in einem gewerblichen Ausmaß verletzen. Denn der Rechtsverletzer hat es – auch wenn sich sein Angebot nur auf einen kurzen Zeitraum beschränkt haben mag – nicht mehr in der Hand, in welchem Umfang das Werk weiter vervielfältigt wird. Gerade in der weiteren Vervielfältigung liegt aber der Sinn und Zweck sog. Tauschbörsen im Internet (vgl. Senat, GRUR-RR 2009, 9, 11; MMR 2009, 334). Der Gesetzgeber hat jedoch – wie sich aus der Gesetzesentstehung ergibt (vgl. die Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT -Drucks. 16/8783, S. 50) – bewusst nicht jede Rechtsverletzung für einen Auskunftsanspruch genügen lassen, sondern einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Urhebers verlangt. Damit ist sichergestellt, dass die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die verfassungsrechtlich geschützten Rechte des Dritten (Art. 10 GG) durch die Erteilung der Auskunft gewahrt ist (vgl. Senat, Beschluss vom 26.7.2010 – 6 W 98/10).
Ein derart schwerer Eingriff kann sich zunächst daraus ergeben, dass ein Rechtsverletzer eine Vielzahl urheberrechtlich geschützter Werke öffentlich zugänglich macht. Dies lässt sich allerdings ohne die erst noch zu erteilende Auskunft des Internetproviders nicht feststellen, so dass hierauf ein Auskunftsanspruch praktisch nicht gestützt werden kann.
Eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß kann bei Vorliegen besonderer Umstände auch dann vorliegen, wenn ein einziges urheberrechtlich geschütztes Werk im Internet zum herunterladen angeboten wird.
Ein gewerbliches Ausmaß kann sich zunächst aus dem hohen Wert des angebotenen Werks ergeben (vgl. Senat, Beschluss vom 3.11.2008 – 6 W 136/08, für ein Computerprogramm, dessen aktuelle Version 499 € kostet und für dessen frühere Versionen der Nutzungsberechtigte kostenlose Upgrades zur Verfügung stellt). Die zweite Fallgruppe besteht darin, dass eine hinreichend umfangreiche Datei innerhalb ihrer relevanten Verwertungsphase öffentlich zugänglich gemacht wird (vgl. Senat, GRUR-RR 2009, 9 [11] – Ganz anders; Beschluss vom 21.7.2010 – 6 W 79/10; ebenso OLG Schleswig, GRUR-RR 2010, 239 [240]; für kurz nach der Erstveröffentlichung angebotene Dateien im Ergebnis ebenso OLG Frankfurt/Main, GRUR-RR 2009, 15 [16]; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2009, 379 [381]; OLG Hamburg, NJOZ 2010, 1222 [1223]; anders für einmalige Download-Angebote OLG Zweibrücken, GRUR-RR 2009, 12 [13]; OLG Oldenburg, MMR 2009, 188 [189]).
Eine hinreichend umfangreiche Datei liegt jedenfalls dann vor, wenn ein gesamtes Musikalbum oder ein Film angeboten wird. Dabei ist es unerheblich, ob der Verletzte Rechte an dem gesamten Musikalbum innehat oder nur an einem einzelnen Titel. Denn es genügt, dass eine Rechtsverletzung gewerblichen Ausmaßes vorliegt; nicht erforderlich ist es, dass der Antragsteller selbst in diesem Ausmaß in seinen Rechten verletzt ist (vgl. Senat, GRUR-RR 2009, 9, 11).
Ob sich ein Werk in der relevanten Verwertungsphase befindet, kann nur im Einzelfall bestimmt werden. Nicht ausreichend ist es, dass überhaupt Verwertungshandlungen vorgenommen werden. Dies würde der oben dargestellten gesetzgeberischen und auch vom Senat geteilten Wertung, wie die geschützten Rechte abzuwägen sind, nicht entsprechen. Es haben sich aber Fallgruppen herausgebildet, in denen eine Rechtsverletzung gewerblichen Ausmaßes angenommen werden kann:
a)
Eine solche liegt zunächst in dem in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses genannten Fall vor, dass eine besonders umfangreiche Datei, wie ein vollständiger Kinofilm oder ein Musikalbum oder Hörbuch, vor oder unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung in Deutschland widerrechtlich im Internet öffentlich zugänglich gemacht wird (BT-Drucks. 16/8783, S. 50). Denn in dieser Phase ist der Rechtsinhaber von Veröffentlichungen seines Werks durch Dritte besonders empfindlich betroffen. Den Zeitraum „unmittelbar nach“ der Veröffentlichung bemisst der Senat für Werke der Unterhaltungsmusik auf sechs Monate (vgl. Senat, Beschlüsse vom 21.7.2010 – 6 W 63/10 und 6 W 69/10; Beschluss vom 26.7.2010 – 6 W 98/10). Bei Hörbüchern, Hörspielen und ähnlichen nicht besonders aktualitätsbezogenen Werkgattungen hat der Senat dagegen längere Verwertungsphasen angenommen, ohne einen zeitlichen Rahmen zu benennen (vgl. Beschlüsse vom 4.6.2009 – 6 W 48/09 und 6 W 46/09; Beschluss vom 15.12.2010 – 6 W 166/10).
b)
Nach Ablauf dieser Frist bedarf es besonderer Umstände, um ein Fortdauern der relevanten Verwertungsphase annehmen zu können. So kann bei einem fortdauernden besonders großen kommerziellen Erfolg des Werks die relevante Verwertungsphase noch nicht als beendet angesehen werden. Für Musikalben hat der Senat insoweit in mehreren Entscheidungen eine Platzierung in den TOP 50 der Verkaufscharts der Musikindustrie zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung als ausreichend angesehen (vgl. Beschlüsse vom 8.1.2010 – 6 W 153/09, vom 13.4.2010 – 6 W 28/10, vom 26.7.2010 – 6 W 98/10 und 6 W 77/10, vom 21.10.2010 – 6 W 87/10). Dasselbe gilt, wenn ein Titel auf einem Album zu diesem Zeitpunkt eine besonders gute Chartplazierung aufweist (vgl. Beschluss vom 18.11.2010 – 6 W 185/10: Platz 2 der Single-Charts). Ggf. kann auch an Hand weiterer Umstände neben der Chartplazierung des Titels das Fortdauern der relevanten Verwertungsphase festgestellt werden (vgl. Beschluss vom 13.4.2010 – 6 W 28/10 für ein 8 Monate altes Erstwerk einer Künstlergruppe, das nach vier Monaten in einer Neuveröffentlichung erschienen war und von dem ein Titel zur Zeit der Rechtsverletzung in den Single-Charts plaziert war). Bei Hörbüchern mag zudem von Bedeutung sein, wie umfangreich das Werk ist und welchen Erfolg das zu hörende Buch hat. Gegen ein Andauern der relevanten Verwertungsphase spricht des dagegen, wenn das Werk zu Ausverkaufspreisen verramscht wird (vgl. Beschluss vom 26.7.2010 – 6 W 77/10; Beschluss vom 15.12.2010 – 6 W 166/10). Hierfür genügen aber nicht Preisschwankungen, wie sie sich etwa durch Sonderangebote ergeben können. Denn solche können auch noch innerhalb der Verwertungsphase als Marketinginstrument eingesetzt werden.
2.
Nach diesen Maßstäben hat die Beschwerde insoweit Erfolg, als das Werk „Horst Schlämmer – Isch kandidiere“ betroffen ist; im Übrigen ist sie unbegründet.
a)
Das Filmwerk „Horst Schlämmer – Isch kandidiere“ ist am 21.12.2009 in einer zum Verkauf bestimmten Form veröffentlicht worden. Dieser Zeitpunkt lag weniger als ein halbes Jahr vor dem Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Rechtsverletzungen. Besondere Umstände, die ein Abweichen von dem oben dargestellten Grundsatz, dass eine Rechtsverletzung gewerblichen Ausmaßes vorliegt, wenn ein Werk weniger als sechs Monate nach seiner Veröffentlichung im Internet zum Herunterladen angeboten wird, rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.
Soweit das Landgericht auf den Kinostart des Films abgestellt haben sollte, steht dies mit der Rechtsprechung des Senats nicht im Einklang. Die Verwertung durch den Verkauf von DVDs stellt eine grundlegend andere Nutzungsart dar als der Verleih an Lichtspielhäuser. Erst mit dem Start des DVD-Verkaufs wird der Öffentlichkeit das Werk in die Hand gegeben. Gerade diese Nutzungsmöglichkeit wird durch illegale Angebote im Internet besonders eingeschränkt. Daher beginnt die hier relevante Verwertungsphase erst mit der Veröffentlichung des Films als DVD.
b)
Dagegen lag der Verkaufsstart der DVD-Version des Filmswerks „Männersache“ zum Zeitpunkt der Rechtsverletzungen bereits mehr als ein halbes Jahr zurück. Besondere Umstände, aufgrund derer ein Andauern der Verwertungsphase über den Zeitraum von sechs Monaten angenommen werden könnte, liegen nicht vor.
Ohne Erfolg macht die Beschwerde insbesondere geltend, es müssten sämtliche Verwertungsmöglichkeiten geschützt werden, insbesondere müsste von einem Fortdauern der relevanten Verwertungsphase bis zu dem Zeitpunkt der Auswertung durch das Angebot in Video-On-Demand-Diensten angenommen werden.
Wie bereits dargelegt, ist im Rahmen des Auskunftsanspruchs das Interesse des Rechtsinhabers an der Verwertung des Werks mit den grundrechtlich geschützten Positionen der Anschlussinhaber abzuwägen. Für den Auskunftsanspruch genügt daher nicht jede Rechtsverletzung, sondern nur eine solche, die ein gewerbliches Ausmaß erreicht. Der Auskunftsanspruch wird daher nur solange gewährt, bis die wirtschaftliche Verwertung im Wesentlichen abgeschlossen ist. Dies war aber – auch nach den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Zahlen – zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung der Fall. So lagen die Verkaufszahlen unmittelbar nach Veröffentlichung des Filmwerks auf DVD in einer Woche bei über 10.000 Stück (in der dritten Verkaufswoche sogar bei 16.913), woraus sich ein Umsatz im deutlich sechsstelligen Bereich ergab (in der Spitze von 228.829,22 €). Diese Zahlen haben sich bis zum Ende der sog. Erstvermarktung (= Verkauf im Fachhandel) auf unter 1.000 Stück reduziert. Der Beginn der Zweitvermarktung (= Verkauf über alle Vertriebskanäle ggf. auch zu günstigeren Preisen) in der 17. Woche nach der Veröffentlichung hat die Verkaufszahlen noch einmal auf über 3.000 Stück ansteigen lassen. Nach Ablauf der sechs Monate lagen die Verkaufszahlen dann auch auf diesem Absatzmarkt nur bei ca. 10 % der anfänglichen Verkaufszahlen, zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung sogar nur noch bei deutlich unter 1.000 Stück bei einem Umsatz von nur noch rund 6.000 € in einer Woche. Der Senat verkennt nicht, dass auch dies – insbesondere auf lange Sicht – zu erheblichen Einnahmen führen wird und illegale Angebote für den Rechteinhaber zu erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen führen kann. Gleichwohl belegen diese Zahlen, dass die Verwertung zu einem weit überwiegenden Anteil in den ersten sechs Monaten erfolgt.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 101 Abs. 9 S. 4 und 5 UrhG i.V.m. §§ 81, 84 FamFG.
Vorinstanz(en): LG Köln, Az. 203 0171/10